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Sprechwirkungsforschung

Im Dokument Frank & Timme (Seite 145-149)

3 Gespräch und Gesprächskompetenz im Kontext der professionellen

4.2 Forschungsmethoden

4.2.1 Sprechwirkungsforschung

Die Sprechwirkungsforschung zählt zu den wesentlichen Forschungstraditionen des Faches und bildet bis heute, auch bei der Untersuchung von Gesprächen der professionellen Telefonie, einen programmatischen und methodischen Schwer-punkt der Forschungsaktivität. Untersuchungen der Sprechwirkung gehen von der Annahme aus, dass jedes kommunikative Ereignis von einer Vielzahl äuße-rer und inneäuße-rer Faktoren bestimmt ist und dass den Sprechenden neben den sprachlichen Zeichen auch paraverbale und nonverbale Mittel zur Verfügung stehen, mit denen sie ihre Äußerungen strukturieren und funktional-pragmatisch sowie emotional kommentieren (vgl. Krech et al. 1991, 27 ff.; Hirsch-feld/Neuber 2011,19 f.). Als Wirkung wird im Kontext der Sprechwirkungsfor-schung allgemein der mittels einer Äußerung ausgeübte Einfluss eines Sprechers auf das Verhalten und Erleben von Adressaten bzw. Rezipienten verstanden, wobei nicht nur verschiedene Wirkungsformen (direkt vs. indirekt) und -tiefen (langfristig vs. vorübergehend), sondern auch unterschiedliche Wirkungsarten unterschieden werden (vgl. Hirschfeld et al. 2010, 54 ff.; Hirschfeld et al. 2008, 774).

Ausgangspunkt für die Untersuchung der durch das Sprechen wechselseitig aus-gelösten Wirkungen ist die mit den Modellvorstellungen zur Perzeption verbun-dene Erkenntnis, dass weder die Wirkungen selbst, noch die aus ihnen entstan-denen Resultate für externe Beobachter direkt zugänglich oder erfassbar sind.

Zwangsläufig stützt sich die Sprechwirkungsforschung auf die Erfassung der Wirkung anhand äußerer Prozesse und Merkmale. Als empirischer Zugriff dient v.a. das Kommunikationsexperiment (vgl. Hirschfeld/Neuber 2011, 19 f.). Bei dieser Untersuchungsmethode wird in definierten Anforderungssituationen die Reaktion von geschulten und/ oder nicht geschulten Versuchspersonen auf die dargebotenen Stimuli (z.B. Gesprächsausschnitte) kontrolliert gemessen (Krech et al. 1991, 50).

Die Erfassung der Wirkung erfolgt vorrangig anhand theoriegestützter präformierter Kategorien, die den Probanden im Labor- oder Feldexperiment in Form von Polaritätsprofilen schriftlichen vorgelegt werden. Neben der instru-mentellen Messung der Sprechwirkung mittels Fragebögen oder Polaritätsprofi-len steht auch die sprachlich-kommunikative Interaktion der Versuchspersonen und Versuchsleiter im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Hierzu werden bei-spielsweise mit Hilfe von systematischen Beobachtungen die Interdependenz zwischen einzelnen, gezielt variierten Komponenten gesprochener Äußerungen und dem Leistungsverhalten (Aufmerksamkeitsverlauf oder Lernbereitschaft) der Probanden untersucht (vgl. Richter 1987, 669). Im Zentrum des methoden-theoretischen Ansatzes zur Operationalisierung der Sprechwirkung steht die me-thodisch distanzierte Kontrolle der Wechselwirkung zwischen den Untersuchen-den und Untersuchten (vgl. Stock 2007, 71; Stock 1991, 50).

Die Sprechwirkungsforschung im Rahmen der professionellen Telefonie hat inzwischen eigene methodische Herangehensweisen und Verfahren entwickelt.

