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Zusammenfassung: Verständnisfragen

Im Dokument Das Nicht war zu leise! (Seite 160-173)

rezeptionsorientierte Sprachbetrachtung

5. Abweichungen und die Funktionen der Bewältigungsreaktionen

5.1 Sprechplanungsänderungen

5.2.1 Verständnisfragen (VF?)

5.2.1.7 Zusammenfassung: Verständnisfragen

Die Mehrheit der den Verständnisfragen zugrundeliegenden Schwierigkeiten kann recht einfach geklärt werden. Spannungen zwischen den Gesprächspartnern treten selten auf. Dies dürfte daran liegen, dass die erwartungsabweichenden Äußerungen meist in interaktional recht unmarkierten Kontexten produziert werden. Wie wir sehen werden, können sprachlich gleichfalls ‚harmlose‘

Formulierungen in anderen Zusammenhängen viel heftigere Reaktionen auslösen. Die untersuch-ten VF?s stammen, wie oben angeführt, aus den Bereichen Übermittlung und Vermittlung, grün-den auf dem Eindruck mangelnder Ausführlichkeit, dienen der Rückversicherung, Sachverhalts klärung oder Verständnissicherung oder ergeben sich aus dem ‚Einklinken‘ in einen anderen Ge-sprächsstrang beim Fokuswechsel.

Verständnisfragen aus dem Bereich ‘Übermittlungsprobleme’ (5.2.1.1) verlaufen meist ganz un-kompliziert. Ausnahmen sind unterschwellige Kritik andeutende VF?s wie die in (75) und (76).

Bei den VF?s aus dem Bereich der Vermittlungsprobleme (5.2.1.2) ist die Situation ähnlich.

Auch hier kann verborgene Kritik vorhanden sein (82), die sich aber gelegentlich äußerst schwer nachweisen lässt (80). Bei auf mangelnder Ausführlichkeit beruhenden (5.2.1.3) oder im Zuge der Rückversicherung gestellten VF?s (5.2.1.5) ließ sich beobachten, dass der Weg vom NTRI bis zur Lösung auffällig lang sein kann [(85), (87), (90)].

Bei der Behandlung der Sachfragen (5.2.1.4) hat sich die Vermutung bestätigt, dass L2-Erwerb-Gespräche andere Handlungsmuster besitzen können als L2-Erwerb-Gespräche unter Mitgliedern derselben Sprachgemeinschaft. Die Rückversicherungs-Sequenz aus Beispiel (90) stellt ein interessantes Bindeglied zu den in den weiteren Kapiteln zu behandelnden Reaktionsformen dar, weil sie so-wohl Elemente von Kritik als auch Merkmale von rhetorischen Fragen in sich birgt.

111 Vgl. Anh. 1, uw-14 und uw-15.

Die von einem Fokuswechsel zeugenden Verständnisfragen schließlich (5.2.1.6) demonstrieren sehr überzeugend, dass das Pendeln zwischen Aufmerksamkeits- und Gesprächsräumen sehr un-problematisch vollzogen werden kann [(91) und (92)].

Ein interessantes Phänomen sowohl der Sprachökonomie als auch der Kooperationsbereitschaft im Bereich der Verständnisfragen ist die u.a. in (81), (88) und (89) festgestellte Technik des An-gebots von Wahrheitsalternativen. Auch ließ sich die gelegentliche Zuhilfenahme paraverbaler Mittel beobachten (83).

Abschließend sind zwei Ergebnisse festzuhalten:

1. Eine eindeutige Interpretationen kann schwierig sein, wenn aufgrund der geringen Markierung auf der Sprachebene wenig Anhaltspunkte zur Verfügung stehen.

2. Selbst in den von geringer kommunikativer Brisanz gefüllten Verständnisfragen kann unter-schwellige Kritik verborgen sein.

