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Anliegendarstellung

Im Dokument Frank & Timme (Seite 185-190)

3 Gespräch und Gesprächskompetenz im Kontext der professionellen

4.3 Forschungsschwerpunkte und -ergebnisse

4.3.2 Untersuchungen zu Sprechwirkung und -ausdruck

4.3.2.1 Untersuchungen zu Sprechwirkung und -ausdruck anhand

4.3.2.1.2 Anliegendarstellung

Die Untersuchungen zur Phase der Anliegendarstellung beschäftigten sich bis-her ausschließlich mit der Wirkung dieser Phase anhand der GQF im Rahmen der Forschungen zur automatisierten Gesprächsbewertung (CoachOST und SIGMUND).

x Bedeutung der Anliegendarstellung

Bei der Präsentation des Gesprächsanliegens, die der Gesprächseröffnung folgt, wird in das Gesprächsthema eingeführt (first topic slot). Die Themaeinführung dient der Legitimation des Anrufs durch den Anrufer und muss daher vom An-gerufenen bestätigt werden (Themaratifikation). Dies kann durch den Angerufe-nen explizit und implizit vorgenommen werden (Werlen 1984, 244). Grundsätz-lich können nicht-verabredete Gespräche, wie im gesamten Outboundbereich der professionellen Telefonie eine spezifische Form von Präsequenzen, die sog.

pre-topic closings aufweisen. D.h. der eigentlichen Einführung des Themas bzw.

der Darstellung des Gesprächsanliegens geht ein prä-topisches Beendigungsan-gebot voraus (vgl. ebd.).

„Prä-topische Beendigungsangebote sind Versuche des Anrufers, die möglicherweise gegebene Verletzung des fremden Territoriums zu minimieren; sie geben dem Angeru-fenen die Möglichkeit, das Gespräch ohne Gesichtsverlust zu beenden. Häufig sind die-se Angebote Zeichen gesteigerter Höflichkeit.“ (Werlen 1984, 244)

Mit Blick auf die untersuchten telefonischen Verkaufsgespräche, Kundenrück-gewinnungsgespräche und auch auf die Gespräche der telefonischen Haltearbeit wird deutlich, dass solche pre-topic closings nicht oder nur als Randerscheinun-gen auftreten. Das Gros der Gespräche und GesprächsgrundlaRanderscheinun-gen vermeidet sol-che Präsequenzen und die damit verbundene imageschonende Möglichkeit der Gesprächsbeendigung durch die Kunden.

Die Anliegendarstellung selbst weist nach Werlen (ebd.) i.d.R. Techniken der Vermeidung von Gesichtsbedrohungen auf, indem z.B. die Anrufer ihr Anliegen ausführlich begründen und den damit verbundenen Anspruch mit Mitteln sprachlicher Höflichkeit und Relativierung abschwächen und dieses vorsichtig vortragen. Auf sprachlicher Ebene finden sich hier häufig Modalpartikel und -verben sowie Konjunktivkonstruktionen. Auch in diesem Aspekt der ‚vorsich-tigen Themeneinführung’ belegen die untersuchten Outboundgespräche ein an-deres, weniger vorsichtiges sprachliches Vorgehen. Den Gesprächsvorgaben entsprechend sind (Unsicherheit ausdrückende) Konjunktivkonstruktionen und

vorsichtiges Vorgehen generell zu vermeiden. In der Konsequenz erscheinen die Agenten in der Gesprächsphase der Anliegendarstellung in Outboundgesprächen häufig unangemessen forsch oder zudringlich, was auch auf die (verkaufsstrate-gische) Vermeidung von imageschonenden und höflichen sprachlichen Strate-gien zurückzuführen ist.

In den linguistischen Strukturbeschreibungen wird die Themeneinführung und Ratifikation als Teil bzw. letzter Schritt der Gesprächseröffnung betrachtet (ebd.). Für die Untersuchungen zur professionellen Telefonie hat sich eine ge-sonderte Betrachtung der Anliegendarstellung (Themaeinführung und Themara-tifikation) als sinnvoll erwiesen, weil Callcentergespräche, besonders im Out-bound- und Verkaufsbereich, einer eigenen, häufig abweichenden Struktur folgen. Datenschutzrechtliche Bestimmungen machen es beispielsweise not-wendig, dass noch vor der Themaeinführung die Einwilligung zum Mithören oder Mitscheiden des Gesprächs eingeholt wird. In diesen Gesprächen findet sich neben den paarigen Sequenzen (Summons – Answer, Identifikation – Ge-genidentifikation und Begrüßung – Gegenbegrüßung) zusätzlich die Paarse-quenz Aufnahmegenehmigung einholen – Zustimmung erteilen.

x Ergebnisse der Sprechwirkungsuntersuchung telefonischer Anliegen-darstellungen anhand der GQF

