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Kooperation und Kooperativität

Im Dokument Frank & Timme (Seite 101-105)

3 Gespräch und Gesprächskompetenz im Kontext der professionellen

3.1 Das Gespräch als Produkt – Konzepte und Perspektiven der

3.2.2 Gesprächsleistungen

3.2.2.1 Kooperation und Kooperativität

Das Kooperationsprinzip und die damit verbundenen Gesprächsleistungen sind insbesondere bei der Auseinandersetzung mit dem Gespräche-Führen in der pro-fessionellen Telefonie von Belang. Das Kooperationsprinzip gilt seit Grice (1975) als ein grundlegendes Prinzip in der Kommunikation, was zugleich den Gegenstand Gespräch ebenso wie das Gespräche-Führen als einen grundlegend kooperativen Prozess kennzeichnet. Unterstellt man den Gesprächsbeteiligten grundsätzlichen Verständigungswillen, verbindet sich damit unweigerlich auch ihre wechselseitige Verpflichtung zur Kooperation. In dieser Lesart können die Aktivitäten der Gesprächspartner immer auch als kooperative Bemühungen ge-wertet werden, die darauf ausgerichtet sind verstanden zu werden (vgl. Linke et al. 2004, 220).

Dieser grundlegend unterstellte Kooperationswille schlägt sich auch in der in-teraktiven Verfahrensweise nieder. Sie ist gekennzeichnet von dem Bemühen um Kooperation als einer notwendigen Bedingung für effektives, zweckrationa-les Gesprächshandeln, welches nicht zwangsläufig auf eine Einigung innerhalb dieses Verfahrens abzielt (vgl. Auer 2013; Liedtke 1987). In der Konsequenz orientieren sich Gesprächspartner in ihrem kommunikativen Handeln und Ver-halten an bestimmten ‚impliziten Leitlinien’ (vgl. Habscheid 2003, 222), die als Konversationsmaximen bezeichnet werden und die in ihrer Gesamtheit eine Art

‚ideale Konversation’ (Auer 2013, 98) abbilden. Folgen Gesprächspartner dem Kooperationsprinzip und den damit verbundenen Maximen der Quantität, Rela-tion und der Modalität (vgl. Grice 1993, 249 ff.), handeln sie raRela-tional und ver-größern somit die Chance der Realisation ihrer Handlungsziele (vgl. Liedtke 1987, 111). In diesem Sinne beachten Gesprächspartner das Kooperationsprin-zip notwendigerweise nicht nur aus gemeinschaftlicher Sorge um den Ge-sprächsverlauf und den möglichst effektiven Informationsaustausch, sondern

auch aus dem individuellen Bemühen um eine möglichst effektive Verwirkli-chung individueller Ziele (vgl. Auer 2013, 100). Das Kooperationsprinzip stellt hierfür die notwendige Bedingung im Gesprächshandeln dar, „d.h. [...] das, was mindestens gewährleistet sein muß [sic!], damit die Teilnehmer mit Aussicht auf Erfolg ihre Sprechhandlungsziele verfolgen können.“ (Liedtke 1987, 111 f.).

Mit der grundlegenden Annahme des Kooperationsprinzips erklärt Grice (1975) aber v.a. die in der kommunikativen Alltagpraxis mannigfaltig zu be-obachtenden Gesprächspraktiken, in denen Teilnehmer mit ihren Beiträgen of-fenkundig gegen eine oder mehrere dieser Gesprächsmaxime verstoßen und die an der betreffenden Stelle im Gespräch nicht mit der akzeptierten Richtung und dem akzeptierten Zweck des Gesprächs in Einklang zu bringen sind (vgl. Grice 1993, 253; auch Liedtke 1987, 112). Hier gilt die Annahme des Kooperations-prinzips den Gesprächsbeteiligten als Prämisse bei ihrer „Suche nach der Inter-pretation einer Äußerung, deren konventionelle, „wörtliche“ InterInter-pretation mit ebendieser Rationalitätsannahme nicht übereinstimmt.“ (Liedtke 1987, ebd.).

Das Kooperationsprinzip gilt hier als Erklärungssatz dafür, wie Gesprächsbetei-ligte zu Hypothesen über den Sinn von Äußerungen ihrer Gesprächspartner ge-langen, wenn diese von konversationellen Implikaturen Gebrauch machen (vgl.

ebd.). Mit dem grundsätzlich unterstellten Verständigungs- bzw. Kooperations-willen werden die von den Maximen abweichenden Beiträge so auf deren ei-gentliche Bedeutung und kommunikative Funktion hin überprüft (vgl. Zarend 2015, 39). Um die Verständigung im Falle einer Implikatur zu ‚reparieren’, grei-fen Interaktionspartner bei der Interpretation auf Vorwissen aus anderen ver-gleichbaren Kommunikationssituationen zurück (vgl. ebd.).

