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Eine Kunstgeschichte des Ausgleichs

Im Dokument Kunst ausstEllEn (Seite 86-90)

in der diskussion um die sammlungspräsentation der dres-dener Gemäldegalerie tritt Quandts spezifisches Kunstge-schichtsverständnis an einer stelle besonders anschaulich hervor. es betrifft die säle auserlesener Gemälde. im brief an lindenau von ende august 1840 bemerkte Quandt in bezug auf seine änderungswünsche, »daß obige allerunmaßgeblichsten vorschläge den saal des raffael nicht berühren, in welchem die Gemälde nach dem Plane, der sr. M. des Königs allerhöchste specielle Genehmigung erhielt, geordnet würden. auch sind die bilder in diesem saale so gut aufgestellt, als es der beschränkte raum zuließ u die ungünstige örtlichkeit gestattete.«132 der

raf-124 Einen Überblick über die Ordnung bietet die kommentierte »Inhalts-anzeige« in: Quandt 1853, S. V–VIII.

125 Quandt 1853, S. 112.

126 Zum Zusammenhang von Malerei und Kupferstichkunst siehe die Einleitung zu Mappe X, Quandt 1853, S. 134–138. Zum Ursprung der Druckgraphik siehe ebd., S. 2–8, 191.

127 Nach Passavants Standardwerk Rafael von Urbino und sein Vater Giovanni Santi (1839). Quandt 1853, S. 248. S. a. Brief von Quandt an Passavant, nicht datiert (vor Okt. 1853): »Aus beifolgendem Verzeich-niß werden Sie ersehen, wie oft ich Ihrer mit Verehrung und Zunei-gung gedenke, denn jedes Blatt nach Raffael erinnert mich an Sie.

Den Raffael habe ich nach Ihrer Angabe geordnet und konnte gewiß keine bessere Anleitung finden.« Frankfurt a/M, Universitätsbiblio-thek J. C. Senckenberg, Ms. Ff. J. D. Passavant A.II.e Nr. 588, fol. 1028r.

128 Quandt 1830–1833, S. 348: »Dies scheint uns der Faden zu seyn, der sich durch die Kunstgeschichte hindurchzieht, und an welchen sich die einzelnen Perlen leicht anreihen lassen. Unsere Absicht war, hierdurch [durch den kunsthistorischen Abriss] dem Leser den Faden der Ariadne zu geben, damit er sich in dem Labyrinthe einer Kunst-geschichte, welche nach Städten und Ländern eingetheilt ist, nicht verirre und nie vergesse, dass die Geschichte jeder Kunst zugleich die des Menschengeistes ist.« Vgl. Weddigen 2008, S. 216.

129 Zu den beteiligten Personen siehe SLUB, Mscr. Dresd. L 224, Bd. IV, Nr. 11, fol. 1v.

130 Quandt 1841, S. 433. Das Zitat entstammt einem kurzen Text über die Vorzüge der chronologischen Aufstellung von Gemälden in öffentli-chen Museen in Raczyńskis Geschichte der neueren deutsöffentli-chen Male-rei. Quandts Text geht ein Artikel zum gleichen Thema vom Berliner Hofmaler und Kunstprofessor Karl Wilhelm Wach voran. S. a. Kaiser 2017, S. 235.

131 Brief von Quandt an Lindenau vom 27.8.1840, in: HStADD, Akten der Generaldirektion der Königlichen Sammlungen, Cap. VII. Nr. 35, Acta die kgl. Gemälde-Gallerie betr., 1840–1844, fol. 62ff. (Kriegsverlust).

Abschrift in: HStADD, 13458 SKD, NL Posse, Nr. 30, Lage 3, fol. 11r–12r.

»Entwurf zu einer Aufstellung der königl: Gemäldegalerie u Dresden«, in: SLUB, Mscr. Dresd. L 224, Bd. IV, Nr. 11, fol. 1r–5r. Zur Druckfassung siehe Quandt 1842, S. 7–12. S. a. Weddigen 2008, S. 193–208; Penzel 2007, S. 282–299; Savoy 2006, S. 16–18; Prange 2004, S. 129–137.

132 Brief von Quandt an Lindenau vom 27.8.1840, in: HStADD, Akten der Generaldirektion der Königlichen Sammlungen, Cap. VII. Nr. 35, Acta die kgl. Gemälde-Gallerie betr., 1840–1844, fol. 62ff. (Kriegsverlust).

