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Archiv "Viele Fragen offen" (14.10.2011)

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696 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 41

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14. Oktober 2011

M E D I Z I N

DISKUSSION

Impfzeitpunkt von Bedeutung

Bei einem Beitrag, der gleich im ersten Satz den

„Schutzimpfungen“ ein undifferenziertes Lob aus- spricht, sind Zweifel an der Objektivität angebracht.

Skeptisch macht auch die Schlussfolgerung im Ab- stract, es seien keine Unterschiede hinsichtlich allergi- scher Erkrankungen zu beobachten – wo doch die Un- geimpften in zwei der drei untersuchten Altersgruppen tendenziell weniger Infekte und atopische Erkrankun- gen aufweisen als die Geimpften, und keines der un- geimpften Kinder unter zehn Jahren an Asthma bron- chiale erkrankt ist. Die fehlende Signifikanz könnte auf der geringen Zahl der erfassten Ungeimpften beruhen, womit sich eine seriöse Aussage zum Allergierisiko ei- gentlich verbietet.

Ein Faux-pas des Beitrags ist auch die undifferen- zierte Subsumierung aller irgendwann im Leben geimpften Kinder unter die Gruppe „Geimpft“. Für Störwirkungen von Impfungen auf das Immunsystem scheint doch vor allem der Impfzeitpunkt von Bedeu- tung zu sein, der in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter nach vorne verschoben wurde. Über die nachtei- ligen Auswirkungen früher Impfungen auf das Immun- system werden inzwischen ganze Kongresse abgehalten (1). Eine groß angelegte kanadische Studie fand bei Sie- benjährigen ein mehr als doppelt so hohes Asthmarisi- ko, wenn im 3. Lebensmonat geimpft wurde im Ver- gleich zum Impfbeginn nach dem 5. Lebensmonat (2).

Ein weiterer Schwachpunkt ist die fehlende Diffe- renzierung nach Menge und Art der Impfungen. Ma- sern- oder Keuchhustenimpfung haben sehr unter- schiedliche Auswirkungen auf das Immunsystem. Die bei Schmitz zitierte Arbeitsgruppe um Bernsen lieferte 2008 eine Studie nach, in der den Keuchhusten- geimpften Kindern ein erhöhtes Allergierisiko attes- tiert wurde, wenn sie schließlich doch an Keuchhusten erkrankten. Die langfristigen Zytokin-Veränderungen nach der Keuchhusten-Impfung im frühen Säuglings- alter hat Mascart ausführlich beschrieben (3).

DOI: 10.3238/arztebl.2011.0696a

LITERATUR

1. Flanagan KL, et al.: Sex differences in the vaccine-specific and non-targeted effects of vaccines. Vaccine 2011; 29(13): 2349–54.

2. McDonald KL, Huq SI, Lix LM, Becker AB, Kozyrskyj AL: Delay in diphtheria, pertussis, tetanus vaccination is associated with a

Viele Fragen offen

Leider haben die Autoren bedeutende, bereits vorlie- gende Studien übersehen, die auf einen Zusammenhang zwischen Impfungen und atopischen Erkrankungen hinweisen. Bei der Parsifal-Studie (1) wurde dieser Zu- sammenhang mit der MMR-Impfung (Masern-Mumps- Röteln) hergestellt und bei Silverberg et al. mit der Va- rizellen-Immunisierung (2).

Viele Fragen bleiben offen:

Warum sind die Kinder der einen Gruppe un- geimpft (Krankheit?) und wie will man aus ihrer geringen Anzahl überhaupt eine Aussage erwar-

ten? Warum ist das Asthma (als Endpunkt der „Allergi- ker-Karriere“) nicht ärztlich diagnostiziert?

Bei den Ungeimpften treten keine Asthma-Fälle unter zehn Jahren auf. Wie kann man behaupten, die Inzidenz sei identisch mit der bei den Geimpf-

ten? Warum wurde die Allergierate der Eltern in den Vergleichsgruppen nicht differenziert untersucht?

Warum wurden nicht Anzahl der Impfungen und Impfzeitpunkt einbezogen?

Eine Immunisierung ab dem 3. Lebensmonat mit Sechsfach-Impfung plus Pneumokokken stört das Th1-Th2-Gleichgewicht unbestritten mehr als eine al- leinige Tetanus-Impfung im zweiten Lebensjahr. Die- ses Gleichgewicht ist aber für das Allergierisiko von entscheidender Bedeutung. Alle Geimpften sind jedoch in „einem Topf“ gelandet.

