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Archiv "PARAGRAPH 218: Der Arzt ist kein Erfüllungsgehilfe" (12.12.1990)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

DAS FORUM

Am Rande der Tagung hatten die beiden deutschen Vertreter Ge- legenheit, zahlreiche Gespräche zu führen, insbesondere mit dem Ge- sundheitsminister Bojar, dem Natio- nalrats-Vizepräsidenten Lom, dem Vorsitzenden des tschechischen Ärz- teverbandes Dr. Miroslav Kaspar und Dr. Iwan Pfeifer, dem Direktor der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung des Gesundheitsministeri- ums in der tschechischen Republik.

Im Laufe dieser Gespräche wurde Prof. Dr. Pavel Schmidt zum offiziel- len Konsultanten des Gesundheits- ministers berufen. Vizepräsident Dr.

Lom und Minister Dr. Bojar äußer- ten nachdrücklich den Wunsch nach einer Institutionalisierung der kon- kreten Zusammenarbeit und Part- nerschaft zwischen den Institutionen der tschechischen Republik und de- nen in der Bundesrepublik Deutsch- land. Es wurde die Bitte geäußert, im Rahmen einer Informationsveran- staltung im Januar 1991 in Prag über das System der deutschen ärztlichen Selbstverwaltung und der sozialen Krankenversicherung zu berichten.

Angesichts der ausgesprochen schwierigen Lage der Patientenver- sorgung war man sich einig darüber, daß im Herzen Europas eine Reani- mation erforderlich sei. Als erste Hilfe in diese Richtung wären Infusi- onsmaßnahmen durch Lieferung von lebensnotwendigen Medikamenten und Geräten beziehungsweise Ein- richtungen für die medizinische Akutversorgung erforderlich. Die Versorgungslage der tschechischen Bevölkerung ist als ausgesprochen kritisch zu bezeichnen; dies hat ihre Ursache in den einschneidenden ökonomischen Veränderungen im Rahmen der Umgestaltung der ge- samten Gesellschaft. Der internatio- nale Handel im Rahmen des Ra- tes für gegenseitige Wirtschaftshil- fe (RGW) ist zusammengebrochen;

dies betrifft auch die Medikamen- ten- und Medizingerätelieferungen aus den Mitgliedsländern der RGW, welche heute harte Währung verlan- gen (bei Nicht-Konvertibilität der tschechischen Währung). Darüber hinaus hat das politische Engage- ment der CSFR im Rahmen der Irak-Krise das Land zusätzlich er- heblich ökonomisch belastet. MP

PARAGRAPH 218

Mag sein, daß in unserer Gesell- schaft der risikolose Geschlechtsver- kehr derzeit als höherer Wert ange- sehen wird als die Gesundheit der Beteiligten und das Leben der ge- zeugten Menschen. Für den Arzt aber kann das nicht gelten. Denn der ehemalige Hippokratische Eid (heu- te das Ärztliche Gelöbnis und die Berufsordnung für die Ärzte) war und ist die vorchristliche Vorweg- nahme eines geistigen Zustandes des Menschengeschlechtes, der auch heute noch immer nicht erreicht ist, gegenwärtig sogar in weite Ferne enthumanisiert zu werden droht.

Im Gelöbnis verspricht jede Ärz- tin, jeder Arzt, jedem Menschenle- ben von der Empfängnis an Ehr- furcht entgegenzubringen. Ärztin und Arzt werden dann mit § 5 der Berufsordnung verpflichtet, auch das ungeborene Leben grundsätzlich zu erhalten.

Was jetzt von der Ärzteschaft verlangt wird, ist doch eine groteske Ungleichheit der Berufsmoral. Kein Arzt aber kann seine Haltung immer wieder diametral ändern, das heißt das Weiß seines „Ja zum Leben in der Nacht" nicht wechseln in das Schwarz des „Nein gegen das Leben beim Schwangerschaftsabbruch am Vormittag". Man hat denn auch in den letzten 14 Jahren versucht, die- sem den Arztberuf zerreißenden Problem durch eine „Arbeitsteilung"

zu entgehen. Prominente Frauenärz- te, die zum Beispiel als Berufsver- bands-Vorsitzende in der Öffentlich- keit auftreten, bekennen freimütig, daß sie noch nie eine Abtreibung ge- macht hätten und auch noch nie eine Schwangerenkonfliktberatung*). Sie seien aber auch für die Ärzte da, die das regelmäßig machten, und auf de- ren Druck hin setzten und setzen sie sich für eine weitere „Liberali- sierung" ein, z. B. für den ambulan-

*) Mit Bescheinigung einer Notlagenindikation nach § 218a Absatz 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 218b Absatz 1 Nr. 2.

ten Schwangerschaftsabbruch beim Hausarzt beziehungsweise „Frauen- arzt des Vertrauens".

