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Selbstunterbrechung vor Formulierungspause

Im Dokument Das Nicht war zu leise! (Seite 114-118)

rezeptionsorientierte Sprachbetrachtung

5. Abweichungen und die Funktionen der Bewältigungsreaktionen

5.1 Sprechplanungsänderungen

5.1.1.2 Selbstunterbrechung vor Formulierungspause

(ks-3, S5,65 u 3)

Dieses Phänomen ähnelt in der Erscheinungsform den vor Formulierungspausen auftretenden Selbstunterbrechungen recht auffällig.

5.1.1.2 Selbstunterbrechung vor Formulierungspause

Selbstunterbrechungen zeigen oft deutlich, dass der Produzent Zeit zum geistigen ‘Zurechtlegen’

der weiteren sprachlichen Formulierung benötigt. Vier Erscheinungsformen lassen sich isolieren:

‘Stottern’ und Stocken, Zögern, Silbensuche und Umformulierung.

‘Stottern’ und Stocken

Beim Stottern11 steht das ‘prozessuale’ Erscheinungsbild der Produktion im Vordergrund:

(4) u: ... m* muß* mUßte ma[l] sAgn’ s-nÄchste mal wenn ...

--- (ks-5, S2, 3. 20 u 2-3)

Die zweisilbige Verschmelzung von ‘musst + Du’ bringt U in drei Schritten hervor (Anlaut – Ba-sismorphem Prädikat – Zusammenziehung Prädikat / Personalpronomen). Der Kontext lässt al-lerdings keinen Rückschluss auf die Ursache für diese Sprechhemmung zu. Unter ‘Stocken’12 verstehe ich eine SU, die durch Einfügen einer u.U. mit Lautproduktionen gefüllten Pause zeigt, dass die betreffende Morphemfolge dem Sprecher Artikulationsschwierigkeiten bereitet13:

11 Belege in Anh. 3, #49, #52.

12 Belege in Anh. 3, #45, #51, #53-58, #62.

13 Nicht wie z.B. das ‘Stottern’, das ein(en) Lexem(verbund) ohne wortfremde Produktionen hervorbringt.

(asyl-12 5 f4 1)

(6) a: ... und einn krEISverbAnd ge* ng* gegrÜndet hatte’ ...

--- (p-1-2, S4, 2. 39 a 4-5)

(7) m: ... + sIcher’ also wer’ wer sich k*karrIErechancen verspricht’ das is ja auch in* inner XXXX-XXX’ ...

--- (p-1-3, 1. 3 m 3 - 4 m 7)

F4 hat sowohl vor (SU/SK: „politisch verfolgter“; „wieder je nach dem“) als auch nach der Be-fundstelle („je nach politischer Ausrichtung; wer halt meint“) Formulierungsprobleme. Die SU nach dem Präfix des Partizips fügt sich also konsequent in den zerrissenen Satzproduktionsver-lauf ein. Die Unfähigkeit, das Wort ‘abhängig’ sofort im Ganzen auszusprechen, lässt sich nicht anders erklären, als dass die Produzentin in diesem zeitlichen Bereich ihrer Ausführungen offen-bar mehr Konzentration darauf verwendet, was sie sagen möchte, als wie sie es sagen möchte.

In (6) stockt A an dem Wort ‘gegründet’. Zwischen Präfix und Stamm produziert er den Laut /ng/. Was A an dieser Stelle Schwierigkeiten bereitet, lässt sich auch hier nicht ermitteln.

(7) zeigt in ganzer Breite die (momentane) Unsicherheit des Sprechers. Der Journalist M muss das unangenehme Thema ‘Karrierechancen und Opportunismus’ ansprechen. Die Produktions-muster gleichen den direkt daran anschließenden von S in (3) und (10) bis (12) sehr stark.

Die Zerrissenheit der Wortfolge in der Sequenz in (8) ähnelt (5):

(8) a: ... ++ Und + ö: + der e*kla* + ä: der klArn erkEnntnis’ ...

--- (p-4-2 3 a 3-4)

Viele Pausen trennen die einzelnen Wörter; zweimal mit Füll-Partikeln (/ö:/, /e/ und /ä:/). Noch stärker als in (4) bis (6) ist die Zergliederung der Art./Attr.Adj.-Gruppe: Beim ersten Ansatz wer-den Artikel und Attribut bereits durch die Füllpartikel /e/ getrennt; das Partizip wird innerhalb der ersten Silbe abgebrochen. Erst auf eine Pause und die weitere Füllpartikel /ä:/ folgt dann die korrekte Produktion. Deuten läßt sich diese SU aus der Überlegung heraus, dass weder besonders

‘klar’ ist, welche Erkenntnis A darlegen will, noch dass das, was er sagen möchte, ‘klar’ im Sin-ne von ‘sofort leicht nachvollziehbar’ sein könnte.

(9) besitzt zwar keine herausragende Unterbrechungsstruktur, doch gibt es eine relativ plausible Begründung, weshalb A stockt: Es fällt ihm schwer, das Wort ‘Sozialismus’ zu produzieren:

(9) a: ... neunzehnhundertneun:achzisch noch den so* den: sozialIsmus: ...

--- (p-4-8 10 a 3)

(5) f4: ... das hIEße also wenn jetzt eina aus sYrien/ ein polItisch verfolg- ta aus sYrien wieda je nach dem vonna wIllkür em [...bedIenstetn] Ab*

ä Abhängich je nach + polItischa AUsrichtung’ wEr halt e-meint ...

