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Archiv "Einflussnahme auf die Versorgung: Gestalten statt verwalten – die Kassen meinen es ernst" (03.02.2006)

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ie suchen ein geeignetes Kranken- haus in Ihrer Nähe? Dann nutzen Sie unseren Krankenhaus-Navigator“, empfiehlt die AOK in Mecklenburg-Vor- pommern. „Vorsorge ist für Sie jetzt ganz einfach. Auf Wunsch informieren wir Sie kostenlos über Ihre anstehenden Unter- suchungstermine“, lädt die Techniker Krankenkasse ein. „Unsere Homepage erwartet Dich mit aktuellen

Infos zum Thema Gesund- heit, Sport, Musik und Aus- bildung sowie Foren zum Thema Love und more“, lockt die IKK Nordrhein Ju- gendliche.

Egal ob Orts- oder In- nungskrankenkasse (IKK):Ih- re Homepages im Internet machen klar, dass die Zeiten vorbei sein sollen, in denen Versicherte von Sozialversi- cherungsfachangestellten zur Klärung eines Sachverhalts einbestellt wurden. Der Wett- bewerb hat aus Versicherten Kunden gemacht, um die die Kassen mit möglichst günsti- gen Beiträgen und allerlei Serviceangeboten werben.

Doch sie verhalten sich nicht nur ge- genüber ihren Versicherten anders als früher. Slogans wie „Gestalten statt ver- walten“ oder „Vom Payer zum Player“

signalisieren: Die Krankenkassen wollen im Vertragsgeschäft mit Ärzten und an- deren Leistungserbringern mehr Ein- fluss auf die Versorgung nehmen. Das wird ihnen seit kurzem durch neue Ver- sorgungsformen wie Disease-Manage- ment-Programme (DMP), Hausarzt- Verträge oder die Integrierte Versorgung (IV) erleichtert.

„Wir wollen für Patienten ein Organi- sator ihrer Problemstellungen sein“, be- tont Prof. Dr. h. c. Herbert Rebscher,Vor- standsvorsitzender der DAK. „Die Kran- kenkassen müssen so etwas wie ein treuhänderischer Verbraucherberater im Gesundheitswesen werden“, fordert Rolf Stuppardt, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Innungskran-

kenkassen. Karl-Heinz Schönbach, Lei- ter des Geschäftsbereichs Vertragspolitik beim Bundesverband der Betriebskran- kenkassen (BKK), erläutert, dass sich Vertragspolitik nicht mehr allein auf den Abschluss konzentriert: „Bevorzugt wer- den Vereinbarungen,bei denen die Kran- kenkasse ein Auge auf den Verlauf des Geschehens hat.“

In der Ärzteschaft werden die Visio- nen der Kassen gelassen bis kritisch gese- hen. „In der Realität ist das Spielfeld der Gestaltung noch auf Einzelverträge und auf die Integrierte Versorgung begrenzt“,

stellt Dr. med. Andreas Köhler, Vor- standsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV),klar.„In rund 1 500 Integrationsverträgen sind mittler- weile circa 2,5 Millionen von 70 Millio- nen Versicherten erfasst. Es ist bisher al- so lediglich eine Insel, die die Kassen ge- stalten.“ Erst in fünf bis zehn Jahren wer- de sich erweisen, ob die Aktivitäten der Kassen tatsächlich das Urteil zuließen, sie gestalteten aktiv das Leistungsgeschehen mit.

Integrierte Versorgung:

noch eine Insel

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundes- ärztekammer, erkennt im Gesundheitswesen allerdings schon heute tendenziell Zu- stände wie im Bauwesen, wo ein Generalunternehmer die Gewerke ausschreibt und die Handwerker sich um die Lei- stungserbringung bewerben:

„Analog zum Generalunter- nehmer sind es im Gesund- heitswesen die Kassen, die einen Waren- korb der zu erbringenden Leistungen festlegen – Ärzte, Krankenhäuser und Medizinische Versorgungszentren sollen sich dann im Preis unterbieten und um die Erledigung des Geschäfts balgen.“

Darüber hinaus weisen Sozialwissen- schaftler darauf hin, dass ein stärkerer Einfluss auf die medizinische Versor- gung für die Krankenkassen ein konflikt- reiches Vorhaben ist. Sie hätten zwar umfangreiche Marketinginstrumente entwickelt, schlössen zunehmend selek- tive Verträge mit Leistungserbringern P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 5⏐⏐3. Februar 2006 AA221

Einflussnahme auf die Versorgung

Gestalten statt verwalten – die Kassen meinen es ernst

Sie schulen Mitarbeiter in Sachen Service, erweitern Kosten- und

Fallmanagement, schließen Integrationsverträge. Das neue

Rollenverständnis der Kassen ist sichtbar, aber nicht unumstritten.

