A 626 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 15|
11. April 2014KRANKENHÄUSER
Alte Patienten sind oft überfordert
Für eine gute Betreuung alter Patienten fehlt es im Krankenhaus häufig an Zeit.
Die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Steffens fordert einen bundesweit gültigen Personalschlüssel und einen Ausbau der Geriatrie.
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ine unbekannte Umgebung, fremde Gesichter und dann auch noch die Schmerzen: Wenn al- te Patienten ins Krankenhaus einge- liefert werden – zum Beispiel nach einem Sturz – fühlen sie sich oft hilflos. Vielleicht fehlen außerdem Hörgerät, Brille und Gebiss, weil bei dem Rettungseinsatz niemand daran gedacht hat, sie einzupacken. Doch für solche „banalen“ Probleme bleibt im Klinikalltag kaum Zeit.Zu wenig Zeit und Zuwendung
Die Zahl alter und hochaltriger Pa- tienten steigt. „Wir haben eine ver- änderte Patientenstruktur“, sagt die nordrhein-westfälische Gesundheits- ministerin Barbara Steffens (Grüne).Doch das „alte System Kranken- haus“ sei bislang darauf nicht einge-
stellt. „Für diese Personengruppe ist menschliche Zuwendung das A und O“, erläuterte Steffens auf dem Kongress „Der alte Mensch im Krankenhaus – Geriatrienetz Ruhr- bistum“ Ende März in Essen. Wenn Patienten sediert und fixiert wür- den, um reibungslose Abläufe mit wenig Personal zu ermöglichen, sei das nicht akzeptabel.
Steffens sprach sich bei der Ver- anstaltung für einen festgelegten Personalschlüssel in Krankenhäu- sern aus. Es müsse „auf Bundesebe- ne ein Personalbemessungsinstru- ment“ eingeführt werden, verlangte die Ministerin. Zugleich müsse aber auch die Refinanzierung gesichert sein, forderte Steffens auf dem Kongress der Kosmas und Damian GmbH, einer Entwicklungsgesell- schaft für die katholischen Kran- kenhäuser im Bistum Essen.
Grundsätzlich glaubt Steffens aller- dings nicht, dass die Maßnah- men unterm Strich teurer sein
müssen als die jetzige Versor- gung. Derzeit entstünden viele Folgekosten durch ei- ne Fehlversorgung, die Pfle- gebedürftigkeit und Immo- bilität verursache.
Neben der besseren Perso- nalausstattung in der Regelversor- gung, will Steffens auch den Ausbau einer spezialisierten Altersmedizin fördern. Der Krankenhausplan Nord- rhein-Westfalen 2015 sieht unter an- derem eine Stärkung der geriatri- schen Angebote vor. Steffens wies aber darauf hin, dass dabei die Quali- tät gewährleistet sein müsse. „Nicht überall, wo man Geriatrie drauf
schreibt, ist auch Geriatrie drin.“
Matthias Mohrmann, Vor- standsmitglied der AOK
Rheinland/Hamburg, sieht ebenfalls das
Problem einer wach-
senden Zahl geriatrischer Angebote mit fragwürdiger Qualität. Gemes- sen an der Zahl der Einrichtungen fehle es an altersmedizinisch weiter- gebildeten Ärzten. „Man kann nicht überall geriatrische Abteilungen einrichten, um den Bestand nicht rentabler Häuser zu sichern“, kriti- sierte Mohrmann.
Für Dr. med. Heinrich-Walter Greuel, Mitbegründer des neu ge- schaffenen „Geriatrienetzes Ruhr- bistum“, liegt die Zukunft in regio- nalen Versorgungsverbünden und definierten Patientenpfaden. „Wir werden um dieses System gar nicht herumkommen“, erklärte er. Geria- trische und nicht-geriatrische Abtei- lungen müssten sich vernetzen – auch Einrichtungen verschiedener Träger. Außerdem sei die sektoren- übergreifende Zusammenarbeit ein wichtiges Anliegen.
Zehn Lehrstühle für Geriatrie
Unterdessen hat die Deutsche Ge- sellschaft für Geriatrie (DGG) dar - auf hingewiesen, dass die Geria- trie an den Universitäten an Be - deutung gewinnt. Die Zahl geria - trischer Lehrstühle steigt. Drei Fakultäten – Aachen, Göttingen und Heidelberg – schreiben aktuell W3-Professuren aus. „Die Bedeu- tung des Faches Geriatrie wächst, und endlich wird unserem Ruf nach weiteren Möglichkeiten Nachwuchs heranzuziehen Tribut gezollt“, be- tont DGG-Präsident Prof. Dr. med.Ralf-Joachim Schulz. An sieben der 37 Fakultäten in Deutschland gibt es bereits einen Lehrstuhl. Dar - über hinaus sind laut DGG zwölf Unis in der Planungsphase. „Wir kommen unserem Ziel ,ein Lehr- stuhl für Geriatrie in jeder medizi- nischen Fakultät‘ immer näher“,
sagt Schulz.
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Dr. med. Birgit Hibbeler Besonders
Patienten ohne Angehörige haben keine Fürsprecher und sind dem „Sys-
tem Krankenhaus“
ausgeliefert.
Foto: CRISTINA PEDRAZZINI/SPL/Agentur Focus