---

Zögern

Zögerliche Sprachproduktion14 lässt sich auf unklare turn-taking-Prozesse (10), Unsicherheit oder Nachdenklichkeit (11), oder etwa mangelnder Kompetenz (12), (13) zurückführen:

(10) st: ... wiesO, da wOHnta oda wA*

(11) m: ... wel* welche rolle spieln: die pfArrer’

a: ++ e: inda= ++ nisch mehr

In (10) antworten sowohl U als auch A2 auf ST‘s Frage nach dem Wohnort einer bestimmten Person. Da U das turn schneller ergreift als A2, könnte die SU als abgebrochener turn-claiming-Versuch gedeutet werden. Näher liegt jedoch die Annahme, dass A2 entweder etwas unsicher war und U’s Antwort abwarten wollte oder aus Höflichkeit das Ende von U’s turn abwarten wollte. Eindeutiger zeigt (11), wie stark SUs in zögerliches Antworten eingebunden sein können:

A‘s Rede ist durch insgesamt sieben Pausen und drei Pausenfüllpartikeln unterbrochen. Die zwei SUs liegen an entscheidenden Stellen: einmal beim Prädikatsadjektiv ‘relevant’ (bereits die Ne-gation zeichnet sich durch zögerliche Anlautung aus); einmal im zweiten Anlauf zur Präzisierung des bereits Gesagten beim Prädikatsverb ‘spielt’15.

In (12) und (13) fehlen der Produzentin ganz einfach die ‘richtigen’ Wörter:

(12) m: ... das ist ihre +p+ wie heißt das? Punish.

15 Sehr außergewöhnlich hier die Unterbrechung ohne Wiederholung zwischen [sch] und [p].

Im Teil-Korpus ‘wiese’ sind solche SUs sehr häufig. Die SU tritt an einer Stelle auf, an der dem L2-Sprecher ein Lexem fehlt. Nach der SU wird dann die Gesprächspartnerin und ‘Expertin’

Wiese um Hilfestellung gebeten – in (12) und (13) ganz direkt und fast formelhaft durch ‘wie heißt das?’16. In beiden Fällen werden Hinweise mitgeliefert: in (12) das entsprechende englische Verb (‘punish’), in (13) eine rudimentäre Paraphrase (‘diese mit Bronchien usw.’).

Wortsuche

Die von mir unter ‘Wortsuche’17 subsummierten Selbstunterbrechungen unterscheiden sich von den unter (12) und (13) beobachteten SUs dadurch, dass dort für das Zögern die Überlegung aus-schlaggebend ist, ob Hilfestellung erbeten werden sollte, wohingegen in den folgenden Beispie-len die ‘interne’ Suche im Vordergrund steht.

(14) ir: ...da gIbt’s ja nich gleich diese + Abschiebungs* ++ em Androhung’

...

--- (asyl-4, 1. 3 ir 3)

(15) st: ... ++ von/ von/ wIE heißt das da:= rEIchstach, nE’ ...

--- (ks-3, S4 59 st 1-2)

In (14) kündigt sich die SU durch die kurze Pause vor dem abgebrochenen Kompositum an. Dem Abbruch folgt eine weitere, längere, durch die Verlegenheitspartikel „em:“ abgeschlossene Pau-se. Erst jetzt, etwa 2 Sekunden nach der einleitenden Pause, schiebt IR das Zweitglied ‘Andro-hung’ nach. Ganz deutlich löst das mental nicht greifbare Zweitglied die Pausen und die SU aus.

In (15) spricht B das momentane Defizit nach zweifachem Ansatz explizit an: „wie heißt das da?“.18 Diese Zeitspanne reicht offenbar aus um mit den Gedanken ‘aufzuholen’, denn das ge-wünschte Lexem wird anschließend produziert: „Reichstag, ne?“.

(16) b: ... un:d ham s* ko* so: äm: konkrEte vorstellung jetz so von Unsan gesprÄch oda:= ...

--- (p-5-1, S2, 1. 25 b 5-7)

Hier fehlt das Lexem ‘Vorstellung(en)’. Deshalb setzt B zweimal zur Präp.-G. ‘so konkret(e)’ an;

das erste Mal jeweils abgebrochen, das zweite Mal durch Dehnung des Modalwortes und Ein-schub der Pausenfüllpartikel „äm:“ verlängert.

16 Vgl. auch 5.1.1.7, Beispiele (44) und (45).

17 Belege in Anh. 3, # 42, 48, 60.

18 Im Gegensatz zu den mit (12) und (13) angesprochenen Fragen ist die Frage unter (15) selbstgerichtet.

Umformulierung

Umformulierungen19 sind den Selbstkorrekturen bereits sehr verwandt. Das Unterscheidungskri-terium ist meist, dass Umformulierungen – im Gegensatz zum Prozess in SKs – die allgemeine Satzaussage nicht verändern.

Subjekt- und Prädikatwechsel bei gleichbleibenden Satzgliedern:

(17) jf: ... + also die ham/ das is theorEtisch unbegrenzt, + ...

--- (asyl-3, 2. 18 jf 3-5)

Konjunktion als Füllwort:

(18) m3: ... ja man/ + und ja man kann das [aba] auch ganz Andas machn= ...

--- (uw-5, 2. 6 m3 2)

Anpassung des Artikels an ein neu gewähltes Objekt:

(19) m3: ... es gIbt ja:= In: In: dEn:/ in der stEllungnahme ...

--- (uw-8, 6. 23 m3 5-6)

(erfolglose) Anpassung des Artikels an ein Subjekt:

(20) n: ... und danach ist das +p+ diese Mann^

h: Der Kellner.

n: Ja. ...

--- (wiese 24 2 n 4)

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