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Forderung von Festlegung

Im Dokument Das Nicht war zu leise! (Seite 179-184)

rezeptionsorientierte Sprachbetrachtung

5. Abweichungen und die Funktionen der Bewältigungsreaktionen

5.1 Sprechplanungsänderungen

5.2.1 Verständnisfragen (VF?)

5.2.2.6 Forderung von Festlegung

Das Ziel ist, wie oben definiert, die Verständigung auf eine von mehreren möglichen ‘Wahrhei-ten’. So geht es in (117) um die M {eingesperrte Vögel}, nämlich {Hahn} ∨ {Hahn, Hühner}:

(117) u: ... dH: a den habm se jetz auch irgendwie EIngesperrt weil der st: + kEUchn hören,

---

s: chH-HÄ= hähähä=

m: hehehe=

u: näm[l]ich alle blU:mbeete dUrchgescharrt hat,

st: stImmt= ja, wAs hat der’

---

s: [...]

u: alle blUm:beete dUrchgescharrt, [und dann ham se nämich/]

at: [ja die ...] + die ---

u: + jaja=

at: + die hÜHner Auch' +++ + schade ...

--- (ks-5, S14, 1. 153 at 1-3)

Bemerkenswert ist, dass die NF? ihren Anstoß in logischen Erwägungen und nicht etwa sprachli-chen Missverständlichkeiten hat: U hat ganz eindeutig nur vom Hahn gesprosprachli-chen. Die Annahme jedoch, dass nur der Hahn und nicht auch die Hennen in den Blumenbeeten nach Futter suchen sollten, scheint AT nicht logisch zu sein. Daher die NF?, die U die Chance gibt, sich zu korrigie-ren. Seine Antwort zeigt, dass tatsächlich sowohl Hahn als auch Hennen eingesperrt wurden.139 In Beispiel (118) bietet der Bahnbeamte DB dem Kunden K die Auswahl zwischen ‘Hom-burg/Saar’ oder ‘Bad Homburg’ an, um Gewissheit über dessen Zielort zu erlangen:

(118) db: ... also hOmburg, + sA:r oda bAd’ ++ najA’ weils ja auch bAd k: sA:r,

--- db: homburg gibt,

k: nE:’ sA:r, ...

--- (bahn 6 db 1-12)

Der Kunde wollte zwar von Beginn des Handelsgespräches an nach ‘Homburg’, doch waren auf-grund von Übermittlungsschwierigkeiten auch ‘Hamburg’ und ‘Hamm’ im Gespräch. Die NF?

mit der Funktion der Festlegung auf einen bestimmten Zielbahnhof scheint also ganz logisch das Gespräch mit dem Ziel der Kartenausstellung zu beenden. Die Sequenz beendet jedoch einen problematischen, fast in offenen Streit übergehenden Wortwechsel zwischen den beiden Perso-nen:140

db: NF?1 - k: repair1,1 - db: kNF? - k: repair1,2 - db: Beharren - k: eK!1 - db: iK! - k: repair2 - db: Annahme / NF?2,1 - k: repair3,1 - db: NF?2,2 - k: repair3,2

139 Für den davorliegenden Wortwechsel vgl. Beispiel (90) unter 5.2.1.5.

140 Vgl. Anh. 1, bahn.

In Anbetracht der Tatsache, dass die leicht erklärbar scheinende NF?-repair-Sequenz die Deeska-lationsstufe141 des Austausches bildet, muss insbesondere für NF?2,2 eine Zusatzfunktion erwogen werden. Hierfür bieten sich zwei Deutungsmöglichkeiten an: Entweder hat die Äußerung „naja, weil es ja auch Bad Homburg gibt,“ allein entschuldigende und beruhigende Funktion, oder sie hat anstelle dessen oder zusätzlich die Funktion, dem Kunden zu verdeutlichen, dass Genauigkeit bei der Ortsangabe sehr wichtig ist, und dass DB sein Fach versteht.

