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Zwei Pole der Kunst

Im Dokument Kunst ausstEllEn (Seite 90-93)

Quandt publizierte den bericht seiner reise nach spanien 1850 während des neubaus der dresdener Gemäldegalerie durch Gottfried semper 1847 bis 1855. Mit einem fernblick verglich er Madrid mit dresden. er beanstandete die Präsentation der

145 Mosen 1844, S. 5–30.

146 Lange 2007, S. 26–31. S. a. Karge 2007, S. 50; Kat. Frankfurt 1994, S. 22–23. Eigentlich hatte Quandt schon 1819 eine Reise nach Spanien geplant, stattdessen aber auf seine zweite Italienreise ging. Brief an Unbekannt vom 9.3.1819, in: Berlin, SMB, Zentralarchiv, Autographen-sammlung, Mappe 1133, Quandt, Johann Gottlob von, fol. 3v–4r: »Mei-ne Reise nach Spanien habe ich aufgegeben, aus vielen Gründen, um so gewißer aber ist es, daß ich im Monath Maÿ nach Italien reise.«

147 Quandt 1850 (1), S. 33–37: »Jede Nation, worunter ich einen kräftigen Völkerstamm, Eingeborne eines Landes verstehe, die untereinander durch gleiche Naturgaben verbunden sind und gleichsam ein großes Individuum bilden, welches sich durch eigenthümliche Richtungen des Geistes von andern Nationen unterscheidet, wird gewiss eine Ursprache und eine eigenthümliche Kunst haben […].« S. a. ebd., S. 197–199; Börner 2015, S. 129–136.

148 Quandt 1850 (1), S. 298: »Man kann jedoch die Epochen der spani-schen Kunstgeschichte nur als Nachwirkungen der italienispani-schen Betrachten. Die italienische Kunst ging im Steigen und Sinken der spanischen immer voraus.« Ebenso im Brief von Quandt an Carl Lam-pe vom 30.9.1853, in: Leipzig, Universitätsbibliothek, 394, Quandt, von, (Rep. VI 25 zh 7): »Versprechen Sie sich jedoch nicht zuviel von diesen Bildern, denn selbst die vorzüglichsten spanischen Meister sind Nachahmer der Bolognieser(sic!) und nur Murillo hat, jedoch selten, seine Muster übertroffen.« S. a. Börner 2015, S. 115–117.

149 Brief von Quandt an die Cotta’sche Verlagsbuchhandlung (wahr-scheinlich Johann Georg Cotta) vom 9.2.1848, in: Deutsches

Litera-turarchiv Marbach, Cotta-Archiv (Stiftung der Stuttgarter Zeitung):

»Noch muß ich bemerken daß am Schluß eine chronologische u zugleich sÿnchronistische Künstlertabelle gegeben wird, welche die spanischen Künstler mit denen andrer Nationen zusammenstellt u die Kunstgeschichte mit den wichtigsten Ereignissen in Verbindung darstellt.« Die Synopse kam nicht zur Publikation.

150 Quandt 1850 (1), S. 170. S. a. Börner 2015, S. 110–111, 118.

151 Quandt 1850 (1), S. 276–298. S. a. Börner 2015, S. 115–119.

152 Quandt 1850 (1), S. 153: »Leider füllt man jetzt auch in Deutschland Museen mit Bildern an, die man nur Gemälde nennen kann, und bezahlt die Werke der spanischen Schule, von welcher das beste nicht zu bekommen ist, als Raritäten sehr theuer. Wir sollten aber doch mit mehr Kunstsinn sammeln […].« Ebd., S. 297f.: »Da aber Alles in einem unendlichen Zusammenhang von Wechselwirkungen steht, so wird uns die Kunstgeschichte eines Volks für sich abgesondert nie deutlich und wir müssen einen synchronistischen Ueberblick zu gewinnen suchen, von wo aus sich die Zustände der Kunst eines Volks mit den weltgeschichtlichen Umständen in Verbindung zeigen.« Über die Dresdener Ankäufe spanischer Gemälde war Quandt nicht glücklich:

»Ich kann bei diesen Gemälden welche für die Gallerie gekauft wur-den wie die Jungfrau von Orleans ausrufen: Ach es war nicht meine Wahl! – Wir haben zwar für eine kleine Summe viel Bilder bekommen, aber umgekehrt wäre es besser, wenig jedoch vorzügliche Bilder für viel Geld.« Brief von Quandt an Carl Lampe vom 30.9.1853, in: Leipzig, Universitätsbibliothek, 394, Quandt, von, (Rep. VI 25 zh 7). S. a. Weni-ger 2003, S. 341.

