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II. Experimenteller Teil

9. Experiment 1

9.4 Diskussion

9.4.2 Ergebnisinterpretation bzgl. der kognitiven

Die Daten des Reaktionszeittests wurden mithilfe einer mehrfaktoriellen univariaten Varianzanalyse ausgewertet. Das daraus resultierende Befundmuster der ANOVA ist hypothesenkonform. Der aufgefundene Haupteffekt des ersten Faktors soziale Affiliati-on wurde ebenso erwartet wie das Ausbleiben eines Haupteffekts des zweiten Faktors Ego-Involvement (vgl. Hypothese 4).

Das Ergebnismuster der Analyse ist im motivationspsychologischen Sinn eindeutig interpretierbar (vgl. Tabelle 14): Sozial ausgeschlossene Vpn reagierten schneller auf anschlussthematische, d. h. motivrelevante Stimuli, als Vpn, die neutral behandelt wur-den. Dieser Unterschied war spezifisch, weil er nicht bei neutralthematischen, d. h. mo-tivirrelevanten Stimuli, auftrat.

Überdies reagierten Vpn in den Inklusionsbedingungen nicht weniger schnell auf anschlussthematische Stimuli als Vpn in den Kontrollbedingungen. Die Reaktionszeiten auf anschlussthematische (vs. neutralthematische) Begriffe blieben bei den sozial akzep-tierten Vpn somit auf dem Niveau der Kontrollgruppen. Die vorhandenen Mittelwerts-differenzen zwischen diesen beiden Gruppen konnten inferenzstatistisch nicht gegen zufällige Schwankungen abgesichert werden. Dieses Befundmuster ist ebenfalls im mo-tivationspsychologischen Sinne eindeutig interpretierbar, da es die Befriedigung eines Motivs nicht mehr erforderlich macht, für motivrelevante Reize sensibilisiert zu sein bzw. schnell auf diese zu reagieren. In einem „gesättigten“ Zustand noch empfänglich für motivrelevante Stimuli zu sein, wäre vermutlich sogar dysfunktional.

Es muss jedoch hinzugefügt werden, dass diese Interpretationen auf tendenziellen Effekten fußen. Da es durchaus umstritten ist, mit statistischen Signifikanztests auf die-se Weidie-se zu verfahren, wird hier einer Empfehlung von Backhaus et al. (2003) gefolgt, die der Auffassung sind, dass es dem Leser oder der Leserin wissenschaftlicher Arbei-ten zu überlassen ist, ob der Betrag eines bestimmArbei-ten p-Werts marginal über .05 noch als Effekt zu akzeptieren ist oder nicht. Der entsprechende p-Wert ist dann – wie in die-ser Arbeit geschehen – im Ergebnisteil exakt anzugeben. Die oben vorgenommene Da-teninterpretation wird allerdings auch vollständig durch die Analysen der Effektstärken gestützt.

Zu erklären bleibt noch der Umstand, dass erst die gemeinsame Analyse sowohl der-jenigen Vpn, die mithilfe des Soziometerverfahrens soziale Ablehnung erfuhren, als auch derjenigen Vpn, die mittels der Zufallsprozedur sozial ausgeschlossen wurden, den berichteten tendenziellen Effekt hervorbrachte. Dies wurde zwar erwartet (vgl. Kapitel 9.1), allerdings steht eine umfassende Begründung dafür noch aus. Ein erneutes Auffin-den eines Interaktionseffekts der beiAuffin-den Faktoren soziale Affiliation und Ego-Involvement wäre prima facie ebenfalls plausibel gewesen. Das Befundmuster wäre dann mit den Befundmustern der subjektiv erlebten Emotionen vergleichbar gewesen.

Dort zeichneten sich Interaktionseffekte ab, die primär auf die Versuchsgruppe zurück-ging, die durch die Soziometerprozedur abgelehnt wurde. Obschon Abbildung 8

deutlicht, dass ein ähnliches Muster auch hinsichtlich der Reaktionszeitverbesserungen auf anschlussthematische Begriffe auftrat, so reichte das Ausmaß der Mittelwertsdiffe-renzen nicht aus, um einen statistisch bedeutsamen Interaktionseffekt hervorzubringen.