Das letzte Beispiel enthält zwei auf Festlegung zielende Nachfragen:

(119) m: das heißt + die werdn + von der

Die Technik der Wiederholung oder Paraphrase wird verwendet der Journalist gerne, wie sich in der bisherigen Betrachtung des Korpus ‘p’ gezeigt hat, um Aussagen auf den Punkt zu bringen oder mehr Informationen zu erhalten – so auch hier. Mit NF?1 möchte M klären, ob eine be-stimmte Personengruppe ‘an’ oder ‘von’ der Parteibasis verdrängt wird. Mit NF?2 versucht M, den Politiker auf ein sehr starkes Prädikat in Verbindung mit der zuvor getroffenen Aussage

141 Vgl. Spiegel [1995], 26f.

zulegen. D erfüllt den mit NF?1 ausgedrückten Wunsch („das möchte die Partei [nicht]“); das mit NF?2 verfolgte Ziel wird jedoch nur teilweise erreicht, denn D wehrt ab, obwohl er immerhin ei-ne weiterführende Erklärung anbietet, die M offenbar ausreichend zufriedenstellt („ach [so]“).

5.2.2.7 Wahrheitszweifel

Das Anzweifeln der Wahrheit einer Aussage ist stärkste Handlung, die ein Gesprächsteilnehmer mit einer Nachfrage ausführen kann. In syntaktisch wie prosodisch recht unscheinbarer Weise lässt sich diese Handlung in Beispiel (120)142 beobachten:

(120) m: ich dAchte die zAHln-s nich,

AT behauptet ( +zahlt (Kasse)), M behauptet dagegen ( -zahlt (Kasse)). Ihren Zweifel schwächt sie allerdings durch den Subjektivitäts-Marker „ich dachte“ ab. Dies scheint nur eine Höflich-keitsfloskel zu sein, denn das eigentliche Charakteristikum einer Frage, die Stimmhebung am Satzende, ist hier durch die aussagesatztypische Stimmsenkung ersetzt. AT bietet keine repair an, weil sich das Problem ( +zahlt (Kasse) ∨ -zahlt (Kasse)) durch allgemeine Erörterung löst. Die unterschiedlichen Wahrheitsauffassungen in Beispiel (120) wurden durch unterschiedliche Erfah-rungen ausgelöst – nicht alle Krankenkassen kommen für dieselben Behandlungen auf. Das Prob-lem in (121)143 beruht eher auf einem Übermittlungsfehler, die Reaktion fällt jedoch sehr viel stärker aus:

142 Vgl. auch Beispiel (45) unter 5.1.1.7.

143 Vgl. auch den Beginn dieser Sequenz in Beispiel (114) unter 5.2.2.5.

A1 war kürzlich genau wie ‘Anton’144 beim Akupunktieren. Im Gegenteil zu ihr hatte er offenbar keine „Blutverkrustungen“ am Ohr. Die Heftigkeit des Einwandes ist wohl auf A1‘ Erstaunen zu-rückzuführen, von einer ihm selbst unbekannten Verletzung zu hören. Das Missverständnis kam möglicherweise nur zustande, weil A1, während AT den Namen ‘Anton’ artikulierte, seine Auf-merksamkeit U widmete. Repair ist leicht und wird auch gleich angenommen.

Während in (121) die richtige Besetzung der Objektstelle (A1 ∨ Anton) angezweifelt wird, ist in (122)145 die Wahrheit (M, +verstehen (Persisch (Karte))) strittig. Zu Recht, wie sich zeigt:

(122) m: Echt? [lacht] +p+ Oh, DDa, ich hab gestern Dein +p+ Deine Karte gekriegt!

Wie auch in Beispiel (122) wird in Beispiel (123)146 die Wahrheit einer Aussage in Frage gestellt:

(123) m: ... sind sie vOrher irgendwo polItisch oder in organisatiOnen aktIv ---

Die Frage nach seiner politischen Tätigkeit zu DDR-Zeiten beantwortet D mit einem deutlichen

‚nein‘. Ohne auf D’s turn-Ende zu warten schiebt M sofort seine NF? nach. Da D mittlerweile

144 Der Spitzname ‚Anton‘ von A1’s Verlobter S führt im Sprachgebrauch dieser Freundesgruppe merkwürdigerwei-se auch zur Genusübertragung.

