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Archiv "Der hippokratische Eid: Ein zeitgemäßes Gelöbnis?" (25.08.2003)

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in neuer hippokratischer Eid ?“ (1) – unter diesem Titel erschien vor kur- zem im Rheinischen Ärzteblatt ein Bericht, der sich mit dem Versuch interni- stischer Berufsverbände befasste, zeit- gemäße ethische Prinzipien zu formulie- ren. Einerseits möchte man diese Initiati- ve begrüßen, andererseits fragt man sich, warum nicht ein übergreifenderes Gremi- um damit befasst wurde. Immerhin zeigt sich in dem Entwurf das Bedürfnis von Ärzten, sich ihrer ethischen Grundlagen im umfassenderen Sinn zu vergewissern.

Bei der Diskussion in der Öffentlichkeit über ärztlich-ethische Fragen wird nicht selten von Laien auf den hippokratischen Eid als Vertrauensgrundlage ver- wiesen. Ihnen ist dabei offensicht- lich nicht bewusst, dass der ange- hende Arzt heutzutage an keiner Stelle seines Berufslebens mit die- sem Eid konfrontiert wird – abge- sehen von nicht obligaten medi- zingeschichtlichen Vorlesungen – und dass er schon gar keinen Eid oder ein Gelöbnis ablegt.

Im Wesentlichen besteht der Eid aus vier Teilen: Anrufung der Götter, Versprechen ge- genüber Lehrern und Schülern, Verhalten gegenüber den Pati- enten sowie Folgen von Wohl- und Fehlverhalten. Im Einzel- nen: Die Anrufung göttlicher In- stanz oder Instanzen im ersten Teil verbietet sich in einer säku- larisierten Gesellschaft mit mul- tikulturellen Tendenzen. Im zweiten Teil wird angesprochen, was heute völlig unzeitgemäß klingt – eine Art Zunftdenken. Dennoch sollte man nicht leichtfertig über den Gedanken hinweggehen, dass der ärztli- che Beruf durch Verantwortung be- stimmt ist, die ein besonderes Verhältnis von Lehrer- und Schülerschaft prägt oder doch prägen sollte.

Im dritten Teil findet sich der Kern dessen, worauf sich Laien beziehen, wenn sie sich auf den „hippokratischen Eid“ berufen. In der Kurzform des „salus aegroti suprema lex“ hat der Hauptge- danke des Patientenwohls den Ausgangs- punkt für die moderne Diskussion um die Selbstbestimmung des Menschen, al- so auch des Kranken, gebildet und in der Umformung „voluntas aegroti suprema lex“ seinen Widerspruch gefunden.Wenn dabei gleichzeitig der zweite Grundsatz des „primum nil nocere“ nicht mehr tra- diert wird, muss man fragen, ob der Ge- danke des hippokratischen Eides über- haupt noch eine Rolle spielt.

Zusammen mit dem Autonomieprin- zip ist die Schwächung des Gedankens der Schadensvermeidung aus ärztlicher Sicht besonders problemreich. So finden sich als gewisse Gegenbewegung Ansät- ze zur Frage der medizinischen Fürsorge im ethischen und auch im juristischen

Diskurs. Die Verfechter der absoluten Selbstbestimmung hatten sogar Anstoß an einem vor Jahren (1978) ergangenen Urteil gegen einen Zahnarzt genom- men, der dem ständigen Drängen einer Patientin nachgab und ihr alle nachweis- lich gesunden Zähne entfernte. Rechts- philosophisch wurde gegen das Urteil eingewandt, dass der Arzt grundsätzlich dem Wunsch seiner Patienten zu folgen habe und dass der Arzt deshalb zu Un- recht verurteilt worden sei. Entgegen dieser Meinung wurde im vergangenen Jahr erneut ein Arzt wegen einer nicht indizierten Behandlung verurteilt, ob- wohl er eine Zustimmung nach einer sachgerechten Aufklärung des betroffe- nen Patienten nachweisen konnte (6).