Abschrift in: HStADD, 13458 SKD, NL Posse, Nr. 30, Lage 3, fol. 12r. Zur Heraushebung der Sixtinischen Madonna s. a. Kat. Dresden 2012, S. 44–45.

faelsaal erschien Quandt als unantastbar, da er vom König selbst bewilligt und mitgestaltet worden war. der raum stand im Zei-chen der besten Künstler und war geschmacklich-normativen und nicht kunsttopographischen, stilistischen oder chronologi-schen Kriterien unterworfen. raffaels Sixtinische Madonna war der höhepunkt des saals und wurde im Katalog als erstes Ge-mälde aufgeführt. die nachahmer des römischen Künstlers und seine Kopisten kamen aus Gründen des vergleichenden sehens und der Kunstbildung zu ehren. Mit dem der Kunstgeschichte enthobenen fokus auf raffael wurde dem Geschmack der Zeit rechnung getragen.

die längswand des raums war correggio gewidmet. dass correggio bei der einrichtung des raffaelsaals in den Jahren 1831/32 überhaupt einbezogen wurde, geht auf Quandt zurück.

die Kommission war zwar dagegen, weshalb Quandt seinen vorschlag zurückzog. es war schließlich der König, der die ein-bindung der Gemälde dieses Künstlers verlangte.133 Man kann in Quandts vorschlag die abwehr eines reinen saales der auser-lesenen erkennen. Weil der Kunstkenner von einer sammlung erwartete, dass ihre Werke in historischen Kontexten gezeigt würden, musste er gegen eine isolierte Präsentation raffaels ankämpfen.134 die einbindung correggios konnte dadurch zum Kompromiss werden. Quandt wusste um die zentrale rolle die-ser Gemälde in der Königlichen sammlung. die vier großen und beliebten altartafeln waren 1745 im rahmen des ankaufs der hundert besten bilder aus der sammlung herzog francesco iii.

von Modena in die sammlung gekommen. sowohl die bilder correggios wie auch raffaels Sixtina waren von Kurfürst fried-rich august ii. angekauft worden (abb. 93–94). ihre gemein-same Präsentation hatte also einen sammlungshistorischen Wert. die große anzahl correggio-bilder widerspiegelte den gleichsam von oben diktierten und seit dem 18. Jahrhundert

tradierten ästhetischen Kanon des wettinischen Königshauses, der sich neben der erstarkenden, neuen ästhetischen normen verpflichteten raffael-Mode noch zu behaupten vermochte.135

Wenn Quandt mit diesem Kniff eine sammlungshistorische begründung für einen raum auserlesener Gemälde herbeire-den konnte, war die doch letztlich ahistorische Präsentation des raffael-saals nicht in seinem interesse. im Gutachten an lindenau vom september 1840 äußerte sich der Kunstkenner hierüber deutlich: »eilige schaulustige«, notierte Quandt, wür-den das Wichtigste am liebsten schnell überblicken. aus diesem Grund befürworteten im Gegensatz zu ihm einige Kommissi-onsmitglieder die Zimmer mit auserlesenen Gemälden, wie es neben dem raffaelsaal bis 1837 auch noch einen saal aus-erlesener niederländer Gemälde gab (saal f, vgl. abb. 85–86).136 er selber war für eine konsequente hängung nach schulen, denn diese hebe den unermesslichen Wert der Gemäldegale-rie hervor und sei ausgesprochen lehrreich. die Musterbilder herausragender Künstler würden, in ihren kunsthistorischen Kontexten präsentiert, den betrachtern sofort auffallen. darü-ber hinaus müsste alles »treffliche was umher aufgestellt wäre, nicht für ausschuss erklärt werden […].«137 dies geschehe aber, wenn man ein einzelnes Zimmer als raum für die auserlesenen Gemälde bezeichnen würde.

