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Archiv "Hochschulmedizin: Verwalten statt gestalten" (21.03.2003)

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P O L I T I K

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A748 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1221. März 2003

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ie Klagen über die Hochschulme- dizin sind bekannt. Die Kranken- kassen kritisieren, die universitäre Medizin sei zu teuer, die Beiträge der Versicherten würden missbräuchlich für Forschung und Lehre ausgegeben.

Der Wissenschaftsminister betont, die Krankenversorgung sei keine hoheitli- che Aufgabe. Der Landeszuschuss müs- se für Forschung und Lehre ausgegeben werden. Die Politik wirft den Klinikdi- rektoren vor, sie kümmerten sich zu we- nig um ihre Studenten und um For- schung und pflegten stattdessen nur ih- re Klientel an Privatpatienten, und das unter Ausbeutung ihrer Oberärzte.

Eine Lösung ist schnell parat: Rechts- formänderung der Hochschulklinika und kündbare Chefarztverträge. In ei- nem Freistaat der neuen Bundesländer ist man besonders forsch. Die Zauber- formel heißt „Anstalt öffent-

lichen Rechts“, die von einem kaufmännischen und haupt- amtlichen medizinischen Vor- stand nach Aktienrecht gelei- tet und durch einen Aufsichts- rat kontrolliert wird. Wegen der hohen Verantwortung des Vorstandes für Tausende von Mitarbeitern und des Budgets von mehr als einer Viertelmil- liarde Euro müssen diese Po- sitionen auch adäquat dotiert

sein – deutlich höher als die Position ei- nes normalen Klinikdirektors. Dienst- fahrzeuge der oberen Luxusklasse sind selbstverständlich angemessen.

Die Fakultät wird von einem Deka- natskollegium geleitet. Der Dekan ist auch für die Verteilung des Landeszu- schusses für Forschung und Lehre ver- antwortlich. Auch nicht wenig Geld, aber es versteht sich von selbst, dass die Tätigkeiten des Dekanatskollegiums quasi ehrenamtlich erbracht werden.

Um die Mär von der Einheit von uni- versitärer Krankenversorgung, For- schung und Lehre aufrechtzuerhalten, darf nach heftiger Intervention der Hochschulleitung und des Wissen- schaftsrates der Dekan per Gesetz we- nigstens beratend an den Vorstandssit- zungen teilnehmen.

Obgleich das Gesetz mit heißer Na- del gestrickt wird, stehen die Hoch- schullehrer, auch die klinischen, dem neuen Gesetz primär positiv gegenüber.

Besteht doch die Hoffnung, den Lan- deszuschuss transparent und leistungs- bezogen wirklich für Forschung und

Lehre ausgeben zu können. Die Hoff- nung währt nicht lange.

Ob der leeren Kassen wird der Lan- deszuschuss jährlich gekürzt. Das Deka- natskollegium ist, statt zu gestalten, zu ei- nem Verwaltungsorgan des Mangels de- gradiert. Niemand traut ihm zu, die Fa- kultät wirtschaftlich professionell unter Realisierung von Visionen zu leiten. Laut Interpretation des Gesetzes durch die Gewährsträger steht der Fakultät die Verwaltung des Universitätsklinikums als Auftragsverwaltung zur Verfügung.

Diese Verwaltung untersteht dem kauf- männischen Vorstand, der verhindert, dass das Dekanatskollegium und der Kanzler uneingeschränkten Zugang zu

„seinen“ Zahlen haben. Dringendste Verwaltungsaufgaben für die Fakultät werden unzureichend erfüllt. Entspre- chende Beschwerden der Hochschullei-

tung bei den Gewährsträgern bleiben un- gehört. Jährliche Kürzungen des Wissen- schaftler-Stellenpools sind erforderlich.

Als Erster ist der wissenschaftliche Nachwuchs mit Zeitverträgen betrof- fen. Klinikdirektoren beschimpfen das Dekanatskollegium, dass sie infolge der Stellenkürzungen ihre klinischen Aufga- ben nicht mehr erfüllen können. Die ri- tuelle Antwort des Dekans: Für die Krankenversorgung ist der Vorstand des Universitätsklinikums verantwortlich.

Jedoch weigert sich dieser seit Jahren beharrlich, einen Stellenplan für alle Kliniken vorzulegen, der eine Kranken- versorgung auf dem Niveau eines aka- demischen Lehrkrankenhauses (wel- ches keinen Landeszuschuss für For- schung und Lehre erhält) ermöglicht.

Wegen der geltenden Arbeitsschutzbe- stimmungen bleibt den Klinikdirekto- ren nichts anderes übrig, als von der Fa- kultät bezahlte Mitarbeiter in der Kran- kenversorgung einzusetzen.

Die Hoffnung, dass das Dekanatskol- legium über den gesamten Landeszu- schuss verfügen kann, bleibt unerfüllt.