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und installierten neue Kostensteuerungs- instrumente, stellte der Soziologe Dr. In- go Bode 2002 fest. Er untersuchte damals den Wandel vor allem bei den Ortskran- kenkassen. Doch die Ambivalenz der neuen Rolle ist für ihn unübersehbar:

„Serviceorientierung und Kostenma- nagement, Solidaritätsappelle und Selek- tionspraktiken harmonieren oftmals nicht miteinander.“

Arzt, Patient und MDK im Beziehungsdreieck

Bis weit in die 80er-Jahre waren die Aufga- ben noch klar verteilt: Die Krankenkassen verwalteten die Beiträge der Versicherten, die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) verteilten die Honorare an die Kassenärzte, und die Ärzte versorgten die Patienten.Ein- mischungen der Kassen in die Arzt-Patient- Beziehung waren unüblich. Dies änderte sich 1989, als unter Bun- desarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) gegründet wurde. Die Ärzte müs- sen seither auf Nachfrage begrün- den, warum sie sich für eine be- stimmte Therapieoption entschie- den haben.

Seit 1996 werden die Kassen auch im Vorfeld einer medi- zinischen Behandlung aktiv – eine Folge der von Bundesgesund- heitsminister Horst Seehofer (CSU) eingeführten freien Kas- senwahl innerhalb der Gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV).

Durch die Wanderbewegungen der Versicherten wurden die Beitrags- satzunterschiede zwischen den Kassen kleiner, zumal der Risikostrukturausgleich die Diskrepanzen zwischen Einnahmen und Ausgaben nivelliert. Um Versicherte zu halten beziehungsweise neue Kunden zu gewinnen, begannen die Kassen, Ser- viceleistungen anzubieten wie etwa eine medizinische Beratung per Telefon.

Außerdem führten sie ein Fallmanage- ment ein, um ihre Kosten besser in den Griff zu bekommen. Damit nehmen sie seither Einfluss auf die Patientenwege im Gesundheitswesen. 1997 erhielten die Krankenkassen die Möglichkeit, in Mo- dellvorhaben neue Verfahren und Orga- nisationsformen der Leistungserbringung

zu erproben – also die medizinischen Ver- sorgungsstrukturen unmittelbar zu gestal- ten. Allerdings durften solche Einzelver- träge zwischen Ärzten und Kassen zunächst nur mit Zustimmung der KVen abgeschlossen werden.

Mit dem Gesetz zur Reform des Risiko- strukturausgleichs führte Bundesgesund- heitsministerin Ulla Schmidt (SPD) 2002 die (freiwilligen) Disease-Management- Programme ein. Dabei schreiben die Kas- sen detailliert vor, wie Versicherte mit be- stimmten Indikationen (Brustkrebs, Dia- betes mellitus Typ I sowie Typ II, korona- rer Herzkrankheit, chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen und Asthma bronchiale) von ihrem Arzt behandelt werden müssen. Seit 2004 können die Krankenkassen auch ohne Zustimmung der KVen Einzelverträge zur Integrierten Versorgung mit Ärzten und anderen Heil- beruflern abschließen.

Parallel dazu haben die Krankenkas- sen ihre internen Strukturen umgebaut – ebenfalls mit spürbaren Auswirkungen.

Vielerorts wurden Geschäftsstellen ge- schlossen, Mitarbeiter entlassen, Inter- netangebote aufgebaut, die Arbeit in den Zentralen neu strukturiert. Die mei- sten Kassen definieren sich mittlerweile als kundenorientierte Dienstleistungs- unternehmen. Sie betreiben eine eige- ne Geschäftspolitik, unterhalten Ver- triebsorganisationen, wenden betriebs- wirtschaftliche Instrumente der Perso- nalentwicklung an und arbeiten ähnlich wie private Versicherungsunternehmen zum Beispiel mit Deckungsbeitragsrech- nungen.