Im Fokus der aktuellen Untersuchungen stehen v.a. Akzeptanz- und Angemes-senheitsuntersuchungen zu auffälligen Sprach- und Sprechweisen der Kunden-berater; Wirkungen, die von der Sprecherpersönlichkeit ausgehen (Persönlich-keit, Authentizität und Empathie) oder die sich aus den unterschiedlichen Gesprächsführungsstilen der Agenten ergeben. Konkret wurden nachfolgende Fragestellungen beleuchtet:

- Wirkungen des unterschiedlichen Gesprächsverhaltens der Agenten im Spannungsfeld zwischen Standardisierung und Individualität

(Beier/Pietschmann 2017),

- Attribution von Persönlichkeitseigenschaften der Kundenberater (Pie-tschmann 2011),

- Wirkung von Natürlichkeit und Authentizität (Projektbericht davero dia-log GmbH 2013),

- Akzeptanz und Angemessenheitsbeurteilung der Sprechausdrucksgestal-tung telefonischer Produktvorstellungen (Rocholl 201),

- Zusammenhang von sprecherisch-stimmlicher Attraktivität und dem Ver-kaufserfolg von Callcenteragentinnen (Bartusch 2013),

- kommunikative (Aus-)Wirkungen des fremdsprachlichen Akzents bei der Beurteilung von Höflichkeit und Kompetenz in interkulturellen Bera-tungskontexten (Zarend 2015),

- Hypothesenbildung zu den Merkmalsausprägungen des Sprechausdrucks und der Gesprächsqualität (Meißner/Pietschmann 2011a; b).

Vorrangiges Ziel der Wirkungsuntersuchungen zu Gesprächen und Ge-sprächsanteilen der professionellen Telefonie liegt in der datenbasierten

Be-stimmung relevanter Wirkungs- und Qualitätskriterien sowie der Identifikation möglicher Zusammenhänge zwischen der Ausprägung einzelner (Kom-plex-)Merkmale der Äußerung und der durch sie hervorgerufenen Wirkungen.

Diese Vorgehensweise, bei der (anders als bei der experimentell orientierten Sprechwirkungsforschung) keine vorab aufgestellten Hypothesen getestet und einzelne Parameter variiert und Variablen kontrolliert werden, stellt einen ver-gleichsweise explorativen Zugriff auf das Untersuchungsmaterial dar. Diesem Ansatz gemäß wurde bereits bei der Bestimmung relevanter Wirkungs- und Qualitätskriterien von Gesprächen der professionellen Telefonie datenbasiert vorgegangen (siehe dazu z.B. den von Meißner und Pietschmann 2011a entwi-ckelten Kriterienkatalog zu den Qualitätsfaktoren telefonischer Verkaufsgesprä-che). Die für die Wirkungsuntersuchungen relevanten Dimensionen und Krite-rien, die zumeist in Polaritätsprofilen operationalisiert sind, wurden bisher immer datenbasiert abgeleitet. Allerdings erfolgte diese Bestimmung zugleich perspektivengeleitet und spiegelt damit nicht zuletzt auch die Qualitätsmaßstäbe der Auftraggeber und Projektpartner aus der Callcenterbranche wider (vgl. dazu die Methodenreflexion in Kap. 4.4). Ein Großteil der durchgeführten Wirkungs-untersuchungen arbeitet mit geschulten Hörern und Experten, die zwangsläufig ihr rhetorisches und phonetisches Wissen sowie ihr analytisches Vorverständnis in die Beurteilung einbringen.

Die kontinuierliche Erfassung verlaufsbezogener, affektiver Wirkungen, die unmittelbar bei der Rezeption entstehen, zählt zu den jüngsten Bemühungen der Sprechwirkungsforschung im Bereich der professionellen Telefonie (vgl. Kap.

