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Archiv "Krankenhäuser: „Der Deckel muss weg!“" (03.10.2008)

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A2072 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 40⏐⏐3. Oktober 2008

P O L I T I K

A

uf der Bühne singen sich

„Chefarzt“ Jay und seine „To- ten Ärzte“ die Seele aus dem Leib.

Ordensschwester Maria Xaveria aus Lörrach scheint es zu gefallen. Sie steht unten auf dem Vorplatz und schwingt fröhlich ihre Arme zum krachenden Sound der Punkband.

Momentaufnahmen wie diese sa- gen manchmal mehr aus als lange Reden. Schwester Xaveria ist eine von rund 130 000 Demonstranten, die an diesem 25. September dem Aufruf von Arbeitgebern, Gewerk- schaften, Bundesärztekammer und anderen Organisationen gefolgt sind, um vor dem Brandenburger Tor in Berlin gegen schlechte Ar- beitsbedingungen an den Kranken- häusern zu demonstrieren. Bemer- kenswert ist vor allem die bunte Zu- sammensetzung der Demonstran- ten. Neben einem roten Schirm der Linkspartei steht ein junger Mann mit einem gelben Luftballon der FDP. Ein paar Meter hinter ihnen lassen Schwesternschülerinnen ihre Trillerpfeifen schrillen. Ärztekam- merpräsidenten mischen sich in weißen Kitteln unter die Men- schenmenge. Gemeinsam skandie- ren Ärzte, Pfleger, Klinikdirektoren und Hebammen den Soundtrack der Demonstration: „Der Deckel muss weg.“

Mit Punkrock und Demonstratio- nen kenne sie sich nicht aus, sagt Schwester Xaveria. Doch habe sie unbedingt nach Berlin kommen wollen, um zu protestieren. „Mir tut es um die jungen Leute an den Kli- niken leid. Die haben vor lauter Ar- beit kaum noch Zeit für ihre Famili- en“, kritisiert die Schwester.

„16 Jahre gedeckelte Budgets, 16 Jahre Kostendämpfung, 16 Jahre Personalabbau, 16 Jahre Leistungs-

intensivierung – das hat tiefe Spuren in den Krankenhäusern hinterlas- sen“, ruft Rudolf Henke, Bundes- vorsitzender des Marburger Bun- des, den Demonstranten bei der Kundgebung zu: „Wir haben inzwi- schen im ärztlichen wie im pflegeri- schen Bereich ein solches Maß an Leistungsverdichtung, dass darun- ter eindeutig die Zuwendung lei- det.“ Ein weiterer Abbau von Ar- beitskräften im Krankenhaus dürfe deshalb nicht riskiert werden.

„Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht“, betont Dr. med. Frank Ul- rich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer. In den vergan- genen Jahren seien die Krankenhäu- ser sehr erfolgreich reorganisiert worden: „Trotzdem dienen wir der

Politik nur als Sparschweine und müssen um jeden Cent kämpfen.“

Mit der Reform der Klinikfinanzie- rung bekämen die Häuser nur einen Teil dessen zurück, was die Politik ihnen in den letzten Jahren genom- men habe.

Vor allem Montgomerys Kritik an dem Gesetzentwurf zur Klinikfi- nanzierung trifft den Nerv der De- monstranten. „Die im Gesetz zuge- sicherten drei Milliarden Euro rei- chen nicht“, sagt Susan Tuletzki, me- dizinisch-technische Assistentin bei den Städtischen Kliniken Bielefeld.

Nun werde versucht, den Beschäf- tigten im Gesundheitswesen die Schuld für steigende Krankenkas- senbeiträge in die Schuhe zu schie- ben. „Das wird durch das Timing der Regierung für die Krankenhaus- gesetzgebung noch verstärkt. Die Regierung hat das taktisch gut orga- nisiert“, ärgert sich die junge Frau.

Tatsächlich hatte das Bundeska- binett einen Tag vor der Kundgebung dem Gesetzentwurf für die Reform der Krankenhausfinanzierung zuge- stimmt. In der Öffentlichkeit konnte so leicht der Eindruck entstehen, Ärzte, Pfleger und Klinikträger bekämen trotz der Milliardenspritze der Kassen den Hals nicht voll.

Hilfspaket der Regierung nur eine Mogelpackung Ein weiterer Grund für die Eile des Ministeriums ist die anstehende Fest- setzung des einheitlichen Beitrags- satzes für die Krankenkassen. Bevor der Schätzerkreis der Kassen den Fi- nanzbedarf für 2009 berechnen kann, muss Klarheit über Zusatzausgaben KRANKENHÄUSER

„Der Deckel muss weg!“

Es war die größte Protestkundgebung in der Geschichte des

deutschen Gesundheitswesens: 130 000 Krankenhausbeschäftigte demonstrierten in Berlin gegen die strikte Budgetierung der

Krankenhausausgaben.

„Der Stellenabbau macht sich gravie- rend bemerkbar.

