DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Zweiter gesamtdeutscher Parteitag der CDU
Ein grüner Vorhang verdeckt schamhaft die Kunst des sozialisti- schen Realismus an der Außenwand des Dresdner Kulturpalastes. Und auch sonst erinnert nicht mehr viel an die Vergangenheit der SED, der zu Ehren 1968 das funktionale, schmucklose Gebäude errichtet wur- de, das so gar nicht in die Umgebung von Zwinger, Schloß und Kreuzkir- che zu passen scheint. Die Christlich Demokratische Union hatte sich wohl bewußt diesen Ort für ihren zweiten gesamtdeutschen Parteitag im Dezember gewählt. Die rund 1000 Delegierten beschäftigten sich jedenfalls vorwiegend mit Problemen der neuen Bundesländer, unter an- derem mit der hohen Arbeitslosig- keit und der Vergangenheitsbewälti- gung der Ost-CDU als Blockpartei.
Die Gesundheitspolitik scheint nicht zu den „neuen Aufgaben deut- scher Politik" zu gehören, die in dem einstimmig verabschiedeten „Dresd- ner Manifest" festgelegt wurden. In der von Bundeskanzler Helmut Kohl vorgelegten Bilanz der Regierungs- arbeit wird das Gesundheitswesen als leistungsfähig und hochentwik- kelt bezeichnet. Es stelle den Kran- kenversicherten ein anerkannt hohes Maß an Schutz und Vorsorge zur Verfügung. Doch dieses Gesund- heitswesen habe auch seinen Preis.
Ständig steigende Ausgaben führten zu Defiziten der Krankenkassen und steigenden Beitragssätzen. Die bei- tragspflichtigen Versicherten und die Unternehmen würden in immer höher werdendem Maße belastet.
Doch mit der Gesundheitsreform sei diese Entwicklung durchbrochen worden. „Das Ausgabenwachstum ging zurück, die Kassen konnten ho- he Rücklagen bilden und erstmals Beiträge senken."
Die finanzielle Stabilität der Krankenkassen bleibe allerdings ei- ne Herausforderung. Die aktuelle Kostenentwicklung bei den Kran- kenkassen gefährde die erreichten Erfolge. Nicht alle mit dem Gesund- heits-Reformgesetz (GRG) geschaf- fenen Sparmöglichkeiten seien ge- nutzt worden Eine von den Koaliti- onsparteien eingesetzte Kommission
solle prüfen, wie das GRG weiter zü- gig umgesetzt und wie die Kosten- entwicklung bewältigt werden könne.
Seit dem 1. Januar 1992 gelte auch in den neuen Bundesländern das gegliederte System der Kranken- versicherung mit regionalen, betrieb- lichen und berufsbezogenen Kassen.
Mehr als zwölf Millionen Mitglieder mit weiteren vier Millionen mitversi- cherten Familienangehörigen wür- den durch die Krankenkassen in den
Pflege und
Paragraph 218 waren
keine Themen
neuen Bundesländern versichert und betreut.
Zur Verbesserung der desolaten baulichen und technischen Situation der Krankenhäuser in den neuen Bundesländern habe der Bund mit der kommunalen Investitionspau- schale von fünf Milliarden DM im Rahmen des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost und dem kommu- nalen Kreditprogramm in Höhe von 15 Milliarden DM geholfen.
Doch daß für die Krankenhäu- ser in Ostdeutschland nach wie vor andere Maßstäbe als im Westen gel- ten würden, verdeutlicht eine Aussa- ge von CDU-Generalsekretär Volker Rühe in seiner Vorstellung des
„Dresdner Manifests": „Im Westen werden erhebliche Mittel aufge- wandt, um das sogenannte ,patien- tenfreundliche Krankenhaus' zu ver- wirklichen, das an jedem Kranken- bett Fernseh- und Telefonanschluß bietet. Im Osten geht man jetzt viel- fach erst einmal daran, wenigstens ein Waschbecken in jedem Kranken- zimmer zu installieren."
Auf die teilweise katastrophale Situation von Pflegebedürftigen machte der stellvertretende Frakti- onsvorsitzende Heiner Geißler auf- merksam. Er forderte „Wohlstand auch für die Pflegebedürftigen, die rund um die Uhr betreut werden müssen". In einem Plädoyer für das Solidarprinzip sagte Geißler: „Die Kinder müssen die Verantwortung für die Eltern tragen, wenn diese nicht mehr selbst für sich sorgen können." Das sei zutiefst christlich.
Im „Dresdner Manifest" setzt sich die Union, ohne ihre Vorstellungen näher zu erläutern, für „die Einfüh- rung einer Pflegeversicherung ein, die insbesondere eine Pflege in ver- trauter Umgebung ermöglicht."
Das strittige Thema „Paragraph 218" war aus der Debatte gänzlich ausgeklammert worden. Der Partei- tag beschloß, alle Anträge zu diesem Punkt an die CDU/CSU-Bun- destagsfraktion zu überweisen. Kohl hatte zuvor betont, daß dieses „gro- ße moralische Thema" in „angemes- sener Form" diskutiert werden müs- se. Dazu bestehe auf dem Parteitag wegen Zeitmangels jedoch keine Ge- legenheit. Bei der Entscheidung über das künftige Abtreibungsrecht müsse das Prinzip der Gewissensfrei- heit gelten. Ein Antrag, in dem die Bundesregierung dazu aufgefordert wurde, dafür zu sorgen, „daß die To- despille RU 486 oder ähnliche, zum Töten ungeborener Kinder bestimm- te Präparate in Deutschland nicht zugelassen werden", wurde ebenfalls überwiesen.
Daß für viele Frauen in der CDU der Paragraph 218 offensicht- lich nicht zu den vordringlichsten Themen gehört, bewies das Forum 2 des Parteitages, das unter dem Titel
"Neue Chancen für Frauen im geein- ten Deutschland" im Studiothea- ter des Kulturpalastes stattfand.
Schwangerschaftskonflikte wurden dort nicht erwähnt. Das zentrale Problem der Frauen in Ostdeutsch- land, die vorwiegend zu Wort ka- men, ist offensichtlich die hohe Ar- beitslosigkeit und der drohende Ver- lust von Sicherheiten. Bei fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten und frühen Ladenschlußzeiten ließen sich Familie und Beruf immer schlechter miteinander vereinen. Kli A1-26 (26) Dt. Ärztebl. 89, Heft 1/2, 6. Januar 1992