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I. Theoretischer Teil

7. Regulative Mechanismen des Affiliationsmotivs

7.1 Emotionale Regulationsmechanismen

7.1.2 Emotionen im Kontext des Affiliationsmotivs

Soziale Isolation ist, der bisherigen Darstellung folgend, über lange Phasen der Evoluti-onsgeschichte des Menschen hinweg ein Überlebensrisiko gewesen. Vor dem Hinter-grund der dargestellten Emotionstheorien sollten daher tatsächliche und auch antizipier-te Zustände sozialer Exklusion aversives emotionales Erleben hervorrufen, welches den isolierten Organismus zur Veränderung seines Zustandes antreibt. Soziale Inklusion

hingegen sollte emotional belohnend wirken bzw. als belohnend antizipiert werden können, so dass Organismen bestrebt sind, geeignete soziale Kontakte herzustellen bzw.

aufrechtzuerhalten. Dies sind globale Vorhersagen, die sich auch aus der Theorie des Anschlussmotivs von Baumeister und Leary (1995, 2000) ableiten lassen. Leary (2001) drückt diesen komplexen Sachverhalt in einfachen Worten aus: „Thus, the prospect of long-term survival was not good for anyone who lived alone in the ancestral environ-ment“ (S. 147) und: „Emotions associated with rejection and acceptance must have served some important purpose in the evolutionary past that led to the promulgation of the genes of people who experienced them“ (S. 147).

Hinweise auf die Bedeutung emotionaler Reaktionen bei kurzfristiger und perma-nenter sozialer Isolation, d. h. bei einer Deprivation des Affiliationsmotivs, lassen sich zuvörderst den in Kapitel 3.3 dargestellten korrelativen Studien entnehmen. Wegen des korrelativen Charakters dieser Untersuchungen ist jedoch völlig unklar, ob die aufge-fundenen emotionalen Reaktionen Ursache, direkte Folge oder eine durch andere Vari-ablen vermittelte Folge eines fehlenden sozialen Netzes sind. Da sich die wenigen verbleibenden experimentellen Untersuchungen in der Affiliationsforschung zumeist auf die Messung anderer Variablen, wie z. B. den Selbstwert (Leary, Tambor, Terdal &

Downs, 1999), der Intelligenz (Baumeister, Twenge & Nuss 2002) oder der Gedächtnis-leistung (Gardner et al., 2000) von Personen nach experimentell induzierter sozialer Exklusion konzentriert haben, ist derzeit noch ungeklärt, welche Emotionen im Affilia-tionskontext relevant sind. Offen ist damit auch, welche Emotionen bei der Befriedi-gung oder antizipierten BefriediBefriedi-gung des Affiliationsmotivs, also bei sichergestellter sozialer Inklusion, zu beobachten sind. Auf der Ergebnisgrundlage mehrerer Untersu-chungen kann sogar die Relevanz von Emotionen für das Affiliationsmotiv generell angezweifelt werden (vgl. dazu z. B. Baumeister & DeWall, in Druck; Baumeister et al., 2002). Dies kann als Zeugnis für die Inkonsistenz und Ambiguität der derzeitigen ein-schlägigen Befundlage angesehen werden. So resümiert auch Twenge (in Druck): „Does social rejection lead to a negative emotional state? This should have been the easiest question to answer in our field of research, but it has turned out to be one of the most difficult.“

In der vorliegenden Arbeit wird der Frage nachgegangen, ob Emotionen im Affilia-tionskontext relevant sind. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass in einem experimentell realistischen Versuchsdesign, in dem Vpn von einer tatsächlich

denen und direkt anwesenden Gruppe abgelehnt werden, sich in der Tat emotionale Reaktionen der oben postulierten Art auffinden lassen.

Darüber hinaus ist von Interesse, welche Emotionen es konkret sind, die bei einer Veränderung des sozialen Affiliationsstatus von Personen in Erscheinung treten. Es wird angenommen, dass die Emotionen Angst, Ärger, Freude und Traurigkeit auch im Affiliationskontext von Bedeutung sind. Um diese Annahmen theoretisch herzuleiten, wird nachfolgend nochmals auf die Emotionstheorie von Izard (1994b) Bezug genom-men.

Izard (1994b) vertritt ebenso wie die Mehrzahl der evolutionspsychologisch orien-tierten Emotionstheoretiker (Ekman & Friesen, 1971; McDougall, 1908/1960; Plutchik, 2003; Tomkins, 1962) eine Theorie, die von der Existenz einer geringen Anzahl von Basisemotionen ausgeht. Unter den Basisemotionen Izards (1994b) befinden sich u. a.

