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Archiv "Das Dilemma der Krankenhäuser" (29.01.1976)

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73. Jahrgang / Heft 5 29. Januar 1976 Postverlagsort Köln

Redaktion:

Dieselstraße 2 Postfach 40 04 30 5000 Köln 40 (Lövenich) Ruf: (0 22 34) 70 11 -1 Fernschreiber 8 89 168 Verlag und

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Dieselstraße 2 Postfach 40 04 40 5000 Köln 40 (Lövenich) Ruf: (0 22 34) 70 11 -1 Fernschreiber 8 89 168

Die Information:

Bericht und Meinung

ARZTEBLATT DEUTSCHES

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Das Dilemma

der Krankenhäuser

Klagen über die Mängel

und die Lücken des Krankenhausfinanzierungsgesetzes

Die Reformeuphorie der vergangenen Jahre ist auch auf dem Kran- kenhaussektor einer heilsamen Phase der Ernüchterung und der verstärkten Anstrengungen zur Kostendämpfung und Rationalisie- rung gewichen. Der Bericht der Bundesregierung über die Auswir- kungen des sogenannten Krankenhausfinanzierungsgesetzes von 1972 (KHG), der mit dreimonatiger Verspätung Ende Dezember 1975 vom Kabinett verabschiedet wurde, spart nicht mit Kritik an den Krankenhäusern und an der Krankenhausfinanzierung. Er be- stätigt in wesentlichen Punkten das, was die Ärzteschaft seit An- beginn an der Neuordnung der Krankenhausfinanzierung und Kran- kenhausbedarfsplanung kritisiert hatte.

Nunmehr wurde auch von amtlicher Seite bestätigt, daß das ur- sprünglich als „Jahrhundert-Gesetz" gefeierte neue Krankenhaus- finanzierungsgesetz mit einer Reihe von Mängeln behaftet ist und Lücken aufweist, und wesentliche Ziele des Gesetzes noch nicht im entferntesten erreicht sind. Krankenhäuser, Verwaltungen, Kranken- hauspersonal und Ärzteschaft haben indes die für das Gesund- heitswesen verantwortlichen Minister und Senatoren in Bund und Ländern rechtzeitig auf die Versäumnisse hingewiesen und deut- lich gemacht, wie Krankenhausstruktur und Krankenhausfinanzie- rung verbessert werden können.

Tatsache ist: Das 1972 verabschiedete Krankenhausfinanzierungs- gesetz und die am 1. Januar 1974 in Kraft getretene neue Pflege- satzverordnung haben zwar zu einer finanziellen Absicherung der Krankenhäuser und einer wesentlichen Verbesserung der perso- nellen und sachlichen Ausstattung geführt, zugleich aber infolge der Einführung vollkostendeckender Pflegesätze — zumindest rech- nerisch jetzt für jeden sichtbar geworden — zu einer spürbaren Erhöhung der Pflegesätze und damit einer stärkeren Belastung der Beitragszahler geführt. Bund und Länder haben seit Inkraft- treten des Gesetzes insgesamt 10,5 Milliarden DM für Investitio- nen im Krankenhauswesen bereitgestellt. Obwohl die Krankenhaus-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 5 vom 29. Januar 1976 237

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Die Information:

Bericht und Meinung

Mängel des Krankenhausfinanzierungsgesetzes

bedarfspläne der Länder unzurei- chend und noch längst nicht auf den tatsächlichen Bedarf abgestellt sind, wurde hier ein Bauboom inszeniert, so daß man jetzt be- reits den Überfluß im Kranken- hauswesen und den „Bettenberg"

beklagt.

Der Krankenhausbericht der Bun- desregierung macht unter anderem folgende Angaben: Die Zahl der Akutbetten stieg von 444 055 im Jahr 1969 auf 486 326 im Jahr 1974.