Viele interne Umstrukturierungen wer- den von Unternehmensberatern begleitet.

So berät die Unternehmensberatung McKinsey im Gesundheitssektor zahlrei- che Leistungserbringer und Krankenkas- sen. Wer die Kunden sind, wird nicht be- kannt gegeben. Auf jeden Fall bekennen sich nach Recherchen des Deutschen Ärz- teblattes Betriebs- und Ortskrankenkas- sen sowie deren Verbände dazu.

Schon Mitte der 90er-Jahre entwickelte zum Beispiel der AOK-Bundesverband mithilfe von McKinsey ein Konzept na- mens MoVe, das die Entwicklung eines ei- genständigen Außendienstes vorsah. Da- mals kritisierten konkurrierende Kassen, dass die AOK von ihr beauftragte selbst- ständige Außendienstler zu großzügig ho- noriere. Mittlerweile ist zumindest die auf- merksame Betreuung von Firmenkunden bei vielen Kassen gang und gäbe: „Unter- nehmen werden Fehlzeitenreports, be- triebsbezogene Ge- sundheitsanalysen so- wie Beratungen in Sozialversicherungs- angelegenheiten offe- riert“, listet Bode auf.

Weit entwickelt sind in vielen Kassen zu- dem Formen des Fallmanagements.Bo- de hat gerade das Fallmanagement aber als „schwierige Grat- wanderung“ beschrie- ben, weil die Rationa- lisierung von Abläu- fen schnell als Ratio- nierung erscheine. Im Übrigen sei „der Druck auf die Leistungsanbieter möglicherweise nicht immer im Interesse der Versicher- ten. Die Fallberater werden zwar als Part- ner, als Hilfestellung für die Ärzte be- schrieben, aber ihre Tätigkeit harmoniert häufig nicht mit der Berufskultur von Me- dizinern.“

Wie Kostenmanagement heute aus- sieht, lässt sich zum Beispiel bei der DAK studieren. Die Ersatzkasse mit mehr als sechs Millionen Versicherten betreibt in Münster, Gießen und Karlsruhe so ge- nannte Hilfsmittel-Kompetenzzentren mit insgesamt 260 Mitarbeitern. Sie entschei- den über die Kostenvoranschläge für Pro- thesen, Rollstühle und mehr. In Bremen konzentrieren sich DAK-Mitarbeiter in P O L I T I K

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A222 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 5⏐⏐3. Februar 2006

Zielgruppe Kinder und Jugendliche: Nationalstürmer Lukas Podolski ist Pate einer AOK-Initiative zum Schulsport.

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einem Zentrum auf Arznei- und Heilmit- tel. „Die Spezialisten holten allein 2004 zwei Millionen Euro für Heilmittel und acht Millionen Euro für Arzneien nach Prüfung der Rechnungen wieder herein“, heißt es in einer DAK-Publikation.

Die Kasse steht wie viele unter finanziel- lem Druck. Seit dem Jahr 2000 hat sie circa 1,3 Millionen Versicherte verloren.Das sind etwa so viel Menschen, wie in München le- ben. Ihre Verwaltungskosten sind relativ

hoch, der Beitragssatz ebenso. Nun lautet die Parole: „Wir müssen unsere Kunden vom Leistungsangebot vor Ort so überzeu- gen, dass sie die DAK wählen oder Mitglied bleiben.“ Damit die vielen strukturellen Änderungen von den Mitarbeitern ange- nommen werden, hat die DAK 2005 in ei- nem mehrmonatigen Prozess die Neuaus- richtung des Unternehmens in Workshops, in Klausurtagungen der Führungskräfte, mit einem Leitbild vermittelt.

Ohne solchen inneren Wandel wäre ei- ne deutlichere Einflussnahme auf die Ver- sorgungsstrukturen undenkbar. Dass es ein Kraftakt ist, egal ob man den Wandel begrüßt oder kritisiert, kann McKinsey- Mitarbeiter Dr. Axel Baur bestätigen. Er berät seit zehn Jahren Kunden aus dem Gesundheitswesen. Kassenmitarbeitern würden heute andere Fertigkeiten abver- langt als vor der Marktöffnung, betont er:

„Früher wurde das Gesundheitswesen verwaltet. Jetzt steht der Kundenservice im Mittelpunkt. Das erfordert ein erhebli- ches Umdenken.“ Die Sozialversiche- rungsfachangestellten, kassenintern auch Sofas genannt, hatten sich häufig an eine behördenhafte Arbeitsweise gewöhnt.

