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Pläne für einen Goethe-Raum

Im Dokument Kunst ausstEllEn (Seite 105-109)

als ludwig tieck am 27. august 1829, am vorabend von Goe-thes achtzigstem Geburtstag, in dresden den Faust aufführte, saß Quandt gerührt im Publikum.20 einige Wochen später rich-tete er einen brief an den spielleiter, in dem er sich für dessen

»Prolog zur aufführung von Göthes faust an Göthe’s Geburts-tage« bedankte. tieck hatte eine vorrede gedichtet, in der eine Personifikation der Poesie auf der bühne einen panegyrischen Monolog rezitiert hatte. er hatte geradezu ein gedichtetes denk-mal erschaffen: »Ja, diese edle stirn, die ruhmumglänzte, / Mit ew’gem lorbeer grün bekränzte, / das hohe haupt, umspielt von abendröthe: / es ist der Musen liebling, deutschlands Gö-the!«21 Quandt war über das Gedicht beglückt, denn es habe das Publikum belehrend auf die aufführung vorbereitet und den dichter anschaulich in seiner ganzen Größe vorgeführt. und so war es ihm sinnigerweise zumute, »wie es einem großen plas-tischen Künstler seyn muß, denn in mir gestaltete sich Göthes bild zu einer colosalen statue.«22 Was sich hier Quandt kolossal vor dem inneren auge aufrichtete, besaß er selber in form ei-ner büste bei sich zu hause (abb. 102).23 er hatte 1821 den ber-liner bildhauer christian daniel rauch mit der erschaffung des dichters in Marmor beauftragt.24 vorausgegangen war ein er-lebnis in Weimar im november 1820, als er zusammen mit Goe-the dessen rauch-bildnis betrachtet hatte.

Quandts Marmorversion war eine Wiederholung der Gips-büste aus dem besitz Goethes (abb. 104). im beisein von Karl friedrich schinkel und im Wettstreit mit christian friedrich tieck hatte rauch diese bei einem treffen mit Goethe in Jena im august 1820 erschaffen. die dabei geführten Gespräche über Kunst hatten für Goethe zu den schönsten tagen des Jahres ge-zählt.25 Geradezu echohaft und doch überbietend formulierte Quandt in der posthum erschienen schrift Meine Berührun-gen mit Goethe, die betrachtung der büste zusammen mit dem dichter in Weimar habe zu den bedeutendsten Momenten sei-nes lebens gehört. Quandt bewunderte das lebendige natur-ideal des abbildes, das rauch gezeigt hatte.26 im Gegensatz

19 Brief an Schopenhauer vom 19.11.1853, in: Schmitz/Strobel 2001, S. 243f.

S. a. Quandt 1846 (2), S. 389: »Zweierlei gehört dazu, Goethe zu er-gründen: Hingebung und Selbsterkenntniß.«

20 Quandt berichtete Goethe, dass er nur für diese Aufführung seinen Badeaufenthalt in Teplitz unterbreche und zwei Tage nach Dresden komme; Brief an Goethe vom 16.8.1829, in: Schmitz/Strobel 2001, S. 62; s. a. den Geburtstagsgruß vom 28.8.1829, »tief erschüttert von den zermalmenden Eindrücken dieses unerschöpflichen Gedichts [Faust I – AR], das die höchsten Freuden und tiefsten Schmerzen der Menschheit […] umfaßt«, in: ebd., S. 67.

21 Tieck 1841, S. 582. S. a. Jäckel 2002, S. 161–162.

22 Brief an Tieck vom 12.10.1829, in: Holtei 1864, Bd. 3, S. 82.

23 Rüfenacht 2018, SQ-1; Simson 1996, S. 177–178.

24 Siehe dazu den Brief an Schnorr vom 23.12.1820, in: Schmitz/Strobel

2001, S. 19. S. a. Wentzlaff-Eggebert 2009, S. 317, Anm. 5; Bemmann 1925, S. 9.