Ende 1975 verfügten Akut- und Sonderkrankenhäuser insgesamt über mehr als 707 000 planmäßige Betten. Der Pflegehöchstsatz in der Allgemeinen Pflegeklasse, 1966 noch unter 40 DM, schnellte inner- halb von acht Jahren auf das Vier- fache und erreichte seinen Höchst- wert in Hessen mit 224,70 DM täglich.

Die Kehrseite der Medaille: Die Krankenkassen mußten für die sta- tionäre Krankenversorgung immer mehr aufwenden. Gaben sie 1968 allein für die stationären Benutzer- kosten noch 4,4 Milliarden DM aus, so waren es 1972 bereits 9,4 Mil- liarden DM und 1974 15,2 Milliar- den DM. 1975 dürfte dieser Betrag bei mehr als 18 Milliarden DM ge- legen haben. Für 1980 erwarten die Krankenkassen, wenn alles so wei- terläuft wie bisher, mit 33,8 Milliar- den DM mehr als das Doppelte von 1974.

Kostentreibsätze eingebaut

Vor zehn Jahren zahlte man zum Beispiel in Baden-Württemberg noch täglich höchstens 39 DM Pfle- gekosten im Krankenhaus; heute liegen sie bei 186 DM. Pflegesätze von mehr als 200 DM sind keine Seltenheit mehr.

Für den Kostenanstieg des perso- nalintensiven Krankenhauses (rund 75 Prozent der Gesamtkosten sind Personalkosten) ist nicht nur die Umstellung in der Krankenhausfi- nanzierung und der Pflegesatzre- gelung, sondern auch der durch die Arbeitszeitverkürzung auf 40

Wochenstunden bedingte Anstieg des Personalbedarfs der Kranken- häuser verantwortlich. Weitere Ko- stentreibsätze waren

I> der Anstieg der Tariflöhne allein 1974 um über 11 Prozent;

I> die Anpassung der Besoldung an das allgemeine Einkommensni- veau;

I> die Anhebung der Überstunden- vergütungen;

I> die Vergütung des Bereit- schaftsdienstes und

> der Ersatz der Ordensschwe- stern durch freie Schwestern, um nur einige Punkte zu nennen.

Anspruchsvolle Ziele nicht erreicht

Dies alles hat dazu geführt, daß zwar der Leistungsstandard der meisten Krankenhäuser verbessert, aber nicht das anspruchsvolle Ziel des Krankenhausfinanzierungsge- setzes, zu „sozial tragbaren Pflege- sätzen" beizutragen, erreicht wur- de. Dazu ist nach Meinung der Bundesregierung außer besserer Planung und Wirtschaftlichkeit auch eine „stärkere Motivation der Verantwortlichen zu einem sparsa- men Umgang mit den nur begrenzt zur Verfügung stehenden Mitteln"

notwendig.

Erkennbare Überkapazitäten müs- sen schleunigst abgebaut und Pla- nungsfehler der Vergangenheit korrigiert werden. Die Kranken- hauskapazitäten müssen mehr als bisher auf den tatsächlichen Be- darf ausgerichtet werden. Die Krankenhausbedarfsplanung muß über die Grenzen der Kommunen und Länder hinweg reichen und ein sinnvolles Netz von Krankenhäusern unterschiedlicher Qualifikation und Intensität garantieren. Die Länder- regierungen haben es weitgehend selbst in der Hand, über Gewäh- rung und Versagung von Investi- tionskostenzuschüssen im Rahmen einer detaillierten Regionalplanung

Betten in Überflußabteilungen „ein- zufrieren", unrentable und für die Versorgung entbehrliche Kranken- häuser stillzulegen oder sie einer anderen Verwendung wie bei- spielsweise der Langzeitpflege, der Betreuung von alten und chronisch Kranken zuzuführen. Zu Recht warnte jedoch kürzlich die Deut- sche Krankenhausgesellschaft (DKG) davor, wichtige Kranken- hausprojekte vorschnell dem Rot- stift zu opfern. Solange exakte Be- darfsermittlungen noch fehlen, wä- ren ungezielte Betten- und Perso- nalrestriktionen nicht zu verantwor- ten; sie würden durch Freisetzun- gen auch den Arbeitsmarkt weiter belasten und die Leistung des Krankenhauses beeinträchtigen.