4.3.2.3). Bisher galt die Aufmerksamkeit v.a. den mittel- und langfristigen Ef-fekten (Einstellungs- und Verhaltensänderungen) auf die Hörer und Versuchs-personen. Die typischerweise retrospektive Befragung mittels Fragebögen, die sich zu einem gewissen Teil immer auch auf die Gedächtnisleistung der Proban-den stützt, erfasst dabei einen abschließenProban-den Gesamteindruck, jedoch keine momentane Bewertung. Ein Verfahren, das dafür geeignet ist, kontinuierlich und ablaufsimultan Hörer-Reaktionen zu erfassen, stellt das Continuous Respon-se Measurement (CRM) dar (auch Real-Time-Response-Messverfahren (RTR)) (vgl. z.B. Unger et al. 2015; Fahr 2013; Reineman/Zerback 2013; Müller 2003;

Biocca et al. 1994).

„All Communication, after all, is dynamic. If Communication changes over time, then communication measures should ideally be able to detect those changes over time. Con-tinouos measures provide tools to capture these dynamic processes.“ (Biocca et al.

1994, 15)

Kontinuität und Unmittelbarkeit zählen zu den zentralen Merkmalen des CRM.

Die simultane Stimulusdarbietung und Reaktionsmessung ermöglicht eine kon-tinuierliche und synchrone Bewertung der Daten und eine exakte Zuordnung der Reaktionen über den zeitlichen Verlauf der Darbietung (Biocca et al. 1994, 21).

Die mit diesem Verfahren verbundene Unmittelbarkeit führt dazu, dass Reaktio-nen und Selbstauskünfte der Probanden bzw. Rezipienten quasi sofort und v.a.

unreflektiert erfasst werden. Aufgrund der mit diesem Verfahren verbundenen mangelnden Zeit zur Reflektion der Bewertung wird das Problem sozial er-wünschter Reaktionen deutlich gemindert (Fahr 2013, 619). Ein weiterer we-sentlicher Vorteil des Verfahrens liegt in der vergleichsweise alltagsnahen Wahrnehmung bei der Rezeption und in der Unabhängigkeit von den Verbalisie-rungsleistungen der Rezipienten (vgl. Müller 2003, 1).

Will man also bestimmte Wirkungen des Sprechens, deren Ausprägungsgrade und Veränderungen unmittelbar und über den zeitlichen Verlauf einer Äußerung bzw. eines Kommunikationsereignisses erfassen, erweist sich die Methode des CRM als besonders geeignet. Für die Analyse von Gesprächen aus dem Bereich der professionellen Telefonie bietet dieses Verfahren entscheidende untersu-chungsmethodologische Vorteile:

- die deskriptiv-orientierte Datenerhebung,

- die Abbildung sog. ‚Fußabdrücke’ (vgl. Unger et al. 2015) in der Dyna-mik des Gesprächsprozesses,

- die Identifikation neuralgischer Punkte in diesem Gesprächsprozess, - die Operationalisierung alltagsnaher Bewertungsdimensionen.

Mithilfe des CRM-Verfahrens können die aus der Perspektive realer und poten-tieller Kunden kritischen und/ oder gelungenen Passagen von Callcentergesprä-chen identifiziert werden, an denen dann im Expertenkreis analytisch die ‚Lupe’

angesetzt wird.

Im Rahmen des Forschungsschwerpunktes untersuchte erstmalig Beier (2015 und Beier/Pietschmann 2017) die Sprechwirkung ausgewählter (prototypischer) Telefongespräche aus dem Callcenterbereich mit Hilfe des CRM. Das erklärte Ziel der Arbeit lag in der Erfassung der Wahrnehmung und Wirkung von Call-centeragenten durch ungeschulte Hörer ohne die Vorgabe expliziter Wirkungs-kategorien (vgl. Beier/Pietschmann 2017, 137). Sprechwirkungsuntersuchungen von Gesprächen und Gesprächspassagen der professionellen Telefonie gehen zumeist Hand in Hand mit auditiven und akustischen Analysen der sprecherisch-stimmlichen Gestaltungsmittel, insbesondere der musterhaften verwendeten Ge-staltungsmittel (Sprechausdrucksmuster).

4.2.2Auditive Analyse markierter Sprechausdrucksweisen und -muster

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