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Zusammenfassung und Fazit

Im Dokument Frank & Timme (Seite 56-60)

2 Professionelle Telefonie als Kommunikationsarbeit – Merkmale und

2.4 Zusammenfassung und Fazit

Gespräche in Callcentern sind in mehrfacher Hinsicht vorstrukturiert. Aus-gangspunkt unternehmensseitiger Vorplanung ist dabei der Normalfall, der Normalkunde und die Standardsituation (vgl. Kleemann et al. 2004, 155). Die Realität der Kommunikation widerspricht jedoch vielfach den vorgegebenen Standards: Kunden erweisen sich als aktive, nicht nur reaktive Gesprächs-partner; sie haben divergierende Effizienz- und Zielvorstellungen, die sie der Unternehmenslogik entgegenstellen; ihre Erwartungen an die Kommunikation im direkten Unternehmens- bzw. Mitarbeiterkontakt weichen vielfach von den nach Effizienzkriterien vorstrukturierten Gesprächen ab und schließlich sind Gespräche im Realfall durch ein vielfältiges Bedingungs- und Konstellationsge-füge geprägt, das eine exakte Steuerung und Vorplanung nahezu unmöglich macht.

Dass Gesprächsstandards, die am Normalfall ansetzen, vielfach zu kurz grei-fen und damit dem Kundenwunsch und der Kundenorientierung entgegenstehen, zeigt sich in dem Widerspruch der Vorgaben und Handlungsanforderungen, die Callcenterunternehmen an ihre Mitarbeiter herantragen. Einerseits soll die Ge-sprächsführung rationalisiert und standardisiert und damit Effizienz- und Tech-nikkriterien unterworfen werden (vgl. Bendel Larcher 2014, 211). Andererseits fordern Unternehmen, die Kommunikationsarbeit mit einem individuellen Ge-sprächsstil zu verbinden, damit die Agenten möglichst authentisch wirken (Kleemann et al. 2004, 143).

Kommunikationsarbeit im Callcenter bedeutet für die Agenten also ein per-manentes Abwägen und Priorisieren zwischen Standardvorgaben und -lösungen und individueller Variation. Damit wird das Problem standardisierter Kommu-nikation zu einem Gutteil an die Agenten im operativen Tagesgeschäft weiterge-reicht und prägt ihr Arbeitshandeln an der Grenzstelle. Folglich müssen die Agenten für jedes Gespräch neu entscheiden, welcher Strategie sie folgen und welchen Stil (formal oder individuell) sie bei der Gesprächsführung priorisieren.

Damit entscheiden sie zugleich darüber, welchen Maßgaben des oft wider-sprüchlichen Orientierungsrahmens sie im konkreten Gespräch Folge leisten und mit welchen sie brechen. Dazu ist Flexibilität unbedingt notwendig. Als Flexibi-lität gilt hier zunächst die grundlegende Bereitschaft der Mitarbeiter, ihr Ge-sprächshandeln im Anforderungs- und Vorgabenmix zu variieren, um es damit spezifischen Situationen und Gesprächspartnern anzupassen.

Da Qualitätsmanagementsysteme vorrangig Form- und Effizienzkriterien ope-rationalisieren, ist es wenig verwunderlich, dass viele Agenten ihren Gesprächs-stil genau dieser Formerfüllung und dem Erreichen der Kennzahlen unterwerfen.

Auch ist die grundlegende Bereitschaft und/oder Fähigkeit der Agenten zum flexiblen Agieren und Reagieren unterschiedlich ausgeprägt.