Schließlich ist zu fordern, dass sich Präventivmaß- nahmen in der Kindheit positiv auf das ganze Leben auswirken. Es zeigt sich jedoch, dass manche Kinder- krankheiten die Inzidenz von Tumorerkrankungen im Erwachsenenalter senken würden (3) (Mumps – Ovari- alkarzinom, Varizellen – Glioblastom). Daher fände ich die Einrichtung einer Gesundheitskommission, die alle Präventivmaßnahmen – nicht nur Impfungen – auf Evi- denz und Wirtschaftlichkeit überprüft, so wie es im zu dem Beitrag

Impfstatus und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen: Ergebnisse des Kinder- und Jugend- gesundheitssurveys (KiGGS)

von Dr. oec. troph. Roma Schmitz, Dr. med. Christina Poethko-Müller MSc, Dr. rer. nat. Sabine Reiter, PD Dr. med. Martin Schlaud in Heft 7/2011

re-duced risk of childhood asthma. J Allergy Clin Immunol 2008;

121(3): 626–31.

3. Mascart F, et al.: Modulation of the infant immune responses by the first pertussis vaccine administrations. Vaccine 2007; 25(2): 391–8.

4. Schmitz R, Poethko-Müller C, Reiter S, Schlaud M: Vaccination status and health in children and adolescents—findings of the German health interview and examination survey for children and adolescents (KiGGS). Dtsch Arztebl Int 2011; 108(7): 99–104.

Dr. med. Martin Hirte, München martin.hirte@t-online.de

Dr. med. Steffen Rabe, München Georg Soldner, München

Dr. med Stefan Schmidt-Troschke, Herdecke Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 41

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14. Oktober 2011 697

M E D I Z I N

Wuppertaler Manifest vom Oktober 2010 gefordert wird, wünschenswert.

DOI: 10.3238/arztebl.2011.0696b

LITERATUR

1. Flöistrup H, Swartz J, et al.: Allergic disease and sensitization in Steiner school children. The Journal of Allergy and Clinical Immunology 2006; 117(1): 59–66.

2. Silverberg JI, Norowitz KB, et al.: Association between varicella zoster virus infection and atopic dermatitis in early and late childhood:

a case-control study. J Allergy Clin Immunol 2010; 126(2): 300–5.

3. Albonico HU: Häufigkeit fieberhafter Infektionskrankheiten im Kindes- alter in der Vorgeschichte von Karzinompatienten. Der Merkurstab 1996a; 1: 1–19.

4. Schmitz R, Poethko-Müller C, Reiter S, Schlaud M: Vaccination status and health in children and adolescents—findings of the German health interview and examination survey for children and adolescents (KiGGS). Dtsch Arztebl Int 2011; 108(7): 99–104.

Dr. med. Monika Weber

Homöopathisch-Therapeutisches Praxis-Zentrum, München mur.weber@arcor.de

Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Schlusswort

Unsere Auswertung der KiGGS-Daten auf mögliche Zusammenhänge zwischen Impfungen und spezifischen Gesundheitsproblemen bei Kindern und Jugendlichen (1) sollte einen Beitrag zur Versachlichung der Diskus- sion leisten und Fragen zur Situation in Deutschland be- antworten. Keineswegs wurde der Anspruch erhoben, alle offenen Fragen zum Thema Impfen abschließend zu beantworten. Dies kann nur in der Gesamtschau aller verfügbaren epidemiologischen und experimentellen Evidenz und nicht auf Basis einzelner Studien erfolgen.

Es handelt es sich bei den berücksichtigten atopi- schen Erkrankungen um ärztliche Diagnosestellungen.

Um Verzerrungen zu vermeiden, wurden Probanden, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft wor- den waren, nicht in die Analysen einbezogen.