Absage an aktive Sterbehilfe

Es lässt sich die fortschreitende Tendenz feststellen, wichtige ärztliche Grundsätze durch Rechtsprechung zu ersetzen. Dar- aus entwickelt sich zunehmend die Ge- fahr, dass Ärzte sich an dem eben noch gesetzlich Erlaubten orientieren und nicht nach dem Geist ärzt- lich ethischer Verpflichtung han- deln. Eine besonders problema- tische Stelle des Eides betrifft das Bekenntnis des Abtreibungs- verbots. Auch wenn heute diese Absolutheit nicht mehr akzep- tiert wird, so wäre es dennoch wünschenswert, diese Tradition ins Bewusstsein zu bringen, um eine verantwortliche Indikati- onsstellung anzumahnen.

Lapidar wird der aktiven Ster- behilfe, die man euphemistisch seit dem vorigen Jahrhundert auch als Euthanasie bezeichnet, eine Absage erteilt. Auch wenn man in Deutschland infolge der Verbrechen unter dem National- sozialismus noch hellhörig ist, sollte die Ärzteschaft dennoch in einer Selbstverpflichtung klar- stellen, dass Töten niemals zu den ärztlichen Aufgaben zählen darf. Im Prinzip ist das Arzt-Patient-Verhältnis von gegenseitigem Vertrauen abhängig, weil sich der Kranke oft über die übliche Schutz- und Schamgrenze hinaus dem Arzt ausliefern muss oder sich ihm aus- geliefert sieht. Darauf beruht der hohe T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 34–3525. August 2003 AA2203

Der hippokratische Eid

Ein zeitgemäßes Gelöbnis?

Der Eid bewahrt ein Erbe, das nicht nur historisches, sondern auch ärztlich-ethisches Interesse verdient.

Entnommen aus:Der Eid des Hippokrates,Deutscher Ärzte-Verlag,Köln

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Wert des Arztgeheimnisses,aber auch die überraschend deutliche Verurteilung se- xueller Übergriffe im hippokratischen Eid. Leider sind wir von diesem Problem keineswegs frei (2). Der Eid endet im vierten Teil mit der traditionellen Formel von Lohn oder Strafe bei seiner Einhal- tung oder seinem Brechen.

Nach Form und Inhalt bewahrt der Eid ein Erbe, das heute nicht nur histori- sches, sondern im Prinzip auch ärztlich- ethisches Interesse verdient: Forschung und Lehre sind auch in der Medizin großen Veränderungen unterworfen. Im Gegensatz dazu hat der Arzt und Philo- soph Karl Jaspers (5) darauf hingewie- sen, dass Humanität nicht planbar sei.

Charta zur Berufsethik

Jetzt wird von international-internisti- scher Seite an einer Charta zur ärztlichen Berufsethik gearbeitet. In einem begrün- denden Kommentar schreibt der Wup- pertaler Internist Prof. Dr. med. Johannes Köbberling: „Der ,Eid des Hippokrates‘

ist außerdem nach Inhalten und Formu- lierungen völlig überholt. Er spielt nur noch als historische Reminiszenz eine Rolle.“(7) Die Präambel der Charta be- ginnt mit dem Satz: „Die ärztliche Berufs- ethik ist die Basis für den Kontrakt zwi- schen Medizin und Gesellschaft.“ Zu den folgenden grundlegenden Prinzipien wird dann aber an erster Stelle das Pri- mat des Patientenwohls genannt, gefolgt von dem „Selbstbestimmungsrecht des Patienten“ und der „sozialen Gerechtig- keit“. Im Einzelnen werden die ärztli- chen Verantwortlichkeiten behandelt, die mehr oder weniger berechtigt er- scheinen und im Wesentlichen auch in der Berufsordnung zu finden sind. Man kann aber nicht erkennen, auf welche Weise eine Verbindlichkeit hergestellt werden soll. Damit bleibt das Problem, wie die jeweils nachwachsende Ärztege- neration an ihre Verpflichtungen in einer allgemeinen und feierlichen Form nach- haltig erinnert wird.

