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I. Theoretischer Teil

6. Zusammenfassung

Der vorliegenden Arbeit liegt die Prämisse der Existenz und Eigenständigkeit einer physikalisch realisierten Entsprechung des psychologischen Konstrukts Affiliationsmo-tiv zugrunde. Für ein solches AffiliationsmoAffiliationsmo-tiv lässt sich auf der Basis empirischer

Hinweise ein phylogenetischer Ursprung rekonstruieren. Die Etablierung sozialen An-schlusses kann demnach als ein adaptives Problem aufgefasst werden, für dessen Lö-sung sich diverse regulative Mechanismen herauspräpariert haben. In den vorangegan-genen Kapiteln wurden primär die Hypothese, dass Menschen sozialen Anschlusses bedürfen, und die Fragen, warum und unter welchen situativen Bedingungen dies der Fall ist, thematisiert.

Ein weit reichendes Forschungsvakuum besteht jedoch insbesondere bezüglich der Frage, wie, d. h. durch welche Prozesse, durch welche regulativen Mechanismen, ge-währleistet wird, dass Menschen sozialen Anschluss initiieren, sozialen Ausschluss vermeiden etc. Die Identifizierung und Analyse solcher Regulationsmechanismen, wel-che Antworten auf das adaptive Problem der Etablierung sozialen Anschlusses geben, sind die zentralen Anliegen dieser Arbeit. Von Interesse ist somit die damit einherge-hende inhaltliche Anreicherung des psychologischen Konstrukts Affiliationsmotiv.

Gardner et al. (in Druck) weisen in diesem Zusammenhang auf Folgendes hin: „It wasn’t until the last decade or so that social psychologists began to explicitly pursue the mechanisms of belonging regulation, defined here as the processes that afford adaptive monitoring and responding to changes in inclusionary status“, woraus sich für die Auto-ren z. B. folgende Frage ergibt: „ ... What are the processes and mechanisms that con-tribute to individual’s ability to recover from and avoid rejection?” Das angesprochene Forschungsdefizit gilt insbesondere für den Forschungsbereich soziale Ablehnung, wie auch Leary (2001) bemerkt: „Until recently, only a handful of studies had explicitly examined the consequences of being ignored, excluded, or rejected“ (S. 24). Leary (2001) resümiert weiter: „The conclusions arising from these studies were fairly limited, and, as noted, sometimes contradictory“ (S. 26).

Ergänzend ist hinzuzufügen, dass sich die Forschung zum Affiliationsmotiv bislang primär auf qualitative Untersuchungsstrategien konzentrierte: Interviewverfahren, Ta-gebuchanalysen und Rollenspiele kamen dabei zum Einsatz (vgl. z. B. Williams, Shore

& Grahe, 1998). Ein anderer – bereits erwähnter – Forschungsstrang war (und ist noch) stark differentiellpsychologisch ausgerichtet (vgl. z. B. Mehrabian & Ksionzky, 1974;

Schüler, 2002; Shipley & Veroff, 1952; Sokolowski, 1993). Das Affiliationsmotiv wird dort zumeist mittels projektiver oder semi-projektiver Verfahren diagnostiziert und die resultierenden Werte anschließend mit diversen Variablen korreliert. Gelegentlich wer-den mittels Mediantrennung aus wer-den Werten der diagnostischen Verfahren auch Vpn-Gruppen gewonnen, die anschließend in quasiexperimentellen Designs mit

nen sozialen Szenarien konfrontiert werden (z. B. Schüler, 2002; Sokolowski, 1993).

Solche Vorgehensweisen sind angesichts des dort vertretenen Motivkonzepts und der ethischen Problematik, die mit einer experimentellen Manipulation des Affiliationsmo-tivs verbunden ist, durchaus nachvollziehbar. Die Aussagekraft der auf diese Weise generierten Befunde ist jedoch gewissen Einschränkungen unterworfen.

Die vorliegende Untersuchung soll aus diesen Gründen sowohl einen theoretischen wie auch einen experimentell-empirischen Beitrag zum Themenkreis regulative Mecha-nismen sozialer Anschlussmotivation leisten. Die folgenden Kapitel wenden sich den mutmaßlichen regulativen Mechanismen des Affiliationsmotivs zu, die im Rahmen der geplanten Experimente dieser Untersuchungsreihe erforscht werden sollen. Nähere Aus-führungen zum Konstrukt des regulativen Mechanismus finden sich z. B. bei Brewer (in Druck) und auch bei Eisenberger und Lieberman (in Druck).