25 »Herr Staatsrath Schulz brachte mir drei würdige Berliner Künstler nach Jena, wo ich gegen Ende des Sommers in der gewöhnlichen Garten Wohnung mich aufhielt. […] Die Herren Tieck und Rauch modellirten meine Büste […]. Eine lebhafte, ja leidenschaftliche Kunst-unterhaltung ergab sich dabei, und ich durfte diese Tage unter die schönsten des Jahres rechnen.« Zitiert nach: Simson 1996, S. 176. S. a.

FA II.36, S. 88, 92.

26 »[…] die Natur bringt immer durch ihr höchst folgerechtes Verfahren die zufällig entstandenen Ungleichheiten der Theile in einen solchen nothwendigen Zusammenhang, daß ihre Werke stets einen überein-stimmenden Eindruck auf uns machen.« Quandt 2001 [1870], S. 237.

103 Georg Heinrich Busse nach Clemens Wenzeslaus Coudray, Den Manen Goethes, 1832, Kupferstich, 223 × 303 mm (Platte), Weimar, Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlungen, Inv.-Nr. KGr/AK1589

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zu einem Gipsabguss nach der natur habe der bildhauer »den ausdruck seines Geistes, seines Wesens, die idee von ihm, das ewige in ihm« dargestellt. »dies ist der wahre Göthe!«, rief er aus und bestellte die büste in Marmor.27

Quandt erhielt die fertige Goethe-büste von rauch im Mai 1823 und damit noch ein gutes Jahr vor dem bezug der dres-dener Wohnung.28 die skulptur formte jedoch seine einrich-tungsentwürfe, die bis dahin noch wenig präzis waren, zu ei-nem genauen Konzept. einen vom Garten her zugänglichen saal wollte er allein Goethes bildnis widmen. Wie dieser genau aussehen sollte, schilderte er am 5. Mai 1823 Johann heinrich

Meyer, der Goethe persönlich Quandts Plan vorlegen sollte:

»Zu diesem Zweck habe ich einen Gartensaal einrichten laßen, welcher durch ein fenster über der hauptthüre erhellt wird, so daß das licht gedrängt auf die in der Mitte des saals, auf einen dreyseitigen altar gestellte, büste fällt. neben der thür befin-den sich zwey ni[s]chen in welche candelaber kommen  […].

die form des saals ist ein reiner halbzirkel, weshalb die decke fächerartig gemalt werden soll. von dem Mittelpunkte nach dem halbkreis würden sich laufende arabesken ausbreiten u an kleinen feldern enden, wo auf dunkelblauem Grunde, grau in grau, scenen aus Göthens romanzen u anspielungen auf seine lieder in basreliefartigen bildern dargestellt würden. statt des simses wird unter der decke ein gemalter lorbeerkranz hinlaufen. der halbzirkel welchen die rückwand bildet zer-fällt in zwey felder und einen raum über der ausgangsthüre.

diese felder könnten durch steigende arabesken eingeschlos-sen werden und da es vier arabesken dazu bedarf, so veranlaßt diese Zahl auf die vier epochen des lebens hinzudeuten und leicht ließen sich in diese verzierungen, wie in den raffaelschen arabesken fabeln verwebt sind, scenen aus Göthes Wahrheit und dichtung (sic!) zu seinem leben, einflechten. die beyden großen felder u das thürstück zwischen diesen beyden, geben dem Maler Gelegenheit zur bildlichen darstellung von scenen aus iphigenie, tasso u faust. diese Malereyen würden bunt auf weißen Grund aufgetragen, wie die des Giulio romano in der villa Madama […].«29

Quandts ehrensaal für Goethe sollte ein denkmal für den idealen Menschen werden. die einrichtung, wie er sie im brief an Meyer beschrieb, enthielt entsprechende assoziationen.

