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I. Theoretischer Teil

7. Regulative Mechanismen des Affiliationsmotivs

7.2 Kognitive Regulationsmechanismen

7.2.2 Kognitionen im Kontext des Affiliationsmotivs

Die vorangegangenen Ausführungen gegenwärtig ist es nicht verwunderlich, dass dem modernen Motivkonzept auch kognitive Elemente immanent sind (McClelland, 1987;

Schneider & Schmalt, 2000). So impliziert auch die Theorie des Anschlussmotivs von Baumeister und Leary (1995, 2000) kognitive Prozesse und weist diesen eine basale Rolle im motivationalen Geschehen zu: „A fundamental motivation should ... direct

cognitive processing“ (S. 26). Von welcher Beschaffenheit diese kognitiven Prozesse sind, wird im Rahmen der Theorie jedoch nicht näher spezifiziert.

Aus evolutionspsychologischer Perspektive ist jedoch zu erwarten, dass im Falle der Konfrontation mit einem komplexen adaptiven Problem entsprechende problembezoge-ne kognitive Ressourcen eiproblembezoge-nes Organismus massiv rekrutiert werden. So wäre es ver-mutlich von Vorteil, wenn die kognitive Verarbeitung anschlussthematischer Informati-onen stark forciert werden würde, sobald ein Individuum mit dem adaptiven Problem der Etablierung sozialen Anschlusses konfrontiert wird. Damit würde der entsprechende Organismus beispielsweise befähigt werden, effektive Problemlöseoperatoren auszu-wählen oder auch motivrelevante Reizkonfigurationen mit hoher Geschwindigkeit zu erkennen und deren Befriedigungswert adäquat einzuschätzen. Durch solche Prozesse könnte dann beispielsweise die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass ein Orga-nismus einen aversiven Affiliationszustand (z. B. soziale Isolation) in einen vorteilhaf-teren Zustand (z. B. soziale Inklusion) zu überführen vermag.

Prozesse der beschriebenen Art lassen sich als Top-down-Prozesse der Informati-onsverarbeitung rubrizieren (vgl. z. B. Palmer, 1975). Solche Top-down-Prozesse be-ginnen möglicherweise zunächst mit der Aktivierung spezifischer problem- bzw. motiv-relevanter Netzwerke im Zentralen Nervensystem. Diese Aktivierung könnte zur Folge haben, dass z. B. Wahrnehmungsschwellen und Reaktionszeiten selektiv für motivthe-matische Stimuli sinken oder solche Stimuli auch extensiver exploriert werden. Die per-zeptuelle Vigilanz für motivrelevante Stimuli würde somit steigen (vgl. dazu auch die Hypothesentheorie der Wahrnehmung von Bruner & Postman, 1951). Die allgemeine Funktionsweise solcher Top-down-Prozesse ist also derart vorstellbar, dass einige Ner-venbahnen, die für die frühe – hier visuelle – Informationsverarbeitung zuständig sind, von motivrelevanten Prozessoren selektiv gehemmt, andere für die frühe visuelle In-formationsverarbeitung zuständige Nervenbahnen hingegen selektiv gestärkt werden.

Auf diese Weise können motivrelevante Prozessoren die frühe perzeptive Informations-verarbeitung funktional penetrieren und die Antworttendenz bestimmter neuronaler Strukturen modulieren und umkonfigurieren. Die Wahrnehmung kann dadurch selektiv für bestimmte, motivrelevante Reizklassen sensibilisiert werden (vgl. dazu Metzinger, 2003b).16

16 Diese Auffassung könnte dahingehend radikalisiert werden, dass Organismen ausschließlich durch ihre Motive „Zugang zur Welt“ bekommen, d. h., sie sind außerstande, etwas anderes wahrzunehmen als eben solche Reize, die für die Motive des Organismus eine vitale Relevanz haben. Die Besonderheit an den beschriebenen Top-down-Prozessen ist allerdings die, dass es zu einer temporären

motivspezifi-Bezogen auf das Affiliationsmotiv stellen Gardner et al. (2000) heraus:

Given the adaptive nature of living in social groupings for our early ances-tors and the dire consequences of expulsion, successful individuals may have been motivated to maintain their acceptance within the group and thus sensitively attuned to information relevant to this motive. (S. 487)

