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Gesprächseröffnung

Im Dokument Frank & Timme (Seite 171-185)

3 Gespräch und Gesprächskompetenz im Kontext der professionellen

4.3 Forschungsschwerpunkte und -ergebnisse

4.3.2 Untersuchungen zu Sprechwirkung und -ausdruck

4.3.2.1 Untersuchungen zu Sprechwirkung und -ausdruck anhand

4.3.2.1.1 Gesprächseröffnung

Untersuchungen zur Phase der Gesprächseröffnung beschäftigen sich mit der Persönlichkeitswirkung und Überzeugungskraft der Agenten (Pietschmann 2011), mit der strukturellen und prosodischen Gestaltung sowie mit der Wirkung dieser Phase anhand der Gesprächsqualitätsfaktoren (GQF von Meiß-ner/Pietschmann 2011a).

Bevor hier die Ergebnisse der Untersuchungen zur Sprechwirkung und proso-dischen Gestaltung von Gesprächseröffnungen professioneller telefonischer Dienstleistungsgespräche erörtert werden, soll auf die theoretischen Erkenntnis-se zur kommunikativen Bedeutung dieErkenntnis-ser GesprächsphaErkenntnis-se eingegangen werden.

x Bedeutung der Gesprächseröffnung

Die Gesprächseröffnung zählt in telefonischen Kundengesprächen nach Bendel (2007) zu den wichtigsten Momenten in der gesamten Interaktion. Die Beteilig-ten definieren die Kommunikationssituation, die damit verbundenen Rollen und sie einigen sich auf die Sprache und den Ton, der für den weiteren Gesprächs-verlauf angeschlagen wird (ebd. 139; auch Linke et al. 2004, 318). Damit stehen gleich zu Gesprächsbeginn eine Reihe interaktiver, situations- und beziehungs-bestimmender Aufgaben an, die es möglichst angemessen, effektiv und indivi-duell zu lösen gilt. Gleichzeitig sind Gesprächseröffnungen im Callcenter in

mehrfacher Hinsicht vorstrukturiert, nicht zuletzt auch durch die konventionell geltenden Regeln für diese Gesprächssequenz (vgl. Bendel 2007, 150).

Sozialpsychologische Konzepte zur Eindrucksbildung und die von der sozialen Kognitionsforschung beschriebenen Effekte, die Englich (2010) diskutiert, stüt-zen die These, dass Eröffnungssequenstüt-zen maßgeblich Einfluss auf den Verlauf und Ausgang telefonischer Kundengespräche nehmen. Insbesondere der erste Eindruck, der übertragen auf den Gegenstand Gespräch ein entscheidendes Wir-kungsprinzip für die Phase der Gesprächseröffnung darstellt, wird hier als das Ergebnis eines komplexen Wahrnehmungsprozesses beschrieben, dessen Ergeb-nis eine positive oder negative emotionale Bewertung von Personen und/ oder Gegenständen in Form eines Urteils darstellt (ebd. 2). Die Bedeutung der Ge-sprächseröffnung für den Prozess der Eindrucks- und Urteilsbildung gründet sich u.a. auf den sogenannten Primäreffekt (primacy-effect), der erstmals von Salomon Asch (1946) beschrieben wurde. Gemeint ist ein kognitionspsycholo-gisches Phänomen, das besagt, dass früher eingehende Informationen besser er-innert werden und damit im Prozess der Urteilsbildung einen weitaus stärkeren Einfluss ausüben als nachfolgende Informationen (Fiedler/Bless 2002, 136). In-sofern kann auch der erste Eindruck als eine Erscheinungsform dieses Effektes aufgefasst werden. Er ist das Ergebnis eines sekundenschnellen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesses auf der Basis relativ weniger und kritisch ungeprüf-ter Informationen. Diese, in Form des ersten Eindrucks verarbeiteten Erstinfor-mationen üben einen enormen Einfluss auf den weiteren Interaktions- bzw. Ge-sprächsverlauf aus.

