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Archiv "Kommunale Krankenhäuser: Überwältigende Streikbereitschaft" (30.06.2006)

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ass die Arbeitskampfmaßnahmen an den städtischen und Kreiskran- kenhäusern, die am 26. Juni began- nen, von nahezu allen dort beschäftigten Ärztinnen und Ärzten mitgetragen wer- den, überrascht nicht: „Die Ärzte an den kommunalen Krankenhäusern scharren mit den Hufen. Wir können sie derzeit nur noch mit Mühe davon abhalten, wie ihre Kollegen von den Unikliniken auch auf die Straße zu gehen“, hatte Dr. med.

Ursula Stüwe, Präsidentin der Landes- ärztekammer Hessen, bereits am 20. Mai bei der 109. Hauptversammlung des Marburger Bundes (MB) in Magdeburg berichtet – eine Einschätzung, die viele andere Delegierte bestätigten.

Der Druck auf die MB-Spitze, die Ta- rifverhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) für gescheitert zu erklären und einen Arbeitskampf einzuleiten, war entspre- chend groß. Die Frage, ob neben bezie- hungsweise nach den Uniklinikärzten auch die rund 70 000 Ärzte an kommu- nalen Krankenhäusern für bessere Ar- beitsbedingungen und für mehr Gehalt in den Arbeitskampf ziehen, drohte gar zur Zerreißprobe für die Klinikärztege- werkschaft zu werden. Am 20. Juni machte dann die Große Tarifkommissi-

on des Marburger Bundes den Weg frei für den Arbeitskampf auch auf kommunaler Ebene. Überwältigende 97,1 Prozent der MB-Mitglieder stimm- ten schließlich für den Streik.

Signal an die Arbeitgeber

„Der starke Wille der Ärzte, für einen eigenen, arztspezifischen Tarifvertrag streiken zu wollen, ist ein unmiss- verständliches Signal an die Arbeitge- ber“, kommentierte Dr. med. Frank Ul- rich Montgomery das Ergebnis der Ur- abstimmung. Der MB-Bundesvorsitzen- de warnte die VKA vor einem „heißen Sommer“ in den Krankenhäusern. Es sei ein großer Fehler gewesen, in den fünf Tarifverhandlungsrunden kein An- gebot für einen originären Ärzte-Tarif vorzulegen, sondern auf der Grundlage des mit Ver.di abgeschlossenen Tarifver- trages für den öffentlichen Dienst (TVöD) verhandeln zu wollen. Montgo- mery: „Kein Arzt wird einen Tarifver- trag akzeptieren, der nicht vom Marbur- ger Bund unterzeichnet wurde.“ Die Ar- beitsbedingungen an den Krankenhäu- sern seien „grottenschlecht“: Überlange Arbeitszeiten, Marathonschichten, un-

bezahlte Überstunden und immer mehr Bürokratie seien die bittere Realität.

Die zunehmende Verschlechterung der ärztlichen Arbeitsbedingungen bekä- men auch die Patienten zu spüren, die immer häufiger auf überlastete und de- motivierte Ärzte träfen.

Die Forderungen der Klinikärztege- werkschaft an die Kommunen als Ar- beitgeber gleichen denen im Tarifkon- flikt mit den Bundesländern. Der Mar- burger Bund fordert insbesondere:

> einen eigenständigen, arztspezifi- schen Tarifvertrag,

> eine deutliche Erhöhung der Ver- gütung,

> eine Entgeltordnung, die die spezi- fischen Tätigkeiten und Funktionen von Ärzten berücksichtigt,

> Arbeitszeitregelungen, die den eu- ropäischen Vorgaben und dem Arbeits- zeitgesetz entsprechen,

> eine bessere Bezahlung der Be- reitschaftsdienste und

> engere Befristungsregelungen, die kurze Vertragslaufzeiten einschränken.

Die kommunalen Arbeitgeber be- zeichnen die MB-Forderungen als uto- pisch: „Der Marburger Bund lässt mit seiner aufrechterhaltenen Forderung auf 30 Prozent höhere Ärztegehälter weiter

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 26⏐⏐30. Juni 2006 AA1785

Kommunale Krankenhäuser

Überwältigende Streikbereitschaft

97,1 Prozent der Ärzte an den kommunalen Kliniken votieren für Streik. Ob der Tarifvertrag

für die Uniklinikärzte die nötige Zustimmung findet, ist derweil noch offen.

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jeden Realitätssinn vermissen“, kritisier- te VKA-Verhandlungsführer Prof. Dr.

rer. pol. Otto Foit. Die Tarifeinigung für die Ärzte im Dienst der Länder könne für die kommunalen Krankenhäuser kei- ne Grundlage für eine Verständigung mit dem MB sein, betonte Foit. Denn kom- munale Kliniken seien nicht mit Unikli- niken zu vergleichen: „Die Unikliniken werden von den Ländern über die Län- derhaushalte mitfinanziert. Die kommu- nalen Krankenhäuser sind hingegen in erster Linie auf Krankenkassenleistun- gen angewiesen. Diese Einnahmen las- sen sich aber nicht beliebig steigern, um noch höhere Ärztegehälter zu finanzie- ren.“ Die gesetzlich vorgegebene Steige- rungssumme der diesjährigen Kranken- kassenleistungen an die Krankenhäuser von 0,63 Prozent reiche schon nicht aus, um gestiegene Personal- und Sachkosten zu finanzieren, geschweige denn noch höhere Ärztegehälter, argumentierte Foit. Und: Anders als an den Univer- sitätskliniken habe es an den kommuna- len Krankenhäusern eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit und eine Streichung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes nicht gegeben. Foit: „Der Arbeitskampf geht unmittelbar zulasten der Patienten. Die Streiks gefährden die Patientenversor- gung dort, wo es keine weiteren Behand- lungsangebote gibt – insbesondere im ländlichen Bereich.“

Eine interessante Entwicklung zeich- net sich unterdessen in Stuttgart ab: Die dortige Stadtverwaltung ist bemüht, den drohenden Ärztestreik am Klinikum Stuttgart (bestehend aus vier städtischen Krankenhäusern mit 52 Kliniken und In- stituten) in letzter Sekunde noch abzu- wenden. Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) traf sich deshalb mit Vertretern des MB-Landesverbandes Baden-Württemberg, um die Chancen für eine Übergangslösung zu sondieren.