folgt man Quandts beschreibung, steht ganz am anfang die beleuchtung: die Goethe-büste sollte exakt im licht der sonne ruhen, der dichter als erleuchteter und erleuchtender insze-niert werden. Man kann diese Präsentation als inszenierung eines aufgeklärten Menschen lesen. der subtext hingegen ist apollinisch: der sonnengott apoll und Gott der Musen ist dem dichter hold. ein Zeitgenosse schrieb bei anblick der Goethe-büste in Quandts haus denn auch: »der schöne ernst dieser Züge, die klare, sich leicht emporwölbende stirn, von der man

27 Die Charakterisierung der Büste als wahren Goethe äußerte Quandt 1844 (1), S. 33–35, um in seinen Vorlesungen über Ästhetik an der Dres-dener Kunstakademie den Unterschied zwischen Naturnachahmung durch Kopien oder Abgüsse und wahrer Kunst zu erläutern; dasselbe erläuterte er auch anhand einer Zeus-(Jupiter-)Statue von Phidias.

Dieses rhetorische Nebeneinander scheint mir bemerkenswert, zumal Rauchs Goethe-Büste gerne mit dem griechischen Gott in Verbin-dung gebracht wurde; Heckenbücker 2008, S. 136. Zum Auftrag an Rauch siehe Brief an Schnorr vom 23.12.1821, Auszüge in: Schmitz/

Strobel 2001, S. 19; Goethe/Rauch 2011, S. 117; Simson 1996, S. 177. S. a.

Bemmann 1925, S. 9.

28 Am 7.8.1823 schrieb Quandt an Schnorr, sein Haus in Dresden sei

vollendet und mit Kunstwerken eingerichtet, am 22.8. berichtete er vom Einzug. SLUB, Mscr. Dresd. n Inv. 15, Bd. 31, fol. 98v, 101r.

29 Brief an Johann Heinrich Meyer vom 5.5.1823, in: Schmitz/Strobel 2001, S. 22–24. Eine kurze Schilderung auch in einem Brief an Schnorr vom 22.8.1823, in: SLUB, Mscr. Dresd. n Inv. 15, Bd. 31, fol. 101r und an Rauch vom 22.1.1824, in: Berlin, SMB, Zentralarchiv, Nachlass Rauch XI.3. Brie-fe von: Böttiger, 1822–1832, fol. 30r–32r. S. a. Richter 2002, S. 36; Vogel 1999, S. 192; Bemmann 1925, S. 10. Der halbrunde Saal wurde eben ge-rade nicht ausgeführt, wie Tausch 2010, S. 91 meint. Bei den erwähnten Goethe-Werken, die gemalt werden sollten, handelt es sich um die Dramen Iphigenie auf Tauris (1787), Torquato Tasso (1790) und Faust.

Eine Tragödie (1808) sowie um Dichtung und Wahrheit (1811).

104 Christian Daniel Rauch, Johann Wolfgang von Goethe (sog. A-tempo-Büste), 1820, Gips, überstrichen, 58 × 40 × 26 cm, Berlin, SMB, Alte Nationalgalerie, Inv.-Nr. RM 147

fast annehmen möchte, daß sie ein heiterer, klar in die Welt bli-ckender Geist sich selbst zu seinem obdach gewölbt habe, läßt auch im alter noch die spur der ewigen Jugend und die ver-wandtschaft mit dem apoll erkennen.«30

Wenn er vor der büste stand, fühlte Quandt als sonnte er sich.31 durch die lichtinszenierung sollte der verehrte dichter erhöht werden. Mit Mitteln, die aus dem sakralraum bekannt sind, unterstreichen das Kerzenlicht in zwei nischen neben der eingangstür genauso wie das altarartige Postament die bedeu-tungsvolle aufstellung – ein Plan für einen tempel mit Goethe als verehrtem idol auf dem licht-altar, bekrönt vom lorbeer-kranz an der decke.32 Mit dieser inszenierung hätte Goethe bei Quandt schon zu lebzeiten den Parnass erreicht.

