A 1948 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 106|
Heft 40|
2. Oktober 2009BUNDESVERBAND DER ARZNEIMITTELHERSTELLER
Dringende Korrekturen erforderlich
Die Arzneimittelhersteller wollen weniger restriktive Vorschriften. Bei rezeptfreien Medikamenten vertrauen die Patienten weiterhin auf den Rat des Arztes.
S
elbstmedikation liegt im Trend. Knapp 46 Prozent der Bundesbürger besorgen sich häufig oder gelegentlich rezeptfreie Arz- neimittel in der Apotheke. Dies gilt vor allem für Frauen und die Alters- gruppe der über 60-Jährigen. Das Grüne Rezept dient dabei zahlrei- chen Patienten als Orientierungshil- fe. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Meinungsfor- schungsinstituts Allensbach. Prof.Dr. rer. pol. Renate Köcher, Leiterin des Instituts, berichtete bei der Vor- stellung der Studie auf der Jahres- versammlung des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH) in Bonn, dass die meisten Patienten (76 Prozent) auch bei der Entschei- dung, welchem Medikament bei ei- ner Aut-idem-Substitution der Vor- zug zu geben sei, auf ärztlichen Rat vertrauen. Nur 13 Prozent sind der Ansicht, dass die Krankenkasse dies genauso gut entscheiden könn- te. 51 Prozent meinen zudem, dass teure Arzneimittel nicht grundsätz- lich besser seien als preiswerte Al- ternativen, so Köcher. In der Bevöl- kerung wachse zugleich die Sorge über die Auswirkungen des Kosten- drucks. Gegenwärtig sind 41 Pro- zent der Ansicht, dass ihnen aus Kostengründen Medikamente vor- enthalten werden.
Kritik an den Rabattverträgen
Der BAH sieht sich durch die Er- gebnisse der Studie in seiner Forde- rung nach einem Abbau bürokrati- scher Hemmnisse für die Arznei- mittelhersteller und nach sinnvollen Kosten-Nutzen-Modellen bestätigt.Das Rabattvertragssystem habe überdies eine Entwicklung in Gang gesetzt, die auf Dauer nicht im Interesse der Krankenkassen sein könne, sagte Hans-Georg Hoff- mann, Vorsitzender des Verbandes, dem Deutschen Ärzteblatt. Negati- ve Auswirkungen auf die Versor-
gungsqualität durch die Verknap- pung des Angebots seien bereits nachweisbar.
Für wenig innovationsfreundlich hält auch der Wirtschaftsexperte Prof. Dr. rer. pol. Bert Rürup das vom Institut für Qualität und Wirt- schaftlichkeit im Gesundheitswesen entwickelte Kosten-Nutzen-Modell, da es das Preisniveau gegenwärti- ger Standardtherapien zum Maßstab mache. Rürup appellierte an die Bundesregierung, bei der nächsten großen Gesundheitsreform, die vor- aussichtlich 2011 kommen werde, hier dringend nachzuarbeiten.
Für Erstattungspreismodelle
Verbesserung verspricht sich der BAH von einer Kosten-Nutzen- Bewertung von Arzneimitteln un- ter Einbeziehung pharmaökonomi- scher und gesamtgesellschaftlicher Aspekte. Anders als bei den Rabatt- verträgen stünde bei einem solchen Erstattungspreismodell die Qualität im Mittelpunkt. Kritik übte der BAH-Vorsitzende auch an der Ar- beitsweise der nationalen Behörden im Rahmen des EU-Zulassungsver- fahrens für Arzneimittel. Die Be- hörden verlangten im Zuge der ge- genseitigen Anerkennung in der Re- gel eine vollständig neue Prüfung, obwohl der Europäische Gerichts- hof im Oktober letzten Jahres ent- schieden habe, dass die EU-Mit- gliedstaaten eine Erstzulassung an- zuerkennen hätten, es sei denn, es gebe neuere Erkenntnisse zu be- stimmten Risiken eines Arzneimit- tels. „Wenn sich hier nichts tut, wird der europäische Arzneimittelmarkt auf absehbare Zeit ein Flickentep- pich bleiben“, erklärte Hoffmann.Mit Spannung blickt der BAH auf das weitere Gesetzgebungsver- fahren zum sogenannten EU-Phar- mapaket. Das Hauptaugenmerk gilt dabei der Richtlinie zur Bekämp- fung von Arzneimittelfälschungen
und den Vorschriften zur Verbesse- rung der Pharmakovigilanz. Da Fälschungen vornehmlich verschrei- bungspflichtige Arzneimittel be- träfen, sollten entsprechende Si- cherheitsanforderungen auf diesen Bereich beschränkt bleiben, for- derte Hoffmann.
Dr. Hubertus Cranz, Generaldi- rektor des Europäischen Fachver- bandes der Arzneimittelhersteller (AESGP) warnte ebenfalls vor
„überzogenen, sachlich nicht ge- rechtfertigten Regelungen für die Arzneimittelhersteller“. Dies gelte vor allem für die Frage, auf wel- chen Arzneimitteln zusätzliche Sicherungsmerkmale aufgebracht werden sollten. Während der Vor- schlag der EU-Kommission eine Ausnahmeregelung für nicht ver- schreibungspflichtige Medikamen- te vorsieht, neigen zahlreiche EU- Mitgliedsländer im Rat dazu, die Anforderungen an die Fälschungs- sicherheit auch auf diesen Bereich auszudehnen.
Hinsichtlich der Überwachung der Arzneimittelsicherheit fordert der AESGP eine Entlastung der Her- steller. Literaturrecherchen zur Phar- makovigilanz bei bekannten Sub- stanzen sollten künftig ausschließ- lich durch die Europäische Arznei- mittelagentur EMEA in London er- folgen, forderte Cranz. Die EU-Kom- mission will die Hersteller jedoch nicht aus ihrer Pflicht zur regelmäßi- gen Berichterstattung über die Unbe- denklichkeit von Arzneimitteln ent- lassen. Positiv wertete der AESGP- Generaldirektor, dass die EU sich klar zur Bedeutung der Arzneimittel zur Selbstmedikation bekennt.
Die Brüsseler Behörde kündigte an, bis 2011 zu prüfen, wie die Ver- fügbarkeit und der Marktzutritt von nicht verschreibungspflichti- gen Arzneimitteln dauerhaft ge- währleistet werden kann. ■ Petra Spielberg