Ein erster Hinweis auf die Gültigkeit dieser Annahme entstammt einer Untersuchung von Gardner et al. (2000), die in zwei Experimenten zeigen konnten, dass Vpn, die durch einen simulierten Computer-Chat-Room eine Zurückweisung erfahren mussten, in einem späteren Gedächtnistest selektiv bessere Erinnerungsleistungen für soziale Ereignisse aufwiesen (die in einem zuvor zu lesenden Tagebuch aufgeführt waren), als Vpn, die in dem simulierten Chat-Room soziale Akzeptanz erfuhren. Diese Resultate stützen die Annahme, dass die Sensibilität für soziale Informationen als Funktion der aktuellen Anschlussmotivation variiert. Die genannten Autoren generalisieren die Er-gebnisse ihrer Experimente wie folgt: „We believe that just as physical hunger increases sensitivity to food cues …, social hunger increases sensitivity to social cues, implying that an individual’s shifting levels of belonging may fundamentally shape the perception and representation of his or her social world“ (Gardner et al., 2000, S. 495).

In den Experimenten der vorliegenden Arbeit werden Hypothesen geprüft, die mit der Sensibilisierung der Wahrnehmung für anschlussthematische Stimuli zusammen-hängen. Im ersten Experiment der vorliegenden Untersuchungsreihe kommt ein compu-tergestützter Reaktionszeittest zum Einsatz, der die Reaktionsgeschwindigkeiten von Vpn auf anschlussthematische vs. neutralthematische Stimuli misst. Nachdem Vpn so-ziale Ablehnung bzw. soso-ziale Akzeptanz erfahren haben, werden sie gebeten, auf einem Bildschirm erscheinende Buchstabenfolgen danach zu beurteilen, ob es sich um Non-senswörter oder aber um tatsächlich existierende Begriffe der deutschen Sprache han-delt. Letztere lassen sich entweder als anschlussthematische oder aber als neutrale Beg-riffe klassifizieren. Von Interesse ist dabei nur, ob die Vpn in Abhängigkeit der experi-mentellen Variation auf anschlussthematische Begriffe schneller reagieren als auf neu-trale Begriffe. Das Verfahren wird in Kapitel 9.2.2.2 detailliert beschrieben.

Dieses Verfahren lehnt sich an eine Forschungsstrategie an, die hinsichtlich anderer Motive bereits erfolgreich eingesetzt wurde, um den Nachweis zu erbringen, dass

schen Wahrnehmungssensibilisierung kommt – z. B. für nahrungsrelevante Reize in Phasen induzierten Hungers.

vationale Zustände die Wahrnehmung von Personen funktional ausrichten können (Bruner & Goodman, 1947; Wispé & Drambarean, 1953).

Wispé und Drambarean (1953) beispielsweise teilten ihre Vpn in drei Gruppen auf.

Die Vpn der ersten Gruppe nahmen 24 Stunden vor dem eigentlichen Untersuchungsbe-ginn keine Nahrung mehr zu sich. Eine weitere Gruppe fastete lediglich zehn Stunden vor Untersuchungsbeginn, die Vpn der verbleibenden dritten Gruppe indes nahmen un-mittelbar vor Untersuchungsbeginn noch Nahrung zu sich. Die eigentliche Untersu-chung bestand nun darin, dass die Vpn aller Gruppen versuchen sollten, Begriffe zu identifizieren, die nur kurz aufgeblendet wurden. Einige der Begriffe waren direkt auf den Deprivationszustand der Vpn bezogen (wie z. B. lemonade, munch), andere hinge-gen waren in dieser Hinsicht völlig neutral (wie z. B. serenade, hunch). Im Vergleich zur dritten Gruppe benötigten die Vpn der ersten beiden – nahrungsdeprivierten – Grup-pen genau dann eine signifikant kürzere Darbietungsdauer zur Identifizierung der Beg-riffe, wenn diese Begriffe bedürfnisbezogen waren. Bei der Identifikationsgeschwindig-keit der neutralen Begriffe traten keine Unterschiede zwischen den drei Gruppen auf.

Offenkundig wurde die Verarbeitung nahrungsthematischer Begriffe durch den experi-mentell induzierten motivationalen Zustand der Vpn beeinflusst. Wispé und Dram-barean resümieren: „In general we can conclude that with increasing need, need-related words are recognized more rapidly“ (S. 30).

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang sind auch Experimente von Bruner und Goodman (1947) sowie von Holzkamp und Keiler (1967), aus denen hervorging, dass ökonomisch deprivierte Kinder die Größe von Münzen in einem höheren Maß über-schätzten als Kinder aus wohlhabenden Verhältnissen.