Solange noch sektorale Unterver- sorgung — wie beispielsweise in den Disziplinen Neurochirurgie, Or- thopädie, Psychiatrie und Urologie

— besteht, sind Umstrukturierun- gen notwendig. Betriebsorganisa- tion und technische Effizienz, vor allem in Großkrankenhäusern, sind verbesserungsbedürftig. Und daß das Rechnungswesen vor allem in Krankenhäusern der öffentlichen Hand geändert werden muß, wird auch von der Krankenhausgesell- schaft nicht bestritten.

Während man noch vor wenigen Jahren den Trend zum Großkran- kenhaus auf staatlicher Seite be- wußt förderte, weiß man heute, daß die — zum Teil vorschnell ge- schlossenen — Krankenhäuser mit weniger als 100 Betten, die Beleg- krankenhäuser und die noch zu spärlich verbreiteten Praxiskliniken viel billiger und familiennäher sein können als Mammutbauten mit ei- ner krankhaften Kostenautomatik.

Bezeichnenderweise rufen gerade jene so laut nach einem raschen Abbau des „Bettenberges", denen er vorher nicht groß genug sein konnte.

Man hat das Heil vom Hochlei- stungshospital erwartet und dieses gebaut, ohne offenbar zu sehen, daß damit nicht nur enorme Inve- stitionskosten in Höhe von 150 000 DM und mehr je Krankenhausbett, 238 Heft 5 vom 29. Januar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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sondern auch überproportional steigende Unterhaltungskosten ver- bunden sind.

Späte Erkenntnis

Professor Dr. med. Hans-Werner Müller, Hauptgeschäftsführer der Krankenhausgesellschaft, bestätig- te kürzlich vor der Presse in Düs- seldorf, daß die kleineren Häuser, die für die Erstversorgung hervor- ragende Dienste bieten, sich in- zwischen keineswegs als "unwirt- schaftlich" erwiesen haben, wie so oft behauptet worden ist. "Ihre Pflegesätze liegen, gemessen an denen großer Krankenhäuser, ex- trem niedrif). Es ist auch keine Fra- ge, daß der Trend zum Großkran- kenhaus einen kostensteigernden Effekt hatte, da nunmehr auch Ba- gatellfälle in den großen und damit sehr viel teureren Krankenhäusern Aufnahme finden" (Müller).

Hier wird sich also einiges ändern müssen. Träger wirtschaftlich ge- fährdeter Krankenhäuser sollten diese auf einen praxisklinischen Betrieb umstellen. Der Staat sollte sie ebenso finanziell fördern wie Großkrankenhäuser. Durch den Ausbau eines modernisierten und modifizierten Systems belegärztli- cher Tätigkeit würde eine beson- ders patientennahe, ökonomisch sinnvolle Versorgung erreicht; die Nahtstelle zwischen stationärer und ambulanter Versorgung würde im Interesse des Patienten enger geknüpft.

Belegkrankenhäuser fördern Erst kürzlich hat ein Konsultations- ring von sechs bedeutenden ärztli- chen Verbänden noch einmal unter- strichen, daß der Belegarzt Kosten sparen hilft, weil er vor und nach der Krankenhausbehandlung den Patienten "durchgängig" betreut.

Auf diese Weise ist es möglich, den Patienten in vielen Fällen spä- ter einzuweisen und wieder früher zu entlassen; die Verweildauer ver- kürzt sich. Zudem läge hier ein An- reiz dafür, daß sich in Zukunft

mehr Ärzte als bisher in freier Pra- xis niederlassen, die im klinischen Bereich dann ihre erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten weiter- hin voll anwenden könnten.

Bedauerlicherweise wurden die Vorschläge der Ärzteverbände und -Organisationen zum Ausbau und zur Förderung von Belegkranken- häusern in der allgemeinen Ko- stendiskussion meist übergangen.