In der Lesart des Elaboration Likelihood Models (ELM) von Petty und Caci-oppo (1986), das die Informationsverarbeitung in zwei kognitiv unterschiedlich aufwendige Pfade differenziert, findet die Informationsverarbeitung bei der Bil-dung des ersten Eindrucks vorwiegend auf dem peripheren Pfad statt. Dieser entspricht einer top-down-Verarbeitung, bei der nicht nur bestimmte Effekte wie der o.g. primacy-effect zum Tragen kommen, sondern in der finalen Phase der Urteilsbildung auch bestimmte Urteilsheuristiken aktiviert werden, die eine Form automatischer Verarbeitungsprozesse darstellen. Sprechausdrucksmuster nehmen als periphere Hinweisreize auf dieser automatischen Verarbeitungsroute entscheidend Einfluss auf die Kategorisierung und damit auf das letztendlich positive oder negative Urteil (ebd.).

In Bezug auf die Personenwahrnehmung korreliert ein positiver erster Ein-druck mit Sympathie, ein negativer mit Ablehnung. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass sympathische Personen größeren Einfluss auf das Verhalten anderer Menschen ausüben und damit eher eine Verhaltens- oder Einstellungs-änderung beim Gegenüber herbeiführen können als unsympathische Personen.

Positive oder negative Einstellungen sind also entscheidende Faktoren für das gemeinsame Handeln in kommunikativen Situationen. Übertragen auf Gesprä-che der professionellen Telefonie wird der Primäreffekt in den Eröffnungsse-quenzen in Form des ersten Eindrucks wirksam. Zu vermuten ist, dass der erste Eindruck die weitere Interaktion im Gesprächsverlauf maßgeblich beeinflusst.

Insbesondere die in der Sozialpsychologie eingehend untersuchte emotionale Bewertung sozialer Ereignisse liefert wichtige Anhaltspunkte für die Callcenter-kommunikation.

x Herangehensweise

Die folgenden Ausführungen bündeln die Ergebnisse der einzelnen Teilstudien, wobei der Schwerpunkt auf der Auswertung der Ergebnisse zur automatisierten Gesprächsqualitätskontrolle aus den Projekten CoachOST und SIGMUND liegt.

Hierbei ging es vorrangig um die Frage, ob und wie sich die untersuchten posi-tiven und negaposi-tiven Gespräche und Gesprächsausschnitte voneinander unter-scheiden, bezogen auf:

- die Wirkung, die anhand der vorab definierten Qualitätsfaktoren gemes-sen wurde,

- die sprecherisch-stimmliche Gestaltung, d.h. die Ausprägung der Merk-male und Merkmalskomplexe des Sprechausdrucks, die diese Wirkung mit bedingen.

Grundlage der Wirkungserfassung bildeten die oben beschriebenen Qualitätsfak-toren telefonischer Verkaufsgespräche. Für die Untersuchung der Sprechwir-kung von Eröffnungssequenzen telefonischer Verkaufsgespräche galt das Au-genmerk v.a. dem Faktor Persönlichkeit/ Authentizität, der durch die Kriterien Natürlichkeit, Glaubwürdigkeit, Kompetenz, Aufgeschlossenheit und Sicherheit näher definiert ist (vgl. Abb. 6).

Abbildung 6: Faktor I der Qualitätsfaktoren telefonischer Verkaufsgespräche (Meißner/

Pietschmann 2011a)

Anhand dieser Matrix erfolgte die Wirkungsbeurteilung der Eröffnungssequen-zen der ausgewählten positiven und negativen Gesprächsbeispiele. Die Wir-kungsbeurteilung erfolgte zunächst im Expertenkreis. Im Verlauf wurden die Expertenurteile durch die Bewertungen ungeschulter Hörer zusätzlich stichpro-benartig validiert. Für die angestrebte automatische Messung und Bewertung der Gesprächsqualität wurden die Wirkungseindrücke der Experten phasenspezi-fisch annotiert. Dabei wurde ein konkretes Gesprächsereignis (ein Turn, eine Phrase oder auch nur ein einzelnes Wort oder eine lautsprachliche Äußerung) mit einem Vermerk bzw. einer Bewertung zur Wirkung dieser Äußerung verse-hen (vgl. Meißner et al. 2011, 203 ff.). Die bipolare Anordnung der Kriterien an den Endpunkten der Skala spiegelt das den Annotationen und Bewertungen zu-grunde gelegte Schulnotensystem wieder. Positive Bewertungen stehen in die-sem Katalog immer links der Skalenmitte und wurden bei der Annotation mit diskret niedrigen Werten (1-3) angegeben. Negative Bewertungen stehen rechts der Skalenmitte und sind in den Annotationen mit diskret hohen Werten (4-6) angegeben.

