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Archiv "Palliativmedizin in Europa: Noch keine flächendeckende Versorgung" (05.10.2007)

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A2700 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 40⏐⏐5. Oktober 2007

P O L I T I K

E

s ist zwar nicht ganz das, was sich Dr. med. Peter Liese er- hofft hat. Aber es ist ein Anfang. Der CDU-Politiker hat nämlich durch- setzen können, dass europäische Forscherteams, die für medizinische Projekte Gelder von der EU einwer- ben, künftig dabei auch palliativme- dizinische Ansätze berücksichtigen müssen. Liese hätte es zwar lieber gehabt, wenn die EU eigenständi- gen palliativmedizinischen Projekten Mittel aus ihrem Forschungshaus- halt zugestanden hätte. Dennoch ginge die Entwicklung in die richti- ge Richtung, meint der Europaabge- ordnete. Denn in fast allen europä- ischen Ländern erreichen die Men- schen ein immer höheres Durch- schnittsalter. Auch steigt der Anteil älterer Menschen an der Bevölke- rung fast überall schneller als der der jungen Generation. Dies führt zwangsläufig zu einem immer höhe- ren Bedarf an palliativmedizinischer Betreuung. Doch inwieweit haben sich die Länder der Europäischen Union bereits auf diese Entwick- lung eingestellt?

Aus Sicht der WHO jedenfalls lässt das palliativmedizinische An- gebot in den meisten Ländern noch zu wünschen übrig. Auch der Euro- parat, dem mittlerweile 47 Staaten angehören, sieht noch Verbesse- rungsbedarf. Im November 2003 hat er deshalb Empfehlungen für eine bedarfsgerechte palliativmedizini- sche Versorgung verabschiedet. Ei- ne der zentralen Forderungen lautet:

Die Palliativmedizin sollte integra- ler Bestandteil der nationalen Ge- sundheitssysteme sein.

In Großbritannien beispielsweise fand die Palliativversorgung zunächst

vornehmlich außerhalb des staatli- chen Gesundheitssystems (National Health Service, NHS) statt. Denn die Versorgung Sterbender und Schwerkranker durch den NHS wies Ende der 60er-Jahre noch große Defizite auf. Und auch heute noch sind die meisten stationären britischen Hospize gemeinnützige Einrichtungen. Sie finanzieren sich zu etwa 70 bis 80 Prozent aus Spen- den und anderen privaten Mitteln.

Ab 1969 gesellten sich zu den stationären Einrichtungen mehr und

mehr häusliche Betreuungsdienste.

Inzwischen haben auch Tagesklini- ken einen großen Stellenwert in der palliativmedizinischen Versorgung Großbritanniens. Im Jahr 2004 gab es einem Bericht des britischen Unterhauses zufolge im Vereinig- ten Königreich 130 gemeinnützige Hospize für Erwachsene mit 2 147 Plätzen, 27 Kinderhospize mit 201 Betten sowie 42 NHS-Palliativsta- tionen für 490 Patienten. Die Ta- geseinrichtungen verfügten über 259 Plätze.

Konkrete Verbesserungen erfuhr die staatliche palliativmedizinische Versorgung vor allem nach der Wie- derwahl der Labour Party im Jahr 2001. Ein Ziel der Regierung war es, die Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheits- und Sozialwesen sowie zwischen dem öffentlichen, privaten und ehrenamtlichen Sektor auszubauen. Dennoch gibt es auch heute noch Regionen in Großbritan- nien, in denen die palliativmedizini- sche Versorgung nicht ausreichend sichergestellt ist. Auch richtet sich das leitliniengestützte Angebot des NHS nach wie vor vornehmlich an Tumorpatienten. Gleichwohl genießt die Palliativmedizin im Königreich seit 1987 den Status einer eigenstän- digen Fachdisziplin.

Gänzlich anders verlief die Ent- wicklung in den Niederlanden. Bis 1995 gab es dort nur vereinzelte pal- liativmedizinische Initiativen. Erst danach erkannte auch die niederlän- dische Regierung die Bedeutung der palliativmedizinischen Versorgung für eine immer älter werdende Be- völkerung. Offizielle Hochrechun- gen ergaben, dass der Bedarf an pal- liativer Betreuung in den Niederlan- den zwischen 1997 und 2015 um rund 20 Prozent steigen wird.