Der Mangel an Information kann so groß sein, dass manche Sequenzen sich überhaupt nicht ein-deutig interpretieren lassen, so z.B. die folgende:

(93) st: ... [....] nIch zu sAgn= + das is kein grUnd,

a2: + bei dem krAUse an- ---

st: ++ mh’’

a2: gebm, da: mit diesa + a Em sache da:, + mit dem krAUse, an: ich mein das wirft ---

a2: da mit seina pUtzfrau [...] das war ja vÖllich egAl wassa da an: auchn totAl schlechtes lIcht auf + Alle die in irgndwelchn AUf- ---

st: jajA:=

a2: gemacht hat das fAndich ...

an: sichtsratspostn + + +

--- (ks-1, S1, 2 st 1)

5.2.2 Nachfragen (NF?)

Nachfragen haben wie Verständnisfragen die Funktion, fehlende Informationen einzufordern. Im Unterschied zu den VF?s werden NF?s häufig dann gestellt, wenn VF?s erfolglos waren oder wenn der Fragende aus einem bestimmten Grunde gereizt oder irritiert ist.

Der Qualitätsunterschied liegt in der Oberflächenrepräsentation: Die NF? besitzt im Gegensatz zur VF? z.B. häufig prosodische Merkmale, die auf Irritation hinweisen. Damit verbunden ist der Funktionsunterschied: Über die Funktion (‘gib mir mehr Information!’) hinaus trägt die NF? eine Funktion mit einem Zusatzbefehl wie (‘schnell!’) oder etwa (‘endlich!’).

Der Auslöser kann an tn oder an tn+x liegen. Folgt die NF? direkt auf die Abweichung, spricht dies für eine stärkere Markierung seitens des Rezipienten; wird die NF? zu einem späteren Zeit-punkt – auch innerhalb einer Sequenz mit vorangehenden VF?s – gesetzt, liegt oft Unzufrieden-heit mit der angebotenen repair vor. Bei der Untersuchung sind mir unterschiedliche Qualitäten

und Funktionen dieser Fragen aufgefallen, die ich folgendermaßen bezeichne:

1. Vermittlungsproblem112: Störungen im kognitiven Bereich führen zur NF?.

2. Quantitätsproblem113: Die Informationsmenge reicht zum Verständnis nicht aus.

3. Bitte um Hilfestellung: Mit dieser NF? bitten die Sprecher um Hilfe im sprachlichen Gestal-tungsprozess (Korrektheit, Angaben etc.).

4. Bitte um Erklärung114: Strategische Unterform der NF?-Typen 1. und 2. Sie dient der Festle-gung des Partners auf eine Position in dessen repair, der dann im nächsten Zug widersprochen werden soll.

5. Forderung von Bestätigung115: Sie dienen der bestätigenden Wiederholung einer bestimmte Aussage mit dem Ziel des ‘richtigen’ eigenen Verständnisses oder der Überprüfung der Ernst-haftigkeit des Partners.

6. Forderung von Festlegung116: Subtyp von 5. Ziel ist nicht die Verständigung auf eine bereits angesprochene Wahrheit, sondern die Verständigung auf eine von mehreren möglichen

‘Wahrheiten’.

7. Wahrheitszweifel117: Schon mit Korrektur-Charakter: Der Fragende gibt dem Partner die Chance, mit der repair die ‚Wahrheit‘ zu sagen.

112 In 15 Fällen; Belege s. Anh. 6.2, #12, #16, #20, #23, #31, #55, #66, #68, #71-73, #75, #78, #84, #86.

113 In 26 Fällen; Belege in Anh. 6.2, #3, #6, #7, #11, #15, #17-19, #30, #42-46, #48, #52, #63-65, #67, #68, #74,

#77, #86, 88, #89.

114 In vier Fällen; Belege in Anh. 6.2, #37, #49, #54, #59.

115 In 21 Fällen; Belege in Anh. 6.2, #1, #2, #4, #5, #8, #9, #14, #24-26, #28, #29, #32, #40, #60-62, #69, #70, #80,

#81.