Furcht, Ärger, Traurigkeit und Freude – Emotionen, die von anderen Autoren ebenfalls als Basisemotionen anerkannt werden (z. B., Ekman & Friesen, 1971; McDougall, 1908/1960; Plutchik, 1958; Tomkins, 1962).12

Emotionen bilden für Izard (1994b) das primäre Motivationssystem des Men-schen.13 Jede Emotion hat dabei eine ihr inhärente adaptive Funktion. Zwischen Izard (1994b) und anderen evolutionspsychologisch orientierten Emotionstheoretikern besteht weitgehendes Einvernehmen darin, welche Funktion den einzelnen Basisemotionen zukommt. Dies soll im Folgenden für die vier Emotionen Angst, Ärger, Freude und Trauer, die für diese Arbeit von Bedeutung sind, kurz dargelegt werden.

Durch die Emotion Furcht werden körperliche Verletzungen u. dgl. vermieden, weil ein Organismus durch diese Emotion i. d. R. zur Flucht vor Gefahren bewegt wird (z. B.

Izard, 1994b; McDougall, 1908/1960; Plutchik, 1993). Furcht tritt vermutlich auch im Zusammenhang mit dem Verlust sozialer Unterstützung auf (Plutchik, 2003): Mögli-cherweise handelt es sich dabei um die Antizipation, bei fehlender sozialer Unterstüt-zung einem erhöhten VerletUnterstüt-zungsrisiko ausgesetzt zu sein.

Ärger wird durch Behinderungen bei der Ausführung einer zielgerichteten Handlung ausgelöst und veranlasst den Organismus, die blockierenden Hemmnisse zu beseitigen –

12 Diesen Emotionen könnte eine noch basalere Dimension zugrunde liegen, nämlich eine Dimension. Bei der Ausdifferenzierung affektiven Erlebens könnten solche primitiven Lust-Unlust-Mechanismen durchaus von neuen Systemen „versklavt“ worden sein. Differenziertere Emotionssys-teme würden sich demnach in einem gewissen Sinne parasitär verhalten (z. B. Plutchik, 2003).

13 Eine Kritik der fortschreitenden Entemotionalisierung der Motivationspsychologie findet sich bei So-kolowski (1993).

möglicherweise mit dem Einsatz drastischer Mittel (z. B. Izard, 1994b; McDougall, 1908/1960; Plutchik, 1993). Auch Beleidigungen und die Wahrnehmung von ungerech-ter Behandlung vermögen offenbar die Emotion Ärger auszulösen (Plutchik, 2003). Der Ausschluss aus einer Gruppe könnte unter bestimmten Bedingungen ebenfalls als un-gerechte Behandlung oder auch als unausgesprochene Beleidigung interpretiert werden.

Ärger könnte unter solchen Umständen auch deshalb auftreten, weil sich bestimmte Ziele ausschließlich im Gruppenverband erreichen lassen. Sozialer Ausschluss würde unter diesen Umständen indirekt die Ausführung zielgerichteter Handlungen blockieren.

Freude tritt in zahlreichen Facetten auf. Beispielsweise ist es nahe liegend anzu-nehmen, dass die Lust am Kopulationsakt ebenfalls evolviert ist (Plutchik, 2003). Sozia-le Zuwendung und soziaSozia-le Anerkennung werden alSozia-lerdings ganz allgemein als Auslöser für die Emotion Freude angesehen (Izard, 1994b; Leary, 2001; Plutchik, 2003).

Eine vitale Funktion von Traurigkeit postulieren zu wollen, ist prima facie ein Para-doxon, da Traurigkeit durchaus dysfunktionale Konsequenzen nach sich ziehen kann und dem Überleben sowie der Reproduktion nicht sonderlich zuträglich zu sein scheint:

Persönliche Ziele werden nicht mehr verfolgt, der „sexuelle Appetit“ wird geschmälert, Personen ziehen sich u. U. sogar sozial zurück.

Die Funktion von Trauer und bestimmter moderater Formen von Depression könnte allerdings darin liegen, dass Personen bei verfehlter oder unwahrscheinlicher geworde-ner Zielerreichung „Egeworde-nergien“ aus diesen nicht erreichbaren Zielprojekten abziehen und in solchen Situationen gleichzeitig eine Art Verlust an Enthusiasmus, Sinnerleben o. ä.

verspüren. Das Erleben von Traurigkeit ist demnach ein Begleitprodukt der durch einen soliden Realismus gekennzeichneten Handlungs-Selektionsphase, die zur Generierung neuer, erreichbarer Ziele dient. Diese Interpretation kann auf folgende Befunde rekurrie-ren: Traurigkeit, Depression, Verzweiflung und Resignation können offenbar leicht das Resultat einer realistischen Selbst- und Weltsicht sein. Ein Hinweis darauf geht bei-spielsweise aus einer Untersuchung hervor, die zeigte, dass Personen, die sich in einem depressiven Zustand befinden, ihre Kontrollmöglichkeiten in einer Laboraufgabe realis-tischer einschätzten als eine nicht-depressive Vergleichsgruppe (Taylor & Brown, 1988). Dies ist ein Phänomen, welches – einhergehend mit einigen weiteren – auch als depressiver Realismus bezeichnet wird (Krebs & Denton, 1997). So scheinen moderat depressive Personen auch gewissen selbstwertdienlichen kognitiven Verzerrungen nicht zu unterliegen (Taylor & Brown, 1994). Eine solche depressiv-realistische Selbst- und

Weltsicht könnte genau dann funktional sein, wenn daraus realistische, d. h. erreichba-re Zielsetzungen entspringen.