Die notwendige Verbesserung der Versorgung geschah zeitgleich mit der Entwicklung eines Gesetzes zur aktiven Sterbehilfe, das 2002 in Kraft trat. Die Niederlande und Bel- gien sind die einzigen EU-Länder, die aktive Sterbehilfe unter gewis- sen Auflagen erlauben. Mit dem Ausbau der Palliativmedizin wollte die Regierung die Anzahl der Sterbe- hilfefälle in Grenzen halten. Selbst die niederländische Palliativgesell- schaft kann mit der liberalen Ge- PALLIATIVMEDIZIN IN EUROPA

Noch keine flächendeckende Versorgung

Die Palliativmedizin hat sich in den einzelnen europäischen Ländern in unterschiedlichem Tempo und in unterschiedlicher Intensität entwickelt. Dennoch gewinnt das Thema auf europäischer Ebene zusehends an Bedeutung.

Foto:picture-alliance/epa

Das palliativmedi- zinische Angebot lässt in den meisten Ländern noch zu wünschen übrig.

Auch der Europarat sieht Verbesserungs- bedarf.

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A2702 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 40⏐⏐5. Oktober 2007

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setzgebung gut leben. „Sie geht da- von aus, dass Palliativmedizin und Euthanasie sich nicht gegenseitig ausschließen“, schreibt der Präsi- dent der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Prof. Dr. med.

Eberhard Klaschik, in seinem neu- esten Werk (1).

Mit staatlicher Unterstützung entstanden zahlreiche integrierte palliativmedizinische Versorgungs- modelle. Hospize dienen dabei als zentrale Einrichtungen. Schwer kranke Patienten sollen dort kurz vor ihrem Tod Aufnahme und eine spezialisierte Betreuung finden. Im Jahr 2004 existierten nach offiziel- len Angaben 70 solcher Netzwerke.

Die häuslichen Pflegedienste wiederum können im Bedarfsfall auf Konsiliarteams zurückgreifen.

Diesen Teams gehören neben erfah- renem Pflegepersonal auch Onkolo- gen, Anästhesisten, Strahlenthera- peuten, Psychologen, Physiothera- peuten und Apotheker an. Die Pflegedienste machen einer Studie zufolge von dem Angebot regen Ge- brauch. Darüber hinaus gibt es in- zwischen drei Lehrstühle für Pallia- tivmedizin.

Ambulante Versorgung Anders in Frankreich: Dort existie- ren bislang weder Lehrstühle noch hat die Palliativmedizin den Rang eines eigenständigen Fachgebiets.

Grund hierfür ist unter anderem, dass die Palliativbewegung in Frankreich erst Mitte der 80er-Jahre politische Bedeutung erlangte. Und obwohl die Regierung die Palliativ- medizin 1991 offiziell zur dritten Säule der stationären Versorgung er- hob, sollte es noch mehrere Jahre dauern, bis eine effektive palliativ- medizinische Versorgung sicherge- stellt werden konnte. Entscheidend hierfür war das Palliativgesetz von 1999, das auch eine großzügige fi- nanzielle Unterstützung der pallia- tivmedizinischen Versorgung vor- sah. Dadurch stieg allein die Zahl der Palliativbetten in den Kranken- häusern innerhalb von zwei Jahren von 675 auf 1 040. Die Zahl der am- bulanten Pflegedienste erhöhte sich zeitgleich von 18 auf 30.

Die häusliche Versorgung wie- derum erfolgt nach einem „Hospita-

lisation à Domicil“ (Krankenhaus zu Hause, HAD) getauften Konzept.

Pflegekräfte, Physiotherapeuten Diätassistenten und Psychologen arbeiten hierbei Hand in Hand. Die Teams kooperieren eng mit Haus- ärzten und Krankenhäusern. Zu den Leistungen, die im Rahmen des HAD zu Hause erbracht und mit den Krankenkassen nach Tagessätzen abgerechnet werden dürfen, ge- hören auch chemotherapeutische Maßnahmen, der Einsatz von Mor- phinpumpen sowie Maßnahmen zur künstlichen Ernährung.