Umdenken bei den „Sofas“

Weil Fallmanagement konfliktreich ist, ge- rade in der Interaktion mit den Leistungs- erbringern, müssen die „Sofas“ mit viel Aufwand geschult werden. Baur verweist auf ein weiteres spezifisches Problem der Krankenkassen: die gesetzliche Beschrän- kung der Verwaltungskosten. Die jährli- chen Verwaltungsausgaben je Versicherten dürfen bis 2007 nicht stärker als die für die GKV relevante Grundlohnsumme steigen.

Dies schränke den Handlungsspielraum enorm ein, meint Baur: „Steigende Perso- nalkosten treiben die Verwaltungskosten hoch. Zusätzlich müssen die Mitarbeiter geschult werden.“ Neu eingestellt wird nur noch sehr qualifiziertes Personal – und das kostet Geld.

„Es sind nicht mehr die ,Helden‘, die das Gesundheitswesen voranbringen, sondern das Management“, stellt Vertragsexperte Schönbach vom BKK-Bundesverband nüchtern fest. Zwar ist er vom Gestaltungs- willen der Kassen überzeugt. Aber er sieht auch Grenzen durch gesetzgeberische Vor- gaben oder das Kartellrecht. Wettbewerb gehe normalerweise auch mit schöpferi- scher Zerstörung einher, hebt er hervor.

Aber eine solche Dynamik werde im hiesi- gen Gesundheitssystem, das auf Konsens ausgelegt sei, ungern gesehen. Auf Dauer würden Verträge zur Integrierten Versor- gung noch mehr Wirkung entfalten, ist der BKK-Experte überzeugt, „aber der Sicher- stellungsauftrag der KVen wird in weiten Teilen unberührt bleiben“.

Auch KBV-Chef Köhler hat den Ein- druck, dass die Krankenkassen im Rahmen P O L I T I K

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A224 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 5⏐⏐3. Februar 2006

DÄ:Die DAK hat bislang rund 200 Verträge zur Inte- grierten Versorgung (IV) geschlossen. Wollten Sie schnell sein? Oder hatten Sie gleich eine klare Strategie?

Rebscher: Schnell zu sein gehört dazu. Aber dann muss man Schnelligkeit in Konzeption umwandeln. Wir haben zum Beispiel ganz be- wusst unterschiedliche Ver- sorgungsmodelle für ein und dieselbe Indikation gewählt, um verschiedene Strategien auszuprobieren.

DÄ:Zum Beispiel?

Rebscher: IV-Verträge über Hüftoperationen sind ein Renner. Wir haben in ei- nem Vertrag mit niedergelas- senen Ärzten und Reha-Klini- ken unter anderem geregelt, dass ein Patient schon vor der OP in die Klinik kommt und das Reha-Programm mitmacht. Die Ärzte wissen:

Wer dann erlebt, wie schwer es sich an Krücken geht, wird bereitwilliger üben und eher abnehmen. Es wird gar keine andere Medizin praktiziert.

Aber sie folgt anderen Abläu- fen, in denen Patienten wie Ärzte mehr Sinn erkennen.

DÄ:Lässt sich an dem be- schriebenen IV-Vertrag also der neue Gestaltungswille der Kassen erkennen?

Rebscher: Das ist Fall- management und damit ein Teil der neuen Rolle von Kas- sen. Unsere Mitarbeiter sol-

len aber nicht in medizini- schen Fragen mitdiskutieren, sondern sinnvolle Strukturen aufbauen und koordinieren helfen. Mein Ziel ist: mit Part- nern aus der Medizin dazu beizutragen, dass ein Patien- tenproblem gelöst wird.

DÄ: Kooperieren Sie bei IV-Verträgen auch mit ande- ren Kassen?