Mittlerweile 20 Jahre Mandats- träger der Ärzteschaft, habe ich eine erschreckende Gesetzesun- kenntnis der Schwangerschaftsabbrü- che durchführenden Ärzte erlebt.

Schließlich wurden aus insgesamt 28 einschlägigen Zeilen im alten Strafge- setzbuch im Zuge der 1976er Straf- rechtsreform 130 Zeilen, die praktisch kein Arzt mehr kennt. Das heißt, rund 100 Zeilen Strafgesetzbuch-Text

„mehr" haben das Lebensrecht der ungeborenen Kinder objektiv ver- schlechtert.

Eine Verharmlosung

Seit Inkrafttreten der Reform im Juni 1976 bis einschließlich De- zember 1989 sind beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden 1 Million 78 Tausend 250 Schwangerschafts- abbrüche gemeldet worden. Und wenn man davon ausgeht, daß dies nur gut 1/3 der Gesamtzahl ausmacht, dann ist der sogenannte „Pillen- knick" bei der deutschen Bevölke- rungsentwicklung in den alten Bun- desländern mit Rückgang von 58,2 auf 56,9 Millionen in den Jahren 1970 bis 1987 ganz überwiegend ein Abtreibungsknick.

Bei dem verharmlosend so ge- kennzeichneten „Schwangerschafts- abbruch" handelt es sich in Wahrheit ja um die Beendigung des Lebens der Ursache der Schwangerschaft, nämlich des ungeborenen Kindes.

Was jetzt so vollmundig „Selbstbe- stimmungsrecht der Frau" genannt wird, ist somit tatsächlich eine

„Fremdbestimmung über ein ande- res individuelles Menschenleben", also kein Rechtsakt, sondern ein Willkürakt.

Wenn jetzt prominente Poli- tikerinnen — wie z. B. Dr. Irmgard Adam-Schwätzer (F.D.P.), Renate

Der Arzt ist kein Erfüllungsgehilfe

Ernst Th. Mayer

A-4004 (24) Dt. Ärztebl. 87, Heft 50, 13. Dezember 1990

(2)

Schmidt (SPD) und Monika Hohl- meier (CSU) — verkünden, ein zwei- tes Memmingen dürfe es nicht ge- ben, muß man ihnen doch derb ent- gegenhalten, daß sie aus den Mem- minger Vorgängen nicht nur einen falschen Schluß gezogen haben, son- dern offenbar auch von den straf- gesetzlichen Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch nichts wis- sen und nichts verstehen. Meines Er- achtens soll man auch von Politike- rinnen als Staatsbürgerinnen verlan- gen, daß sie jene 130 Zeilen gelten- den Strafgesetzbuch-Text der §§ 218 und 219 einmal gelesen und dabei nicht nur eine Generalklausel der Strafausschließung für Schwangere (sofern sie sich in besonderer Be- drängnis befanden) gefunden haben, sondern zusätzlich zu den vier straf- ausschließenden Indikationen noch viermal den Hinweis, daß die Schwangere selbst dann nicht straf- bar ist, wenn ihr Schwangerschafts- abbrecher grob rechtswidrig gehan- delt hat — in den §s 2181219 also ins- gesamt neunmal die Bestimmung, daß die Frau nicht strafbar ist.

Die Frau bedarf zur endgültigen Straffreiheit doch nur eines Sozialbera- tungsscheines. Und das Abholen ei- nes Bestätigungsscheines für bloß kurzfristige Anwesenheit bei der Be- ratungsstelle ist das Leben eines un- geborenen Kindes doch wohl noch wert? (Für die totale Schuldunfähig- keit einer ungewollt Schwangeren wird wohl niemand eintreten wollen, denn dies wäre nicht nur zynisch, sondern Frauen-verachtend: Sind wir denn etwa der Meinung, daß der Frauenbauch der lebensgefährlich- ste Platz für ein Kind ist?) Die Be- strafung einer Schwangeren kann al- so nur vorkommen bei ungewöhnlich skrupellos-egoistischer Energie des Schwangerschaftsabbrechers, wenn dieser nämlich von der Frau die Vor- lage eines Sozialberatungsscheins als entscheidenden Strafausschließungs- grund nicht verlangt, und zweitens, wenn die Illegalität aufgekommen ist, seine Patientinnen über den Strafbefehl hinaus noch zu einer peinlichen Vernehmung über ihre intimen Verhältnisse durch seine ei- gene Schutzbehauptung zu zwingen, er

könne in jedem Fall eine legale Not- lagenindikation beweisen.