Die statistischen Auswertungen wurden im Rahmen des interdisziplinären Pro-jektes von Seiten der Wirtschaftsinformatik mit Hilfe der Statistiksoftware R (vgl. Internetquelle 11) durchgeführt. Für die statistischen Berechnungen wur-den alle einzelnen Annotationen zu wur-den jeweiligen Qualitätsfaktoren und dem Sprechausdruck segmentiert, maschinell ausgezählt und hinsichtlich signifikan-ter Ausprägungen analysiert. Dieses Vorgehen bildete zugleich die Grundlage für die angestrebte computerbasierte, automatische Klassifikation von Gesprä-chen und Gesprächsanteilen im Telefonverkauf.

x Hypothesen

Den statistischen Berechnungen und Tests lag die Hypothese zugrunde, dass die positiven Gesprächsbeispiele signifikant bessere Bewertungen der einzelnen Qualitätskriterien aufweisen, d.h. die Mittelwerte weiter links auf der Skala lie-gen und damit kleiner sind, als die der Negativbeispiele. Durch die polare An-ordnung des Kriterienkataloges konnte Normalverteilung unterstellt und belegt werden. Mit Hilfe des t-Tests (eine Darstellung zum Vergleich von Mittelwerten über den t-Test finden sich z.B. bei Kuckartz et al. 2013, 159 ff.) wurde geprüft, ob und in welchen Kriterien sich die annotierten positiven und negativen Ge-sprächsphasen signifikant voneinander unterscheiden. Das Signifikanzniveau wurde auf α = 5% festgelegt (zur Vorgehensweise der statistischen Berechnun-gen und Prüfverfahren siehe Walther 2017, 180 ff.). Dies entspricht einer

Irr-tumswahrscheinlichkeit von weniger als fünf Prozent und liefert damit signifi-kante Ergebnisse (vgl. Klammer 2005, 127).

In Bezug auf die Ausprägung der Merkmale und Merkmalskomplexe des Sprechausdrucks wurde unterstellt, dass sich die positiven und negativen An-kerbeispiele eher an den Skalenpolen (1 oder 6) bewegen. Nach dieser Hypothe-se ist der Bereich um die Skalenmitte kennzeichnend für die Merkmalsausprä-gung einer unauffälligen Sprechweise, wie z.B. in sachlich-neutralen Äußerungen. Mit Ausnahme des Stimmklangs und der Artikulationspräzision konnte für die Merkmale des Sprechausdrucks keine natürliche Ordnung (im Sinne von 1 = ‚gut’ und 6 = ‚schlecht’) unterstellt werden. Somit musste für die Merkmalsausprägungen des Sprechausdrucks von einer umgekehrten Normal-verteilung ausgegangen werden. Die beiden Pole repräsentieren auffällige und markierte Sprechausdrucksweisen, die entsprechend positiv oder, so die Vermu-tung, überwiegend negativ bewertet werden. Gemäß der Vorgabe, bei der audi-tiven Analyse v.a. prosodische Auffälligkeiten zu annotieren und zu untersu-chen, kann davon ausgegangen werden, dass eine angemessene Verwendung der sprecherisch-stimmlichen Gestaltungsmittel in den positiven Gesprächsaus-schnitten von den Beurteilern nicht annotiert und berücksichtigt wurde, weil die-se an sich unauffällig sind. Für die Mittelwertvergleiche der beiden Gruppen (Positiv- und Negativbeispiele) bedeutet dies, dass die Mittelwerte der Negativ-beispiele tendenziell näher an den Skalenpolen liegen als die der positiven Ge-spräche.

x Ergebnisse der Sprechwirkungsuntersuchungen anhand der GQF Nach Auswertung der Annotationen zur Gesprächsqualität und Wirkung zeigt sich zunächst der für die Eröffnungsphase der untersuchten Gespräche insge-samt hohe Grad an Standardisierung und Automatisierung. Den Expertenbewer-tungen zufolge ist Unnatürlichkeit das dominanteste Merkmal dieser Ge-sprächsphase. Mit rd. 45 Prozent beziehen sich die häufigsten Annotationen (98 annotierte Sequenzen von insgesamt 218 annotierten Gesprächseröffnungen s.u.