Prägend für die strukturierung des harmonischen halbrun-des halbrun-des dichterzimmers gemäß Quandts beschreibung waren die arabesken. ein umfassender ästhetischer diskurs um 1800 wertete diese als Kunstform deutlich auf. ihr charakter einer deutungsfreien ornamentkunst verband sich mit einer poeti-schen aufladung.33 dieser diskurs manifestiert sich in Quandts Plan, den vier arabesken an den Wänden szenen aus Goethes Dichtung und Wahrheit beizufügen, die auf die vier lebensal-ter hinweisen. unweigerlich verbindet man dieses Konzept mit Philipp otto runges blättern der vier tageszeiten, von denen Quandt eine fassung besaß.34 doch runges arabesken wurden in ihren vielschichtigen bedeutungen zur hieroglyphe und stie-ßen an die Grenze der verständlichkeit. Quandt kritisierte sie daher als »allegorisch-mystische bilder«. sie würden den sinn nur andeuten, nicht aber veranschaulichen.35

Wohl aus diesem Grund verband Quandt in seinem Gestal-tungsplan die arabesken mit raffael. er dachte dabei an fres-ken der raffael-schule in der angeblichen villa des Künstlers im Garten der villa borghese auf dem römer hügel Pincio (abb. 105).36 in einem artikel, den er 1822 über dieses haus ver-fasst hatte, schrieb Quandt, der charakter der arabeske sei mit dem Märchen vergleichbar. diese Kunstformen reizten »den scharfsinn gleichsam neckend«. der betrachter sei versucht, in einer spielerischen und scherzhaften darstellungsform einen tieferen sinn zu suchen, wo gar keiner zu finden sei. dabei habe die arabeske als verzierungsform nur harmonie an einem be-stimmten ort zu erzeugen.37

der bezug auf den Künstlergenius der renaissance ist die herausragende referenz für Quandts erste Goethe-inszenie-rung. in seinem aufsatz über die raffael-villa schrieb Quandt:

»so muß raffael sanzio’s Gartenhaus für jeden fühlenden und denkenden von der größten Wichtigkeit seyn, weil wir hier die spuren, nicht eines untergegangenen daseyns, sondern eines unsterblichen Geistes in seinen Werken, spuren von raffa-els innerm leben in den heitersten farben und bildern erbli-cken.«38 Quandt führte hier raffaels künstlerische arbeit mit dessen Künstlerbiographie zusammen – ein aspekt, der in sei-nem Goetheraum ebenfalls erkennbar wird: vier szenen aus Goethes autobiographischem Werk Dichtung und Wahrheit sollten in die arabesken verwoben werden.

für die spätere Präsentation der Goethe-büste spielt die ver-bindung des italienischen raffaels mit dem deutschen dichter eine eminent wichtige rolle. diese analogie geht zudem noch

30 Anonym 1825, Sp. 781. Die Verbindung von Goethe mit Apoll und ganz besonders mit der Statue des Apollo von Belvedere wurde durch die Iphigenie-Dichtung hergestellt, da sich der Dichter hier auf einen grie-chischen Sagenstoff eingelassen hatte. Seit Winckelmann den Apollo von Belvedere beschrieben habe, sei dieser Gott für die Deutschen typisch altgriechisch. August Wilhelm Schlegel prägte die Assoziation Goethes als strahlender Apoll, für Tieck steht der Apoll als Symbol dieses Dichters. Laut Heckenbücker wurde die Rauch-Büste Goethes dagegen eher mit Zeus in Verbindung gebracht. Heckenbücker 2008, S. 92–97, 103, 136, 176–177.