116 Für den davorliegenden Wortwechsel vgl. Beispiel (90) unter 5.2.1.5.

117 In 14 Fällen, Belege in Anh. 6.2: #27, #33, #34, #36, #38, #40, #41, #47, #53, #76, #79, #83, #85, #87.

Die Typen 1. und 2. decken sich mit den Typen 2. und 3. im Bereich der VF?s. Gewisse Paralle-len finden sich zwischen Typ 4. der VF?s und Typ 3. der NF?s. Die Funktion der Rückversiche-rung ist im Bereich der NF?s innerhalb der Typen 4. bis 6. differenzierter ausgeprägt:

Verständnisfragen Nachfragen 1. Übermittlungsproblem

2. Vermittlungsproblem 1. Vermittlungsproblem 3. Quantitätsproblem 2. Quantitätsproblem 4. Sachfrage 3. Bitte um Hilfestellung 5. Rückversicherung 4. Bitte um Erklärung

6. Fokuswechsel 5. Forderung von Bestätigung 6. Forderung von Festlegung 7. Wahrheitszweifel

Abb. 5.1: Beziehung der Funktionen von VF? und NF?

5.2.2.1 Vermittlungsproblem

Schwierigkeiten auf der Vermittlungsebene können Hörer nicht nur mit Verständnisfragen (vgl.

5.2.1.2), sondern auch mit Nachfragen begegnen:

(94) n: Mhm. Bestimmt, ja. Bestimmt, ja. Wir haben auch kuku, ja. Kuku mit mahi.

h: Mit was?

n: Mahi.

h: Fisch?

n: Ja. Ich hab persisch gesagt! [lacht] Fisch, ja.

h: Kuku ist lecker.

--- (wiese 29 4 h 1)

Der entsprechende Reaktionsfluss sieht so aus:

h: VF? - n: repair1,1 - h: NF? - n: repair1,2

H markiert ‘Mahi’ als abweichend – in diesem Fall als unverständlich. Deshalb fordert sie mit der VF? „Mit was?“ repair. Repair1,1 in Form von bloßer Wortwiederholung ist offensichtlich unbefriedigend, denn H fordert mit der NF? „Fisch?“ erneute repair. Da sie bereits ein Wort vor-gegeben hat, muss N dies nur noch bestätigen (vgl. 5.2.2.6): „Ja ... Fisch, ja.“ Eingebettet in die Bestätigung ist die Entschuldigung, die Zutat auch beim zweiten Mal bei ihrem persischen Na-men genannt zu haben. Das Problem: Ein L2-Lerner verwendet ein für seine Gesprächspartnerin unverständliches Wort seiner Muttersprache. Im nächsten Beispiel hingegen verwendet eine L2-Lernerin ein Wort ihrer Zweitsprache in einer ihrer Gesprächspartnerin ungeläufigen Art:

(95) ha: Lieblos, ja. Stein, weiß gemalt, fertig. Wir waren in Münster:

Wirklich amtliche Kneipe. Schön, oh, das ist, man fühlt sich wohl, wenn man da sitzt, und und trinkt, also (wahnsinnig).

h: (Amtliche?)

ha: Amtlich, ist das so schön. [lacht]

h: [lacht]

ha: Das ist die Sprüch von DDj, die immer sagt. Schön gemacht, richtig, wie eine Kneipe aussehen soll, ne. Amtliche Kneipe! [lacht]

h: [lacht] Vorschriftsmäßig!