Grundsätzlich war Quandt also gegen einen raum der bes-ten Werke. er begründete dies mit der großen anzahl quali-tätsvoller bilder in der sammlung: »dazu befinden wir uns in dem glücklichen embarras de richesse daß kein Zimmer groß genug ist, alle schätze der Galerie in sich aufzunehmen u es also unmöglich wird, ein einziges Zimmer für das vorzüglichste zu bestimmen.«138 der Kunstkenner wollte auch die Meisterwerke in ihren kunsthistorischen Kontexten sehen. es waren diese Kontexte, die ein Meisterwerk überhaupt erst zu einem solchen

133 Jahresbericht auf das Jahr 1836 vom 8./10.2.1837 von Matthäi, in:

HStADD, Akten der Generaldirektion der Königlichen Sammlungen, Cap. VII. Nr. 29, Acta die königl. Gemälde-Gallerie betr., 1836–1839 (Kriegsverlust). Abschrift in: HStADD, 13458 SKD, NL Posse, Nr. 30, Lage 8, fol. 5v: »Von 1831 bis 1832 wurde der Bau [der Scheidewände]

u. die neue Aufstellung der Galerie, nachdem solches auf Höchsten Befehl unter Zuziehung des Herrn v. Quandt beraten war, ausgeführt.

Hierbei muß ich bemerken, wie die erste Idee die Corregios (sic!) in den Saal zu den Gemälden des Rafael zu bringen von Herrn v. Quandt ausging, der jedoch nach gemeinsamer Beratung von ihm aufgegeben, von Sr. Maj. dem jetzigen Könige jedoch wieder erfaßt u. in dem be-stehenden Maaße ausgeführt wurde wie solches, durch die darüber vorhandenden Akten nachzuweisen ist.« Diese Akten konnten nicht mehr eruiert werden.

134 Quandt 1841, S. 433: »Wenn nun die Frage entsteht, wie soll man eine Sammlung von Kunstwerken jetzt anlegen und ordnen? so glaube ich, nicht anders als nach einem historischen Plane: 1) weil wir dadurch uns den Geist der Zeit […] und die Zwecke, welche sie erfüllten, zurückrufen; den Lebensverband, in welchem einzig und allein die Kunstwerke einer frühern Zeit ihre volle Wirkung hervorbrachten, auf

dem Wege der Betrachtung vorstellen […]; 2) weil in aller geistiger Entwickelung ein nothwendiger Zusammenhang stattfindet, der nur begriffen wird, wenn wir jedes Glied in seiner Verbindung mit dem Ganzen betrachten, was eben nur durch eine historische Ordnung geschieht.«

135 Quandt verstand Friedrich August II., der den Ankauf der Modeneser Bilder getätigt hatte, als großen Kunstliebhaber, der aus reiner Liebe zur Kunst Gemälde angekauft und nicht wie August der Starke aus Prunksucht gehandelt habe. Vor allem standen ihm hervorragende Kunstkenner zur Seite; Quandt 1856, S. 6–7. S. a. Kat. Dresden 2007, S. 21–22; Kloppenburg/Weber 2000, S. 33–57. – Zum Raffaelsaal und seiner normativen Herauslösung aus dem kunstgeschichtlichen Rundgang in der Dresdener Gemäldegalerie siehe Weddigen 2008, S. 211–212. S. a. Brink 2005, S. 82–86.

136 Entwurf zu einer »Aufstellung der königl: Gemäldegalerie u Dresden«, in: SLUB, Mscr. Dresd. L 224, Bd. IV, Nr. 11, fol. 2v. Zum Niederländer Raum siehe Kat. Dresden 1835, S. 123–150 (Raum F). S. a. Weddigen 2008, S. 212.

137 SLUB, Mscr. Dresd. L 224, Bd. IV, Nr. 11, fol. 3r.

138 SLUB, Mscr. Dresd. L 224, Bd. IV, Nr. 11, fol. 3v.

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machten und nicht ihre abkoppelung von der Kunstgeschichte.

das präsentierte Meisterwerk konnte dann nämlich als vorbild inszeniert werden, sei es durch die erkenntnis der historischen vorbildfunktion, wenn schulbilder um das Meisterwerk herum präsentiert waren, sei es durch die unmittelbare vorbildfunk-tion für junge Künstler der Gegenwart. die Kunststudierenden und lernbereiten Maler sollten durch anschauung eines alten Meisters das Gute umsetzen und anhand der fehler von schü-lern und nachahmern ihre eigenen fehler ausmerzen schü-lernen.139

in der folge wurde wenigstens der saal ausgewählter nie-derländer aufgehoben. im Katalog zur hängung von 1843 ist er nicht mehr aufgeführt. Mit seinen forderungen nach schulbil-dung und Zurückweisung von sälen auserlesener Meister in der