Auch die Gesundheitsminister der Länder haben von diesem Instru- ment der Kostenersparnis und best- möglichen Patientenversorgung bis- lang kaum Kenntnis genommen.

ZITAT

"Leere Betten sind wie leere Schreibtische - sie schreien nach Betätigung!"

Walter Arendt, Bundesmini- ster für Arbeit und Sozialord- nung, vor dem Bundeskon- greß der SPD-Arbeitsgemein- schaft für Arbeitnehmerfra- gen (AfA) in Bremen.

Der Erfahrungsbericht der Bundes- regierung zum Krankenhausfinan- zierungsgesetz und die exorbitant steigenden Kosten gerade im Großkrankenhaus müssen für alle jene eine Lehre sein, die bei der Konzeption des KHG das Heil im Großkrankenhaus oder gar einer modellhaften Zentrierung der ge- samten medizinischen Versorgung um das Krankenhaus - etwa in ei- nem "integrierten System medizini- scher Versorgung"

a

Ia WSI*) - sehen.

Der jetzt von der Deutschen Kran- kenhausgesellschaft für das zweite Halbjahr 1975 festgestellte Rück- gang bei der Bettenbelegung der Krankenhäuser um rund fünf Pro- zent darf keinesfalls dazu führen, daß allein aus diesem Grund die Pflegesätze eben um diesen Pro- zentsatz automatisch erhöht wer- den (nur weil die Personalkosten fix sind und weil laut Gesetz die

*) Wirtschafts- und Sozialwissenschaftli- ches Institut des Deutschen Gewerk- schaftsbundes

Die Information:

Bericht und Meinung

Rechnung ausgeglichen sein muß), wie die Krankenhausgesellschaft dies für 1976 ankündigte.

Um das Ansetzen einer solchen simplen, betriebswirtschaftlich un- haltbaren Ausgleichsmechanik zu verhindern, die bei einer wün- schenswerten Verkürzung der Ver- weildauer und einem Belegrück- gang droht, ist es notwendig, das Rechnungswesen des Krankenhau- ses zu verbessern, das vorhandene Personal effizienter einzusetzen und flexiblere Systeme der Pilege- satzberechnung (etwa durch Ein- führung degressiver Pflegesätze u. a.) sowie moderne Management- methoden zu erproben. Beispiele wie in Traunstein oder Neustadt bei Coburg haben gezeigt, daß be- triebswirtschaftlich sinnvolle Pfle- gesatzberechnungen Kosten spa- ren helfen.

~ Bund und Länder sind aufgeru- fen, die Krankenhäuser bei ihren Bemühungen um eine bestmögli- che, kostenadäquate Krankenver- sorgung zu unterstützen, indem sie praktikable Grundsätze zur Nachprüfung der Wirtschaftlichkeit sowie verbindliche Kriterien für den Nachweis der sparsamen Wirt- schaftsführung eines leistungsfähi- gen Krankenhauses entwickeln.

Die Schuld allein den Krankenhäu- sern und ihren Verwaltungen anzu- lasten bedeutet in der Tat "ein un- erträgliches Ausweichen aus einem Dilemma" (so die Deutsche Kran- kenhausgesellschaft in einem Fern- schreiben an Bundesgesundheits- minister Frau Dr. Focke).

~ Solange die gesetz- und ver- ordnungsgebenden Körperschaften die gravierenden Versäumnisse der Vergangenheit nicht aus der Weit geschafft und vor allem die sieben noch ausstehenden wichtigen Rechtsverordnungen zur Anwen- dung und Durchführung des Kran- kenhausfinanzierungsgesetzes nicht erlassen haben, dürfte sich die Krankenhausszenerie kaum än- dern, und wünschenswerte Initiati- ven der Selbstverwaltung werden eher gebremst als gefördert.

Dr. rer. pol. Harald Clade

DEUTSCHES ARZTEBLA'IT Heft 5 vom 29. Januar 1976 239

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