Gemälde im Museo Real de Pintura y Escultura, dem heutigen Prado: es fehle eine chronologische anordnung, die »das Zu-sammensuchen der einem Zeitabschnitte angehörigen Werke äußerst beschwerlich [mache], und [es sei] ganz unmöglich, durch vergleichung der bilder einer schule eine genetische kunstgeschichtliche anschauung gewinnen zu können  […]«.

Man könne aber dem Madrider direktoren deswegen keinen vorwurf machen, ebenso wenig ihm selber, »wenn das künftige Museum in dresden dieselben uebelstände bekommt, die das Museum in Madrid hat.«153

hierin versteckt sich ein seitenhieb gegen die neue Gemäl-degalerie in dresden, für die direktor Julius schnorr von carols-feld in jener Zeit hängungspläne entwarf. nach vollendung des baus stellte schnorr die Gemälde im Museumsneubau weiterhin den Kunstschulen entsprechend aus. auch hatte semper mit der aufteilung des Gebäudes in große oberlichtsäle und klei-nere Kabinette einen Museumsbau entworfen, wie ihn leo von Klenze in München mit der Pinakothek erfolgreich umgesetzt hatte.154 doch die alte unterteilung der inneren und äußeren Ga-lerie in die italienischen und niederländischen schulen blieb in den beiden flügeln des semperbaus erhalten. die Zweiteilung war durch den erhöhten, zwischen den ausstellungssälen liegen-den Kuppelraum bedingt. dadurch, dass der Zugang über diesen

zentralen raum erfolgte, wurden die flügel nur über treppen erreichbar, so dass eine seite der italienischen, die andere der deutsch-niederländischen Kunst gewidmet war (abb. 95).155

allerdings spitzte sich die Problematik eines raums auser-lesener Gemälde im neuen Gebäude deutlich zu. die bereits im alten stallhofgebäude beobachtete tendenz einer isolierenden exklusivität der säle der deutschen Maler und raffaels ver-stärkte sich mit der einrichtung der neuen sempergalerie. der versuchte ausgleich und die einbindung der räume deutscher und italienischer Gemälde in die Kunstgeschichte, wie sie der 1843 im Katalog vorgeschlagene rundgang durch das alte Ge-bäude angeregt hatte, verlor sich im neuen GeGe-bäude. schnorr setzte hier nämlich um, was schon früher gefordert worden war:

in einem isolierten eckkabinett des westlichen seitenflügels, abseits aller besucherströme, wurde die Sixtinische Madonna in einem altarartigen rahmen und als einziges Kunstwerk des raums aufgestellt. sie wurde so komplett der vergleichbarkeit entzogen und verabsolutiert. das äquivalente Kabinett des ost-flügels erhielt ebenfalls einen altarartigen aufbau mit holbeins Meyermadonna im Zentrum, umgeben vom hausaltärchen van eycks und einigen weiteren Gemälden holbeins, dürers und rogier van der Weydens, womit immerhin ein kunsthistori-scher Kontext beibehalten wurde.156

153 Quandt 1850 (1), S. 265f.

154 Schölzel 2012, S. 258–261; Penzel 2007, S. 184–188; Laudel 2003, S. 187;

Mallgrave 2001, S. 118; Magirius 1992 (1), S. 73 ; Magirius 1992 (2), S. 29–

30. Einen Überblick über die Hängung im Semperbau der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bietet Marx 1992 (1), S. 96–101. S. a. Marx 1992 (2), S. 17–18; Schäfer 1860, S. 145.

155 Mallgrave 2001, S. 122. Semper hatte sich in seinen ersten Plänen für einen wesentlich niedrigeren Baukörper eingesetzt, der die Di-mensionen des Zwingers besser aufgenommen hätte. Weil man sich schließlich für einen hohen, rundbogigen Durchgang in der Mitte des

Gebäudes entschied, kam auch der zentrale Raum höher zu liegen.

Zudem hatte man nach Baubeginn festgestellt, dass die Hängefläche für die Gemälde nicht ausreichen würde. 1848 wurde der Bauplan in Länge und Breite erweitert, die Kuppel erhöht und die beiden Eckflü-gel angefügt; s. a. Marx 1992 (2), S. 14–15; Schäfer 1860, S. 118–119.

