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Archiv "Fast 2 400 Jahre alt und noch immer im Gespräch: Der Hippokratische Eid" (17.12.1993)

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THEMEN DER ZEIT AUFSATZE

Fast 2 400 Jahre alt und noch immer

Frisch promovierte Ärzte in Heidelberg und Berlin erhalten das Ärztegelöbnis der heilkundigen Hellenen

D

er Hippokratische Eid ent- stand als erster Text über ethische Richtlinien für Ärzte um etwa 400 v. Chr. Hippo- krates von Kos (460 bis 377 v. Chr.) ist wahrscheinlich nicht selbst der Autor dieses Textes, der Eid kommt seiner geistigen Haltung jedoch sehr nahe.

Er war eine Leitlinie für die griechi- schen Ärzte der Antike, damit diese medizinisch erfolgreich arbeiten und wirtschaftlich überleben konnten.

Heute gilt er unter Medizinern und Laien als Mischung aus traditionel- lem Denkschema und festem Kli- schee. Der Hippokratische Eid ist als historisches, pragmatisches und zeit- gebundenes Dokument zu verstehen, das ein Zeiches für sinnvolles ärztli- ches Denken und Handeln setzt.

Zur Interpretation

Professor Dr. med. Axel Bauer von der Universität Heidelberg schreibt in seinem Kommentar zum Hippokratischen Eid, daß die techni- schen Möglichkeiten der Medizin in der Antike sehr begrenzt gewesen seien, deshalb hätten die Hippokrati- ker keine diagnostische Medizin wie heute, sondern eine prognostisch ori- entierte Heilkunde betrieben: sie hätten versucht, körperliche Zeichen zu deuten. Wer damals Arzt werden wollte, habe sich von einem aner- kannten Meister theoretisch und praktisch ausbilden lassen. Deshalb regele der Hippokratische Eid die Rechtsbeziehung zwischen Lehrer und Schüler. Im Vertrag seien so- wohl das Honorar als auch die Al- tersversorgung des Lehrers festge- legt. Daraus folge, daß der Eid vor Beginn der Ausbildung abgelegt wor- den sei und nicht erst nach ihrem Ab- schluß.

Bei der Behandlung von Krank- heiten sei es dem Arzt nach Ansicht

von Professor Dr. med. Axel Bauer nicht nur um die Pflege des Patien- ten, sondern auch um seine berufli- che Existenz gegangen. Manchmal sei es angesichts der beschränkten therapeutischen Möglichkeiten sehr viel klüger gewesen, nichts zu tun und damit zusätzlichen Schaden durch eine falsche Behandlung zu vermeiden. Zur Aufgabe des Arztes habe es außerdem gehört, Leben zu erhalten. Daher würden Tötung, Sterbehilfe und Abtreibung im Eid abgelehnt. Das Verbot, Blasenstein- kranke zu operieren, sei als Risiko- minimierung in der damaligen Zeit zu sehen. Es habe angesichts der technischen Möglichkeiten von heute keine Bedeutung mehr. Die Einhal- tung der Schweigepflicht zum Schutz der Patienten und das Verbot von ungezügelter Sexualität seien damals wie heute wichtige Bestandteile für das Ansehen des Arztes in der Ge- sellschaft gewesen. Abschließend würden im Eid die Sanktionen be- nannt, die eidesbrüchigen Ärzten drohten. Dabei würden laut Profes- sor Dr. med. Axel Bauer die beiden wohl stärksten motivierenden Kräfte herausgestellt: der materielle Erfolg und der dauerhafte Nachruhm bei al- len Menschen für alle Zeiten.

Professor Dr. med. Axel Bauer kommt in seiner Arbeit zu dem Schluß, daß der Hippokratische Eid deshalb in der Antike funktionsfähig gewesen sei, weil er die ethischen Maximen nicht in Widerspruch zu

den Eigeninteressen des Arztes ge- stellt habe. Die sittlichen Verpflich- tungen hätten deshalb eingehalten werden können, weil die berechtigten Ansprüche aller Beteiligten in ein faires Gleichgewicht gebracht wor- den seien. Diese gelungene Balance erscheine als die eigentliche, histo- risch bemerkenswerte Leistung des Hippokratischen Eides. Als normati- ve Richtschnur für das Handeln des heutigen Arztes könne er vor dem ge- wandelten wissenschaftlichen und so- zialen Kontext der Gegenwart jedoch nicht mehr dienen.