Rebscher:Ja. Denn wenn man eine Veränderung im Versorgungsgeschehen be- wirken will, dann reichen oft die eigenen Patientenzahlen nicht aus. Kleinteilige Ver- träge sind zudem teuer. Es ist aber schwer, IV-Verträge kassenartenübergreifend zu schließen, denn oftmals schei- tert man da schon an der un- terschiedlichen EDV.

DÄ:Was spricht vor die- sem Hintergrund gegen Kol- lektivverträge?

Rebscher: Es muss Kol- lektivverträge geben, aber keinen Kollektivvertragszwang.

Wenn eine KV für einzelne Arztgruppen gute Verträge machte, wäre ich der Letzte, der sie nicht unterzeichnen

würde. Aber eines will ich nicht: dass die Mehrheit sinnvolle Verträge der Min- derheit verhindert.

DÄ:Einzelverträge verär- gern Ärzte, auf die die Kas- sen für die Versorgung doch angewiesen sind.

Rebscher: Es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten zwi- schen Ärzteschaft und Kas- sen, als man denkt. Wir ken- nen unsere Probleme wech- selseitig recht gut. Unsere Vertragspartner in den IV- Verträgen kritisieren sowieso wenig. Die Kritik kommt von denen, die keinen Vertrag ha- ben. Oder die durch ein Mo- dell in Argumentationsnöte kommen.

DÄ:Wie geht es weiter?

Rebscher: Mit der Fried- hofsruhe ist es vorbei, bei den Kassen und bei den Lei- stungserbringern. Die Diskus- sionslinien verlaufen längst querbeet. Und wer in der Po- litik einerseits mehr Wettbe- werb verlangt und anderer- seits will, dass das System zur Ruhe kommt, ist auf dem falschen Dampfer.

Nachgefragt

Foto:DAK

Prof. Dr. Herbert Rebscher (50) ist Vorstandsvorsit- zender der DAK.

Bei der zweit- größten bundes- weiten Ersatz- kasse sind rund 6,2 Millionen Menschen versi- chert.

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ihrer „Inselerfahrungen“ erkannt haben, wie schwer eine flächendeckende Versor- gung zu organisieren ist.Manche große De- batte um ihre Gestaltungsmacht relativiere sich sowieso im Kleinen, weil Kassen und Leistungserbringer kooperativ zusammen- arbeiten müssten: „Vor Ort, in den Regio- nen, werden Lösungsoptionen in einer gemeinsamen Selbstverwaltung gesucht, nicht in einer Wettbewerbsideologie.“

Trotzdem:Dass die KVen für die Sicherstel- lung in der Fläche zuständig sind und die Kassen in spürbarem Umfang Rosinen picken dürfen, werde man auf keinen Fall hinnehmen.

AOK: Versicherte wollen keine Billigverträge

Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bun- desverbandes, Dr. Hans Jürgen Ahrens, kann sich hingegen vorstellen, dass die Kas- sen den Sicherstellungsauftrag von den KVen übernehmen – und die Bedarfspla- nung für den stationären Bereich gleich mit.

Sein Vorschlag: Für jede Krankenkasse sol- le je Region der medizinische Bedarf für die Versicherten definiert werden. Die Kasse könne sich dann die notwendigen Leistun- gen nach den eigenen Vorstellungen im am- bulanten und/oder im stationären Bereich einkaufen, sagte Ahrens im November bei einem Forum der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen. Befürchtungen, ein solches Einkaufsmodell könne zulasten der medizinischen Qualität gehen, wischte Ah- rens beiseite:„Die Sorge,das wären dann al- les Billigverträge, ist völlig falsch. Denn wenn wir als AOK beispielsweise einmal den Ruf bekämen, aus Kostengründen Bil- ligverträge abzuschließen, hätten wir ganz schnell keine Versicherten mehr.“

Norbert Klusen,Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, plädiert dafür, dass die Kassen völlig frei Verträge mit den Leistungserbringern abschließen dürfen.Auch müssten künftig Krankenkas- sen unterschiedlicher Kassenarten fusio- nieren dürfen, also etwa eine Betriebskran- kenkasse mit einer

AOK:„Dann würde die Zahl der Kassen rasch sinken.“

IKK-Vorstand Stup- pardt glaubt, dass die- ser Prozess sich oh- nehin fortsetzen wird.