Die Beachtung des Kooperationsprinzips und der damit verbundenen Maximen kann als quasi-vertragliche Grundlage im Gespräch aufgefasst werden (vgl. Gri-ce 1993, 252). Folgen Interaktionen diesen Grundmerkmalen von Kooperation, lässt sich dies an folgenden Kennzeichen im Gespräch ablesen (vgl. ebd. 252 f.):

- ein gemeinsames Ziel und darüber hinaus weitreichende individuelle Zie-le der Beteiligten werden verfolgt,

- ein wechselseitiger Bezug der Beiträge der Gesprächsbeteiligten wird hergestellt,

- ein oft stillschweigendes Einvernehmen besteht darüber, dass und wie das Gespräch in angemessener Weise (fort-)geführt wird, bis beide Sprecher einverstanden sind, das Gespräch zu beenden.

Unter der Fragestellung, wie sich kooperatives Gesprächsverhalten näher be-stimmen und im Gespräch erkennen lässt, unterscheidet Fiehler (1999b) zwi-schen grundlegender Kooperation und kommunikativer Kooperativität.

Koope-ration meint bei Fiehler den gemeinschaftlichen Bezug von Gesprächspartnern auf geltende Gesprächsregeln und Konventionen (vgl. ebd. 53). Kooperations-leistungen dieser Art sind für Gesprächsbeteiligte nur selten auffällig, weil sie in den Bereich des gelernten und erwartbaren Verhaltens fallen. Auffällig sind Brüche und Verletzungen solcher grundlegend unterstellten kommunikativen Basisleistungen. Sie treten als Störungen oder Irritationen im Gespräch zutage (ebd.). Kommunikative Kooperativität begreift Fiehler als eine spezifische Teil-nehmerkategorie, die Gesprächsbeteilige selbst zur Qualifizierung ihres Ge-sprächsverhaltens (als auffallend kooperativ) verwenden. Kooperativität ist da-mit als eine spezifische Modalität der Gesprächsführung zu verstehen (vgl. ebd.

52; 55), die an bestimmten Handlungen, deren Ausführungsweise, Modalität oder Häufigkeit für die Gesprächsbeteiligten erkennbar ist.

Aus gesprächsanalytischer Perspektive treten solche, von den Gesprächspart-nern als kooperativ bewerteten Handlungen an der Gesprächsoberfläche zutage.

Sie betreffen zum einen die Gesprächsorganisation und Koordination als ge-meinsam zu erbringende strukturelle Leistungen. Zum anderen lässt sich Koope-rativität auch an Verfahren ablesen, welche die Herstellung von Reziprozität zum Ziel haben, also das Aufzeigen des ‚Aufeinander-bezogen-Seins’ von Ge-sprächsteilnehmern. Je häufiger und intensiver Gesprächsbeteiligte auf solche Verfahren zurückgreifen, desto größer ist offenbar die ihnen zugeschriebene Kooperativität. Eine Liste mit konkreten Verhaltensweisen, die im Gespräch den Eindruck von kommunikativer Kooperativität erwecken, führt Fiehler (ebd.) an.

In Bezug auf kommunikative Kooperativität unterscheidet er vier Klassen von Aktivitäten (vgl. ebd. 56, ebenso Bendel Larcher 2015, 113):

a)Aktivitäten, die für die gemeinsame Sache und alle Beteiligten gleicher-maßen wichtig sind: Strukturierung und Organisation von Gesprächen, Koordinationsleistungen im Gespräch, Reparaturen.

b)Aktivitäten, die für andere miterbracht werden: Ko-Konstruktionen, z.B.

Suche nach passenden Formulierungen, Äußerungsfortsetzung, gemein-sames Formulieren und Erzählen, Anbieten inhaltlicher Ergänzungen.

c)Aktivitäten, die Leistungen und Aktivitäten der anderen Gesprächsteil-nehmer hervorheben: Rückmeldungen, Bestätigungen, Ratifikationen und Wiederholungen; auch der zügige Anschluss und das Eingehen oder Fort-führen von Partneräußerungen.

d)Aktivitäten, die im besonderen Maße die Voraussetzungen der anderen Gesprächsteilnehmer in den Blick nehmen: Äußerungszuschnitt, Perspek-tivübernahme, Wahl präferierter Aktivitäten und Verständnissicherung.