Vorab jedoch soll noch ein weiterer theoretischer Aspekt zur Sprache kommen. Die Fragestellungen und Theorien, die dieser Arbeit zugrunde liegen, ermöglichen die Ein-bettung in einen einheitlichen theoretischen Rahmen. Der bisherigen Darstellung fol-gend, scheint die Betrachtung des Affiliationsmotivs aus einer evolutionspsychologi-schen Perspektive vielversprechend zu sein. Dies wurde in den vorangegangenen Kapi-teln mehrfach demonstriert. Auch die im Folgenden zu beschreibenden regulativen Me-chanismen des Affiliationsmotivs sind einer fruchtbaren evolutionspsychologischen Herleitung zugänglich. Evolutionspsychologische Annahmen sollen aus diesem Grund den übergeordneten theoretischen Rahmen für die vorliegende Arbeit abgeben. Im fol-genden Exkurs werden daher einige kursorische Ausführungen zu den Axiomen, der Historie und den kritischen Aspekten der Evolutionspsychologie gemacht.

Exkurs: Teleofunktionale Hintergrundannahmen

In der evolutionspsychologischen Forschung wird von der Annahme ausgegangen, dass Menschen als Mitglieder der Spezies Homo sapiens Produkte der natürlichen Selektion sind (vgl. z. B. Buss, 2004; Tooby & Cosmides, 1992). Offenkundig sind menschliche Gliedmaßen oder auch menschliche Organe, wie z. B. das Herz und die Lunge, Resulta-te des Evolutionsprozesses. Diese Organe haben eine adaptive Funktion, und es er-scheint geradezu absurd, diese Organe unter nicht-funktionalen Gesichtspunkten zu be-trachten. Es ist nun nahe liegend, von der Annahme auszugehen, dass auch das Organ Gehirn und damit die menschliche Psyche Produkte der natürlichen Selektion sind (bzw. ein Produkt der natürlichen Selektion ist) (Tooby & Cosmides, 1992). Die

liche Selektion ist demnach derjenige Kausalprozess, der zur Ausbildung von Neuro-nen und NeuroNeuro-nenverbänden, d. h. zu einer panhuman speziestypischen Zytoarchitektur des Gehirns, und damit gleichzeitig zur Ausbildung psychologischer Eigenschaften ge-führt hat. Die konkrete synaptische Verschaltung innerhalb dieser Gehirnstrukturen un-terliegt allerdings ontogenetischer Plastizität (vgl. z. B. Turner & Greenough, 1983).

Die natürliche Selektion ist somit nicht nur derjenige Kausalprozess, der zur Aus-bildung morphologischer Merkmale, wie z. B. dem Magen, geführt hat, sondern sie ist auch derjenige Kausalprozess, der zur Entwicklung psychologischer Merkmale, wie z. B. dem entsprechenden Hunger – als Bewertungs- und Verhaltensprädisposition – geführt hat. Damit hat die natürliche Selektion die Psyche mithilfe von Genen auf die Lösung bestimmter adaptiver Probleme programmiert (vgl. dazu Dawkins, 1994).

Menschliches Denken, Fühlen und Handeln kann daher ebenso fruchtbar aus funkti-onaler Perspektive betrachtet werden wie die Stacheln des Igels oder dessen Einrollver-halten bei Gefahr. Funktionale Erwägungen können daher auch für die Identifizierung und Analyse von Bewertungs- und Verhaltensprädispositionen fruchtbar gemacht wer-den.

Im heutigen Zeitalter lebende Repräsentanten der Spezies Homo sapiens sind dem-nach Nachkommen von Vorfahren, die Mutationen mit psychologisch relevanten adap-tiven Eigenschaften entwickelten (Tooby & Cosmides, 1992). Vorfahren, die über sol-che adaptiven psychologissol-chen Mechanismen nicht verfügten, konnten ihre Gene mit geringerer Wahrscheinlichkeit in die nächsten Generationen transferieren. Genausstat-tungen dieser weniger erfolgreichen Individuen wurden daher zurückgedrängt, d. h., solche Individuen vermochten sich mit ihren weniger vorteilhaften Merkmalen nicht gegen Konkurrenten durchzusetzen und starben aus. Die menschliche Psyche beruht demnach z. T. auf mehrere Millionen Jahre alten Mechanismen, die auch heute leben-den Menschen noch zu eigen sind und massiven Einfluss auf ihr Erleben und Verhalten ausüben. Die Möglichkeit, dass solche Mechanismen in der modernen Welt durchaus dysfunktional geworden sein können oder auch eine Eigendynamik entwickelt haben können, läuft diesem Gedanken nicht zuwider (Buss, 2000).

