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Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 4, 26. Januar 1996 (1)
Gesundheitsstrukturreform/Stufe III
Viele Fragen offen
ie Vorarbeiten zur dritten Stufe der Strukturreform im Gesundheitswesen, insbesondere zur Einbindung des ambulanten Sektors und zur Revi- sion des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung, folgen dem Prinzip „Business as usual“: Inzwi- schen hat die Seehofer-Admini- stration das Eckpunktepapier der Arbeitsgruppe der Koalition (vom 18. Dezember) in Paragraphen ge- gossen. Nach den politischen Vor- gaben wurde eine Begründung zum allgemeinen Teil zu Papier ge- bracht, die sich weitgehend an das Eckpunktepapier anlehnt. Viele Paragraphen sind Versatzstücke vorangegangener Reformanläufe.
Inzwischen haben die Fraktio- nen von CDU/CSU und FDP das Koalitionspapier zustimmend oder einstimmig (FDP) zur Kennt- nis genommen. Die Paragraphen- Schulaufgaben der Fachabteilung des Bundesgesundheitsministeri- ums sind insoweit noch unverbind- lich und veränderbar, solange sie nicht den Segen der Fraktionen der Koalition erhalten und in das Stadium eines Vorreferenten-Ent- wurfs getreten sind (dies dürfte erst Ende Januar der Fall sein).
Daher gibt es noch keinen Anlaß für die Verbände und die Länder, übereilt mit Demarchen und Ein- gaben an die Politik zu reagieren.
Gleichwohl gibt es bereits dezi- dierte Änderungswünsche und Al-
ternativ-Vorschläge, darunter auch der Verbände der Ärzteschaft und der Krankenhausträger-Organisa- tionen.
Hinzu kommt: Parallel zur In- itiative der Regierungskoalition hat die SPD im Bundestag in erster Lesung ebenfalls im Dezember ei- nen Gesetzentwurf eingebracht, der es in sich hat. Schematische globale Budgetierung und sture Kostendämpfung in allen Sekto- ren stehen hier oben an. Auch dar- auf muß man sich (parallel) ein- stellen.
Immer wenn es ans „Einge- machte“ geht und die Auswirkun- gen von Regelungen auf Grund konkreter Formulierungen abzu- schätzen sind und die Direktbe- troffenheit zu spüren ist, kommt statt Freude Gegenkritik bis hin zum harschen Verriß auf. Vieles, was jetzt erörtert wird, ist noch längst nicht in „trockenen Tüchern“. Manche Paragraphen sind inpraktikabel, passen nicht zueinander und kollidieren mit Rechtsnormen. Dies ist allerdings auch in anderen komplexen und komplizierten Reformwerken der Fall gewesen, also nichts Überra- schendes. Die Krankenkassenver- bände werden aufjaulen, wenn sie feststellen werden, daß es doch nicht so weit her ist mit dem Ver- sprechen, die Rechte der Selbst- verwaltung zu stärken, die Ent- scheidungsautonomie zu erwei-
tern und die Beitragsstabilität vor allem über einen Leistungswettbe- werb langfristig zu garantieren.
Die Ärzteschaft hat längst ver- deutlicht, daß sie nur in jenen Be- reichen mehr Verantwortung über- nehmen kann, in denen ihre Kom- petenz gefragt ist und wo sie tatsächlich Entscheidungs- und Handlungsalternativen hat. Sie kann sich allerdings von der Politik nicht als willfährige Erfüllungsge- hilfen dafür einspannen lassen, sämtliche politisch unangenehmen Dinge mit Durchgriffsrecht auf die Betroffenen zu erledigen. Die Qualität des umstrittenen Geset- zespaketes (auch des krankenhaus- rechtlichen Teils) wird daran zu messen sein, wie die Vorgaben von Solidarität, Subsidiarität und Ei- genverantwortung umgesetzt wer- den. Eine bloße Übertragung der Finanzierungs- und Leistungsver- antwortung auf die Direktbetroffe- nen kann zwar zur Mobilisierung noch vorhandener (nicht nur ver- muteter) Sparreserven führen. Die bisherige Leistungs- und Finanzie- rungskraft des Systems kann aber auch dann nicht über die Jahrtau- sendwende „wetterfest“ (Seeho- fer) gemacht werden, wenn sonst wesentliche Vorgaben und Struk- turen beim alten bleiben – und vor allem der Leistungskatalog der Krankenversicherung und das übrige geltende Recht kaum verän- dert werden. Dr. Harald Clade