Dauerthema in der Deutschen Hoch- schulmedizin: das Defizit der Ambulan- zen/Polikliniken. Die Kassen zahlen nur ein Almosen pro Patient und Quartal von vielleicht 40 Euro, da ja diese Patienten im Rahmen von Lehre und klinischen Forschungsprojekten benötigt würden.

Tatsächlich übernehmen aber die Polikli- niken in nicht unerheblichem Ausmaß den Versorgungsauftrag und entlasten die Kassenärztlichen Vereinigungen. Um den Landeszuschuss auch wirklich ad- äquat auszugeben, plant das Dekanats- kollegium, vorwiegend diejenigen Poli- kliniken zu fördern, in denen Studenten ausgebildet oder Patienten in klinischen Studien behandelt werden.Alles Illusion.

Gegen den Willen des Dekanatskollegi- ums wird der Landeszuschuss weiter gekürzt, diesmal um 18 Millionen Euro.

Dieser Betrag wird direkt dem Vorstand zugewiesen. Das Geld sei für die nicht durch die Kranken- kassen entgeltfähigen Mehr- ausgaben gedacht. Der Vor- stand hat völlig andere Vor- stellungen, was mit den Poli- kliniken zu geschehen hat.

Da die öffentlichen Kassen leer seien und das Klinikum nur in einem Neubau über- leben könne, werden die 18 Millionen Euro aus einem konsumtiven in einen inve- stiven Zuschuss umgewandelt und sol- len just für diesen Neubau verwendet werden. Die Fragen der Kliniker, wie sie die neue Approbationsordnung umset- zen, wie sie Zeit für Forschung finden sollen, bei ausufernder Bürokratie auf dem Rücken der Ärzte, bleiben unbe- antwortet.

Viele Klinikdirektoren verlieren die Illusion, dass sie gestalten und Visionen realisieren, und ein Kaufmann sagt, ob es finanzierbar sei. Nein, nach dem Hoch- schulmedizingesetz des besagten Bun- deslandes ist zwar der medizinische Vor- stand Sprecher des Vorstands, aber wenn der Kaufmann nicht will, läuft gar nichts. Versteht sich von selbst, dass bei Berufungsverhandlungen über die Zahl der nicht von der Fakultät bezahlten Stellen der Kaufmann allein entscheidet – auch über die Höhe des Gehaltes und die Konditionen des Chefarztvertrages.

Die entnervten Klinikdirektoren tref- fen sich in einem Hotel und sprechen mit überwältigender Mehrheit ihrem Vor- stand das Misstrauen aus. Der Dekan wird aufgefordert, den Aufsichtsrat um

Hochschulmedizin

Verwalten statt

gestalten

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Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1221. März 2003 AA749

KOMMENTARE

zeitnahe Ablösung des Vorstands zu bit- ten. Auch der Rektor sieht keine Ver- trauensgrundlage mehr für eine Zusam- menarbeit zwischen Universität und Vorstand des Universitätsklinikums. Die Minister sind entsetzt. Haben die Her- ren Professoren denn die Zeichen der Zeit nicht erkannt? Wie kann ein Vor- stand eines Universitätsklinikums ent- lassen werden, der gerade diesem Klini- kum, als einzigem Universitätsklinikum in Deutschland, Gewinne in Millionen- höhe verspricht? Zwar misstrauen die meisten der Professoren diesen Zahlen, aber was verstehen sie schon davon.

Die Verwaltung ist nicht mehr ein Or- gan der Dienstleistung für Hochschul- lehrer, sondern erhebt das Primat der Richtlinienkompetenz. Anweisung des Kaufmanns: „Die von den Kranken- kassen angestrebten Preisabsenkungen können nur durch Mengensteigerungen kompensiert werden. Nur durch Fall- zahlsteigerungen bei gleich überpropor- tionalen Kostensenkungsmaßnahmen kann der Erhalt der Einrichtung auf Dauer gesichert werden.“ Ist das „Mo- dell Fließband“ die Zukunft der deut- schen Hochschulmedizin? Wer soll un- ter diesen ökonomischen und geistigen Rahmenbedingungen noch Freiräume finden, die Pathogenese von Erkran- kungen zu erforschen, diagnostische und therapeutische Verfahren primär los- gelöst von ökonomischen Überlegun- gen zu evaluieren, Ansprechpartner für seltene und komplizierte Krankheitsbil- der zu bleiben und Studenten im Klein- gruppenunterricht am Patienten für die Medizin zu begeistern. Die verantwort- lichen Politiker sollten überdenken, ob die Überführung der Universitätsklini- ken in neue Rechtsformen zur Lösung finanzieller Engpässe ein tragfähiges Konzept ist oder ob sie sich damit aus ihrer Verantwortung, für die Freiheit von Forschung und Lehre zu sorgen, stehlen. Der Markt wird es in der Tat entscheiden. Nicht mehr lange – dann werden zunehmend auch Universitäts- kliniken unbesetzte Weiterbildungs- stellen im Deutschen Ärzteblatt feilbie- ten. Der globale Markt wird es ent- scheiden. Schon jetzt heißt es, ein Drit- tel der von deutschen Drittmittelge- bern finanzierten Stipendiaten kehre nicht mehr aus den USA zurück.

