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Selbstunterbrechung als Wiederholungs-Erst-, Zweit- oder Drittglied

Im Dokument Das Nicht war zu leise! (Seite 120-124)

rezeptionsorientierte Sprachbetrachtung

5. Abweichungen und die Funktionen der Bewältigungsreaktionen

5.1 Sprechplanungsänderungen

5.1.1.4 Selbstunterbrechung als Wiederholungs-Erst-, Zweit- oder Drittglied

Wiederholungen einzelner Wörter oder Phrasen werden in gesprochener Sprache recht häufig produziert.29 In der Regel zeigt der Kontext den Grund für die Wiederholungen.

Erregung

In emotional aufgeladenen Situationen können wörtliche Wiederholungen hörbare Anzeichen für die Erregung eines Sprechers sein.30

(25) ws: ... und es warn/ es warn asYlgesuche von irAnern, +++ ...

--- (asyl-6 28 ws 2)

(26) a: ...na: sIcher’ und nIch nur in d* in der XXX’ ...

--- (p-1-3, 2. 5 a 7)

(27) m1: ... der is wIrklich grOß= ++ der is rIchtich grOß= ++ das-is das is nich so-n so-n-n rEttungswagn, ...

--- (uw-10 5 m1 2-7)

In (25) muss WS sich erstens gegen den Vorwurf der Unaufrichtigkeit zu verteidigen, zweitens versucht er schon seit geraumer Zeit, sein Diskussionsgegenüber von seinen Argumenten zu ü-berzeugen. Daher die Aufregung, die ihn zur SU und Wiederholung zwingt.

In (26) fühlt sich der Politiker A durch die Interviewsituation genötigt, sich mit seiner Vergan-genheit auseinanderzusetzen. In den vorangegangenen Sequenzen ging es um ‘Opportunismus’.

Obwohl sich Journalist und Politiker gegenseitig implizit versichern, den anderen nicht zur Gruppe der Opportunisten zu zählen, indem sie diese Personen einer fremden Partei zuordnen, scheint hier die Befreiung des Politikers aus der Angst durchzubrechen, vom Journalisten insge-heim doch so beurteilt zu werden.

In (25) und (26) sind Abwehrhaltung, bzw. Angst / Befreiung die Erregungsauslöser. In (27) hin-gegen führt lediglich die Frustration von M1 über die (vermeintliche) Begriffsstutzigkeit von M2 zum erregten Sprechen und somit zur Wiederholung zum einen der Subj./Präd.fin.-Gruppe, und

27 Diese Interaktion gehört eindeutig nicht zu den SK nach Fremd-Initiierung, denn m1 bricht seine Rede nach der Fremd-Markierung ab, anstelle sich zu verbessern. Vgl. Sacks / Schegloff / Jefferson [1977], 365ff.

28 Vgl. auch die ähnlich gelagerten Fälle unter 5.1.2.10.

29 Innerhalb der von mir verwendeten Korpora in eindeutiger Form insgesamt 38 mal, vgl. Anh 3; vgl. auch Betten [1980], 193f.

30 Weitere Belege in Anh. 3, #19, #20, #28. Vgl. auch (2).

zum anderen des elliptischen Nominal-Attributes ‘so[lch] ein’. Hier wird also tatsächlich der ganze Satz fehlerhaft produziert – bis auf das entscheidende Wort ‘Rettungswagen’.

Hast31

Der Journalist M wird von A relativ häufig unterbrochen (gleich in dem SU-turn: „und das ist bei uns“, vgl. auch p-1-1 bis p-1-4). Das nachdenkliche „a:=“ nutzt er deshalb zum Erlangen des – eigentlich durch sein redebegleitendes „m:=“ nicht beanspruchte – eigenen turns. In der Eile ver-doppelt er die Subj./Präd.fin.-G.

(28) m: ... m:= + ne:ja= das-s das is ja auch bekannt= ne= das is ja a: + a:= ja und ---

m: auch

a: das is bei uns=/ das-is nich Anders, ...

--- (p-1-4, 3. 8 m 5)

Formulierungsschwierigkeiten

Zwölf Textstellen zeugen von Formulierungsschwierigkeiten.32 Drei davon diskutiere ich hier:

(29) f3: ... aba ich mein das is ja jetzt nich ers bei der nEUe* bei der ä- nn: [na wie] hieß es jetzt + Auslän-n* + das: + das ja jEtz schon so, ...