Gemäldegalerie versuchte Quandt abzuschwächen, was er in seiner eigenen sammlung konsequent umgesetzt hatte. im Pri-vatmuseum lässt sich nirgends die isolierung eines einzelnen Kunstwerks oder einer bestimmten Gattung feststellen, ob-schon er Meisterwerke durchaus besaß und diese auch als solche bezeichnete.140 vielmehr kombinierte er seine Gemälde nach ikonographischen Kriterien, vereinte unterschiedliche Gat-tungen, vollzog hängungen nach ästhetischen begrifflichkei-ten, präsentierte alte und neue Meister als Gegenstücke, zeigte Kopien und originale nebeneinander. Man darf davon ausge-hen, dass er sich explizit gegen den raffaelsaal ausgesprochen hätte, wenn er nicht vom König persönlich gewünscht worden wäre und für die Wettiner, gleichsam als Pendant des franzo-sensaales mit den bildnissen des königlichen Geschlechts, eine sammlungs- und geschmacksgeschichtliche funktion innege-habt hätte. im rundgang von 1843, wie ihn der Katalog und die umgestaltung der hängung vorgeben, ist der raffaelsaal mehr oder weniger konsequent in eine kunsttopographische Kunst-geschichte eingebunden. Man konnte ihn von der inneren Ga-lerie her in wenigen schritten durch die deutschen Zimmer erreichen. sein charakter der auserlesenheit wurde damit we-nigstens auf dem Katalogpapier und der damit vorgeschlagenen abfolge des Galerierundgangs etwas relativiert (vgl. abb. 87).

dennoch lässt sich an seiner lage in der äußeren Galerie ein Phänomen ablesen, das mit dem kunsttopographischen rundgang kaum zusammenhängt: seit seiner verlegung an die nordseite der Galerie im Jahr 1837 lag der raffaelsaal in unmit-telbarer und durch entsprechende türen zugänglicher nach-barschaft zu den beiden räumen älterer und neuerer deutscher Malerei. dieser umstand wurde auch bei der bereinigung der hängung 1840/43 nicht verändert. Zwar konnte im sinn des neuen rundgangs chronologisch-kunsttopographisch vorge-gangen werden, indem die altdeutsche und altniederländische schule eines holbeins oder van eycks mit der renaissance- Malerei raffaels und correggios verglichen werden konnte.

dies hatte einen ausgleichenden effekt zwischen deutscher und italienischer Kunst zur folge, wie er in den diskussionen der Zeit eminent wichtig und auch für Quandt schon seit 1815 von bedeutung war.141 Wenn man sich vor augen hält, dass im altdeutschen saal die später isoliert präsentierte Madonna des

139 Zum Verhältnis von Meister und Schüler siehe Quandt 1826 (1), S. 264–266: »Für diese einzelnen Beispiele ließen sich tausend an-dere aus der Kunstgeschichte anführen, welche beweisen, daß an einzelne Meister hingegebene Schüler sclavische Nachahmer ihrer Lehrer blieben […]. War dies nicht bei den meisten Schülern des Peter Perugino der Fall? Sieht man es nicht auffallend an den Anhängern des da Vinci? […] Sind nicht Raphael’s Jugendwerke selbst denen seines Lehrers sehr ähnlich?« Über das Kopieren Alter Meister ebd., S. 284–285.

140 Siehe dazu Kat. Quandt 1824, S. 18–21.

141 Über einen Raum der Altdeutschen in der Gemäldegalerie und der Gemeinsamkeit nördlicher und südlicher Kunst siehe Quandt 1816 (1), S. 836–837. S. a. Quandt 1826 (1), S. 272: »Der Deutsche kann und soll weder Franzose noch Italiener, und eben so wenig Grieche werden, vielmehr das, wofür er geboren ist, rein und edel ausbilden.« Sehr zentral ist dieser Ausgleich bei den Nazarenern: Kat. Frankfurt 2005, S. 161–164; Kat. Rom 1981, S. 174–177; Kat. Frankfurt 1977, S. 45–46, 262–264. Hierbei wichtig ist die auf Friedrich Overbeck zurückge-hende Italia und Germania-Ikonographie oder die Handreichung Dürers und Raffaels. S. a. Wackenroder/Tieck 2005, S. 43–47, 55–56;

93 Raffaello Santi gen. Raffael, Die Sixtinische Madonna, 1512/13, Öl auf Leinwand, 269,5 × 201 cm, Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 93