Es drängt sich somit die Frage auf, warum die psychologische Forschung nicht von einer der erfolgreichsten empirischen Theorien – der Evolutionstheorie von Charles Darwin (1859/2004) – profitieren sollte. Das breite empirische Fundament dieser Theo-rie – respektive ihrer Erweiterungen durch die inklusive FitnesstheoTheo-rie Hamiltons (1964) – speist sich aus unzähligen Quellen. Disziplinen wie die Paläontologie,

ryologie, Morphologie, Molekulargenetik, Tier- und Pflanzenzucht sind hier exempla-risch zu erwähnen. Letztlich lässt sich der Evolutionsprozess sogar direkt beobachten, wie z. B. im Fall der Industriemelanisierung des Birkenspanners. Einen Überblick über die Beiträge der erwähnten Disziplinen gibt Mayr (1994). Angesichts der beeindrucken-den empirischen Bewährtheit der Evolutionstheorie ist aus heutiger Sicht kaum mehr nachvollziehbar, dass erst im Jahr 1908, beinahe 50 Jahre nach Erscheinen des Werks

„On the Origin of Species“ von Charles Darwin (1859), in dem der Autor seine Theorie der Evolution durch natürliche Selektion formulierte, McDougall die Begründung einer Evolutionspsychologie propagierte (McDougall, 1908/1960). Sich des Bereicherungs-potentials des Gedankens der natürlichen Selektion gegenwärtig, forderte McDougall (1908/1960) die systematische Analyse psychologischen Geschehens aus evolutionärer Perspektive.

Die Ethologie war jedoch der erste Forschungszweig, in dem in systematischer Wei-se Verhaltenssysteme hinsichtlich ihrer Funktionalität und Angepasstheit untersucht wurden. Es wurde von der Annahme ausgegangen, dass sich zur Lösung adaptiver Prob-leme angeborene Mechanismen, die im Zentralen Nervensystem lokalisiert sind, heraus-präpariert haben – so genannte angeborene Auslösemechanismen (vgl. z. B. Lorenz, 1937). Angeborene Auslösemechanismen stellen sensorische Erkennungsmechanismen für bestimmte Reize dar, denen fest „verdrahtete“ Verhaltensprogramme, die so genann-ten fixed action patterns, zugeordnet sind.

Die Übertragbarkeit ethologischer Befunde auf den Humanbereich war jedoch oft fraglich, spezifisch menschliche Merkmale, wie z. B. die Sprache, entzogen sich wei-testgehend eines ethologischen Forschungszugangs, der in der Ethologie verwendete Instinktbegriff stellte sich als zirkulär heraus und letztlich waren wegen des Fehlens von Erlebens- und Verhaltensfossilien die postulierten Adaptationen im strengen Sinne nicht nachweisbar. Einen Überblick über die Schwierigkeiten, mit denen die klassische Etho-logie konfrontiert war, gibt z. B. Trautner (1992).

Für die moderne Evolutionspsychologie ist die klassische Ethologie daher von eher sekundärem Interesse. Die moderne Evolutionspsychologie hat ihr Methodenarsenal im Vergleich zur Ethologie deutlich erweitert, und auch der Gegenstandsbereich evoluti-onspsychologischer Forschung wurde auf Erlebensaspekte ausgedehnt. Dennoch ist auch die moderne Evolutionspsychologie mit einigen der erwähnten Schwierigkeiten konfrontiert. So lassen sich beispielsweise auch in der modernen Evolutionspsychologie keine Experimente durchführen, die im strengen Sinne nachweisen könnten, dass ein

beobachtbarer Mechanismus tatsächlich als eine Adaptation zu klassifizieren ist. Das entscheidende Moment evolutionspsychologischer Theorien muss wegen des Unvermö-gens, Selektionsdrücke in der Vergangenheit zu variieren u. ä., zumindest vorläufig un-geprüft bleiben. Zudem ermangelt es nach wie vor Erlebens- und Verhaltensfossilien.

Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es zum Nachweis psychologischer Adaptatio-nen keiner Erlebens- und Verhaltensfossilien bedarf, da psychologische Eigenschaften wohl auf bestimmte Gehirnstrukturen supervenieren (z. B. Metzinger, 2003a). Es ist daher denkbar, dass in absehbarer Zukunft eine Methode entwickelt wird (z. B. auf ge-netischer Ebene), mit der in der Tat psychologische Adaptationen nachgewiesen werden können. Vorläufig aber bleiben evolutionspsychologische Theorien zu einem gewissen Grad spekulativ und entsprechende Befunde angreifbar.