Tabelle 6) auf die Bewertung als unnatürlich. Nur 13,3 Prozent (29 annotierte Sequenzen) der untersuchten Eröffnungsphasen beinhalten die Bewertung natür-lich.

Dieser deutliche Trend in der globalen Bewertung als unnatürlich ist offen-sichtlich Folge der Standardisierung in den stereotyp-floskelhaften Begrüßungen und damit zugleich ein grundlegendes Merkmal von Eröffnungssequenzen tele-fonischer Verkaufsgespräche. Sie zeigt sich sowohl in den positiven als auch in den negativen Untersuchungsbeispielen (s.u. Abb. 7 – Natürlichkeit 1a und

Freundlichkeit 6a), wobei nur die Positivbeispiele auch im niedrigen, d.h. posi-tiv konnotierten Skalenbereich (1-3) rangieren. Die Negaposi-tivbeispiele rangieren ausnahmslos im negativ konnotierten Skalenbereich (4-6).

Abbildung 7: Häufigkeitsverteilung der Annotationen zu den Wirkungskriterien Natürlich-keit und FreundlichNatürlich-keit bei der Gesprächseröffnung

Tabelle 6 (s.u.) sind u.a. die Mittelwerte ausgewählter, signifikanter Kriterien der Qualitätsfaktoren zu entnehmen. In Bezug auf die Bewertung von Natürlich-keit belegen die Mittelwerte den Negativtrend für beide Gruppen, d.h. sowohl für die negativ als auch für die positiv bewerteten Gesprächseröffnungen. Der Mittelwert für Natürlichkeit innerhalb der negativen bzw. nicht gelungenen Ge-sprächseröffnungen (globale Phasenbewertung 4 bis 6 auf der sechsstufigen Li-kert-Skala) liegt mit 4,97 deutlich im negativen Skalenbereich. Mit einem Mit-telwert von 3,66 rangieren allerdings auch die gelungenen, positiven Gesprächseröffnungen (Phasenbewertung 1 bis 3 auf der sechsstufigen Likert-Skala) im negativen Bereich.

Wirkung der Agenten bei der Gesprächseröffnung Gesprächseröffnung positiv

(Phasenbewertung 1 bis 3) Gesprächseröffnung negativ

(Phasenbewertung 4 bis 6) Rangfolge Merkmal Anzahl Mittelwert p-Wert Anzahl Mittelwert

1. +/- natürlich 88 3,6591 3,0060 · 10-9* 39 4,9744

2. +/- freundlich 54 1,5000 0,0188* 6 3,8333

3. +/- höflich 14 3,6429 0,0007* 12 5,6667

4. +/- positiv emotional 17 2,1765 0,0043* 7 4,2857

5. +/- motiviert 15 3,3333 0,0089* 9 4,6667

6. +/- flexibel 15 3,2000 0,0012* 8 5,3750

7. +/- kompetent 11 1,5455 1,3905 · 10-6* 11 4,8182

Tabelle 6: Auszug t-Test (einseitig) mit signifikanten* Wirkungskriterien für die Gesprächs-eröffnung

Wie die Tabelle zeigt, konnte für die Kriterien

- natürlich vs. unnatürlich, kompetent vs. inkompetent (Faktor: Persönlich-keit/Authentizität),

- positiv emotional vs. negativ emotional, motiviert vs. unmotiviert (Faktor:

Emotionalität),

- flexibel vs. automatisiert (Faktor: Gesprächsführung) sowie für

- freundlich vs. unfreundlich, höflich vs. unhöflich (Faktor: Gesprächspartner-orientierung)

ein signifikanter Zusammenhang in positiver Richtung nachgewiesen werden.