Basler Bürgermeisters Meyer, noch holbein zugeschrieben, ausgestellt war, bestand plötzlich eine direkte verbindung zwi-schen holbein und raffaels Sixtinischer Madonna. das Meis-terwerk deutscher Kunst wurde damit auf augenhöhe mit der italienischen Kunst gebracht.

dieser anspruch einer angleichung der deutschen und niederländischen Gemälde an die seit dem 18. Jahrhundert als künstlerisch bessere Kunstwerke beurteilten italienischen Ge-mälde zeigt sich noch auf einer weiteren ebene. Zum ersten Mal überhaupt wurde die innere und äußere Galerie im Kata-log nicht getrennt in zwei eigenen Kapiteln abgehandelt. die innere Galerie wurde im führer durch die sammlung vielmehr in den rundgang integriert.142 dadurch wird die rhetorische und räumliche trennung von italienischen und niederländisch-deutschen Gemälden faktisch aufgehoben. 1843 entstand ein rundgang, gemäß dem man zuerst den französischen und spa-nischen, dann den flämischen, altdeutschen und altniederlän-dischen gefolgt von den italienischen schulen entlangging, um den Galeriebesuch mit den neueren deutschen und den hol-ländischen schulen abzuschließen. Wenn er auch kunsttopo-graphisch nicht restlos konsequent war, so hatte doch auf der geschmacklichen ebene ein ausgleich stattgefunden, der we-nigstens gewisse kunsthistorische Kriterien beinhaltete.

Man kann dieses ausgleichende system der Kunstanschau-ung selbst im blick auf die konservatorischen bemühKunstanschau-ungen in der Galerie feststellen, die mindestens ebenso zentral waren wie die bemühungen um eine kunsthistorische Präsentation.

so kamen alle bilder der deutschen schule wie auch der saal des raffael auf der klimatisch günstigen nordseite zu liegen.

die säle der flamen und holländer waren auch nicht größter hitze ausgesetzt, wie Quandt bemerkte. hingegen präsentierte man die weniger wichtigen schulen der franzosen und spanier sowie neueren italiener, die neuzugänge sowie Gemälde von nachahmern und Kopisten in den sonnseitigen und lichtmäßig wenig günstigen räumen der südseite.143

Gleichzeitig beschränkte sich der propagierte ausgleich auf bestimmte außerordentliche Künstler. in den einzelnen

räumen gab es weiterhin Qualitätsabstufungen. so verlangte Quandt, dass die Gemälde holbeins an lichttechnisch güns-tigen seitenwänden gezeigt wurden, während man cranachs bilder an den Wänden, den fenstern gegenüber liegend und da-mit frontalem lichteinfall ausgesetzt, hängte. nach demselben Prinzip wurde mit dem beliebten david teniers und dem weni-ger bedeutenden nicolaes berghem umgegangen.144

allerdings hatte gerade im fall des raffael- und holbein-saals der ausgleichende charakter des kunsttopographischen

rund-Kat. Göttingen 2015, S. 307–341; Büttner 2002, S. 29–32; Locher 2001, S. 123–132; Schäfer 1860, S. IX–X; Quandt 1819, Bd. 1, S. 112.

142 Die Durchnummerierung aller Bilder von 1 bis 1857 im Kat. Dresden 1843 weist schon daraufhin.

143 SLUB, Mscr. Dresd. L 224, Bd. IV, Nr. 11, fol. 3r–5r: »Überdies ist das Zimmer […] höchst unzweckmäßig, weil es auf der Mittagsseite liegt, und eine den Beschauern und den Gemälden höchst schädliche Hitze einschlieβt, welche selbst das Öffnen der Fenster wenig mäßigt.«

144 »Zugleich ist dabei auf B Rücksicht genommen, so daβ sämmtliche Holbeins, als die wichtigsten Gemälde in diesem Zimmer, dem Auge näher gebracht würden u Seitenlicht bekommen. Dieselben Vortheile kommen nach diesem Raum, auch den Gemählden der älteren Nieder-länder zu statten. Die weniger wichtigen Gemälde in diesem Zimmer, unter welche die Lucas Kranachs zu zählen sind, können den Fenstern

gegenüber und zum Theil auch höher aufgehängt werden. […]. Dieser Saal hat eine Wand, welche an das Zimmer B anstöβt, auf der kleinere Gemälde ein seitliches Licht haben u auf dieser befinden sich bereits die meisten u vorzüglichsten Teniers, nur hängen solche viel zu hoch.