156 Die Aufteilung wurde von vielen Zeitgenossen, darunter Carl Gustav Carus, Gustav Friedrich Waagen und Hermann Freiherr von Friesen begrüßt. Holbeins Meyermadonna wurde schon von August Wilhelm Schlegel zum Charakterbild des Deutschen erhoben und mit Raffael verglichen; siehe Schlegel 1996, S. 39–45 sowie Kommentar und Nach-95 Grundriss der Gemäldegalerie Dresden, in: Quandt 1856, nach S. 8

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Quandt war der isolierten Präsentation von raffaels Sixti-nischer Madonna und der holbein zugeschriebenen Meyerma-donna nicht abgeneigt. er dachte die beiden Gemälde zusam-men. schon 1846 hatte er erklärt, holbeins bild sei würdig, sich in derselben sammlung zu befinden wie raphaels strahlendes Werk, ohne sich verstecken zu müssen.157 Gegenüber schnorr hatte er im herbst 1858 und frühling 1859 die Meinung geäu-ßert, holbeins Meyermadonna müsse isoliert werden. er war der ansicht, dass sie, wie raffaels Sixtinische Madonna auch, ohne jegliche begleitende Gemälde alleine präsentiert werden müsse.158 diese haltung mag zunächst überraschen. Warum verlangte Quandt plötzlich die totale isolation der Meyerma-donna, wo er vorher für die Kontextualisierung von Kunstwer-ken plädiert hatte? es scheint hier weniger um die isolation zweier Künstlergenies außerhalb der Kunstgeschichte zu ge-hen, als um fragen charakteristischer Kunst einer nation und um vorbildrollen.159

Quandts Begleiter durch die Gemälde-Säle von 1856 gibt aufschluss. er verglich die Meyermadonna als höhepunkt der deutschen Malerei mit der Sixtinische Madonna als Gipfel der italienischen Kunst. der Kunstkenner verstand dabei die bei-den Künstler als individuelle ausprägungen der deutschen und italienischen Kunstauffassung. die beiden Meisterwerke, so Quandt, machten bewusst, »worin die eigenthümlichkeit des characters der deutschen und der italienischen Kunst liegt.«160 nach der besichtigung der hauptsäle gemäß der abfolge, wie

Quandt sie im beigefügten Grundriss des Begleiters festlegte, rundeten raffael und holbein die italienische beziehungs-weise niederländisch-deutsche Kunstgeschichte ab. die bilder der beiden Künstler wurden so zu ebenbürtigen Zeichen einer nördlichen und südlichen Kunstgeschichte.

Mit dem Begleiter offerierte Quandt dem Galeriebesucher einen gedruckten führer, der ausgewählte Werke herausgriff.

einerseits war es sein Ziel, dem eiligen reisenden das Wich-tigste zusammenzufassen, andererseits dem »ruhigen be-schauer« das »ausgezeichnete« vor augen zu führen. die an-schauung stand dabei im Mittelpunkt. er wollte erklären und nicht beschreiben, wie es im offiziellen Galeriekatalog teilweise der fall war. darunter verstand der autor natürlich erklärun-gen im sinne seines eierklärun-genen Kunstverständnisses. demnach wollte er »in das bewusstseyn des beschauers die immanente idee […] rufen, welche der Künstler in einem bilde vergegen-wärtigte.«161 im Begleiter verfolgte Quandt eher eine ästhetisch-didaktische denn eine wissenschaftliche führung entlang der Geschichte der Kunst.162 im Gegensatz zu seiner offiziellen Mitarbeit an der Galeriehängung von 1843, die gewissen bedin-gungen unterworfen war, konnte er in seinem führer durch die sempergalerie, der kein Katalog war, den betrachter nach sei-nen vorstellungen von einem Gemälde zum nächsten leiten. er konnte seine eigene linie der Kunstgeschichte verfolgen. dies ist die Geschichte des vernünftigen »Menschengeistes«, die sich in der Kunst niederschlägt. es ist die schönheit des Gedankens,

wort von Lothar Müller, ebd., S. 139f., 186f. Zum Prozess der Polari-sierung von Raffael und Holbein siehe Schnorrs Tagebucheinträge, in: Schnorr 1896, Jg. 5, Nr. 2, S. 258; Schnorr 1897, Jg. 6, Nr. 3, S. 53f., 56;

Schnorr 1899, Jg. 8, Nr. 3, S. 197–199. S. a. Bader 2013, S. 27–33; Schölzel 2012, S. 264; Kat. Dresden 2012, S. 45–46; Weddigen 2008, S. 224–225, 227–228; Brink 2005, S. 86–90; Laudel 2003, S. Magirius 1992 (1), S. 77;

Plagemann 1967, S. 140; Friesen 1880, S. 333; Schäfer 1860, S. 172. Zur Konzeption der Rahmung für die Holbein-Madonna siehe Maaz 2014, S. 23–24; Bader 2013, S. 244–248.

