Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 18 vom 4. Mai 1984 (89) 1469 u_
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Kulturmagazin
Der Eid des Hippokrates
für Klavier zu 3 Händen
Mauricio Kagel komponierte fürs Deutsche Ärzteblatt:
Der Eid, dem alle Ärzte zutiefst verpflichtet sind Am 13. Mai 1984 wird das Klavierstück uraufgeführt beim Festival von Radio Bremen „pro musica nova"
Z
u dem Klavierstück „Der Eid des Hippokrates", das Mauricio Kagel für das Deutsche Ärzteblatt komponiert hat (die Partitur, gestochen nach dem Originalmanuskript, ist auf den folgenden Seiten wiedergegeben), schreibt Pro- fessor Dr. Werner Klüppelholz:Das vorliegende Stück ist so ernst gemeint wie seine erste Vortragsbezeichnung „grave".
Zwei seiner Bestandteile wer- den gleich zu Beginn exponiert, im Klavier III ein Baßton (d) und im II. Klavier eine auf dem Kor- pus zu trommelnde rhythmische Figur (eine seit Hindemiths
„Suite 1922" — „Betrachte das Klavier als interessante Art von Schlagzeug" — durchaus geläu- fige Art des Klavierspiels). Den Beginn des Hippokratischen Ei- des („Ich schwöre bei Apoll dem Arzte und Asklepios und Hygieia und Panakeia und allen Göttern und Göttinnnen ...") über-
DER EID DES HIPPOKRATES
FÜR KLAVIER ZU 3 HÄNDEN
Mauricio Kagel 1984 Grave (.h=ea 60)
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sehr zart aber klangvoll
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Litolff/Peters Nr. 8533 31329 © 1984 by Henry Litolff's Verlag
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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Mauricio Kagel
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3. Pedal bis Takt 29 halten hold sostenuto pedal to bar 29
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"Durch die rasche Betätigung des Pedals kurz nach dem Anschlag der Akkorde kann manchmal ein kurzer Nachhall entstehen.
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1470 (90) Heft 18 vom 4. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A
Das Atlantic-Hotel als Ansichtskartenmotiv aus dem Jahre 1925
Ein Bauklotz mit Persönlichkeit
Das Atlantic-Hotel in Hamburg wird 75 Jahre jung
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Mauricio Kagel FEUILLETON
Fortsetzung von Seite 1469 nimmt Kagel übrigens recht wörtlich, wiewohl sich diese Fi- gur — ein exaktes Morsen des Sprachrhythmus wäre denn doch zu trivial — im II. Klavier bald motivisch verselbstän- digt.*) Währenddessen entwik- kelt sich im Klavier III eine ein- händige Zweistimmigkeit, und im II. Klavier tritt das dritte Ele- ment des Stückes hinzu, ein sanft dissonanter Klang, der sich traurig tröpfelnd, zögernd und mühsam in Halbtönen aufwärts schiebt und dabei sich intern verändert; Kagel nennt ihn
„sklerotisch". Solche Beschrän- kung der Mittel und das Ausspa- ren jeglicher Klangfülle — ganz zu schweigen von seiner techni- schen Anspruchslosigkeit — wird allein gegen Ende hin ein wenig aufgegeben, wo sich im II. Kla- vier, „cantabile" beginnend, ei- ne zarte Melodie andeutet (mit dem Kern einer kleinen Sexte), sich nur einen Augenblick lang hervorwagt, um wieder dem Schweigen anheimzufallen, das den stummen Schwur vorberei- tet.
„Für Klavier zu 3 Händen": liegt darin eine Erinnerung an Paul Wittgenstein (den einarmigen Pianisten des einhändigen Kla- vierkonzerts G-Dur von Maurice Ravel) oder eine Ahnung chirur- gischen Mißgeschicks? Vor al- lem folgt Kagel damit, wie auch sonst häufig, einem dramaturgi- schen Grundprinzip, demnach aus der Untätigkeit, dem Stumm-Bleiben erwartungsvolle Spannung erwachsen kann. Und zudem ist beiläufig die Gelegen- heit gegeben, darüber nachzu- denken, wieviel Töne für ein Kla- vierstück zwingend notwendig seien. Werner Klüppelholz
*) Kagels Prinzip von Gewöhnung und Verstörung folgend, demgemäß ein rhythmisches Muster beim Hörer so- gleich die Erwartung seiner Wiederho- lung weckt, die Kagel indes selten ein- löst, einfach, um einer gewissen schläfrigkeitsfördernden Bestätigung vorzubeugen.
„Der gewaltige Hotel-Neubau in der unvergleichlichen Lage am Alsterufer mit dem wundervol- len Blick über die weite Wasser- fläche ist nun vollendet. Er be- deckt fast das ganze Viertel, das von der Straße an der Alster, dem Holzdamm und der Alster- twiete umgrenzt wird, und stellt sich als ein Gebäude dar, das nicht nur in Hamburg seinesglei- chen sucht", schrieb 1909 der Berichterstatter des „Hamburgi- schen Correspondent".
Und in der Tat muß das Atlantic- Hotel in Hamburg damals ein aufsehenerregendes Bauwerk gewesen sein: nicht nur wegen seiner weithin über die Alster leuchtenden weißen, klassizisti- schen Fassade, sondern auch wegen seiner Ausmaße. Eine eben im Jahr 1907 fertig gewor- dene Anzahl Privathäuser ließ die Bauherrin, eine Berliner Ho- telgesellschaft, wieder abreißen, um in dieser exponierten Lage ein Grand-Hotel zu errichten.
Und das in der für damalige Zei- ten unvorstellbar kurzen Bauzeit von nur zwei Jahren. Am 2. Mai 1909 öffnete das Atlantic seine Pforten.
Es war eine Zeit der wirtschaft- lichen Expansion. Die Einwoh- nerzahl Hamburgs ging auf die Millionenmarke zu. Der Über- seehandel mit Amerika über den Atlantik nahm größere Ausmaße an, und die Passagierschiffahrt erlebte eine Blütezeit. Und nicht von ungefähr hat das Hotel den Namen „Atlantic" bekommen.
Denn zu den frühesten Freun- den des Hauses zählte der Ree- der Albert Ballin, Generaldirek- tor der Hamburg-Amerika-Linie (Hapag), unter dessen Führung sich diese zur größten Reederei der Welt entwickelte. Die Passa- giere der gigantischen Luxus- Schiffe, wie zum Beispiel der 50 000 BRT großen „Imperator", waren bei Ankunft und Abfahrt Gäste des entsprechenden Lu- xus-Hotels.
Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 18 vom 4. Mai 1984 (99) 1473