145 Vgl. auch Beispiel (85) unter 5.2.1.3.

146 Vgl. auch Beispiel (40) unter 5.1.1.6.

Politiker einer bundesdeutschen Partei ist, ist diese Frage brisant – zumal die Interviewreihe im Auftrage eben dieser Partei durchgeführt wird. D reagiert dennoch sehr gelassen: „Ich habe kei-nen Sinn darin gesehen“. Da M nur mit dem Rückmeldesignal „m∼m“ respondiert, führt D nach einer sehr langen Pause ( > 4 sec.) zur Erklärung ein Beispiel aus seinem Privatleben an.

Die NF? in (123) lässt sich noch als journalistisches Mittel der genauen Wahrheitsfindung deu-ten. Zu den Rollenmustern von Interviewpartnern gehört, dass der Fragende brisante Fragen stel-len darf, die der Befragte beantworten soll. In (124) hingegen bezweifelt H, dass ein persischer Bekannter von N Universitätsdozent sei. Diese NF? ist stärker face-threatening, weil die zum Gesprächstyp ‘Interview’ gehörende Rollenverteilung kein Element des Gesprächstyps ‘persönli-che Unterhaltung’ ist. Darüberhinaus sind H und N im Gegensatz zu den einander fremden M und D befreundet. Das Infragestellen der Wahrheit einer Aussage entspricht somit viel stärker ei-nem Angriff auf die Person, doch reagiert N lediglich mit eiei-nem bejahenden ‘mhm’:

(124) h: Was macht er in München?

n: Äh +p+ er gibt Unterricht in Uni München.

h: In der Uni?

n: Mhm.

h: Ist er da Gastdozent?

n: Was ist Gastdozent?

h: Das heißt, das er - sagen wir - ein Jahr in Deutschland an der Uni (ist und)

n: (Ja, ein Jahr!)

h: (danach wieder) zurück in den Iran geht.

n: Ja, ja.

--- (wiese 32, 1. 3 h 1-3)

Nach dem gleichen Muster verläuft die NF?-repair-Sequenz in Beispiel (125), nur dass H in die-sem Fall mit der Vermutung recht hat, dass N keine Arbeitserlaubnis besitze:

(125) n: Ah, eine lange Geschichte, für drei Jahre dauert die Geschichte!

h: Wegen deiner Aufenthaltserlaubnis +p+ oder Arbeitserlaubnis?

n: Nein, ich habe Arbeiterlaubnis, bekomme (ich) h: (Du) hast ne Arbeitserlaubnis?

n: Ach so! Nein! Zuerst muß ich eine Arbeit finden, und dann bekomm ich Arbeitserlaubnis von Arbeitsamt.

h: Ja, genau.

n: Ja. Arbeiterlaubnis von Arbeitsamt. +p+ ...

--- (wiese 33, 4 h 1-4)

Den zuvor behandelten Sequenzen ist die Grundfunktion ‘Wahrheitsfindung’ gemeinsam. In Bei-spiel (126)147 jedoch dient die NF? vornehmlich der Provokation durch Sarkasmus:

(126) st: ... + wIEso frAgt ihr EInglich, das vastEH ich nich sO:=

ein wenig amüsiert ein wenig interessiert

at: weil sie erklärend freundlich e: [...] [A U f E s s s s verträumt

---

st: ich dAchte imma man schnAppt sich die kInda und: bIndet die im bEtt ein wenig provozierend

at: immer nich rEInwill,

e: =] [...

--- st: fEst, + nIch=

ironisch belehrt

u: +++ +++ Ach, s-gibt tAUsend thEorIEn, ...

at: m~M:=

mit vollem Mund verneinend

e: ...]

--- (ks-5b, S15, 5 st 10)

Im Dokument Das Nicht war zu leise! (Seite 179-184)