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Archiv "Modell Lengerich: Viele Fragen bleiben offen" (06.09.1990)

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W

enn man auf der Al vom Ruhr- gebiet nach Norden fährt, kommt man einem Prinzip näher.

Dem Prinzip der „Vollversorgung", von dem man polemisch gesagt hat, es bestehe darin, daß die einen voll sind und die anderen versor- gen. Es hat in der Tat etwas von Ko-Sucht, weil man ja nicht mehr nach dem Gesundungswillen des Patienten fragt. Das Prinzip erreicht man kurz vor Osnabrück. Denn: Als Modellfall eines „niedrigschwelli- gen" Angebots für Drogenabhängi- ge, das die angestrebte „Vollver- sorgung" näherbringen soll, gilt derzeit in Nordrhein-Westfalen die Entgiftungsstation „Cleanok" der Westfälischen Klinik für Psychiatrie und Neurologie in Lengerich. Leiter der Station ist ein Sozialarbeiter oh- ne spezielle therapeutische Ausbil- dung, der bei einer Präsentation am 11. Juni 1990 bekannte, daß „poli- tischer Druck" bei der Entstehung dieser Einrichtung geburtshelfe- risch Sukkurs leistete. Diese Heb- amme verhalf auch dazu, daß die Neun- (maximal Zwölf-) Betten-Sta- tion von den Krankenkassen groß- zügig ausgestattet wurde: mit acht Pflegekräften, einem Medizinischen Bademeister, zwei Sozialarbeitern, einer halben Stelle zur spezialthe- rapeutischen Betreuung und, merk- würdig mit einem „hal- ben" Arzt.

Der Stationsleiter erläuterte, daß der Arzt möglichst wenig prä- sent sein solle, damit kein Medika- mentenwunsch provoziert werde - ein erstaunliches Argument ange- sichts eines Stationskonzepts, das von vorneherein durch großzügiges Medikamentenangebot (vom Leiter ebenfalls betont) die Angst vor ei- nem „kalten Entzug" nehmen will.

Und zu den Medikamenten gehört auch Methadon, das natürlich das eigentliche Lockangebot geworden ist, so daß die neue Station jetzt schon die regionale Nachfrage nach Plätzen nicht mehr befriedi-

gen kann. Zur großzügigen Ausstat- tung durch die Kassen rechnet aber auch die Möglichkeit, über die bis dato üblichen 14 Tage hinaus Pa- tienten fünf Wochen lang zu behan- deln.

Für die Medikamente ein- schließlich dem Methadon sei aller- dings der auf der Station gastieren- de Arzt allein zuständig, der zudem ständig gerufen werden könne. Der Stationsleiter wies auch darauf hin, daß die Patienten häufig in desola- tem somatischem Zustand seien und einen „riesigen Aufwand" an medizinischer Betreuung erforder-

Viele Fragen bleiben offen

ten. Das legte die Frage nahe (die auch gestellt, aber nicht beantwor- tet wurde), warum denn dann gera- de eine solche Station nicht von ei- nem Arzt geleitet wird. Das Metha- don werde bis zu drei Wochen ver- abreicht, denn das Ziel der Behand- lung sei ja nicht die Einstellung auf Methadon, sondern die Drogenfrei- heit.

Allerdings: auch hier scheint ei- ne Dynamik in Gang zu kommen, die genau in die entgegengesetzte Richtung wirkt. Die durchschnittli- che Verweildauer läuft mit 23 Tagen ziemlich genau ebenso lange wie die (maximale) Methadon-Ver- abreichung. Es kommt hinzu, daß die Station auch die Einstellung auf eine Methadon-Substitution vor- nimmt, was unter allen Umständen eine erhebliche Ansteckungswir- kung entfalten muß (man stelle sich nur einmal vor, daß auf der gleichen

konventionellen Klinikstation die ei- nen Patienten vom Alkohol entzo- gen, die anderen aber darauf einge- stellt würden). So war denn auch bei der Präsentation Mitte Juni die Pa- tientin, die freundlicherweise die Gäste herumführte, durchaus nicht bereit, sich von der Vorstellung ab- bringen zu lassen, daß sie ihr zu- künftiges Familienleben als Mutter zweier Kinder „Methadongestützt"

gestalten wird. Obwohl nach aller Erfahrung gerade die Liebe zu den Kindern ganz erhebliche Chancen für einen echten Befreiungsprozeß bietet.

Unklar blieb, welcher geistig- konzeptionelle Impuls hinter der neuen Einrichtung steckt, wenn überhaupt. Daß man auf Wasserbet- ten aalen kann, daß auch Tranquili- zer nicht tabu sind, daß man Massa- gen bekommt und der Glaube an die Akupunktur gefördert wird, kann einen solchen Impuls nicht erset- zen. Wenn der Stationsleiter die di- versen Angebote zusammenfaßte, es gehe da um „basale Stimulation von Entspannungshaltungen", ist das eher eine geschickte Verbau- sierung als ein Inhalt. Die jahrzehn- telange Diskussion und Entwicklung der Therapeutischen Gemeinschaft, die ja für einen „warmen" Entzug unter optimalen menschlichen Be- dingungen von hoher Relevanz wä- re, hat sich bei dieser Präsentation in keiner Weise niedergeschlagen.

Die Süchtigen zum „Genußprinzip"

(das lediglich in gesunder Weise realisiert werden müsse) hinführen zu wollen, bleibt eine problemati- sche Vorstellung, die Zweifel weckt, ob hier der Grundunterschied zwi- schen Trieblust und narzißtischer Absättigung und Beruhigung über- haupt schon begriffen wurde. Allen helfen zu wollen, gleichgültig, ob sie selber zur Veränderung bereit sind, gilt zudem als genaues Kenn- zeichen ko-süchtiger Haltung. So blieben in Lengerich viele Fragen

offen . . . HK

den Methadon-Programmen nicht an die Abmachungen hält (was übri- gens zu erwarten war), daß man sich gar nicht anders zu helfen wußte, als weitgehend auf Sanktionen zu ver- zichten. So führt eine Kapitulation zur nächsten, wie das in der Sucht-

therapie seit langem bekannt ist.

Und eine weitere Kapitulation taucht schon am Horizont auf: We- gen der starken Verbreitung des Ko- kains arbeiten amerikanische Wis- senschaftler schon fieberhaft an der Entwicklung eines Substitutions-

stoffs für den „Schnee", wie Profes- sor Dole erklärte.

Einer der trivialen Gründe, die für Methadon-Programme sprechen, ist deren Billigkeit. Man kann schät- zen, daß allein schon ein Gefängnis- aufenthalt das Dreifache von einem A-2612 (32) Dt. Ärztebl. 87, Heft 36, 6. September 1990

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