Eine Erklärung für diesen Sachverhalt liegt darin, dass die Selbstbezogenheit (die Ego-Relevanz), welche durch die Soziometerprozedur induziert wurde, bei der kogniti-ven Problemanalyse wenig relevant ist. Die kognitikogniti-ven Anforderungen, die an Personen in den jeweiligen Zufallsbedingungen gestellt wurden, waren hypothesengemäß iden-tisch mit denen, die an die Personen in den jeweiligen Soziometerbedingungen gestellt wurden. Die beiden Gruppen der UV 2 waren demnach mit einem strukturell identi-schen Problem konfrontiert. Für die „emotionale Mehrbelastung“ der abgelehnten Vpn in der Soziometerbedingung (gegenüber den ausgeschlossenen Vpn in der Zufallsbedin-gung) gibt es in der hier untersuchten „kognitiven Variablen“ keine Entsprechung. Da-her variieren die Befunde hinsichtlich dieser kognitiven Regulationsmechanismen in diesem Aspekt nuanciert von den Ergebnismustern hinsichtlich der emotionalen Regula-tionsmechanismen.

Es erstaunt möglicherweise, dass in evolutionspsychologisch ausgerichteten Expe-rimenten auf die stark kulturell geprägte Sprache als Mittel zur Untersuchung der regu-lativen Mechanismen von Motiven rekurriert wird (vgl. Kapitel 7.2.2). Dies ist viel-leicht insbesondere deshalb verwunderlich, weil Sprache häufig lediglich als Epi-Phänomen anderer ihr zugrunde liegender kognitiver Prozesse angesehen wird (z. B.

Greenberg, 1963). Gerade dieses Argument ist es aber, das die Untersuchung von Spra-che als Symptom universaler Mechanismen legitimiert. Die kulturelle Prägung einer Sprache steht nicht im Widerspruch zu dem Gedanken, dass bestimmte Begriffe für Personen in bestimmten motivationalen Zuständen aus letztlich biologischen Gründen eine hohe Relevanz bekommen können.

Bevor auf ein generelles Fazit der Befunde des Reaktionszeittests eingegangen wer-den kann, ist noch ein Aspekt zu erwähnen, der die Art der Leistungsverbesserungen der sozial ausgeschlossenen Vpn betrifft. Die Reaktionszeitverbesserungen der ausge-schlossenen Vpn gegenüber den Vpn aller anderen Gruppen müssen nicht notwendi-gerweise das Resultat einer Sensibilisierung der Wahrnehmung für motivrelevante Sti-muli sein. Es ist durchaus möglich, dass diese Leistungsverbesserungen durch eine ver-besserte motorische Reaktion auf anschlussthematische Stimuli zustande kamen. An welcher Stelle der gesamten Informationsverarbeitungssequenz die Leistungsverbesse-rungen für motivrelevante Stimuli auftraten, kann durch die in diesem Experiment

gesetzte Messmethodik nicht entschieden werden. Die Untersuchung dieser Fragestel-lung war jedoch auch nicht das primäre Ziel des vorliegenden Experiments. Entschei-dend für dieses Experiment war insbesondere der Nachweis der Selektivität der gemes-senen Leistungsverbesserungen. Die Tatsache, dass eine selektive Beschleunigung der Informationsverarbeitung für motivrelevante Stimuli auftrat, ist aus funktionaler Per-spektive per se interessant.

In der vorliegenden Arbeit wird – wie theoretisch detailliert hergeleitet wurde – die Ursache der festgestellten Leistungsverbesserungen in einer selektiven Sensibilisierung der Wahrnehmung für motivrelevante Stimuli gesehen. Alternative Erklärungen werden in einschlägigen Arbeiten kaum thematisiert (vgl. Kapitel 7.2.2). Da alternative Erklä-rungen jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden können, wurde die diesen Aspekt des Experiments betreffende Hypothese dementsprechend allgemein formuliert (vgl. Hypothese 4).

Die berichteten Befunde des Reaktionszeittests reihen sich damit in die im Theorie-teil der vorliegenden Arbeit berichteten Studien ein, die den Nachweis eines selektiven Einflusses von motivationalen Zuständen auf die Wahrnehmungsleistung von Personen erbringen konnten (z. B. Bruner & Goodman, 1947; Hassebrauck, in Druck; Wispé &

Drambarean, 1953). Mit dem vorliegenden Experiment ist ein Beleg für die Möglichkeit einer Übertragung dieser Befunde auf das Affiliationsmotiv gelungen. Die Verarbei-tungsgeschwindigkeit anschlussthematischer Informationen wird offenbar in selektiver Weise forciert, sobald Personen mit dem Problem der Etablierung sozialen Anschlusses konfrontiert sind. Dieser kognitive Regulationsmechanismus ist vermutlich hochgradig adaptiv, wie in Kapitel 7.2.2 ausgeführt wurde.