Das Konzept ist allerdings nicht nur auf die palliativmedizinische Betreuung ausgerichtet, sondern umfasst auch die Pflege von Kran- ken, die ohne häusliche Unterstüt- zung ins Krankenhaus eingewiesen werden müssten. Die Palliativstatio- nen in den Krankenhäusern ähneln strukturell denen deutscher Einrich- tungen. Sie verfügen in der Regel über ein multidisziplinäres Team einschließlich ehrenamtlicher Mit- glieder, das unter ärztlicher Leitung steht. Hinzu kommen sogenannte Équipes Mobiles de Soins Palliatifs (EMSP), mobile Konsiliardienste.

Die EMSP beraten die Pflegeteams bei medizinischen Problemen und übernehmen auch psychosoziale Aufgaben.

In Schweden fand im Gegensatz zu Frankreich eine intensive politi- sche Auseinandersetzung mit der Hospizidee schon sehr viel früher statt. Bereits 1979 veröffentlichte eine von der schwedischen Regie- rung eingesetzte Kommission Nor- men und Standards für die Versor- gung Sterbender und Schwerkran- ker. Die Berichte und Empfehlun- gen zur Schmerztherapie und zur palliativmedizinischen Betreuung in der letzten Lebensphase wurden in den Jahren danach ständig ak- tualisiert. Die palliativmedizinische Betreuung in Schweden zeichnet sich auch dadurch aus, dass die Pati- enten überwiegend ambulant ver- sorgt werden. Bei den Teams arbei- tet immer mindestens ein Arzt mit.

Die häuslichen Pflegedienste ste- hen im engen Kontakt mit Kranken- häusern, die auch Betten für eine stationäre Aufnahme vorhalten.

Hospize sind in Schweden eher sel-

ten. Die Kosten für die ambulante Versorgung tragen die Gemeinden.

Inzwischen genießt die palliativme- dizinische Betreuung in Schweden offiziell denselben Stellenwert wie die Versorgung akuter, lebensbe- drohlicher Erkrankungen.

Ethos der Solidarität

Auch die Polen haben sich frühzei- tig mit der Hospizidee auseinander- gesetzt. Einer Gruppe Freiwilliger wird die Gründung des ersten ost- europäischen Hospizes zugeschrie- ben. Es entstand 1981 in Krakau.

Dem Engagement der Gewerkschaft Solidarnos´c´ und der katholischen Kirche ist es zu verdanken, dass die Palliativmedizin auch während des kommunistischen Regimes fortbe- stehen und sich weiterentwickeln konnte.

Inzwischen ist das Fach nicht nur fester Bestandteil der medizini- schen, sondern auch der pflegeri- schen Ausbildung. Seit 1998 hat zu- dem jeder Bürger das Recht auf eine palliativmedizinische Versorgung.

Ein Gesetz aus dem Jahr 2003 regelt darüber hinaus, dass der Nationale Gesundheitsfonds (NGF) auch ei- nen Teil der Kosten für die palliativ- medizinische Versorgung in nicht staatlichen Einrichtungen überneh- men muss. Im Regelfall sind dies 60 Prozent. Den Rest finanzieren die Einrichtungen aus eigenen Mitteln oder Spenden.

Etwa zwei Drittel aller nicht staatlichen Einrichtungen haben ei- nen entsprechenden Vertrag mit dem NGF beziehungsweise einer Krankenkasse abgeschlossen. Für eine flächendeckende Versorgung reichen die Mittel allerdings nicht.

Dennoch gilt die Entwicklung der Hospizarbeit und Palliativmedizin in Polen als vorbildhaft für ganz

Osteuropa. I

Petra Spielberg

LITERATUR

1. Huseboe S, Klaschik E: Palliativmedizin – Grundlagen und Praxis.

4. Auflage, Springer Verlag 2006.

2. Europarat: Empfehlungen des Ministerkomitees an die Mitgliedstaa- ten zur Organisation von Palliative Care vom 12. November 2003.

3. Schindler T, Jaspers B: Stand der Palliativmedizin und Hospizarbeit in Deutschland und im Vergleich zu ausgewählten Staaten. Gutachten im Auftrag der Enquete-Kommission des Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin“, 2004.

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