--- (asyl-10, 3. 13 f3 5, 14 f3 3)

(30) a: ... die lEIter inder SP[D]* inder in= + inder in:der SED ...

--- (p-1-4, 6. 12 a 10-13)

(31) b: ... ich hab dIEse versiO:n damals von dem XXXXXXX XXXX so auch ge- hört= der [w]so gesacht hat was ihr da damals: + ä mit dem XXXXXX und der und der der +++ ntz + und dem XXXXXXXX= +++ mh: da hat [s]ich sowas entwIckelt’ ...

--- (p-5-4, 2. 9 b 11 - 10 b 4)

In (29) fehlt ‘f3’ der richtige Terminus („na wie hieß es jetzt“): Weiter als bis zum ersten Bruch-stück des gesuchten Wortes – ‘Ausländergesetzgebung’ wahrscheinlich – kommt sie nicht. Diese Schwierigkeit bei der Prädizierung führt zur Wiederholung der Präp.- und Attr.-G. vor der Satz-gliedposition des gesuchten Wortes und der doppelten Artikulation der wieder aufgenommenen Subj./Präd.fin.-G. ‘das ist’ im Anschluss daran.

In (30) markiert A durch Abbruch seine Fehl-Produktion (vgl. ähnliche Fälle unter 5.1.1.3) und versucht anschließend das richtige Parteikürzel zu artikulieren. Unklar bleibt, ob sich hierauf le-diglich die Anstrengung des Interviews auswirkt – beide Parteikürzel werden häufig in engem

31 Weitere Belege in Anh. 3, #25; vgl. auch 5.1.1.1.

32 Weitere Belege in Anh. 3, #2,# 6, #7, #10, #18, #21, #30, #32, #33; vgl. auch Kap. 5.1.2.4, 5.1.2.7, 5.1.2.9.

Zusammenhang angesprochen – oder ob eine durch Ablehnung hervorgerufene psychische Sperre der Produktion von ‘SED’ entgegenwirkt.

Am deutlichsten treten die Formulierungs-Probleme in (31) zutage – hier die Namensfindung.

Nach zweimaligem Ansatz mit Konj. und Art. und folgender Reduktion auf Art. macht B eine lange Pause von etwa 2 Sekunden. Das nonverbale „ntz“ zeigt die deutliche Frustration. Nach ei-ner weiteren kurzen Pause fällt B der richtige Name ein, dessen Produktion eventuell das zuerst falsch angenommene Genus verhinderte33.

Ablenkung

In zwei Fällen ist eindeutig Ablenkung34 die SU-Ursache. Beispiel (32): Eine generelle, abfällige Bemerkung über Nachbarn, die ihre Garageneinfahrt wenig umweltfreundlich mit Wasserdruck säubern, anstelle sie zu fegen, führt zu einer ernsthaften Auseinandersetzung: Beide Ehepartner werfen sich gegenseitig vor, beim Zähneputzen das Wasser laufen zu lassen. U will gerade zugeben, dass er das Wasser bei der kleinen Tochter laufen lässt, wird dabei aber durch den Bei-trag seiner Frau, die weiterhin darauf beharrt, dass U das Wasser „nIch aus“ mache, abgelenkt, sodass er nach erfolgreicher Produktion von Subj., Präd.fin., Obj.Akk. und Präp. erneut ansetzt:

(32) u: ... + also ich mAch-s bei/ ich mach-s bei der klEIn: ...

at: [...]nIch aus, --- (ks-5, S3, 29 u 1)

Unsicherheit

In einigen Fällen löst Unsicherheit35 die SU aus:

(33) e: ... wie wird wErbung gemacht, werbung machen wir/ versuchen wir zu machen mit m* all unsern Veranstaltungn die Immer Öffentlich is + ä:

öffentlich sInd ...

--- (p-2-3, 1. 2 e 9 - 3 e 1)

(34) hm: ... und der Ansatz is ebm mal zu kUcken:’ was is da einglich pas- sIErt= wie sind diese m diese milljÖs/ + die gehen a[l]so davon Aus’

daß die: + diese milljÖ:s ebm irngwie zastÖrt wordn sind’ ...