31 Quandt 2001 [1870], S. 232, sich beziehend auf Sokrates, der auf die Ähnlichkeit von Auge und Licht verweise.

32 Die Assoziationen mit Apoll wurden besonders nach Goethes Tod immer wieder bemüht; Heckenbücker 2008, S. 177–180.

33 Zusammenfassend Günter Oesterle, »Arabeske«, in: ÄGB 2010, S. 279–281; Busch 1985, S. 44–49. Siehe dazu auch Quandt 1854 (1), S. 60; Quandt 1822, S. 8–9.

34 Quandt 1853, S. 100–101; zu Runges Tageszeiten siehe Grewe 2015, S. 140–143; Busch 1985, S. 49–55.

35 Er sprach ihnen daher gleich ab, Kunstwerk zu sein; Quandt 1853, S. 101. Eine Kritik der Allegorie als abzulehnendes künstlerisches Mittel in: Quandt 1830 (1), S. 306–314. Zur Kritik an Runge siehe zusammen-fassend Günter Oesterle, »Arabeske«, in: ÄGB 2010, S. 281; S. 55–56;

Werner Busch erläutert Goethes zwiespältiges Verhältnis zur Arabes-ke besonders im Zusammenhang mit Runge und Eugen Napoleon Neureuther; Busch 1985, S. 55–68.

36 Auch Villa Nelli oder Olgiati. Kat. Göttingen 2015, S. 176–179; Weber 1997, S. 57; Schreiner 1973, S. 271–272. Das Haus wurde während der französischen Belagerung 1849 zerstört.

37 Quandt 1822, S. 6–10: »Es würde schwer, vielleicht unmöglich seyn, alle diese in einander spielenden, sich umrankenden, in Arabeskenstyl angeordneten Verzierungen [der Villa des Raffael] zu deuten; denn es ist ja eben dieß der Charakter der Arabeske, wie der des Mährchens unter den poetischen Producten, daß beide den Scharfsinn gleichsam neckend reizen, eine Bedeutung im bloßen Spiel und Scherz der Phan-tasie zu suchen. […] Doch noch tausend andere Auslegungen wären im Einzeln möglich, und wer könnte sagen; diese ist die richtige, da die Arabeske kein Bild von etwas Wirklichem, nicht Andeutung eines in Worte zu fassenden Satzes, wie die Allegorie noch Versinnlichung eines Begriffs, wie das Symbol, sondern ein heiteres, freies Spiel mit Gestalten, Ausschmückung eines Raumes ist; jede Verzierung mit der Bestimmung des Orts, in welchem sie angebracht wird, nur in einer all-gemeinen Harmonie stehen muß.« Quandt verwirft zudem die Ansicht, Raffael habe die Arabeske erfunden. Er habe sie vielmehr den antiken Thermen des Titus entnommen, welche man angeblich verschüttet habe, um Raffael als Erfinder und nicht Nachahmer der Arabeske darzu-stellen. Schließlich verweist er sogar auf das Verhältnis von Benutzung und Nachahmung von verschiedenen Vorbildern bei Raffael selbst.

38 Quandt 1822, S. 3. S. a. Weber 1997, S. 57. Die Fresken aus der Villa Raf-faels wurden 1834 abgelöst und befinden sich in der Villa Borghese.

Sie wurden mit dem Liebesleben des Künstlers in Verbindung ge-bracht, da sie Liebeslegenden darstellen. S. a. Schreiner 1973, S. 272.

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weiter. für die darstellung dreier szenen aus Goethes dramen Iphigenie, Faust und Tasso wollte Quandt eine stilistische ver-bindung mit der innenausstattung der villa Madama herstel-len, die für die Medici-familie ab 1516 bei raffael zur Planung in auftrag gegeben worden war. die legendäre innenausstattung der mit antiken, komplexen stuckaturen und – für Quandt hier relevant – Grotesken umrahmten Wandbildern ausgestatteten antikischen villa wurde im frühen 19. Jahrhundert noch allein raffaels schüler Giulio romano zugeschrieben.39