Auch Hassebrauck (in Druck) konnte zeigen, dass Frauen während der fertilen Pha-se ihres Zyklus für die Verarbeitung partnerschaftsbezogener Informationen Pha- sensibili-siert waren. Für neutralthematische Statements ergab sich hingegen keine beschleunigte Informationsverarbeitung. Die erhöhte Östrogenausschüttung während der fertilen Pha-se – die vermutete Ursache der Leistungssteigerung – führt offenbar nicht generell zu einer beschleunigten kognitiven Verarbeitung, sondern aktiviert augenscheinlich in funktionaler und selektiver Weise hochgradig spezialisierte Netzwerke im Gehirn.

In einem engeren Zusammenhang zum Affiliationsmotiv steht eine Untersuchung von Atkinson und Walker (1956). Die Autoren wiesen nach, dass das Affiliationsmotiv die Wahrnehmung von Personen auf motivrelevante Reize auszurichten vermag. Dazu wurden die Probanden aufgefordert, im Rahmen einer Wahrnehmungsaufgabe

zugeben, welcher von vier Quadranten, in denen undeutliche Stimuli dargeboten wur-den, ihnen am klarsten erscheint. Hohe Anschlussmotivation sensibilisierte die Wahr-nehmung der Vpn gegenüber demjenigen Quadranten, in dem anschlussthematische Reize präsentiert wurden. Einschränkend ist hinzuzufügen, dass das Anschlussmotiv in dieser Untersuchung nicht experimentell angeregt wurde.

Insgesamt lassen diese Untersuchungen den Schluss zu, dass aktualisierte motivati-onale Zustände die Wahrnehmung von Personen auf motivrelevante Stimuli auszurich-ten vermögen. Wie bereits erwähnt, soll der diesen referierauszurich-ten Arbeiauszurich-ten zugrunde lie-gende modus procedendi im ersten Experiment der vorlielie-genden Untersuchungsreihe auf die Messung von Reaktionszeiten übertragen werden, die sich in Abhängigkeit ex-perimentell induzierter sozialer Ablehnung bzw. sozialer Akzeptanz bei anschlussthe-matischen vs. neutraltheanschlussthe-matischen Begriffen ergeben.

Im dritten Experiment der vorliegenden Arbeit sollen ebenfalls Top-down-Einflüsse auf die Wahrnehmungsleistung von Personen untersucht werden. In diesem Fall werden die Blickbewegungen (z. B. Fixationszeiten) von Vpn auf diversen visuell dargebotenen Reizvorlagen mit sozialen vs. nicht-sozialen Inhalten apparativ registriert. Diese Me-thode wird in Kapitel 11.2.2 ausführlich dargestellt.

Auch hinsichtlich solcher Blickbewegungs-Parameter liegen Untersuchungen vor, die einen Zusammenhang zwischen dem aktuellen Motivationszustand von Personen und der funktionalen Ausrichtung der Wahrnehmung dieser Personen auf bedürfnisrele-vante Objekte aufzeigen konnten (z. B. Monty, Hall & Rosenberger, 1975). Die genann-ten Autoren bogenann-ten heroinabhängigen Probanden und nicht-abhängigen Kontrollpersonen Bilder mit drogenbezogenen und neutralen Inhalten dar. Gemessen wurden die Blick-bewegungen der Probanden während der Darbietungen der verschiedenen Reizvorlagen.

Wie erwartet wurden die motivrelevanten Bildinhalte von den abhängigen Probanden intensiver exploriert als von den Kontrollpersonen. Weitere diesbezügliche Untersu-chungen, die für die vorliegende Arbeit primär von methodischem Interesse sind, wer-den in Kapitel 11.2.2 aufgegriffen.

7.2.3 Fazit

Motivationstheorien beziehen i. d. R. auch kognitive Prozesse in ihren konzeptuellen Rahmen mit ein. So ist z. B. seit geraumer Zeit bekannt, dass konkrete motivationale Zustände die Wahrnehmungsleistungen von Personen beeinflussen können. Solche Ein-flüsse lassen sich unter die so genannten Top-down-Prozesse der

tung fassen. Auch das Affiliationsmotiv vermag – theoriegemäß – die menschliche Informationsverarbeitung funktional auszurichten. Dieser postulierte Einfluss des Affi-liationsmotivs könnte mithilfe einer tradierten Forschungsstrategie nachgewiesen wer-den, und zwar, indem eine selektiv beschleunigte Verarbeitung anschlussthematischer Stimuli gegenüber neutralthematischen Stimuli nach experimenteller Anregung des Mo-tivs belegt wird. Zudem ist zu erwarten, dass sich Top-down-Prozesse dieser Art auch in einer extensiven Exploration motiv- bzw. zielrelevanter Stimuli niederschlagen.