„Vor rund 20 Jahren gab es noch 178 In- nungskrankenkassen, heute sind es 16“, rech- net er vor. Für be- stimmte Steuerungs- aufgaben brauche man eine gewisse Kassen- größe oder müsse mit anderen Kassen koope- rieren, sagt Stuppardt.

Die Politik solle in Zu- kunft stärker Rahmen- bedingungen setzen und den Krankenkassen die Gestaltung vor Ort überlassen, fordert er:

„Wenn ein Hausarzt-

Vertrag in einer Region von mehreren Kassen unterschrieben wird, dann doch, weil es sich aus dem Geschäft ergibt, und nicht wegen eines Gesetzes.“

Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe beob- achtet den Wandel der Krankenkassen von Kostenträgern zu Versorgungsmana- gern allerdings mit großer Sorge:„In DMP und bei IV-Verträgen entscheiden nicht mehr Arzt und Patient, sondern primär die

Kassen, welchen Umfang die Behandlung hat“, kritisiert der Bundesärztekammer- Präsident. Ergebnis sei eine zunehmende Entmündigung der Arzt-Patient-Bezie- hung. Die freie Arztwahl werde immer weiter eingeschränkt,Gleiches gelte für die Therapiefreiheit des Arztes. „Die Erfah- rung zeigt, dass die wirtschaftliche Kom- ponente in Einkaufs- modellen immer eine wichtigere Rolle spielt als die medizinische.

Eine weitere Rationie- rung medizinischer Leistungen ist dem- nach vorhersehbar“, warnt Hoppe.

McKinsey-Berater Baur wiederum hält die KVen für unver- zichtbar: „Der Arzt kann keine Verträge mit 250 Kassen haben.

Wie sollte er da wissen, wie er den jeweiligen Patienten zu behan- deln hat?“ Kollektiv- vertragliche Lösungen werde es deshalb im- mer geben. Baur, der sowohl Kassen als auch Leistungserbrin- ger berät, appelliert an beide Seiten, die Kluft nicht noch größer werden zu lassen.

Dies könne sich das System nicht mehr lei- sten. „Zum Glück haben die Krankenkas- sen inzwischen verstanden, dass weder ein Leistungs- noch ein Disease- beziehungs- weise Casemanagement ohne Einbindung der Leistungserbringer funktionieren kann“, sagt er.

„Es wäre fahrlässig, eine Kultur des Ge- geneinander zu pflegen“,findet auch Stup- pardt.Alle Akteure im Gesundheitswesen müssten allerdings begreifen, dass Verän- derungen und steter Wandel im Wettbe- werb Normalität seien. Gleichwohl kom- me es darauf an, in Geschäftsbeziehungen Win-win-Situationen herzustellen. Auch BKK-Vertragsexperte Schönbach mahnt, dass alle Investitionen in den Wandel bei Kassen wie auch bei KVen vertan sein könnten, wenn sich die Managementebe- nen nur gegenseitig blockierten. Denn nicht „Recht haben zu wollen ist das Ziel, sondern etwas zu leisten für die Versor- gung“. Jens Flintrop, Sabine Rieser P O L I T I K

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A226 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 5⏐⏐3. Februar 2006

Die „Superkasse“: 2005 wurde die Barmer als eine von 100 „Super- brands“ ausgezeichnet. Eine gleich- namige Organisation wählt in 45 Län- dern unter Marken, „die ihren Markt dominieren und sich durch hohe Kun- denbindung, Langlebigkeit und Ak- zeptanz“ auszeichnen.

Die gesetzlichen Krankenkassen ver- stehen sich zunehmend als Gestalter im Gesundheitswesen. Dies wird bei- spielsweise bei den Verträgen zur In- tegrationsversorgung deutlich. Ge- genüber ihren Versicherten profilie- ren sie sich konsequent als Dienstlei- ster, aber wie erleben die Ärztinnen und Ärzte den Einfluss der Kranken- kassen in der täglichen Praxis?

Sind die Kassen hilfreicher Partner bei der medizinischen Versorgung der Patienten oder mehr Kontrollinstanz für wirtschaftliche Behandlung?

Schaffen die Krankenkassen unnötige Bürokratie? Berichten Sie der Redak- tion über ihre Erfahrungen: Deut- sches Ärzteblatt, Ottostraße 12, 50859 Köln oder per E-Mail unter aerzte

blatt@aerzteblatt.de. JM

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