Mit dem hinweis auf die dramen-bilder zwischen den arabesken und den lebensaltern Goethes erreicht Quandts

ekphrastische beschreibung des ehrensaales für Goethe ihren assoziativen höhepunkt. Iphigenie steht für die antike. dieses schauspiel charakterisiert sich durch die humanität der haupt-figur. Faust, der suchende – »zu groß, ein Mensch, zu klein, ein Gott zu werden«40 – kann man dem deutschen Mittelalter zu-ordnen und Tasso als verkanntes Genie unter den augen des unverständigen Protektors entspringt der italienischen re-naissance. verfasser dieser Werke, die für antike, Mittelalter und renaissance stehen, ist Goethe. der zum Zeitpunkt von Quandts entwurf noch lebende dichter vereinigt in seinem Werk Geschichte und Gegenwart.

39 Frommel 1987, S. 311–322. Die Bauarbeiten wurden ab 1518 unter der Leitung von Antonio da Sangallo d. J. ausgeführt, der bei der Planung mitwirkte. Nur das Sockelgeschoss entspringt Raffaels Entwürfen.

Giulio Romano arbeitete nach Raffaels Tod 1521 mit Sangallo zusam-men, vor allem in der Innenausstattung, wurde aber aufgrund von

Zwistigkeiten mit dem ebenfalls beteiligten Giovanni da Udine durch Baldassare Peruzzi abgelöst. Einige Raumausstattungen dürften den-noch auf ihn zurückgehen. Ebd., S. 319. Für Beispiele der Grotesken siehe die Abbildungen ebd., S. 352–354.

40 Tieck 1841, S. 590.

105 »Hauptwand des großen Zimmers in Raphaels Villa«, in: Die Muse. Monatsschrift für Freunde der Poesie und der mit ihr verschwisterten Künste, hrsg. v. Friedrich Kind, 1822, Jg. 1, Nr. 1, Tafel II

indem Quandts bildprogramm Goethes historische dra-men mit dessen biographie aus Dichtung und Wahrheit verbin-den sollte, wurde der große Weimarer dichter zur Metapher des Menschen, der Menschlichkeit und der Menschheitsgeschichte.

nach Goethes tod lieferte Quandt den hinweis zu dieser in-terpretation: »Göthe[,] Kind, Jüngling, Mann und Greis, stellt das Menschenleben in seinem normalzustande dar. er war ein vollständiger Mensch […]. alle leiden u freuden der Mensch-heit fühlte sein großes herz u schuf aus diesem edelsten stoffe, unsterbliche Kunstwerke, in welchen die Welt sich spiegelt u im Gewande der Zeit, das ewige erscheint.«41

durchgeführt wurde dieses assoziationsreiche Programm leider nicht. eine antwort auf Quandts beschreibung ist we-der von Meyer noch von Goethe bekannt. drei Monate nach dem brief an Meyer hatte Quandt kaum noch hoffnung, dass der saal bemalt würde. es fehlte ihm in erster linie der Künst-ler, ein zeitgenössischer raffael, der die freskenmalerei zur umsetzung des gescheiten Programms beherrscht hätte. der einzige in dresden, dem er dies zutraute, war carl vogel von vogelstein. dieser bemalte zu dem Zeitpunkt die Wände der Pillnitzer schlosskapelle. doch vogel, so der verdacht Quandts, schien sich zu gut für einen Privatauftrag, seit er für den sächsi-schen König malte und würde »Göthen für ein Weltkind und es darum für eine sünde halten, etwas zu dessen ehre zu thun.«42 die fehlende Möglichkeit, einen al fresco bemalten raum in auf-trag zu geben, schien einer der hauptgründe zu sein, weswegen der ehrensaal für Goethe nicht vollendet wurde. Zu lange hätte es gedauert, bis sich überhaupt eine Möglichkeit dazu ergeben hätte, bemerkte er noch 1831.43

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