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I. Theoretischer Teil

7. Regulative Mechanismen des Affiliationsmotivs

7.2 Kognitive Regulationsmechanismen

7.2.1 Kognitive Prozesse

Kognitionen sind i. d. R. darauf gerichtet, bestimmte motivationale Ziele zu erreichen und Hindernisse zu beseitigen, die diesen Zielen entgegenstehen (Anderson, 2001).

Kognitionen sind daher ihrer Beschaffenheit nach Problemlöseprozesse (Newell, 1980;

Tolman, 1932). Bei der Konfrontation mit einem Problem werden demnach nach be-stimmten Prinzipien Problemlöseoperatoren generiert und ausgewählt. Die Auswahl der Operatoren, die von einem Organismus vorgenommen wird, reduziert den Raum

cher Zustände und ermöglicht dem Organismus im optimalen Fall die Überführung eines zumeist aversiven Ausgangszustands in einen erwünschten Zielzustand.14

Der Gedanke, dass Kognitionen lediglich Instrumente sind, die keine wesentlich an-dere Funktion haben als diejenige, Lebewesen in ihrem Streben nach grundlegenden Bedürfnissen zu unterstützen, ist weder selten noch neu. Ein eifriger Verfechter dieser Position war beispielsweise Friedrich Nietzsche. Zwei seiner Aphorismen mögen dies belegen: „Unsere Bedürfnisse sind es, die die Welt auslegen; unsre Triebe und deren Für und Wider“ (Nietzsche, 1901/1996, S. 337) und: „Denken ist nur ein Verhalten die-ser Triebe zueinander“ (Nietzsche, 1886/1999, S. 54). In die gleiche Richtung weist auch McDougall (1908/1960): „Der komplexe intellektuelle Apparat selbst der höchst-entwickelten Psyche ist nur ein Mittel zu diesen [instinktiven] Zielen, ist bloß das In-strument, durch das diese Impulse ihre Befriedigung zu erlangen suchen“ (S. 38). Pro-vozierend stellt Dember (1974) heraus: „The brain is a servant of the stomach and the sex organs: cognitive processes are instruments, means to an end“ (S. 167). Plutchik (2003) hält darüber hinaus fest: „Conscious thought and reason, often referred to as cognitions, are generally believed to be part of the process of adapting to the environ-ment and have an evolutionary based structure“ (S. 45). Metzinger (2003a) illustriert diesen Gedanken an einem Beispiel: „Therefore, we can today more easily imagine and simulate those types of situations, which possess great relevance to our survival“ (S.

59). Nicht zuletzt weist auch Klix (1998) in seinem Artikel „Evolutionsbiologische Spu-ren in kognitiven Strukturbildungen und Leistungen des Menschen“ darauf hin, dass die Entstehung kognitiver Prozesse ein Teil der Erdgeschichte und damit der Evolution sind.

Der von Köhler (1917/1973) untersuchte Affe Sultan, der nach kurzer kognitiver In-kubationszeit zwei kurze Stöcke zu einer langen Stange verband, erst mit deren Hilfe er das außerhalb seines Käfigs liegende Futter erreichen konnte, veranschaulicht in aller Deutlichkeit die Konzeption kognitiver Prozesse als Instrumente zur Steigerung der Überlebens- und Reproduktionschancen eines Organismus. Eine differenzierte Darstel-lung weiterer diesbezüglicher Befunde findet sich z. B. bei Lukesch (2001).

14 In Anbetracht der Ambiguität der Termini Kognition, kognitive Prozesse etc. und der Vielzahl vorlie-gender Definitionsmöglichkeiten dieser Begriffe ist es sicherlich unproblematisch, eine Perspektive einzunehmen, von der aus diese und die nachfolgenden Aussagen als unzureichend oder auch als zu weit reichend kritisiert werden können. Für die theoretische Einbettung der vorliegenden Untersuchung ist die hier vertretene Auffassung von Kognitionen jedoch außerordentlich zielführend.