Die in der dreigeteilten repair118 untergebrachte Erklärung zeugt von einer fast poetischen Sprach-kreativität, mit der H, die die Bedeutung von ‘amtlich’ eher mit der kurz zuvor geäußerten Be-schreibung eines (anderen) Raumes (‘lieblos’, ‘Stein’, ‘weiß’) zusammenbringt, offenbar nicht gerechnet hat. Den NTRI deute ich als NF? und nicht nur als VF?, weil die fragende Wortwie-derholung von H nicht deren üblichem, eher pädagogischen Sprachverhalten gegenüber den L2-Lernern HA, N und M entspricht. Die ‘neue’ Verwendung animiert H zum Weiterspinnen des le-xikalisch-semantischen Feldes (‘vorschriftsmäßig’, ‘DIN’, ‘DIN A K’). Interessanterweise neigt sie selbst zu problemauslösenden Sprachspielereien, wie Beispiel (96) zeigt:

(96) m: Mhm. Ah: Mein lieber Schauspieler Gregory Peck. [im Film]

h: Ja? +p+ Gregory Peckury.

Das repair-fordernde Verhalten ist das gleiche. In Beispiel (97) gründet das Unverständnis gleich mehrerer Gesprächsteilnehmer nicht in deren mangelnder Sprachkenntnis, sondern in der wenig aussagekräftigen Bezeichnung für ein chemisches Mittel:

a1: wAs fürn st: so das entwickelt so AzetylEngas das stInkt so schön,

at: was-s dAs denn, + vergIftet s: ..]

m: ...]

an: die:= wer[d]n nich vergIf- ---

a1: [ding]'

st: nE:= die mÖgn das nich, die haun dann ab, at: die das’

m: [wir ham die ge[...], aba Einglich + ...

an: tet’ die werdn nur vatrIEbm, hehE lacht ---

(ks-2, S4, 1. 49 at 3-5 & 50 a1 1 - 51 a1 3)

Nach AT’s Frage „was hast Du reingetan?“ variiert ST den Phantasienamen ‘Mäuse-Ex’ zu

‘Mause-Ex’ und beginnt die chemische Wirkung des Mittels zu erläutern. Er wird jedoch von AT, die den Beginn von repair1 offenbar als zu wenig hilfreich empfand, mit der NF?2 „was ist das denn?“ unterbrochen. Hier greift ST’s Frau AN ungefragt mit repair2,1 den kurz darauf von AT geäußerten Bedenken vor, dass das Mittel die Mäuse vergiften könne. ST selbst ergreift noch in AT’s turn das Wort, um in repair2,2-2,3 ebenfalls zu versichern, dass das Mittel unschädlich sei.

Die auf die genannte Gas-Sorte gerichtete NF?4 von A1 bleibt unbeantwortet, weil ST sich zu sehr bemüht, dem möglichen Vorwurf vorzubeugen unnötigerweise Tiere umzubringen:

at: NF?1 - st: repair1 - at: NF?2 (innerhalb repair1) - an: repair2,1 (innerhalb repair1) - at: NF?3 (innerhalb repair2,1) - a1: NF?4 (innerhalb repair2,1) - st: repair2,2 / SU1 / repair2,3

Von den vier NF?s gehört nur NF?1 zum Funktionstyp 1, die anderen drei gehören zu Typ 2 – das Verständnisproblem beruht auf Informationsmangel. Bei den ersten vier Beispielen lösten Phä-nomene auf der Kompetenz- bzw. Performanz-Ebene die Reaktion aus. In (97) kamen zu Prob-lemen der reinen Verständlichkeit verschärfend soziale Parameter hinzu. In (98) hingegen liegt der Auslöser in der Schwierigkeit des Transfers von der phonetischen in die graphemische Rep-räsentation. Der mit dieser Problematik seit über zwei Jahrzehnten vertraute G bietet in solchen Fällen oft automatisch zusätzlich zur Wiederholung das Buchstabieren seines Namens an.119

(98) v: ... darf ich den nA:m noch mal= + also gO:-es, g: gO:s, + gE: O: E: Es,

--- v: um das mal so= hähähä

lacht etwas verlegen g: m-haha ja genau, ...