Für die Gruppe der gelungenen Gesprächseröffnungen liegen die Mittelwerte dieser Variablen entsprechend der vorab formulierten Hypothese weiter links in Richtung des positiv konnotierten Pols auf der Skala und sind damit signifikant niedriger als die der nicht gelungenen Gesprächseröffnungen. Nur für die Vari-ablen freundlich, kompetent und positiv emotional gilt, dass sie (mit einem Mit-telwert < 3) tatsächlich im positiven Skalenbereich liegen. In Bezug auf die Häufigkeit der Annotation rangieren nur die Kriterien Freundlichkeit und positi-ve Emotionalität auf den vorderen Plätzen (s.o.). Im Vergleich zeichnen sich die Positivbeispiele v.a. durch die augenscheinliche Freundlichkeit (54 annotierte Sequenzen mit einem Mittelwert von 1,5) der Agenten aus. Eine positive Grund-stimmung bzw. Emotionalität (mit einem Mittelwert von 2,2) wurde zudem in 17 Sequenzen der gelungenen Eröffnungen annotiert.

Für die anderen signifikanten Kriterien gilt, was eingangs zum Kriterium der Natürlichkeit beschrieben wurde: Die Gruppe der positiv bewerteten Gesprächs-eröffnungen unterscheidet sich von den Negativbeispielen v.a. in der schwäche-ren Ausprägung der Negativbewertung. Im Vergleich wirken diese Agenten we-niger unnatürlich, unhöflich, unmotiviert und unflexibel. Dennoch sind Unnatürlichkeit, Unhöflichkeit sowie mangelnde Motivation und Flexibilität nach Meinung der Experten offenbar grundlegende Kennzeichen der Phase Ge-sprächseröffnung in telefonischen Verkaufsgesprächen.

Das maschinelle Auszählen der Annotation lässt zwar nur bedingt Aussagen zu Korrelationen zwischen den einzelnen Kriterien und dem Gesamturteil der bewerteten Eröffnungssequenzen zu, dennoch lässt sich Folgendes festhalten:

x Unnatürlichkeit ist das prominente Wirkungskriterium für die Gesprächs-eröffnung telefonischer Verkaufsgespräche und steht in den Bewertungen sowohl für die Gruppe der Positivbeispiele als auch für die Negativfälle an erster Stelle.

x In den positiv wirkenden Eröffnungssequenzen werden die Agenten dar-über hinaus als dar-überwiegend freundlich (positiv emotional) und kompetent wahrgenommen. Zudem wirken sie weniger unnatürlich, weniger unmoti-viert und weniger unflexibel. Auffällig und signifikant ist außerdem der weniger unangenehme Stimmklang der Agenten.

x Bei den negativ beurteilten Eröffnungssequenzen ist neben der Unnatür-lichkeit weiterhin der unangenehme Stimmklang der Agenten auffällig.

Zudem fielen die negativ beurteilten Gesprächssequenzen v.a. auf durch sprachliche Inadäquatheit (darunter fällt die Verwendung bestimmter Schlüssel- bzw. Reizwörter oder Redefloskeln) und Unhöflichkeit ins Gewicht.

Häufig beziehen sich die Bewertungen von sprachlicher Inadäquatheit auf inter-ne oder exterinter-ne Vorgaben und Standards der kundenorientierten Gesprächsfüh-rung, die in der Gesprächspraxis durch eine permanente Übertreibung ad absur-dum geführt werden. Darunter fallen die callcentertypischen Superlative (‚verbale Bonbons’ oder ‚magische Wörter’) aber auch die Vermeidung be-stimmter negativ konnotierter (‚tragischer’) Wörter und Ausdrucksweisen, da-runter auch die vermeintliche Unsicherheit vermittelnden Konjunktivformulie-rungen. Gerade bei der Gesprächseröffnung wirken die Identifikationssequenzen durch diese Vermeidung allerdings 7 sehr fordernd, schroff und unhöflich. Zu-gleich fasst diese Kategorie aber auch individuell auffällige sprachliche Aus-drucksweisen der Agenten, wie auffällig häufige Partikeleinschübe, Verzöge-rungspartikel oder Rückversicherungssignale (tag-questions). Die Annotationen umfassen also z.T. ganze Aussprüche und vorgegebene Formulierungen, einzel-ne Wörter wie die häufig gebrauchten Superlative oder nur einzeleinzel-ne Partikel und Einschübe (z.B. hm oder na). Das schränkt den Aussagegehalt der Ergebnisse stark ein, weil im Nachhinein nicht mehr zu rekonstruieren ist, welche Phäno-mene die Annotationen tatsächlich fassen – individuelle Besonderheiten oder die vorgegebenen sprachlichen Standards. Problematisch ist dabei die Undifferen-ziertheit und enorme Reichweite der Kategorie ‚sprachliche Adäquatheit’, so dass im Folgenden auf Angaben und Interpretationen dazu verzichtet wird. Die anderen Befunde zum Faktor ‚Persönlichkeit/Authentizität’ belegen in weiten Teilen die Untersuchungsergebnisse zur Bedeutung von Natürlichkeit und Au-thentizität im Kontext professioneller Telefonie von Pietschmann (2011).