Man kann seine Arbeit nicht mehr so machen, wie man es möchte und müsste.“

Robert Frank, Ober- arzt, Bamberg

„Gerade für junge Leute ist es nicht mehr attraktiv, Arzt zu werden oder in die Pflege zu ge- hen. Schuld sind die schlechten Ar- beitsbedingungen.“

Ordensschwester Maria Xaveria, Lörrach

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 40⏐⏐3. Oktober 2008 A2073

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für die Kliniken herrschen. Kritische Passagen des Gesetzentwurfs, die vor allem die Investitionsverpflich- tungen der Länder betrafen, wurden deshalb gestrichen oder entschärft.

Da die Länder die Pläne nun mit- tragen, wird das Gesetz aller Voraus- sicht nach zum 1. Januar 2009 in Kraft treten. Die wichtigsten Neure- gelungen:

Vom nächsten Jahr an werden die für die Jahre 2008 und 2009 tarif- vertraglich vereinbarten Lohnsteige- rungen zur Hälfte durch die Kran- kenkassen finanziert – soweit diese Erhöhungen die Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen der Kassen überschreiten.

Das Statistische Bundesamt wird bis Mitte 2010 einen Orientie- rungswert ermitteln, der die Kosten- entwicklung im Krankenhausbe- reich zeitnah erfasst und von 2011 an als Alternative zur bisherigen strikten Grundlohnsummenanbin- dung der Krankenhauspreise dienen soll.

Um die Pflegekräfte zu entlas- ten, wird ein Förderprogramm auf- gelegt, mit dem in drei Jahren bis zu 21 000 zusätzliche Stellen im Pfle- gedienst entstehen sollen. Bis zu 70 Prozent der daraus entstehenden Kosten sollen die Krankenkassen tragen.

Der Rechnungsabschlag der Krankenhausrechnungen in Höhe von 0,5 Prozent zur Sanierung der Krankenkassenhaushalte wird nicht weiter erhoben.

Die Landesbasisfallwerte wer- den in einem Zeitraum von fünf Jah- ren, beginnend 2010, schrittweise in

Richtung eines bundesweit einheit- lichen Basisfallwerts angenähert.

Von dieser Konvergenz wird eine Bandbreite (Korridor) in Höhe von plus 2,5 Prozent bis minus 1,5 Pro- zent um den einheitlichen Basisfall- wert ausgenommen.

Die Finanzierung der Investi- tionen soll von 2012 an über leis- tungsorientierte Pauschalen erfol- gen – jedoch nur, wenn sich die Län- der dazu entscheiden. Näheres soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe regeln.

„Wir verbessern die finanzielle Lage der Kliniken, die von 2009 an

insgesamt mehr als drei Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung haben werden“, kommentierte Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Der Gesetzentwurf verbinde das wirtschaftlich Notwendige mit dem finanziell Machbaren – „mit Augenmaß“.

„Drei Milliarden Euro hören sich erst mal sehr hoch an“, sagt Dr. med.

Kolja Deicke. Der Arzt aus dem Klinikum Kassel trägt eine Notarzt- weste. Mit seiner Reise nach Berlin wollte er zumindest einen Rettungs- versuch für die Kliniken unterneh- men. Deicke weist darauf hin, dass vor allem langfristige Hilfen nötig seien. Ihn ärgert, dass die Länder mit dem Gesetzentwurf nicht für die nötigen Krankenhausinvestitionen in die Pflicht genommen werden.

„Wir haben in Kassel einen riesi- gen Investitionsbedarf“, berichtet Deicke. 74 Millionen Euro habe die Landesregierung nun zwar bewil- ligt, dafür habe Verdi aber einem Zukunftssicherungsvertrag zustim- men müssen, der Gehaltskürzungen von vier bis sechs Prozent vorsehe.

Als „Mogelpackung“ bezeichnet auch Dr. rer. pol. Rudolf Kösters, Präsident der Deutschen Kranken- hausgesellschaft, das von der Bun- desregierung geschnürte Hilfspaket.

Vor den Demonstranten stellt er klar: „Mehr als eine Milliarde Euro der zusätzlichen Mittel haben den Krankenhäusern ohnehin zugestan- den.“ Zudem seien den Kliniken al- lein in den vergangenen zwei Jahren zwei Milliarden Euro entzogen wor- den. Bis Ende 2009 fehlten den Krankenhäusern etwa 6,7 Milliar- den Euro, um die gestiegenen Perso- nal-, Energie- und Sachkosten zu tragen.

Experten warnen davor, dass in den nächsten Jahren bis zu 20 000 Klinikbeschäftigte entlassen wer- den müssten, sollte die Politik nicht gegensteuern. Am Tag der Demons- tration bekommen die Patienten schon mal vorab zu spüren, was eine ausgedünnte Personaldecke bedeu- tet. Weil jeder zehnte Klinikbe- schäftigte zur Demonstration nach Berlin gereist ist, mussten etliche Krankenhäuser eine Notversorgung

organisieren.

Jens Flintrop, Samir Rabbata

„Die Zahl der Pati- enten, die pro Arzt und pro Pflege- kraft versorgt wer- den müssen, ist spürbar gestiegen.

Die Arbeitsbelas- tung ist enorm.“

Michael Krakau, Oberarzt, Köln

„Nach fünf Semes- tern Medizin habe ich mich für die Musik entschieden – und das habe ich nie bereut.“

Demo-Einheizer

„Chefarzt“ Jay von den „Toten Ärzten“

Fotos:Svea Pietschmann

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