--- (fon-4 1 v 1-6)

119 Vgl. auch Anh. 1, goes-1 2 s 1-4.

In einem ganz anderen Bereich liegt das Verständnisproblem in Beispiel (99). Dort ist die Refe-renz der Frage ‘Machst Du das?’ für M3 unklar. Die Reaktionsweise zeugt davon, wie ‘wirt-schaftlich’ Sprecher mit Verständnisproblemen umgehen können: M3 ergänzt M1‘ Frage so wie er glaubt sie auslegen zu sollen („mit den Aktionen“), wartet, ob ein Einwand gegen diese Inter-pretation erhoben wird und beantwortet dann die Frage („ja klar“):

(99) m1: ... und dann-n komm die bUlln von [...]

Etwas ausführlicher artikuliert AT in Beispiel (100) ihr Unverständnis:120

(100) a1: Oder'

120 Der Austausch findet ausschließlich zwischen AN und AT statt. Die umgebenden Gesprächselemente habe ich stehen lassen um zu zeigen, dass einzelne Gesprächsteilnehmer auch in ungeordneten und spontanen Situationen in der Lage sind, Störungen auszublenden.

m: gibst-e mir m[al]-n bißchn bUtter [bitte] ...

an: hehE=

--- (ks-5, S7, 2. 84 at 1-[...])

Nach dem erfolglosen Ansatz121 zur NF? nutzt AN das Ende des Gelächters, um zu fragen „wel-che Altersgruppe ist das?“. AT antwortet aufgrund eigenen Informationsmangels schnell, aber unpräzise. Nach einer kurzen Ablenkung durch U schließt AT ihre eigene NF? an („oder was meinst du [....]’“). AN erklärt, dass sie dieTeilnehmer der vorher erwähnten Klassenfahrt mei-ne122, worauf AT repair4 in prozessualer Weise, d.h. ‘laut denkend’ anbietet.

Außer lexikalischen, semantischen oder referentiellen Problemen können natürlich sogenannte

‘Missverständnisse’ Auslöser für Nachfragen sein. Im Fall von Beispiel (101) liegt die Ursache in der irrtümlich ernsten Auffassung einer scherzhaften Bemerkung:

(101) u: ... is-sa so-n besOffener rUdara gegn + die drAhtbrücke gefAHrn, scherzhaft verächtlich

at: was Is denn' e: O=

---

u: besOffener rUdera gegn die drAhtbrücke at: M, das sind die hItzeunfälle, wArte ma E- >

a1: ++ wAs'

---

u: gefAHn, Ach:, + h-h-h-h-h-h-h-h-h-h=

lachend at: lena, [...]

a1: + nE: jetz EHrlich' nE:, skeptisch

s: wie macht man dAs denn’ +++

a2: m-m-m-m-m- m-m-m-m-m-m-m- lacht

--- s: bIßchn hOch wa'

u: Ehrlich' hIhI= ...

Parodie, lacht a2: m-m-m-m-m=

--- (ks-3, S2 15 a1 1)

U nutzt die Situation für einen Scherz mit A1 aus, indem er seine frei erfundene Behauptung vollkommen ernst wiederholt. A1 ‘fällt auf den Witz herein’, ist jedoch sehr skeptisch. Das drückt sich in seiner zweiten NF? „nee jetzt ehrlich, nee?“ aus.123

121 Vgl. Anh. 6.2, Quantitätsproblem, #30.

122 Anh. 1, ks-5, 77 at 1 - 78 at 2.

123 Vgl. Anh. 6.2, Forderung von Bestätigung, #24.

Die bereits bei den VF?s unter 5.2.1.2, (82), behandelte Sequenz in Beispiel (102) führe ich hier noch einmal an, um zu zeigen, wie für den Rezipienten unbefriedigend gelöste VF?s zur Eskala-tion führen können. Auslöser ist eine durch mangelnde Aufmerksamkeit entstandene Folgerung:

(102) m4: ... Also wir hAttn= +++ uns jetz hier mit den: prEsselEUtn’ ge- kaut

---

m1: ++ wAs' + wEr mit unfreund- m4: trOffn' na= schon mit den prEsseleutn zusAmm:’

---

m1: wEm. Ich mit dE:n’ Und’

lich

m3: ++ l-lAß ihn lachend m4: nEIn, wIr, + XXXXX und Ich’

---

m1: momEnt= ...

m3: doch EInfach ma erzÄHln,

m4: Und wir ha:m ++

--- (uw-11, 3 m1 1-6 & 4 m1 1)

M1‘ Aggressivität korrigiert M3 in diesem Fall implizit („lass’ ihn doch einfach mal erzählen“).

