Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 48|
28. November 2014 A 2085E
in gutes Urteil für die Bürger, insbesondere in strukturschwachen Gebieten: Städte und Kreise dürfen ihre defizitären Krankenhäuser auch weiterhin bezuschussen und Verluste ausgleichen. In einem Mus- terverfahren wies das Oberlandesgericht Stuttgart eine Klage des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken gegen den Landkreis Calw in zweiter Instanz ab (Az.:2 U 11/14). Der Landkreis hatte 2012 Verluste der Kreiskliniken Calw und Nagold in Höhe von rund sechs Millionen Euro sowie Ausfallbürgschaften für In- vestitionen übernommen. Der Verband argumentiert, ein solcher Ausgleich von Defiziten durch Steuergelder sei ein inakzeptabler Wettbewerbsnachteil für die pri- vaten Träger, die staatlichen Beihilfen stellten einen Verstoß gegen die Regeln des EU-Binnenmarkts dar.
Wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung dürfte der Rechtsstreit vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe landen. Es geht um die wichtige Frage, ob Krankenhäu- ser als kommerzielle Wirtschaftsbetriebe dem Wettbe- werbsrecht in der Europäischen Union unterliegen oder als Teil der Daseinsvorsorge des Staates eben nicht.
Im deutschen DRG-System werden die Krankenhäu- ser einerseits wie kommerzielle Wirtschaftsbetriebe be- handelt. Denn zu den Zielen, die die Politik mit der Einführung des Abrechnungssystems nach diagnose - orientierten Fallpauschalen verband, zählte ausdrück- lich auch eine Strukturbereinigung der Krankenhaus- landschaft – also die Schließung von Krankenhäusern.
Wer mit der pauschalen Vergütung nicht auskommt, macht Miese. Punkt.
Andererseits lässt sich aus dem im Grundgesetz ver- ankerten Sozialstaatsprinzip ein Anspruch der Bevölke- rung darauf ableiten, dass der Staat die für ein men- schenwürdiges Dasein als notwendig erachteten Güter und Leistungen bereitstellt – die sogenannte Daseins- vorsorge. Dazu gehört eben auch, dass die Träger kom- munaler Krankenhäuser rund um die Uhr eine wohnort- nahe und qualitativ hochwertige stationäre Grund- und Regelversorgung sicherstellen. Auch defizitäre Kran-
kenhäuser haben demnach eine Daseinsberechtigung, wenn das Land sie über den Krankenhausplan als ver- sorgungsnotwendig eingestuft hat.
Die Richter des Oberlandesgerichts Stuttgart haben sich festgelegt: Staatliche Beihilfen für kommunale Krankenhäuser fallen nicht unter das EU-Wettbewerbs- recht, weil Krankenhäuser mit „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind“, die laut EU-Vertrag explizit ausgenommen sind. Solche Dienstleistungen der Daseinsvorsorge zu definieren, liegt in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. Durch die Aufnahme der Kreiskliniken in den Krankenhausplan legitimiert das Land Baden-Württemberg also quasi die Subventionen des Landkreises Calw.
Konsequent zu Ende gedacht hat damit in Deutsch- land jede Klinik, die über den Krankenhausplan eines Bundeslandes einen Versorgungsauftrag zugewiesen bekommt, eine Daseinsberechtigung. Will die Politik also die Krankenhauslandschaft „bereinigen“, so darf sie dafür nicht länger das DRG-System beziehungswei- se den Markt missbrauchen. Vielmehr muss sie den Mut aufbringen, die stationäre Versorgung im Land über die Krankenhauspläne zu steuern.
Das Grundrecht auf eine adäquate wohnortnahe Krankenhausversorgung sollte auch der Bundesge- richtshof klarstellen.
KRANKENHÄUSER
Da sein geht vor
Jens Flintrop
Jens Flintrop Stellvertretender Leiter der politischen Redaktion