Für die Untersuchung von Flexibilität im Gesprächshandeln der Kunden-dienstmitarbeiter lassen sich aus der Forschungserfahrung der Projektarbeit fol-gende Schlüsse in Bezug auf die methodische Herangehensweise ziehen:

1) Ein gesprächsanalytisch orientierter Zugriff (ggf. einseitig sprecherzentrier-ter) kann in der vergleichenden Betrachtung einzelner Fälle mit den unter-nehmensseitig vorgegebenen Pflichtelementen liegen. Auf der Makroebene kann dies durch den Vergleich der institutionell vorgegebenen und im Ge-spräch tatsächlich realisierten Aufgaben erfolgen. Auf der Mikroebene kann die konkrete sprachliche und sprecherische Ausführung in Abgleich mit den Skriptvorgaben betrachtet werden.

Der Vergleich von Fallbeispielen kann den unterschiedlich flexiblen Umgang mit Vorgaben und Skripttext in der Gesprächsführung offenlegen. Dies offen-bart, welche unterschiedlichen Spielräume und Möglichkeiten die Agenten nut-zen, um Gespräche individuell zu gestalten. Zugleich bietet dieser Ansatz einen ganz entscheidenden untersuchungspraktischen Vorteil: Vollständige Ge-sprächsaufzeichnungen, also Mitschnitte von Agent und Kunde, sind hierfür nicht zwingend notwendig. Dass dieser Analyseschritt nicht alleinstehen kann und dass im Verlauf der weiteren Analysearbeit die Interaktion und damit kom-plett aufgezeichnete Gespräche die Analysegrundlage erweitern müssen, steht außer Frage. In der Forschungspraxis hat es sich jedoch gezeigt, dass man sich für die Aufnahme und Bereitstellung solcher sensiblen Daten oft erst das Vtrauen der Auftraggeber und Projektpartner erarbeiten muss. Das wiederrum er-fordert überzeugende und solide Forschungsarbeit, die allerdings ohne eine ebenso solide Datengrundlage nur schwer zu erbringen ist. Hier ist also mitunter kreatives Methodendesign gefragt, um trotz eingeschränkten Datenzugriffs aus-sagekräftige und valide Forschungsergebnisse zu generieren. So stützt bei-spielsweise Plog (1996) ihre Untersuchung zum Telefonmarketing vorrangig auf Gesprächsnotizen, die im Rahmen von Beobachtungen im Feld entstanden sind, da authentische Gespräche nur rudimentär zu Verfügung standen (ebd. 34).

Der oben skizzierte Ansatz setzt Einblicke in die Unternehmens- und Ge-sprächspraxis voraus. Es muss also Hintergrundwissen zu den wirtschaftlichen Zielvorgaben und Zwecken der jeweiligen Kampagne erworben werden, was eine genaue Betrachtung der Gesprächsvorgaben und -grundlagen einschließt.

Daran knüpft sich eine zweite Erkenntnis an, die sich mit dem Anwendungsbe-zug, d.h. der Optimierung der Gesprächspraxis verbindet:

2) Gesprächsoptimierung muss immer auch bei der Analyse und Verbesse-rung der institutionellen Rahmenbedingungen ansetzen und dabei u.a. Ge-sprächsvorgaben und -grundlagen in den Blick nehmen. In der Praxis be-deutet dies z.B. die Erarbeitung von Gesprächs- und Leitfadenkonzepten, die eine flexible und variable Gesprächsführung unterstützen.

Die eingangs dargestellten Mittel und Maßnahmen der Gesprächsstandardisie-rung mutieren schnell zu einer Schablone und werden ihrer eigentlichen Unter-stützungsfunktion kaum mehr gerecht. Sie verleiten nicht selten zur Reprodukti-on und zum unreflektierten und situatiReprodukti-onsunangemessenen Abarbeiten der Vorgaben. Die Analyse von Gesprächen kann hier offenlegen, an welchen Stel-len Gesprächsvorgaben und Leitfäden zu eng gefasst sind, vom Kunden und der sensiblen Erfassung der Gesprächssituation ablenken und die Agenten zur Au-tomatisierung und Reproduktion verleiten.

3 Gespräch und Gesprächskompetenz im Kontext

Im Dokument Frank & Timme (Seite 56-60)