Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 425. Januar 2008 A123
S E I T E E I N S
D
as Vertragsgeschäft zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern um Preisnachlässe bei Arzneimitteln ist ins Stocken geraten. Von Anfang an hatte es Streit um die vorschriftsmäßige Ausschrei- bung der Verträge gegeben. Die Pharmafirmen sind der Ansicht, dass bei Rabattverträgen zwischen Kassen und Herstellern das Vergaberecht gilt. Ein Rechtsgutachten, das der Bundesverband der Arzneimittelhersteller im vergangenen Sommer in Auftrag gegeben hat, stützt diese Auffassung. Auch das Bundeskartellamt ent- schied, dass die Krankenkassen öffentliche Auftrag- geber sind. Das bedeutet, dass sie Aufträge europaweit ausschreiben müssen.Für die AOK – Vorreiterin in Sachen Rabattverträge – sind die Einwände der Hersteller aus der Luft gegrif- fen. „Die Vorschriften des Kartellvergaberechts sind auf die Ausschreibung von Arzneimittel-Rabattvereinba- rungen nicht anwendbar“, meint der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Christoph Hermann. Die Kassen seien weder öffent- liche Auftraggeber noch liege ein öffentlicher Auftrag vor. Unbeirrt schrieb die Kasse deshalb für die Jahre 2008 und 2009 weitere Rabattverträge für mehr als 80 Wirkstoffe aus. Einzelne Unternehmen stellten darauf- hin Anträge auf Nachprüfung des Vergabeverfahrens bei verschiedenen Vergabekammern der Kartellämter.
Die Folgen sind bizarr. Die Vergabekammern des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen entschie- den ganz im Sinne der Pharmafirmen, dass die Rabatt- verträge der AOK nicht rechtswirksam seien. Eine Ent- scheidung, die das Oberlandesgericht Düsseldorf be- stätigte. Es betonte darüber hinaus, dass in diesen Fällen das Wettbewerbsrecht Vorrang vor dem Sozialgesetz- buch V hat, das die Belange der gesetzlichen Kranken- versicherung regelt. Dieser Beschluss kollidiert jedoch mit einer Vorgabe des Gesetzgebers, der Streitigkeiten in Sachen Arzneimittelrabatte den Sozialgerichten zu- gewiesen hat. Das Sozialgericht Stuttgart erklärte sich deshalb im Streit zwischen Kassen und Pharmafirmen für zuständig. Außerdem befand das Gericht, in der Sa- che sei das Ausschreibungsverfahren der AOK nicht zu
beanstanden. Als Hüterin des Wettbewerbs schaltete sich auch die EU-Kommission ein. Sie rügte – ganz im Sinne der Industrie –, dass die AOK ihre Verträge nicht europaweit ausgeschrieben hat, und leitete ein Vertrags- verletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Eine Stellungnahme der Bundesregierung steht noch aus.
Für die Streitparteien ist die derzeitige Situation un- erträglich. Jede hat recht, aber keine hat Rechtssicher- heit. Und für beide Parteien geht es um viel Geld. Die AOK verspricht sich von den Rabattverträgen Ein- sparungen von bis zu einer Milliarde Euro, wenn sie denn zustande kommen. Die Pharmafirmen, insbeson- dere der pharmazeutische Mittelstand, pochen auf transparente Verfahrensregeln, um einen Verdrängungs- wettbewerb auf dem ohnehin hart umkämpften Gene- rikamarkt zu verhindern. So beklagt der Vorsitzende des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller, Hans- Georg Hoffmann, die Tendenz der Kassen, mit großen Generikaherstellern Rabatte über ganze Sortimente zu vereinbaren. Hier gerieten die kleinen und mittleren Fir- men schon wegen ihrer beschränkteren Angebotspalette ins Hintertreffen.
Die Antwort auf die Frage, welches Gericht denn nun zuständig ist, darf man mit Spannung erwarten. Denn sie klärt die Stellung der Kassen im Wettbewerb und wirkt sich damit auch auf das weitere Vertragsgeschäft aus.
Heike Korzilius Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik RABATTVERTRÄGE FÜR ARZNEIMITTEL
Zu viele Richter
Heike Korzilius