Cosmides und Tooby (1992) sowie Gigerenzer (1998) wiesen für den Humanbe-reich nach, dass logische Probleme wie das Medizinische-Diagnose-Problem oder die Wasonsche Wahlaufgabe (z. B. Wason, 1983) erst dann von der überwiegenden Mehr-zahl der Vpn korrekt gelöst werden können, wenn diese Probleme quasi als adaptive Probleme umformuliert werden. Die für die Lösung solcher Aufgaben erforderlichen Denkprozesse sind demnach genau dann besonders effektiv, wenn diese logischen Prob-leme in einem Format präsentiert werden, welches in der environment of evolutionary adaptedness (EEA) dieser Denkprozesse ebenfalls präsent war (Cosmides & Tooby, 1992). Unter solchen Umständen funktionieren mentale Algorithmen schnell, zuverläs-sig und ökonomisch effizient (Cosmides & Tooby, 1992). Die üblichen Denk- und Ent-scheidungsprozesse können unter diesen Voraussetzungen EntEnt-scheidungsprozessen, die aufgrund der formalen Logik korrekterweise getroffen werden müssten, sogar überlegen sein (Cosmides & Tooby, 1992). Dies ist nur prima facie ein Paradoxon, denn formallo-gische Denkfehler sind in natürlichen Umwelten gelegentlich hochgradig angemessen und adaptiv. Menschen begehen offenbar gelegentlich formallogische Denkfehler, da deren Korrektur zu nachteiligen Entscheidungen für sie führen würde. Dies wurde von Cosmides und Tooby (1992) anhand frappierender Beispiele demonstriert.15 Kognitive Prozesse laufen demnach immer dann besonders effizient ab, wenn die Aufgabenstel-lung, denen diese kognitiven Operationen gelten, in einem Format präsentiert werden, welches den Umweltgegebenheiten und dem Charakter der Probleme, mit denen auch Vorfahren des modernen Menschen konfrontiert waren, gerecht wird.

Wie eng kognitive Prozesse an die Lösung adaptiver Probleme gebunden sein kön-nen, lässt sich exemplarisch dem aktuellen Forschungsstand zur Wasonschen Wahlauf-gabe entnehmen. Da diese Forschungsaktivitäten auch mit dem Affiliationsmotiv in Beziehung stehen und die inhaltliche Ausrichtung der menschlichen Informationsverar-beitung auch einen zentralen Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit dar-stellt, werden im Folgenden einige diesbezügliche Befunde kurz referiert.

Cosmides (1989) und Cosmides und Tooby (1992) haben evolvierte Lösungsme-chanismen für adaptive Probleme identifiziert, die speziell mit kooperativem Verhalten zusammenhängen. Um die potentiell erfolgreiche kooperative Entscheidungsregel quid

15Da auch die formale Logik per se „lediglich“ ein anthropomorphes Konstrukt ist, das zwar hochgradig adaptiv ist, das jedoch keineswegs wahrheitsverbürgend ist (vgl. Nietzsche, 1901/1996), handelt es sich bei den von Gigerenzer (2000) und Tooby und Cosmides (1992) untersuchten anthropomorphen Ent-scheidungsfehlern, die durch Verstöße gegen die formale Logik zustande kommen, lediglich um „Feh-ler“ gradueller Natur. Es handelt sich um „Feh„Feh-ler“, die an fehlerhaften evolvierten Verzerrungen – als Kriterium – gemessen werden.

pro quo (Axelrod & Hamilton, 1981) auch erfolgreich anwenden zu können, müssen Individuen imstande sein, Betrüger zu entlarven (Cosmides & Tooby, 1992). Ein sol-cher cheater-detection-mechanism wurde von Cosmides und Tooby (1992) mithilfe der Wasonschen Wahlaufgabe identifiziert. Diese Wahlaufgabe stellt Probanden vor ein Problem des deduktiven Schließens nach der Form eines konditionalen Syllogismus.

Das Problem kann mithilfe des Modus ponens und des Modus tollens logisch korrekt gelöst werden. Der Modus ponens wird korrekt angewendet, wenn das Antecedens einer Konditionalaussage vorliegt (formal: wenn P, dann Q; P gilt) und auf die Gültigkeit der Konsequenz geschlossen wird (formal: Q gilt). Der Modus tollens wird korrekt ange-wendet, wenn die Konsequenz einer Konditionalaussage verneint ist (formal: wenn P, dann Q; Q gilt nicht) und auf die Verneinung des Antecedens geschlossen wird (formal:

P gilt nicht). Probanden vermögen den Modus ponens zwar i. d. R. erfolgreich anzu-wenden, bei der Anwendung des Modus tollens treten jedoch häufig Fehlschlüsse auf bzw. Fehlschlüsse werden in diesem Fall sehr häufig akzeptiert (z. B. Rips & Marcus, 1977).