Die mit der Korrektur verbundene Aufforderung hat jedoch nur vorübergehenden Erfolg, wie das Beharren von M1 nach M4‘s Neubeginn zeigt.

In seltenen Fällen initiieren Rezipienten ihre eigentliche Frage mit pre-sequences:124

(103) m2: ... und dann noch ne organisatOrische frAge’ [e]s sind ja Alles welche’ + em:= + diese + also ä sOlln nun diese Anzüge getragn ---

m2: werdn’ + oda nIch’ und wEnn’ sind für Alle welche da’ und pAssn/

---

m1: wAte, ich wollt das grad nochmal Absprechn ...

--- (uw-7, 4. 20 m2 1 - 23 m2 9)

M2, ein neues Mitglied der Umweltschutzgruppe, stellt zum einen viele Fragen zur Struktur der Gruppe und ihrer Dachorganisation125, zum anderen scheint er darauf bedacht zu sein, den Orga-nisationsablauf der Aktion bis ins Detail abzusichern126. Dass seine Frage innerhalb des Gesprä-ches in diesem Moment störend sein könnte, hat er selbst vermutet – die Bestätigung erhält er durch die Ablehnung von M1: „warte, ich wollte das gerade nochmal absprechen“.

124 In diesem Fall fehlt der zweite Teil des adjacency pairs; vgl. Levinson [1992], 345ff.

125 Was während des Planungsgespräches selten auf Begeisterung stößt: vgl. Anh. 1, uw-3, uw-4.

126 Vgl. Anh. 1, uw-2, uw-5, uw-8, (uw-19). Beispiel (67) beruht sowohl auf einem Vermittlungsfehler, weil ‘m2’

nicht verstanden hat, ob Anzüge getragen werden sollen, und auf mangelnder Information, weil er nicht weiß, ob für alle Gruppenmitglieder passende Anzüge vorhanden sind.

5.2.2.2 Quantitätsproblem

Nach einer für den Rezipienten unzureichend informativen Äußerung fordert dieser häufig statt mit einer VF? mit einer NF? repair ein. In der schon in (76) behandelten Sequenz folgt die VF?

von IR auf die NF?. Zu Erinnerung: Das Thema der Podiumsdiskussion ist die Neuordnung des Asyl-Verfahrens. Da sich sowohl die Beiträge der Podiumsmitglieder als auch die Fragen der Zuhörer in ungeordnetem Wechsel auf den status quo einerseits und den Gesetzesvorschlag der Regierungskoalition andererseits beziehen, ist den weniger informierten Publikumsmitgliedern gelegentlich unklar, von welchem Zustand gerade gesprochen wird. So auch hier. Deshalb hakt JF am TRP nach „haben?“ mit der Forderung nach mehr Information ein, indem sie die ihr feh-lende zeitadverbielle Bestimmung in den Raum stellt:

(104) ir: ... + aso Ersma Ersma grundsÄtzlich k-kEIne Aufschiebende wIrkung ---

Ohne das die VF? auslösende Übermittlungsproblem würde sich diese NF?-repair-Sequenz so einfach darstellen, wie sie es in Wirklichkeit auch ist: IR bietet erfolgreich repair vermittels bes-tätigender Wiederholung einerseits („ja, auch jetzt schon“) und bestätigenden Verweises auf die juristische Situation andererseits („das ist geltendes Recht“) an.