Entwicklung vom Eid zum Gelöbnis

Im Laufe der Zeit haben sich aufgrund zahlreicher Veränderungen und neuer Formulierungen des Hip- pokratischen Eides verschiedene Va- rianten herausgebildet. Einige Ein- zelaussagen wie das Steinschnittver- bot erübrigten sich mit den verbes- serten Behandlungsmethoden und wurden gestrichen. Mit der medizini- schen Ausbildung an Universitäten war auch der Passus über das Ausbil- dungsverhältnis von Lehrer und Schüler nicht mehr haltbar.

Im christlichen Mittelalter wurde die Berufung auf Apollon durch die Berufung auf Gott ersetzt, damit blieb der Bezug auf eine übermenschliche Instanz jedoch bestehen. Eine star- ke Wandlung der traditionellen Ei-

im Gespräch:

Der Hippokratische Eid

An verschiedenen medizinischen Fakultäten wie unter anderem an der Universität in Hei- delberg oder der Humboldt-Universität in Berlin erhalten die frisch promovierten Mediziner im Rahmen einer Feier neben ihrer Promotionsurkunde eine Fassung des Hippokratischen Eides. Professor Dr. med. Axel Bauer hat den Eid aus diesem Anlaß im Auftrag der Medizi- nischen Fakultäten in Heidelberg neu aus dem Griechischen übersetzt und einen medizinhi- storischen Kurzkommentar dazu geschrieben. Der Eid ist nicht mit dem Genfer Ärztegelöbnis zu verwechseln, das der Berufsordnung der einzelnen Bundesländer als Präambel vorange- stellt ist, auch wenn dieses Gelöbnis oft als moderne Fassung des Hippokratischen Eides gilt.

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 50, 17. Dezember 1993 (31) A1-3367

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THEMEN DER ZEIT

desformel ergab sich mit der Formu- lierung des Genfer Ärztegelöbnisses.

Es wurde von der zweiten General- versammlung des Weltärztebundes im September 1948 in Genf unter dem Eindruck der ärztlichen Verbre- chen gegen die Menschlichkeit wäh- rend der nationalsozialistischen Ge- waltherrschaft verabschiedet. Der er- ste Abschnitt des Eides ist gestrichen und durch eine Berufung auf die Eh- re ersetzt worden. Außerdem sind die Angaben zum Zeitpunkt der Ver- pflichtung und zur Schweigepflicht im Genfer Gelöbnis präziser. Neu hinzugekommen

ist der Passus, daß religiöse, na- tionale, rassisti- sche, partei- oder klassenbezogene Momente bei der Behandlung eines Patienten keine Rolle spielen dürfen. Der Weltärztebund hatte die Aufnah- me der westdeut- schen Ärzte nach dem Zweiten Weltkrieg von der Übernahme des Genfer Gelöbnis- ses abhängig ge-

macht. Der 59.

Deutsche Ärzte- tag 1956 in Mün- chen stellte das Genfer Gelöbnis der Musterbe-

rufsordnung für die Deutschen Ärzte als Präambel voran.

Vom 82. Deutschen Ärztetag 1979 wurde eine Verpflichtungsfor- mel für westdeutsche Ärzte verab- schiedet, die sich am Genfer Gelöb- nis orientierte. Die einzigen Unter- schiede: man tritt nicht auf der Grundlage ausschließlich autonomer Entscheidungskraft „in den ärztli- chen Berufsstand ein" (Genfer Ge- löbnis), sondern wird „in den ärztli- chen Berufsstand aufgenommen".

In der DDR wurde der Hippo- kratische Eid 1976 ganz abgeschafft.

Seitdem gelobten Medizinstudenten nach dem Staatsexamen, „...in hoher Verpflichtung gegenüber der sozialistischen Gesellschaft und ih-

AUFSÄTZE

ren Bürgern, eng verbunden mit der DDR, dem Vaterland, alles Wissen und alle Kraft dem Schutz und der Verbesserung der Gesundheit sowie der Heilung und Verhütung von Krankheiten zu widmen".

Heute befindet sich vor allen Be- rufsordnungen der verschiedenen Bundesländer eine Präambel, die sich an der Verpflichtungsformel der deutschen Ärzte orientiert.

Der Arzt ist nur den verbindli- chen Normen der ärztlichen Berufs- ordnung unterstellt, nicht aber dem den Berufsordnungen vorangestell-

rufsordnung, das Genfer Gelöbnis und den Hippokratischen Eid? Dazu führte das „Deutsche Ärzteblatt" per Telefax eine Umfrage bei den Lan- desärztekammern in Deutschland durch. Hier das Ergebnis:

In fast allen Kammern erhalten die Ärzte, die sich neu anmelden, in einer Begrüßungsmappe zusammen mit der Kammerordnung und der Weiterbildungsordnung auch die ärztliche Berufsordnung des jeweili- gen Bundeslandes mit der entspre- chenden Präambel. In Brandenburg erhalten die Ärzte auf Anfrage eine

Kopie der Berufs- ordnung und den Text des Hippo- kratischen Eides.