Gewissensfreiheit

„Der Bayerische Ärztetag fordert Staat und Gesellschaft dazu auf, die in der Berufsord- nung für die Ärzte Bayerns — im Gelöbnis und in Paragraph 5 — formulierte Freiheit des ärztlichen Gewissens, jedem Menschenleben von der Emp- fängnis an Ehrfurcht entgegen- zubringen, und die Pflicht, auch das ungeborene Leben grundsätzlich zu erhalten, glaubwürdig zu respektieren und in die Uberlegungen zu ei- ner Reform des Paragraphen 218 StGB miteinzubeziehen."

Resolution des

43. Bayerischen Ärztetages am 13. Oktober 1990

Die Forderung der Politikerin- nen müßte also lauten: Einen Fall wie den des Dr. Theissen darf es nicht mehr geben, denn dieser pflichtvergessene Arzt ist allein schuld an den Strafbefehlen und an den peinlichen Befragungen seiner Patientinnen.

Will man das derzeitige Polit- und Medien-Theater auf den sachli- chen Kern bringen — und zur Aufklä- rung darüber möchte ich beitragen —, dann geht es bei der jetzt anstehen- den 218-Reform schon gar nicht mehr um die Frauen oder ihre Straf- freiheit in jeder Schwangerschaftssi- tuation, sondern einzig und allein um die Straffreiheit der Schwanger- schaftsabbrecher. Schon jetzt been- den weniger als ein Prozent der Ärz- te mehr Menschenleben, als die an- deren mehr als neunundneunzig Pro- zent der Ärzte durch ihre Berufstä- tigkeit zu erhalten in der Lage sind, und zwar alljährlich. Sollte die er- neut anstehende 218-Reform tat- sächlich zur angestrebten Straffrei- heit der Schwangerschaftsabbrecher führen, dann muß der Staat auch da- für Sorge tragen, daß diese spezielle Berufsgruppe der Lebensbeendiger von der verfaßten Ärzteschaft ge- trennt wird. Denn auf Dauer ist es unerträglich, daß das weiße Ja zum Leben und das schwarze Nein gegen

das Leben in einer Berufsgruppe un- ter derselben Berufsordnung an je- dem der 220 Arbeitstage des Jahres sich ereignet.

Die oft nur von mehreren Ärz- ten zu erfüllende Heilungsaufgabe am Patienten macht das Prinzip der Kollegialität zum übergeordneten Anliegen aller Ärzte. Da aber der Heilungsauftrag den Tötungsauftrag außerhalb einer medizinischen Indi- kation ausschließt, reduziert sich beim Umgang mit dem Schwanger- schaftsabbrecher die Kollegialität auf eine bloße Kollaboration. Und die Kollaboration ist (nach Sartre) die Anerkenntnis dessen, was ist, nur weil es ist. Diesem moralischen Pazi- fismus aber tritt der berufsordnungs- gemäß handelnde Arzt entgegen; er wird sich mit der scheinbar unab- änderlichen, weil desinformierten Mehrheit nicht abfinden, sondern mit Wiedervereinigungs-Ausdauer und moralischer Eindeutigkeit das Lebensrecht der ungeborenen Kin- der verteidigen.

Die wahre Ärztin, der wahre Arzt steht bei der Abtreibungsdis- kussion in der ärztlichen Mitte, das heißt, sie/er ist solidarisch mit den Frauen, die ihre Kinder bringen, und auch solidarisch mit den Frauen, die einen oder mehrere Schwanger- schaftsabbrüche hinter sich haben.

Sie bedürfen des Arztes mehr. Zur Vorsorge beziehungsweise zur Ver- hütung von Schwangerschaftsab- brüchen hätte ich gern einen gesetz- lichen Beratungszwang für die dazu- gehörigen Väter, die in mehr als 2/3 der Abtreibungsfälle die Ehemänner sind! Aber ich bin gegen approbierte Mediziner, die regelmäßig Schwan- gerschaften abbrechen oder gar vom Töten leben. Sie bringen die ganze Ärzteschaft in Mißkredit, weil sie sich zu Erfüllungsgehilfen tödlicher Entscheidungen machen. Der Arzt- beruf aber ist seiner Natur nach ein gesundheitserhaltender, ein Heilbe- ruf und kein Auftragsgewerbe.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Ernst Th. Mayer Vorstandsmitglied

der Bayerischen Landesärztekammer Goethestraße 29 8000 München 2

Dt. Ärztebl. 87, Heft 50, 13. Dezember 1990 (27) A-4007

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