Es ist darüber hinaus möglich, dass die Ausdruckserscheinungen von Traurigkeit bewirken, dass traurige Personen von anderen Personen in ihrer Umgebung sozial un-terstützt werden (Leary, 2001; Plutchik, 2003). Symptome von Traurigkeit können scheinbar leicht zu Auslösern für die Hilfsbereitschaft anderer Personen werden (Plut-chik, 2003).

Traurigkeit tritt vermutlich auch im Zusammenhang mit dem Verlust sozialer Ver-bindungen auf (Leary, 2001; Plutchik, 2003). Den vorangegangenen Ausführungen fol-gend, könnte eine wesentliche Funktion von Trauer somit in der Herstellung (neuer) sozialer Kontakte bestehen. Daher ist diese Emotion für die vorliegende Arbeit ebenfalls von besonderem Interesse.

Die beschriebenen Emotionen Traurigkeit, Ärger, Angst und Freude werden von ei-ner Vielzahl von Emotionstheoretikern als Basisemotionen konzipiert (s. o.); hinsicht-lich dieser vier Emotionen besteht diesbezüghinsicht-lich somit weitestgehend Konsens. Im Ein-vernehmen damit schreibt auch Plutchik (2003): „Almost all theorists who have written on this subject agree that anger, fear, joy, and sadness should be considered to be basic emotions“ (S. 89). Diese Emotionen lassen sich im Übrigen auch faktorenanalytisch auffinden (Cattell, 1957).

Um die Annahme zu prüfen, dass Emotionen durchaus eine prominente Rolle im so-zialen Affiliationsgeschehen einnehmen, und um zur Aufklärung und Entwirrung der diesbezüglich spärlichen und ambigen Befundlage beizutragen, wird im ersten Experi-ment der vorliegenden Untersuchung das emotionale Erleben von Vpn nach experimen-tell induzierter sozialer Ablehnung bzw. nach experimenexperimen-tell induzierter sozialer Akzep-tanz erfasst. Neben einer deutschen Übersetzung der Differential Emotions Scale (DES) von Izard (1977) zur differenzierten Erfassung subjektiv erlebter Emotionen wird noch ein objektivierbarer Indikator – der Saliva-Cortisolspielgel – zur Emotionserfassung herangezogen.

Bei der deutschen Übersetzung der DES handelt es sich um die Differentielle Affekt Skala (DAS) von Merten und Krause (1993). Nähere Erläuterungen zu der verwendeten Skala finden sich in Kapitel 9.2.2.1. Die Erhebung des Cortisolspiegels mithilfe von Speichelproben soll indes der erwähnten verhaltensenergetisierenden Funktion von E-motionen Rechnung tragen, und zwar insofern, als die Konzentration dieses Hormons Auskunft über das Energetisierungsniveau von Personen gibt. Mittels dieses Indikators

sollen zudem Rückschlüsse auf die Intensität und Valenz der erlebten Emotionen er-möglicht werden. Detaillierte Ausführungen zu diesem Indikator werden in Kapitel 9.2.2.1 gemacht.

7.1.3 Fazit

Die meisten gegenwärtigen Emotionstheorien teilen die Annahme, dass sich Emotionen entwickelt haben, um einen Organismus darauf vorzubereiten, die Anforderungen seiner Umwelt adaptiv zu bewältigen. Gemäß der Theorie des Anschlussmotivs von Baumeis-ter und Leary (1995, 2000) führen auch Veränderungen des sozialen Affiliationsstatus von Personen zu Veränderungen im emotionalen Erleben dieser Personen. Gesetzt den Fall, die Basisemotionen Angst, Ärger, Traurigkeit und Freude sind diesbezüglich rele-vante Emotionen, so lässt sich deduzieren, dass eine Veränderung des sozialen Affiliati-onsstatus von Personen Auswirkungen auf diese genannten Emotionen hat. In Anleh-nung an die operationale Emotions-Definition von Kleinginna und Kleinginna (1981) empfiehlt es sich, mehrere Indikatoren zur Messung von Emotionen heranzuziehen. Mit der Erfassung sowohl der subjektiven als auch der peripher-physiologischen Kompo-nente von Emotionen kann das noch weitgehend ungeklärte emotionale Geschehen im Affiliationskontext untersucht werden.