157 Quandt 1846 (2), S. 288. S. a. Bader 2013, S. 53.

158 Schnorr 1901, Jg. 10, Nr. 3, S. 55, 68. Zur Sixtinischen Madonna s. a.

Anonym [Quandt] 1826, S. 118–119.

159 Quandt 1844 (1), S. 112–113 definiert das Charakteristische als »das wesentliche Merkmal […], woran ich etwas erkenne, was es ist, oder einen Begriff darunter denke.« Quandt hat den Begriff des Charakte-ristischen bei Hirt, Goethe und Hegel rezipiert und auf einen Nenner zu bringen versucht. Zum Begriff des Charakteristischen siehe Tho-mas Bremer, »Charakter/charakteristisch«, in: ÄGB 2010, S. 772–794, bes. 782–788.

160 Quandt 1856, S. 146–148: »Das deutsche Kunstwerk gleicht einem tiefen, stillen See, in welchem sich der reine Himmel spiegelt und das italienische Kunstwerk einem Sterne, der seine Strahlen durch den unendlichen Weltraum aussendet. Dort verinnert sich alles, hier äußert sich alles Innere, dort ist alles Gesinnung, hier wird alles zur Handlung. Das deutsche Kunstwerk ist seinem Wesen nach lyrisch, das italienische dramatisch. Diese concentrische Richtung des deutschen Characters bewirkt einen harmonischen Gleichmuth, in welchem sich Tiefe und Wärme bei äußerer Stille vereinen und die Excentricität des italienischen Characters verbreitet eine höhere

Be-lebtheit über die äußere Erscheinung. Dies drückt sich nun auch, man könnte sagen, sprechend in den Physiognomien der Holbeinschen und der Raphaelschen Madonna aus.« Quandt bezieht sich hier auch auf das Büchlein über die Gemälde der Galerie von Julius Mosen;

Mosen 1844, S. 28: »Vielleicht bezeichnet dieses Bild den Höhenpunct der deutschen Malerei, wie die Sixtinische Madonna den Gipfel der römisch-christlichen Kunst.« S. a. Penzel 2007, S. 314–317; Schäfer 1860, S. 15. S. a. Bader 2013, S. 28.

161 Quandt 1856, S. 3–4. Siehe dazu auch die Erklärung des Zwecks des Begleiters im Brief an Weigel vom 14.2.1856: »Von dem Begleiter muß ich wünschen, daß er nur den Gemälden gegenüber gelesen wird, er kann die Bilder nicht entbehren, diese aber den Erklärer […] zu vergleichen seÿn.« Ebenso im Brief an Hettner vom 6.6.1856, in: Hei-delberg, Universitätsbibliothek, Sign. Heid. Hs. 2751 C85: »Der Zweck meines Buchs ist kein anderer, als dem geistig Blinden den Starr zu stechen und gerade im Gegensatz zu den modischen Kunstkennern, welche nur auf das Exotische an einem Kunstwerk hinweisen, das Innere hervorzuheben. Die von mir unerreichten Muster im Beschrei-ben und Betrachten von Gemälden sind Diderot, Göthe und Forster.«

Diese Vorbilder müssten noch genauer untersucht werden. S. a. Wed-digen 2008, S. 228–230; Penzel 2007, S. 270–271, 317–326.

162 Penzel 2007, S. 308–310.S a. Schäfer 1860, S. XII: »[…] wiewohl nicht zu verkennen ist, dass von Quandt’s ›Begleiter‹ ein erwünschtes Vademecum für dieselben [Kunstfreunde] ward […]. Da fand der Verf[asser] […] einen Herausgeber, und sofort ging er, noch außerdem von mehren Kunstfreunden ermuthigt und namentlich von dem als Kunstkenner rühmlichst bekannten von Quandt aufgemuntert, an die allerdings theilweise sehr schwierige Aufgabe […].«

die ein Kunstwerk hervorbringt. damit konnte Quandt raffael und holbein als außerordentliche und vorbildliche ausprägun-gen zweier Kunstrichtunausprägun-gen, die dasselbe anschaulich mach-ten – nämlich schönheit – in isolierter aufstellung erklären.

Hoffnungen und Enttäuschungen: Projekte für

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