Dass daran bei einer jüngeren Ärzte- generation durchaus Interesse besteht, hat vor einigen Jahren ein Bericht aus den USA gezeigt. Bei einer Abschieds- feier in Johns Hopkins rezitierten Stu- denten 1968 erstmals den hippokrati- schen Eid, was nicht bei ihren Kommili-

tonen, sondern den Fakultätsmitgliedern wegen der Passage über die Abtreibung zu Unruhe führte. Der Psychiater McHugh (8) kam beim Vergleich der nachfolgenden Eidmodernisierungen bis 1995 an den berühmten Medizinschulen von Johns Hopkins und Harvard zu ei- nem bedrückenden Schluss. Er empfin- det die modernisierten Eidesformeln als ich-bezogen und mager. Er gibt den Stu- denten folgenden Rat: Sie sollen auf- hören, Eide zu rezitieren und sich statt- dessen lieber dem Dienst am Kranken widmen. Sie würden dabei die Ideale me- dizinischer Praxis erkennen und: „wie vielen Kräften außerhalb der Medizin – kommerziellen, bürokratischen, ideolo- gischen – widerstanden werden muss, um heutzutage das Leben und den Geist kranker Menschen zu schützen“. Er schließt: „Wenn die Studenten nachden- ken, werden sie schließlich erkennen, dass nichts von dem, was sie bei ihren Versuchen herausgefunden haben, Hip- pokrates überrascht hätte.“

Einerseits erkennt man aus diesem Bericht die Bemühungen der jungen Ge- neration, sich selbst in die Pflicht zu neh- men, andererseits aber auch die Gefah- ren zeitbedingter Veränderungen. In den vielfältigen Anfechtungen in heutiger Zeit auf politischer, administrativer, juri- stischer und ökonomischer Ebene sollte man über die von McHugh anvisierte Selbsterfahrung hinaus doch einen Halt oder wenigstens eine Richtung vorge- ben.Tatsächlich gibt es so etwas schon: In der von der Bundesärztekammer erar- beiteten und von den Ärztetagen jeweils aktualisierten (Muster-)Berufsordnung (MBO) für die deutschen Ärztinnen und Ärzte (3) findet sich zu Beginn die lapi- dare Vorbemerkung: „Für jeden Arzt gilt folgendes Gelöbnis“, und dann heißt es:

„Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.

Ich werde meinen Beruf mit Gewissen- haftigkeit und Würde ausüben. Die Er- haltung und Wiederherstellung der Ge- sundheit meiner Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein. Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wah- ren. Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten und bei der Ausübung meiner ärztlichen

Pflichten keinen Unterschied machen weder nach Religion, Nationalität, Rasse noch nach Parteizugehörigkeit oder so- zialer Stellung. Ich werde jedem Men- schenleben von der Empfängnis an Ehr- furcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden. Ich werde meinen Lehrern und Kollegen die schul- dige Achtung erweisen. Dies alles ver- spreche ich auf meine Ehre.“

Veränderte Reihenfolge

Im Vergleich zum hippokratischen Eid fällt die veränderte Reihenfolge auf.

Die MBO beginnt nach dem erwarteten Wegfall der göttlichen Anrufung mit einem allgemeinen Bekenntnis zur Menschlichkeit und der Zusicherung ge- wissenhafter Berufsausübung. Formeln, von denen man hofft, dass sie für alle Be- rufe beziehungsweise Berufstätige offizi- ell gelten sollten. Im Gegensatz dazu spricht der Eid nach den Studienbedin- gungen von der Verpflichtung des Arztes dem Patienten gegenüber zu dessen Wohl und Schadensabwehr und fügt gleich das Euthanasieverbot hinzu, das im Gelöbnis mit der Ehrfurcht vor jedem Menschenleben umschrieben wird.

Im Kern ist in dieser Gelöbnisfassung also Wichtiges enthalten. Dennoch gibt es ein Problem: Dieses Gelöbnis steht nur auf dem Papier, nämlich in den Un- terlagen,die man zu Beginn der Mitglied- schaft in der Ärztekammer erhält. Im Sinne einer Stärkung des ärztlich-ethi- schen Bewusstseins sei deshalb der Vor- schlag erneuert (4), bis zu einer besseren Regelung die neuen ärztlichen Mitglie- der bei der jeweiligen Ärztekammer- kreisstelle das Gelöbnis persönlich able- gen zu lassen, vergleichbar dem, was Staatsbedienstete, Soldaten, aber zum Beispiel auch Rechtsanwälte bei Aufnah- me in den jeweiligen Verband leisten.

Der Gehalt des hippokratischen Eides sollte jedenfalls auch heute noch leiten.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit3403 abrufbar ist.

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Friedrich Wilhelm Eigler Sundernholz 13

45134 Essen T H E M E N D E R Z E I T

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A2204 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 34–3525. August 2003

Referenzen

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