Dem ebenfalls häufig vorgetragenen Einwand einer einseitigen Betonung ererbter Merkmale ist jedoch insofern zu begegnen, als auch aus Sicht der Evolutionspsycholo-gie nicht geleugnet wird, dass insbesondere höhere Primatenarten eine unsagbare Flexi-bilität und Plastizität im Verhalten entwickelt haben (vgl. dazu Buss, 2004). Die menschliche Psyche ist das Produkt einer komplexen Interaktion von Phylogenese und Ontogenese. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass zum einen die Fähigkeit zum Lernen ein Produkt der natürlichen Selektion ist, und dass zum anderen dem Lernen gewisse biologische Grenzen gesetzt sind. So können durch Lernen nicht alle Reizkon-figurationen äquipotentiell miteinander verknüpft werden (Garcia y Robertson & Gar-cia, 1985; Seligman & Hager, 1972). Garcia y Robertson und Garcia (1985) resümieren ihre diesbezüglichen Forschungsbefunde folgendermaßen: „From the evolutionary view, the rat is a biased learning machine designed by natural selection to form certain CS-US associations rapidly but not others“ (S. 25). Die Forschung zu dieser so genann-ten biologischen preparedness blieb nicht auf den Animalbereich beschränkt (z. B. Öh-man, 1987). Somit sind Menschen keine passiven Empfänger kultureller Sozialisations-prozesse, sie scheinen i. d. S. mitnichten tabulae rasae zu sein. Erfahrungen, die in der Ontogenese erworben werden, sind nicht imstande, Eigenschaften anzunehmen, die nicht in den Eigenschaften von Neuronen oder Neuronenverbänden etc. bereits prädis-poniert wären.

Das Selbstverständnis der modernen Evolutionspsychologie ist weniger dasjenige einer neuen Disziplin im Kanon der klassischen Disziplinen, sie versteht sich vielmehr als eine neue Perspektive (Meyer, Schützwohl & Reisenzein, 2003). Dies führt gele-gentlich dazu, dass des Verdachts der Tautologie und des logischen Zirkelschlusses

nicht freie Post-hoc-Erklärungen generiert werden. Die evolutionspsychologisch orien-tierte Revision altbekannter Phänomene muss jedoch keineswegs trivial sein. Die Evo-lutionspsychologie ist darüber hinaus auch durchaus einem hypothetico-deduktivem Vorgehen zugänglich (Buss, 2004).

In der vorliegenden Arbeit wird die Ansicht vertreten, dass die Evolutionspsycholo-gie ein enormes Bereicherungspotential für die psychologische Forschung besitzt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll daher der Versuch unternommen werden, den Problemkreis sozialer Anschluss aus der skizzierten evolutionspsychologischen Per-spektive zu erhellen. Dies scheint ein vielversprechendes Unternehmen zu sein, da es nahe liegend ist anzunehmen, dass sich auch im Bereich menschlichen Sozialverhaltens Adaptationen entwickelt haben. Cosmides und Tooby (1992) stellen diesbezüglich heraus: „Our ancestors have been members of social groups and engaging in social in-teractions for millions and probably tens of millions of years“ (S. 163).

Die phylogenetische Verankerung des Affiliationsmotivs wurde bereits ausführlich dargestellt. Die Etablierung sozialen Anschlusses wurde primär als adaptives Problem charakterisiert. Nun soll auf potentielle regulative Mechanismen eingegangen werden, die bei der Lösung dieses Problems mutmaßlich relevant sind. Rudolph (2003) be-schreibt die diesbezügliche Logik der Evolutionspsychologie, die auch dieser Arbeit zugrunde liegt, wie folgt:

Die Evolutionäre Psychologie hat das Ziel, diejenigen Anpassungsprobleme zu identifizieren, die den Menschen im Laufe seiner evolutionären Entste-hung geprägt haben. In einem nächsten Schritt geht es darum zu prüfen, ob unsere psychologischen Mechanismen die Merkmale aufweisen, die zu er-warten sind, wenn sie sich zur Lösung dieser spezifischen Anpassungsprob-leme entwickelten. (S. 237)

Auf den Affiliationskontext bezogen schreibt Leary (2001): „Thus, an adaptive drive to seek social acceptance must be accompanied by mechanisms for enhancing the likeli-hood that one will, in fact, be accepted rather than rejected by at least some other peo-ple“ (S. 4). Die nachfolgenden Kapitel widmen sich der theoretischen Herleitung sol-cher Mechanismen.