x Ergebnisse der Sprechwirkungsuntersuchungen anhand der Persön-lichkeitsfaktoren Big Five

In Bezug auf die Erfassung der Sprechwirkung interessiert auftraggeberseitig vordergründig die Wirkung, die Agenten beim Anruf auf ihre Kunden hinterlas-sen. Damit wird ein hochrelevantes Thema der Personalauswahl (recruitment) in Callcentern angesprochen, das sich in den letzten Jahren zunehmend auf diffe-rentialpsychologische Auswahltests stützt. Überprüft werden bestimmte Charak-tereigenschaften bzw. Persönlichkeitsdispositionen, die mit Kommunikativität und Überzeugungskraft in Verbindung gebracht werden. Dazu zählen ge-wünschte Eigenschaften der künftigen Agenten wie beispielsweise Gesprächig-keit, Direktheit, KontaktfreudigGesprächig-keit, GeselligGesprächig-keit, Aktivität oder Offenheit. Die durch die buw Unternehmensgruppe initiierte Untersuchung von Pietschmann (2008) ging deshalb der Frage nach, inwieweit die Sprechausdrucksgestaltung in hochstandardisierten Eröffnungssequenzen telefonischer Verkaufsgespräche die Wahrnehmung und Wirkung der Sprechpersönlichkeit beeinflusst und welchen Einfluss die Persönlichkeitsattribution auf das Gesprächsinteresse potentieller Kunden hat. Aufgrund des weit verbreiteten Negativimages von Callcentermit-arbeitern stand zu Beginn der Untersuchung die Frage, ob diese während der hochstandardisierten Gesprächseröffnungen überhaupt differenziert wahrge-nommen und beurteilt werden. Andernfalls wurde davon ausgegangen, dass eine undifferenziert negative Beurteilung der Agenten das Resultat stereotyper, vor-urteilsbasierter Verarbeitungs- und Attributionsprozesse darstellt.

In der Untersuchung beurteilten 60 Probanden (Laienhörer und potentielle Kunden) insgesamt 20 Eröffnungssequenzen (vgl. Korpusübersicht in Anhang A.1 Gesprächskorpus II Eröffnung_erster Eindruck) telefonischer Verkaufsge-spräche von je zehn männlichen und weiblichen Agenten. Diese wurden von den Befragten in Bezug auf die Zuschreibung und Wirkung von Persönlichkeitsei-genschaften der Callcenteragenten evaluiert. Als Grundlage für die Persönlich-keitsbeurteilung dienten die in der Persönlichkeitspsychologie etablierten Big Five (Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, emotionale Stabilität und Offenheit), die in einem Fragebogen mit Hilfe der MRS-45 Skalen (minimal redundancy scales) von Ostendorf (1990) operationalisiert wurden. Zusätzlich wurden 11 weitere Eigenschaften erhoben, die aus rhetorischer Perspektive das Ethos, d.h. die Glaubwürdigkeit des Sprechers repräsentieren. Anschließend wurden die Probanden nach ihrem Interesse an einer Fortsetzung des Gesprächs mit dem jeweiligen Agenten befragt. Diese abschließende Frage sollte Korrela-tionen der Persönlichkeitsbeurteilung mit der Gesprächsbereitschaft offenlegen (ausführliche Ausführungen zu Design und Ablauf der Untersuchung siehe