In Beispiel (105) verlangt A1 mit der bereits beobachteten Technik des Angebotes von Wahr-heitsalternativen mehr Information, doch führt die unfreiwillige Komik seiner Frage zur Unter-brechung127 der bereits von AT begonnenen repair („der ist Doktor, also muss er Arzt sein“):

(105) at: ... ich frAg ihn mal, ich ich glaube es is dieser Arolser fUtzi ---

127 Vgl. Beispiel (167) unter 5.3.1.5.

Etwas ausführlicher fordert ÄM in Beispiel (106) repair. Auch er bietet Wahrheitsalternativen an:

(106) äm: ... [ich] hab nUr ne frage zU den zU den rIchter da:, der da: [...

...] kAmman/ hadde:r allEIn entschIEdn’ oder + gehÖrn da ---

Weil ÄM explizit fragt, ob die Entscheidungen vom Richter allein oder vom Richter zusammen mit anderen Personen getroffen werden, lässt sich die Frage leicht beantworten.128 Interessanter-weise antwortet WS mit seinem „nein“ nur auf den ersten Teil der Frage („hat der allein ent-schieden?“): Das bedeutet, dass in diesem Fall das Angebot einer zweiten Möglichkeit („gehören da noch ein paar Leute dabei?“) nicht nötig war. Weniger kooperativ als ÄM verhält sich G im folgenden Beispiel. Das liegt erstens daran, dass der Anrufer J keine Begrüßung ausspricht und aus Befürchtung sich verwählt zu haben vergisst, seinen Namen zu nennen. Zweitens irritiert G, dass J dessen eigene Identifikation ‘ignoriert’:

128 Die wirkliche Motivation für die Frage liegt ganz woanders: vgl. Beispiel (163) unter 5.3.1.4.

Nachdem G den Anrufer etwas unfreundlich versichert hat die richtige Person am Apparat zu ha-ben, gibt er ihm ca. 1,5 sek. Zeit sein Anliegen zu nennen. Erst dann setzt er die NF? „worum geht’s denn?“. Wäre J der Konvention zu grüßen129 und seinen Namen zu nennen gefolgt, wäre die Sequenz eventuell problemloser verlaufen. G wird jedoch durch die Abwehr seiner Frage mit der Begründung, den Anruf doch gewünscht zu haben, noch gereizter. Aus dieser Situation ent-wickelt sich die Sequenz130, die so vielleicht nur am Telefon zustandekommen konnte:

g: iK!1 / NF? - j: Abwehr1 - g: kNF? - j: repair1 - g: Annahme - j: Zustimmung - g: iK!2,1 - j: eK!1 - g: repair2 / iK!1,2 - j: Abwehr2 / repair3

G pariert J’s Abwehr mit der kNF?, die den Normverstoß (-Angabe (Name)) kritisiert. An dieser Stelle erfolgt repair – vorsichtigerweise mit dem Zusatz „von Greenpeace“. Die Annahme-Zustimmung-Sequenz etabliert nun quasi rückwirkend die soziale Beziehung zwischen den bei-den Gesprächspartnern. Eigentlich hätte hier das Gespräch wieder in ‘normale Bahnen’ zurück-kehren können, doch schiebt G, der sein Unbehagen kaschieren will, J nicht an dessen Stimme erkannt zu haben, unterbewusst lieber diesem die Schuld an dem gerade überwundenen Konflikt zu – mit genau der gerade für sein eigenes Verhalten herangezogenen Begründung.131 Nachdem J seine Skepsis an der Plausibilität von G’s Erklärung geäußert hat („na ja“), beginnt er allerdings, sich für sein Fernbleiben zu rechtfertigen. Erst jetzt erfolgt der Wechsel zum eigentlichen The-ma, nämlich der Frage nach Beteiligung an einer gemeinschaftlichen Arbeit.