Prof. Dr. med. Joachim Mössner Direktor der Medizinischen Klinik & Poliklinik II Universitätsklinikum Leipzig A.ö.R.

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rzte kennen das Problem: Männer sind das kränkere Geschlecht. Sie sterben durchschnittlich 6,5 Jahre eher als Frauen. Sie begehen viermal öfter Selbstmord und sterben oft schon in jungen Jahren vor allem an Krank- heiten, die durch gesundheitsschädi- gendes Verhalten bedingt sind (Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Lungenkrebs, Unfälle). Mannsein ist in unserer Ge- sellschaft einer der riskantesten Ge- sundheitsfaktoren. Männer sind weni- ger bereit, sich um ihre Gesundheit zu kümmern, und nehmen nur selten ärzt- liche Vorsorgeuntersuchungen in An- spruch.

Mediziner sind ratlos, alle Appelle scheinen nur wenig zu nützen. Sozial- wissenschaftler entwickeln Erklärungs- modelle, warum sich Männer so wenig um ihr gesundheitliches Wohlbefinden kümmern: Männerspezifische Sozialisa- tion und gesellschaftliche Rollenerwar-

tungen sind offenbar sehr wichtig. Hin- ter diesen wissenschaftlichen und auch hinter den zunehmenden praktischen Bemühungen steht die Erkenntnis, dass Männergesundheit ein gesellschaftlich wichtiges Thema ist.

Nur in den Ministerien scheint man das Problem noch nicht erkannt zu ha- ben, obwohl gezieltes gesundheitspoliti- sches Handeln Lebensdauer und -qua- lität der einen Hälfte der Bevölkerung verbessern könnten. Gleichzeitig ver- spricht Prävention Einsparpotenziale.

Seit mehreren Jahren versuchen en- gagierte Männer unterschiedlicher Pro- fessionen, das Thema Männergesund- heit in seiner gesellschaftlichen Brisanz bekannt zu machen und in den öffent- lichen Gesundheitsdiskurs einzubrin- gen. Im Oktober 2001 nahm eine Initia- tive, die von Wissenschaftlern und Mit- arbeitern von Männerinitiativen getra- gen wird, die Arbeit für einen bundes- deutschen Männergesundheitsbericht auf (www.maennergesundheit.dieg.org).

Die breite Resonanz, die diese Initia- tive fand, zeigt, dass die Zeit für ei- nen solchen geschlechtsspezifischen Be- richt reif ist.

Das Bundesgesundheitsministerium lehnte jedoch in Briefen vom 31. Mai 2002 und 24. Juli 2002 ein solches Weiß- buch zu Männergesundheit, das Proble- me und Handlungsmöglichkeiten dar- legt, ab. Ebenso verhielten sich die mei- sten Gesundheitsministerien der Län- der und die Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesgesundheitsbehörden, die um Unterstützung der Initiative ge- beten wurden. Es wurde lediglich ein Themenheft innerhalb der Gesund- heitsberichterstattung des Bundes von etwa zwanzig Seiten Umfang in Aus- sicht gestellt, obwohl man mit dieser Größenordnung dem Thema ganz of- fensichtlich nicht gerecht werden kann.

Es besteht deshalb der Verdacht, dass das angebotene Berichtsvolumen allen- falls eine Alibifunktion erfüllen soll.

Begründet wird die ablehnende Hal- tung nicht nur mit knappen finanziellen Ressourcen, sondern vor allem damit,

dass in der Gesundheitsberichterstat- tung der Aspekt der Männergesundheit bereits ausreichend berücksichtigt sei.

Der von der Europäischen Union ge- forderte Ansatz des Gender Main- streaming sei dort hinreichend umge- setzt, Unterschiede bei der Gesund- heitsversorgung von Frauen und Män- nern würden aufgezeigt. Dies geschieht derzeit aber völlig unzureichend.Außer- dem fehlt es an einem Referenztext, der erst der Ausgangspunkt für eine ernst zu nehmende geschlechtersensible Ge- sundheitspolitik sein könnte. In den Mi- nisterien scheinen weiterhin einseitige Vorstellungen vorzuherrschen, nach de- nen Männer als Profiteure geschlechts- spezifischer Ungleichheiten nicht ihrer- seits in Not sein können. Es ist zu be- fürchten, dass Deutschland auf diesem Feld den Anschluss an die Entwicklung in anderen Ländern (USA, Australien, Österreich) verliert, wenn nicht bald zu- mindest mit der angemessenen Analyse der Probleme begonnen wird. Es ist Zeit für einen Männergesundheitsbericht!

Dr. phil. Matthias Stiehler,Dresden Prof. Dr. phil. Martin Dinges,Stuttgart

Männergesundheitsbericht

Ablehnende Haltung

Referenzen

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