Pie-tschmann 2011, 74 ff.). Wie die statistische Auswertung ergab, verteilten sich die Bewertungen der Gesprächseröffnungssequenzen der 20 Agenten über drei annähernd gleich verteilte Gruppen. Von besonderem Interesse für die Ergeb-nisauswertung waren die Gruppen eins und drei, denen die als besonders un-sympathisch (Cluster 1) und die als besonders un-sympathisch (Cluster 3) empfun-denen Agenten angehören. Für diese beiden Cluster wurden über eine Rangfolgenbildung Prototypen ermittelt, für die ein differenziertes Persönlich-keitswirkungsprofil erstellt wurde. Zudem ergab die anfänglich durchgeführte Faktorenanalyse, dass die zusätzlich operationalisierten Eigenschaften einem eigenen Faktor zugeordnet werden können. Dieser umfasst Rollenattribute wie Natürlichkeit, Glaubwürdigkeit, Kompetenz, Echtheit, Aufrichtigkeit, Authenti-zität, Begeisterung, Emotionalität und Sympathie und wurde daher als Authen-tizitätsfaktor bezeichnet.

In Bezug auf die Ergebnisse dieser Wirkungsuntersuchung ist besonders inte-ressant, dass nur die positive Bewertung dieses Faktors mit dem positiv bekun-deten Gesprächsinteresse der Probanden korreliert. D.h. mit Agenten, die beson-ders natürlich, glaubwürdig, authentisch usw. wahrgenommen werden, würden potentielle Kunden signifikant häufiger das Gespräch fortsetzen wollen. Bei Ne-gativausprägungen innerhalb der Faktoren der Big Five sowie des Faktors Au-thentizität käme es entsprechend häufiger zu Gesprächsabbrüchen. Diese Ergeb-nisse stützen die persuasive Bedeutung des Ethos als eine der drei wesentlichen Determinanten im Überzeugungsprozess. Besonders interessant ist allerdings, dass sich die Glaubwürdigkeit bzw. das Ethos der Agenten allein über den Sprechausdruck, also die sprecherisch-stimmliche Gestaltung vermittelt. Denn die inhaltlich-sprachliche Ebene war aufgrund der in diesen Passagen überaus dominanten Skripttreue bei allen Sprechern nahezu identisch.

Im Fazit ist diese Arbeit in erster Linie ein Beleg für die außerordentliche Be-deutung des Sprechausdrucks in seiner interaktiven und persuasiven Funktion (vgl. auch den Forschungsbericht bei Neuber 2006). Bei gleichem Inhalt wurden die einzelnen Agenten ‚nur’ aufgrund der variierenden sprecherischen Gestal-tung z.T. sehr unterschiedlich beurteilt. Die Prosodie (bzw. sprecherisch-stimmliche Gestaltungsmittel) ist damit für die Zuweisung von Persönlichkeits-merkmalen von außerordentlicher Bedeutung (ebd. 134). Die Sympathieurteile potentieller Kunden gründen sich v.a. auf die zugeschriebene Glaubwürdigkeit und Authentizität der Agenten. In Frage zu stellen ist die Aussagekraft der Un-tersuchungsergebnisse in Bezug auf das bekundete Gesprächsinteresse der Pro-banden. Dies ist in erster Linie dem experimentellen Design der Befragungssitu-ation geschuldet. Ob reale Kunden in der realen AnrufsituBefragungssitu-ation nach den ersten Gesprächssekunden tatsächlich geneigt sind, das Gespräch aufrechtzuerhalten,

wenn die Agenten natürlich, authentisch und glaubwürdig wirken, bleibt offen.

Offen bleibt auch, wie sich authentische und nicht-authentische Begrüßungsse-quenzen auf prosodischer Ebene formal voneinander unterscheiden, denn leider konnte im Rahmen dieser Arbeit keine Sprechausdrucksanalyse vorgenommen werden. Dieses Desiderat erfüllen jedoch die Untersuchungen zur sprecherisch-stimmlichen Realisierung von Gesprächseröffnungen, die überwiegend auditiv im Rahmen der Projekte CoachOST und SIGMUND, sowie kombiniert ohren- und messphonetisch (d.h. auditiv und akustisch) von Sachse (2011) durchgeführt wurden.

x Ergebnisse der auditiven Sprechausdrucksanalyse von Gesprächseröff-nungen

Im Rahmen der o.g. Auftragsforschungsprojekte lag der Analysefokus neben der Wirkungsbeschreibung durch Experten auf der Beschreibung von Merkmalen

Im Rahmen der o.g. Auftragsforschungsprojekte lag der Analysefokus neben der Wirkungsbeschreibung durch Experten auf der Beschreibung von Merkmalen

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