Nur die Ärzte- kammern Nieder- sachsen und Mecklenburg- Vorpommern in- formieren auto- matisch über den Text des Hippo- kratischen Eides.

In den Ärztekam- mern Hessen, Westfalen-Lippe, Baden-Württem- berg und Nord- rhein erhalten In- teressenten den Wortlaut des Hippokratischen Eides auf Nach- frage; in Bremen ist er in der Bi- bliothek zugäng- lich. In der Ärztekammer Hessen fin- det einmal wöchentlich eine Begrü- ßungsveranstaltung für neuzugelas- sene Ärzte statt, auf der Themen wie der Hippokratische Eid oder ähnli- ches besprochen werden.

Übrigens, nicht alle Landesärz- tekammern unterscheiden zwischen dem Hippokratischen Eid und dem Genfer Gelöbnis beziehungsweise dessen aktuellster Fassung. So schrieb uns eine Landesärztekam- mer, daß der Hippokratische Eid ih- rer Berufsordnung vorangestellt sei.

Von einer anderen Kammer hörten wir, zwischen dem Genfer Gelöbnis und dem Hippokratischen Eid gebe es keinen Unterschied.

Petra Geschwandtner-Andreß Die neue Übersetzung von Professor Dr. med. Axel Bauer, Heidelberg

ten Gelöbnis. Schon das bayerische Verfassungsgericht hat 1979 festge- stellt, daß das Gelöbnis in der Be- rufsordnung keinen Rechtsnormcha- rakter hat. Aus diesem Grund hat die Landesärztekammer Baden-Würt- temberg ihrer Berufsordnung eine vom Vorsitzenden der Ethikkommis- sion verfaßte Eingangsfassung voran- gestellt, die sich am Genfer Gelöbnis orientiert.

Rechtlich gesehen ist das Gelöb- nis nur eine Zusammenfassung stan- desethischer Grundsätze und ander- weitig geregelter Berufspflichten der Ärzte.

Wie informieren die Ärztekam- mern die neuzugelassenen Ärzte in ihrem Kammerbezirk über die Be-

Der Hippokratische Eid

Ich schwöre bei Apollon dem Arzt und bei Asklepios, Hygieia und Panakeia sowie unter Anrufung aller Götter und Göttin- nen als Zeugen, daß ich nach Kräften und gemäß meinem Urteil diesen Eid und diesen Vertrag erfüllen werde:

Denjenigen, der mich diese Kunst gelehrt hat, werde ich meinen Eltern gleichstellen und das leben mit ihm teilen; falls es nötig ist, werde ich ihn mitversorgen. Seine männlichen Nachkommen werde ich wie meine Brüder achten und sie ohne Honorar und ohne Vertrag diese Kunst lehren, wenn sie sie erlernen wollen. Mit Unterricht, Vorlesungen und allen übrigen Aspekten der Ausbildung werde ich meine eigenen Söhne, die Söhne meines Lehrers und diejenigen Schüler versorgen, die nach ärztlichem Brauch den Vertrag unterschrieben und den Eid abgelegt haben, aber sonst niemanden.

Die diätetischen Maßnahmnen werde ich nach Kräften und gemäß meinem Urteil zum Nutzen der Kranken einsetzen, Schädigung und Unrecht aber ausschließen. Ich werde niemandem, nicht einmal auf ausdrückliches Verlangen, ein tödli- ches Medikament geben, und ich werde auch keinen entsprechenden Rat erteilen; ebenso werde ich keiner Frau ein Ab- treibungsmittel aushändigen. Lauter und gewissenhaft werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren. Auf keinen Fall werde ich Blasensteinkranke operieren, sondern ich werde hier den Handwerkschirurgen Platz machen, die darin erfahren sind. In wieviele Häuser ich auch kommen werde, zum Nutzen der Kranken will ich eintreten und mich von jedem vor- sätzlichen Unrecht und jeder anderen Sittenlosigkeit fernhalten, auch von sexuellen Handlungen mit Frauen und Män- nern, sowohl Freien als auch Sklaven. Über alles, was ich während oder außerhalb der Behandlung im Leben der Men- schen sehe oder höre und das man nicht nach außen tragen darf, werde ich schweigen und es geheimhalten.

Wenn ich diesen meinen Eid erfülle und ihn nicht antaste, so möge ich mein Leben und meine Kunst genießen, gerühmt bei allen Menschen für alle Zeiten; wenn ich ihn aber übertrete und meineidig werde, dann soll das Gegenteil davon ge- schehen.

A1-3368 (32) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 50, 17. Dezember 1993

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