Vor einem rhetorischen Hintergrund entwickelte Bartsch (1990) ein Konzept der partnerschaftlichen Kommunikation, das er als ‚Kooperative Rhetorik’ bezeich-net. Zentral dabei ist der Gedanke des ‚permanenten Hörerbezugs’ im mitunter auch nur virtuellen Dialog wie der Rederhetorik (vgl. Pabst-Weinschenk 2008, 11). Das aktive Mitwirken aller an der Kommunikation Beteiligten zählt in die-sem Verständnis zu den Grundprinzipien von Kooperation (Bartsch 2009, 139).

Symmetrische Kommunikation als Ziel der kooperativen Rhetorik ist sprecher-seitig gekennzeichnet durch Argumentieren, Überzeugen und Mitbeteiligen.

Beim Hörer äußert sie sich im Mitdenken, Mitentscheiden, Mitbestimmen und Mithandeln (ebd. 139 und auch Jaskolski 1999). Bartsch bezieht den Begriff der

‚Symmetrie’ nicht in erster Linie auf die Ausgewogenheit der Gesprächsanteile, sondern vielmehr auf Interaktionskompetenzen und Verfahren, die auf das ‚Ge-meinsam-Machen’ abzielen. Pabst-Weinschenk (2013) entwickelt den Ansatz von Bartsch weiter und formuliert verschiedene axiomatische Grundsätze, die im Kern die Partnerschaftlichkeit und die gemeinschaftliche Hervorbringung und Verantwortung aller Prozessbeteiligten hervorheben (vgl. ebd. 108).

Bartsch entwirft ein Konzept der kooperativen Rhetorik mit allen seinen Komponenten gleichsam für Gespräch und Rede. Mit Blick auf Gespräche der professionellen Telefonie im Callcenterkontext ist beides von Belang. Denn schließlich kommt es bereits bei der Gestaltung des Gesprächsleitfadens – der als Gesprächsmanuskript einer Redevorbereitung gleichkommt – darauf an, den situativ und rollenmäßig erfassten Gesprächspartner, zunächst zumindest indi-rekt mitwirken und in diesem Sinne kooperieren zu lassen (vgl. Bartsch 2009, 140). Schon in der Konzeption, der Planung und Ausformulierung der Ge-sprächsgrundlage sollte also das genus der ‚offenen Hand’ der Rederhetorik ein-genommen werden (ebd. 142). Dieses nimmt in der Sache wie in der Person konsequent den Hörer (oder potentiellen Gesprächspartner) in den Blick. Die Umsetzung dieser auf das Gegenüber und das Gespräch selbst ausgerichteten Konzeption erfordern von den Gesprächsteilnehmern zusätzlich Kooperativität, um das Gleichgewicht auf der Beziehungs- und Sachebene herzustellen und auf-recht zu erhalten, „[...] denn Ungleichgewicht bedeutet zugleich Macht über den Anderen“ (ebd. 143). Auf der personalen Ebene bzw. der Beziehungsebene be-deutet Kooperation im Gespräch 1) das gegenseitige Einräumen der ‚Sprechge-legenheit’ (ebd.) sowie 2) die gegenseitige Signalisation des Einander-Zuhörens (Bartsch spricht hier von der „kooperierenden Rezeptionsarbeit“ ebd.).

Grundlegende Kooperation, kommunikative Kooperativität und die Herstellung von Reziprozität greifen in Gesprächsprozessen vielfach ineinander. Ausgangs-punkt ist das Konzept von Kommunikation als Kooperation wie es von den sich mit Sprache, Sprechen und Kommunikation auseinandersetzenden

Wissen-schaftsdisziplinen gleichermaßen vertreten wird (z.B. Grice 1975; Geißner 1981; Liedtke/Keller 1987; Fiehler 1999a; Bartsch 2009). Dies steht in Kontrast zum eingangs geschilderten Gesprächskonzept der Ratgeber- und Callcenterpra-xis, welches sich widersprüchlich im Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konfrontation bzw. Kompetitivität bewegt. Mit dem Kooperationsprinzip ist zugleich ein fundamentales Prinzip menschlicher Kommunikation und eine kommunikative Handlungsverpflichtung bestimmt. Welche zusätzlichen Ge-sprächsleistungen im Gesprächsprozess ineinandergreifen, wird nachfolgend erläutert.

Im Dokument Frank & Timme (Seite 101-105)