Das Angebot: Bis sich der MB mit der VKA auf einen Tarifvertrag geeinigt hat, soll am Klinikum Stuttgart die mit der Ta- rifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) erzielte Einigung angewendet werden (heruntergebrochen auf eine 39-Stunden- Woche). Ob der MB-Landesverband Baden-Württemberg das Angebot an- nimmt, war bei Redaktionsschluss dieses Heftes noch in der Schwebe: „Die Stutt- garter Ärzte profitierten von einer sol- chen Sonderlösung“, sagte Bernhard

Resemann, Geschäftsführer des Landes- verbandes, dem Deutschen Ärzteblatt.

„Darüber hinaus könnten wir zeigen,dass der TdL-Tarifvertrag auch für die Kom- munen bezahlbar ist.“ Andererseits be- stehe aber auch die Gefahr, den Streiks insgesamt die Wucht zu nehmen.

Tarifeinigung in der Kritik

Offen ist auch, ob der vom MB mit den Ländern ausgehandelte Tarifvertrag für die Uniklinikärzte die notwendige Zu- stimmung von mindestens 50 Prozent der betroffenen MB-Mitglieder findet.

Kritisiert wird vor allem, dass keine Ost-West-Angleichung der Gehälter ver- einbart wurde. „Der Tarifabschluss wird dazu führen, dass die jungen flexiblen Uniklinikärzte nach Südwestdeutschland oder nach Skandinavien gehen“, progno- stizierte Dr. med. Andreas Crusius, Prä- sident der Ärztekammer Mecklenburg- Vorpommern. Die Finanzminister der neuen Länder, die eine Gehaltsanglei- chung vehement ablehnen, hätten offen- bar den Ernst der Lage nicht erkannt.

Hintergrund: Dem zwischen MB und TdL ausgehandelten Kompromiss zufolge sol- len die Ärzte im Osten 400 bis 900 Euro weniger je Monat verdienen als ihre Kol- legen im Westen. Die Ärztesprecher der Universitätsklinika Rostock, Greifswald, Dresden, Halle, Leipzig und Magdeburg warnten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deshalb in einem offenen Brief vor einem „Massenexodus“ von hoch qua- lifizierten Ärzten aus den ostdeutschen Universitätskliniken. Eine solche Ent-

wicklung könne die Hochschulmedizin in den neuen Bundesländern bereits kurzfri- stig zusammenbrechen lassen. „Bei einer Gehaltsdifferenz von zehn bis 20 Prozent und nun erfolgter Zementierung von un- terschiedlichen Güteklassen ärztlicher Arbeit in einem geeinten Deutschland wird sich der sich bereits jetzt abzeichnen- de Kollaps des ostdeutschen Gesund- heitswesens dramatisch beschleunigen“, schreiben die Ärztesprecher.

Neben dem West-Ost-Tarifgefälle sind auch die von der TdL angebotenen Gehaltszuwächse umstritten. Viele Uni- klinikärzte hatten sich da mehr erhofft.

Kritisiert werden aber auch einige For- mulierungen im Angebot der TdL, die sich in der Praxis sehr negativ für be- stimmte Ärzte auswirken könnten. So sollen nur jene Fachärzte als solche be- zahlt werden, die auch fachärztlich tätig sind.Aber was passiert, wenn der Arbeit- geber der Meinung ist, dass die Tätigkeit eines Facharztes auch durch einen Assi- stenzarzt erledigt werden könnte?

Konfliktpotenzial enthält ebenfalls eine Formulierung zum Geltungsbe- reich des Tarifvertrages: Dieser gilt für Ärzte, die „an einer Universitätsklinik überwiegend Aufgaben in der Patien- tenversorgung wahrnehmen“. Zwar sollen dazu explizit auch jene Ärzte zählen, „die in ärztlichen Serviceberei- chen (zum Beispiel Pathologie, Labor, Krankenhaushygiene) in der Patienten- versorgung eingesetzt sind“. Aber ob diese Klarstellung reicht? Ärzten, die überwiegend in der Forschung oder Lehre tätig sind, droht die Vergütung nach dem ungeliebten TVöD.

Trotz der teils heftigen Kritik am Ta- rifkompromiss spricht einiges dafür, dass die Mehrheit der Uniklinikärzte (die Urabstimmung läuft noch bis zum 3. Juli) für die Annahme des TdL-Ange- bots votieren wird – einerseits, weil mit weiteren Streiks kaum weitere Zuge- ständnisse der Länder zu erzielen sein werden, andererseits, weil die meisten Ärzte es ähnlich sehen wie Prof. Dr. med.

Karsten Vilmar, Ehrenpräsident der Bundesärztekammer: „Dass überhaupt ein arztspezifischer Tarifvertrag abge- schlossen wurde, ist ein großer Erfolg.

Über die Details mag man streiten, dar- über kann man später weiterverhan- deln.Tarifpolitik muss immer langfristig angelegt sein.“ Jens Flintrop

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A1786 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 26⏐⏐30. Juni 2006

P O L I T I K

Fotos:dpa

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