Die Gereiztheit gegenüber bestimmten, beruflich bedingten Phänomenen mag im folgenden Ge-sprächswechsel auch Einfluss auf das Verhalten von W genommen haben:

(108) d: ... guten mOrgen ‘w’= + der junge mAnn hier brauchtn kassEttn- freundlich

mit dem Rücken zu ‘h’ gewandt --- d: recorder=

w: + wer sInd sie denn’ + ich kEnn sie ja gAnich=

guckt ‘h’ kritisch, aber nicht unfreundlich an

h: ja: + ich etwas ---

129 Hartmann, der Begrüßungen als „stark konventionalisierte elemente der symbolischen interaktion“ bezeichnet, weist darauf hin, dass „die einheit von verhaltensmustern wie begrüßungshandlungen [...] durch die einhaltung ei-ner oft rigide geregelten reihenfolge der beim vollzug dieses musters zu beobachtenden symbolischen handlungen gewährleistet“ wird. „Derjenige, der solche handlungen unterlässt, läuft gefahr, von (unterschiedlich harten) sank-tionen von der bezeugung von feindlichkeit bis hin zur erzeugung von unbehagen bei dem anderen betroffen zu werden.“ Hartmann [1973], 133, 148; vgl. auch Berens [1981], 405, 408ff..

130 Vgl. 5.2.3.5, Kritik an Verstoß von Kommunikationsregeln, Beispiel (140).

131 Abgesehen davon, dass der mit G identische Autor nach selbstkritischer Überlegung zu dieser Erkenntnis gelangt ist, legt der Versprecher (Vergessen der Negation) Unsicherheit nahe. G‘s Unkooperativität liegt auch darin be-gründet, dass häufig Studierende im Büro anrufen und Wünsche äußern ohne sich vorher vorzustellen.

w: was fürne lEHr-

h: hundertsiebenundrEIßich= bei chErubim, sicherer

Dieser Gesprächsausschnitt ist der Beginn eines im Gesprächsabbruch endenden Wortwechsels:

d: Vorstellung - w: iK!1,1 - h: repair1 - w: NF?1 - h: repair2 - w: iK!1,2 - h: Abwehr1 - w: iK!1,3 / NF?2 - h: repair3 - w: Ablehnung von ‘h’s’ Wunsch - h: kNF? - w: Abwehr2 - h: Abwehr3 - w / h: Streitsequenz mit Gesprächsabbruch durch h

W stellt NF?1 („was für eine Lehrveranstaltung?“), weil H keine näheren Angaben zur Lehrver-anstaltung gemacht hat.132 Die Nennung des Raumes und des Dozenten dürften i.d.R. als adäqua-te repair geladäqua-ten, doch verweigert W die Annahme, indem er implizit auf das gegenüber dem ‘jun-gen Mann’ angebrachte Misstrauen hinweist.133 Aus dieser Misstrauensbekundung und der fol-genden Infragestellung der Vertrauenswürdigkeit des Dozenten („Cherubim? Kenn’ ich nicht“) wird W‘s ablehnende Haltung bereits deutlich, die sich anschließend in seiner Ablehnung des Wunsches ausdrückt. Mit NF?2 stellt W eine weitere Bedingung für die Herausgabe des Gerätes:

132 Positionen 1.: Ein Gerätewart muss nicht wissen, zu welchem Zweck eine ihm fremde Person ein Gerät haben möchte, wenn sie ihm durch eine dritte Person vorgestellt wurde. vs. Postion 2.: Ein Gerätewart ist für die ihm anvertrauten Geräte verantwortlich und muss deshalb wissen, wem und zu welchem Zweck er sie herausgibt.

132 Positionen 1.: Ein Gerätewart muss nicht wissen, zu welchem Zweck eine ihm fremde Person ein Gerät haben möchte, wenn sie ihm durch eine dritte Person vorgestellt wurde. vs. Postion 2.: Ein Gerätewart ist für die ihm anvertrauten Geräte verantwortlich und muss deshalb wissen, wem und zu welchem Zweck er sie herausgibt.

Im Dokument Das Nicht war zu leise! (Seite 160-173)