Die Berghems sind mehr auf Massen berechnet, bedürfen weniger eines vorzüglichen Lichts u könnten daher auf der langen Wand auf-gestellt werden.« SLUB, Mscr. Dresd. L 224, Bd. IV, Nr. 11, fol. 1v, 4r. Siehe Kat. Dresden 1843, S. 32–35, Nrn. 236–260 (Teniers), S. 45–46, Nrn. 338–

348 (Berghem); ebd., S. 63–67, Nrn. 503–514 (Cranach), Nrn. 526–535 (Holbein). Die »zweite Wand an der rechten Seite des Einganges«

lag den Fenstern gegenüber. Einige Cranachs hingen auch an den Seitenwänden mit den Bildern Holbeins, Dürers und Ambergers; ebd., S. 68–69, Nrn. 545–554. Zu Cranach in der Dresdener Gemäldegalerie des frühen 19. Jahrhunderts, siehe Kolb 2005, S. 148–151.

94 Antonio Allegri gen. Correggio, Anbetung der Hirten (Die Nacht), um 1528/30, Öl auf Pappelholz, 256,5 × 188 cm, Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 152

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gangs ein resultat zur Konsequenz, das Quandt kaum intendiert haben konnte. die unveränderte erhaltung des raffaelsaales erhob den deutsch-niederländischen saal selbst zu einem saal auserwählter Malerei, wenn auch nicht explizit davon die rede war. dies zeigt deutlich der Galerieführer von Julius Mosen, der im Jahr nach der vollendung des optimierten Galerie rundgangs von 1843 veröffentlicht wurde. Mosen gab zwar den Plan mit der raumabfolge gemäß dem Katalog von 1843 wieder, begann mit seiner beschreibung aber im raffael-saal mit der Sixtinischen Madonna. nach einigen weiteren Gemäldebeschreibungen die-ses raumes trat er in den deutschen saal über und erläuterte dort nur Gemälde holbeins, an erster stelle die Madonna des Basler Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen. erst danach folgte er dem rundgang in der inneren Galerie.145

Wenn die Präsentation der deutsch-niederländischen und italienischen schulen in der neuhängung von 1843 auch ein ungewolltes resultat zur folge hatte, so war der ausgleich der Kunstschulen doch eine zentrale forderung Quandts, die über die frage des ausgleichs deutschlands und italiens hinauswies.

so wie sich Quandt seit jungen Jahren für die aufwertung alt-deutscher Kunst einsetzte, trat er 1846 als erster alt-deutscher Kunstgelehrter überhaupt eine spanienreise an.146 Gerade weil er davon ausging, dass »nationalität etwas Geistiges und an-gebornes sey«, richtete er seinen blick auf spezifisch kulturelle bedingungen.147 Zwar verglich er die spanische Malerei perma-nent mit der italienischen.148 dennoch kann man ihm attestie-ren, überhaupt erst einen differenzierten blick auf die spanische Kunst geworfen zu haben. Wie schon die italienische

Kunst-geschichte in seiner lanzi-Übersetzung wollte er im anhang des reiseberichts auch die spanische Kunstgeschichte in einer großen synopse darstellen und in einen europäischen Zusam-menhang stellen.149 als er in sevilla eine Mondsichel-Madonna von bartolomé estebán Murillo erblickte, meinte er begeistert, er wolle weder raffaels schönheit, tizians Wahrheit, Michel-angelos erhabenheit und correggios reiz herabsetzen, aber dieser spanische Maler fühle lebhafter als andere.150 die spani-schen Gemälde im Prado in Madrid beschrieb er ausführlich und rückte so ribera, velázquez, Murillo, Zurbarán und andere ins licht.151 für die deutschen sammlungen forderte er, mit Kunstsinn zu sammeln und gute spanische Gemälde zu kaufen.

die Zusammenhänge und Wechselwirkungen in den Künsten würden nämlich nur mit einem »synchronistischen Überblick«

deutlich – also mit einem vergleichenden sehen, das in Museen nur unter bestimmten ordnungskriterien wie der kunsttopo-graphischen oder der chronologischen möglich war. doch die-ser ausgleich der Kunstschulen, der auf eine kunsthistorische Präsentation von Kunstwerken abzielte, war in der Gemäldega-lerie dresden zu Quandts lebzeiten schwierig zu erreichen.152

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