Bewusst haben wir zwischen Probanden ohne jede Impfung und Probanden mit wenigstens einer Impfung differenziert, weil genau diese Unterscheidung in zahl- reichen Anfragen an das Robert-Koch-Institut eine zen- trale Rolle spielt. Aufgrund der geringen Prävalenz Un- geimpfter konnten jedoch unter 17 641 Probanden le- diglich 94 sicher ungeimpfte Probanden identifiziert werden. Die Auswertungen ergaben keine statistisch signifikanten Unterschiede im Auftreten atopischer Er- krankungen oder der Häufigkeit von Infekten zwischen Ungeimpften und Geimpften. Die Frage, ob mit größe- ren Fallzahlen dieselben Gruppenunterschiede zu fin- den gewesen wären, dann aber mit statistischer Signifi- kanz, lässt sich mit unseren Daten nicht beantworten.

Derartige Spekulationen wären aber auch bezüglich je- ner Gruppenunterschiede anzustellen, bei denen un- geimpfte Kinder tendenziell mehr Gesundheitsbeein- trächtigungen aufweisen als geimpfte. Weitere differen- zierende Analysen der KiGGS-Daten, zum Beispiel un-

ter Berücksichtigung der Anzahl von Impfdosen, sind derzeit in Arbeit.

Zur Frage möglicher Gesundheitseffekte von Imp- fungen findet man zahlreiche Studien, deren Ergebnis- se teilweise Zusammenhänge in Richtung Risikoerhö- hung, teilweise in Richtung Risikominderung oder auch keinerlei Zusammenhänge nahelegen. In einer Metaanalyse von Balicer et al. zeigte sich weder ein ri- sikoerhöhender noch ein risikovermindernder Effekt von DTP- oder BCG-Impfungen für das Auftreten von Asthma (2). Bernsen et al. fanden in einer Studie mit MMR-geimpften und -ungeimpften Kindern ein erhöh- tes Risiko für atopische Erkrankungen nach durchge- machter Masernerkrankung, ein verringertes Atopieri- siko nach durchgemachter Rötelnerkrankung (3). Die Auswertung der EPAAC-Studie ergab selbst bei Kin- dern mit erhöhtem Allergierisiko keinen Zusammen- hang zwischen Impfungen im ersten Lebensjahr und dem Auftreten oder dem Schweregrad einer atopischen Dermatitis beziehungsweise einer Sensibilisierung (4).

Die Klinische Leitlinie „Allergieprävention“ enthält eine klare Empfehlung zugunsten der STIKO-empfoh- lenen Impfungen, da nach systematischer Auswertung der einschlägigen Literatur keine Belege für ein erhöh- tes (wohl aber Hinweise auf ein verringertes) Allergie- risiko nach Impfungen gefunden worden waren.

Ob und inwiefern der Impfzeitpunkt für die Wirkung auf das Immunsystem entscheidend ist, halten wir durch- aus für eine wichtige Frage, deren Beantwortung jedoch spezialisierten Studien vorbehalten bleibt. Die Schluss- folgerung, „Kinderkrankheiten“ könnten Tumoren des Erwachsenenalters verhindern, halten wir für nicht aus- reichend belegt.

DOI: 10.3238/arztebl.2011.0697

LITERATUR

1. Schmitz R, Poethko-Müller C, Reiter S, Schlaud M: Vaccination status and health in children and adolescents—findings of the German health interview and examination survey for children and adolescents (KiGGS). Dtsch Arztebl Int 2011; 108(7): 99–104.

2. Balicer RD, Grotto I, Mimouni M, Mimouni D: Is childhood vaccination associated with asthma? A meta-analysis of observational studies.

Pediatrics 2007; 120: e1269–77.

3. Bernsen RMD, Wouden JC van: Measles, mumps and rubella infection and atopic disorders in MMR-unvaccinated and MMR-vaccinated children. Pediatr Allergy Immunol 2008; 19: 544–51.

4. Grüber C, Warner J, Hill D, Bauchau V: Early atopic disease and early childhood immunization—is there a link? Allergy 2008; 63:

1464–72.

PD Dr. med. Martin Schlaud Dr. oec. troph. Roma Schmitz Dr. med. Christina Poethko-Müller, MSc Robert-Koch-Institut, Berlin

Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung M.Schlaud@rki.de

Dr. rer. nat. Sabine Reiter Robert-Koch-Institut, Berlin Abteilung für Infektionsepidemiologie

Interessenkonflikt

PD Schlaud und Dr. Poethko-Müller erhielten im Rahmen der TOKEN-Studie fi- nanzielle Unterstüzung von Sanofi Pasteur und GlaxoSmithKline Biologicals.

Dr. Reiter und Dr. Schmitz erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Referenzen

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