Es stellte sich jedoch auch heraus, dass die Wahrscheinlichkeit, die Wasonsche Wahlaufgabe lösen zu können, mit deren inhaltlich-semantischer Füllung variiert (mides & Tooby, 1992). Es konnten so genannte context effects ermittelt werden. Cos-mides und Tooby (1992), Gigerenzer (2000) sowie Gigerenzer und Hug (1992) haben nun durch zahlreiche Entscheidungsexperimente eine Theorie untermauern können, die exakt zu diskriminieren vermag, bei welchen inhaltlich-semantischen Füllungen die Wahlaufgabe von der überwiegenden Mehrzahl der Probanden gelöst werden kann und wann die Lösungswahrscheinlichkeit auf dem niedrigen Niveau der ursprünglich abs-trakten Formulierung der Aufgabe verbleibt. Es handelt sich dabei um die Theorie der sozialen Kontrakte von Cosmides und Tooby (1992).

Cosmides und Tooby (1992) gehen im Rahmen dieser Theorie von der Annahme aus, dass Menschen genau diejenigen Wahlaufgaben ohne Schwierigkeiten zu lösen vermögen, welche als soziale Kontrakte formuliert sind, bei denen potentielle Betrüger zu entlarven sind. Ein sozialer Kontrakt ist dabei als Situation definiert, in der es einem Individuum obliegt, eine Gegenleistung zu erbringen, um eine Leistung eines anderen Individuums bzw. einer Gruppe in Anspruch nehmen zu können (Cosmides & Tooby, 1992). Betrug liegt genau dann vor, wenn ein sozialer Kontrakt gebrochen wird, d. h.

wenn ein Individuum die Leistung einer anderen Person bzw. einer Gruppe in Anspruch nimmt, ohne eine Gegenleistung erbracht zu haben (Cosmides & Tooby, 1992).

Wahlaufgaben, die sich an einer solchen Struktur orientieren, sind nach Cosmides und Tooby (1992) deshalb von der überwiegenden Mehrzahl der Probanden lösbar, weil sie einem adaptiven Problem gemäß formuliert sind, für dessen Lösung sich in der Evo-lutionsgeschichte des Menschen spezifische adaptive Informationsverarbeitungsprozes-soren herauspräpariert haben. Das adaptive Problem besteht darin, nach erbrachten Leis-tungen auch entsprechende GegenleisLeis-tungen in Anspruch nehmen zu können, und ein erster Schritt zur Lösung dieses Problems besteht darin, Personen identifizieren zu kön-nen, die zu entsprechenden Gegenleistungen verpflichtet sind. In den Wahlaufgaben von Cosmides und Tooby (1992) werden Vpn vor Identifikationsprobleme der beschriebe-nen Art gestellt.

Durch die Entwicklung von Mechanismen, die der Entlarvung von Betrügern die-nen, wurde demnach eine wichtige Voraussetzung für effektive Kooperation im Hu-manbereich geschaffen (Cosmides & Tooby, 1992).

Die geschilderten theoretischen Positionen und Befunde sind allerdings nicht unwi-dersprochen geblieben (vgl. z. B. Sperber, Cara & Girotto, 1995, Sperber & Girotto, in Druck). Die Kritik macht beispielsweise auf die Möglichkeit des Vorliegens bestimmter Konfundierungen in den oben genannten Untersuchungen aufmerksam. Alternativerklä-rungen zur Theorie der sozialen Kontrakte konnten jedoch weitgehend entkräftet wer-den (vgl. dazu z. B. Cheng & Holyoak, 1985; Cosmides & Tooby, 1992; Gigerenzer &

Hug, 1992).

Insgesamt scheinen kognitive Prozesse auf die Lösung adaptiver Probleme ausge-richtet zu sein. Vice versa lässt sich formulieren, dass biogene Motive kognitive Prozes-se zu steuern vermögen. Weitere Belege für dieProzes-ses Postulat finden sich im nächsten Ka-pitel. Die angesprochene Steuerungsfunktion kognitiver Prozesse durch Motive wird nun auch dem Affiliationsmotiv in concreto zugesprochen. Dies wird im Folgenden dargelegt.