--- (p-5-1, S1, 4. 14 hm 3; 15 hm 4)

In (33) muss E sich auf die Frage, wie in seinem Bezirk Parteiwerbung betrieben werde, erst ein-mal sammeln. Vielleicht ist er von der Qualität seiner Arbeit nicht ganz überzeugt, vielleicht ist er bescheiden. Für die erste Auslegung sprechen die Frage-Wiederholung, die folgende

33 Möglicherweise konnte B den richtigen, männlichen Namen nicht produzieren, weil sie eine Frau vor Augen hat-te.

34 Weiterer Beleg in Anh. 3, #9.

35 Weitere Belege in Anh. 3, #23, #26, #27, #29, #31.

schränkung und der abschließende Versprecher (Subj./Präd.-Numerus-Inkongruenz). An der ent-scheidenden Stelle, wo er die Art der Werbung nennen muss, ‘stockt’ E.36

In (34) zögert HM bei der Produktion des Wortes ‘Milieu’. Eventuell empfindet der politikwis-senschaftlich ausgebildete Journalist den Konflikt zwischen den semantischen Feldern (Milieu ∈

‘soziales Umfeld’ ⊂ ‘wissenschaftlicher Terminus’) und (Milieu ∈ ‘Rotlichtdistrikt’ ⊂ ‘Um-gangssprache’) und befürchtet, schon bei seinen in das Interview einführenden Worten unange-nehm aufzufallen37. Obwohl sich dieser Gedankengang natürlich nicht aus dem gesprochenen Text entnehmen lässt, liegt er aufgrund der angemerkten semantischen Zweideutigkeit recht na-he.38 Ähnlich beschaffen sind die SUs im folgenden Beispiel:

(35) m3: ... kÖnn wa das nich so als wIr/ wIr formulIErn’ ++ so also schÜtz* e-schÜtzn wir den rEgnwald’ rEttn wir das klIma:,

f1: + wIr ---

m1: nIch so vIEL, w*

f1: wIr sIE sind gAnzheitlich drauf, ...

--- (uw-17, 2. 2 m3 7 - 3 m3 5)

Der bislang zurückhaltende39 M3 schlägt eine Formulierung für den Text des Demonstrations-banners vor, über die seine Parter bereits seit einiger Zeit erfolglos verhandeln. Die meisten Vor-schläge sind gemäß den Umgangsformen in der Umweltschutzgruppe offen und z.T. ruppig kriti-siert worden. Die Furcht vor einer ähnlich harten Ablehnung seiner Idee, der Allgemeinaussage eine persönliche Wir-Aussage vorzuziehen, führt zur ersten Wiederholung („wir/ wir“). Die zweite Wiederholung deute ich als Mischung aus Unsicherheit selben Ursprungs und Formulie-rungsschwierigkeiten. Die befürchtete Kritik folgt sogleich: Sachlich durch M1 („nicht so viel“);

polemisch durch F1 („wir wir sie sind ganzheitlich drauf.“).

36 Interessant der Abbruch im Wiederholungsglied, der eventuell als Anzeichen für die überwundene Schwierigkeit gedeutet werden könnte.

37 Die Gesprächspartnerin hatte sich kurz zuvor gegenüber dem Vorhaben skeptisch gezeigt.

38 Eine ‘einfachere’ Erklärung, die sich allerdings sprachlich auch nicht belegen lässt, wäre diese: HM wollte den Terminus ‘Milieustudien’ produzieren, kommt aber mit dem Satzbau nicht zurecht. Dagegen sprechen die folgen-den beifolgen-den Fakten: Erstens darf angenommen werfolgen-den, dass die Frage ‘Wie sind diese Milieus (zerstört worfolgen-den)?’

eine explikative Umformulierung der vorangehenden Frage ‘Was ist da eigentlich passiert?’ darstellt; zweitens lässt sich die Parenthese ‘Die gehen also davon aus, dass diese Milieus eben irgendwie zerstört worden sind.’ als Erklärung für die zweite, abgebrochene Frage deuten.

39 Abgesehen vom Kind hat er in der Gruppe das geringste Durchsetzungsvermögen; vgl. insbes. uw-1 bis uw-10.

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