Signifikante Unterschiede in der Wirkung und Beurteilung der gelungenen und nicht gelungenen Anliegendarstellungen betreffen v.a. die Kriterien Natürlich-keit, Glaubwürdigkeit und Freundlichkeit. Wie bei den Gesprächseröffnungen sticht in den untersuchten Sequenzen die Wirkung von Unnatürlichkeit (mit 103 annotierten Sequenzen, davon 73 im negativen Skalenbereich) hervor. Aufgrund der offensichtlichen Inkongruenz von Sprach- und Sprechstil dominiert bei der Schilderung des Gesprächsanliegens nach Expertenmeinung darüber hinaus v.a.

die Wirkung von Unglaubwürdigkeit (62 annotierte Sequenzen), ein Wirkungs-kriterium, das bei den untersuchten Gesprächseröffnungen nicht von Bedeutung war. Hier gilt, was bereits für die Natürlichkeit konstatiert wurde: Die Agenten beider Gruppen wirken im Schnitt unglaubwürdig, wobei die Agenten der Posi-tivgruppe signifikant weniger unglaubwürdig erscheinen. Zudem wirkten einige Agenten bei der Anliegendarstellung unsicher (45 annotierte Sequenzen). Für beide Gruppen liegen die Mittelwerte der genannten Kriterien z.T. deutlich in Richtung des negativen Pols. Nur in Bezug auf das Kriterium Freundlichkeit zeigt der Gruppenvergleich mit Signifikanz den Positivtrend der gelungenen An-liegendarstellung. D.h. die Agenten der Positivgruppe erscheinen freundlich.

z.T. auch unaufgeregt und ruhig (vgl. Abb. 8 und Tab. 8).

Abbildung 8: Häufigkeitsverteilung der Annotationen zur Natürlichkeit und Freundlichkeit bei der Anliegendarstellung

In Bezug auf die Häufigkeit der Annotationen fällt bei der Präsentation des An-liegens in telefonischen Verkaufsgesprächen in erster Linie die sprachliche In-adäquatheit ins Gewicht. Mit insgesamt 162 annotierten Sequenzen, davon 155 im negativen Skalenbereich, steht dieses Kriterium an erster Stelle, ist jedoch nicht signifikant in Bezug auf den Mittelwertvergleich zwischen den positiven und negativen Anliegendarstellungen. Gleiches gilt für die Beurteilung der spre-cherischen Gestaltung, die von den Experten für beide Gruppen als unangemes-sen beurteilt wurde (vgl. Tab. 8). Auch wenn die Bewertungen von sprachlicher und sprecherischer Angemessenheit keine signifikanten Aussagen im Gruppen-vergleich zulassen, legen sie ein grundlegendes Problem der untersuchten An-liegendarstellungen offen: Die augenscheinliche Inkongruenz von Sprach- und Sprechstil. Auf der Inhaltsebene bringen die verschiedenen Leitfadentexte den Kunden gegenüber zwar Anerkennung und Wertschätzung zum Ausdruck. Auf der Ebene des Sprechausdrucks kommunizieren die Agenten zugleich (meist unbewusst), dass die Kunden nicht individuell angesprochen und gemeint sind und der mit der vermeintlichen Belohnung verbundene Zuspruch sozusagen ‚am Fließband’ produziert wird. Verantwortlich hierfür ist, nach Auffassung der Sprechwirkungsforschung, der pathognomische Ausdruck. Dieser zeigt die situ-ationsbezogene emotionale Befindlichkeit des Sprechenden an und liefert bei der Aufnahme und Verarbeitung von Geäußertem dem Hörer wichtige Informa-tionen zur Situationsdefinition (vgl. Hirschfeld et al. 2008, 776). Im vorliegen-den Fall zeigt der pathognomische Ausdruck u.a. an, ob die Agenten die auf der sprachlichen Ebene zum Ausdruck gebrachte Anerkennung tatsächlich meinen oder diese floskelhaft und ohne innere Beteiligung (re-)produzieren.

Wirkung der Agenten bei der Schilderung des Gesprächsanliegens Gesprächsanliegen positiv

(Phasenbewertung 1 bis 3) Gesprächsanliegen negativ (Phasenbewertung 4 bis 6) Rangfolge Merkmal Anzahl Mittelwert p-Wert Anzahl Mittelwert

1. +/- sprach. adäquat 118 5,0763 0,4047 44 5,1136

2. +/- natürlich 82 3,5976 4,1655 · 10-5* 21 4,7619

3. +/- sprech. annehmbar 41 4,1463 0,0536 32 4,6250

4. +/- glaubwürdig 45 3,2667 0,0008* 17 4,6471

5. +/- freundlich 41 1,6585 5,0779 · 10-5* 12 4,5000

6. +/- sicher 32 4,1563 0,0356* 13 4,7692

7. +/- ruhig 24 2,7917 0,0042* 18 4,1667

Tabelle 8: Auszug t-Test mit signifikanten* Wirkungskriterien für die Anliegendarstellung Die Ergebnisse der einseitigen t-Tests belegen signifikante Unterschiede zwi-schen beiden Gruppen für die genannten und in der Tabelle markierten Krite-rien. Der Testhypothese entsprechend bestätigt sich die Annahme, dass die Gruppe der positiven Beispiele in der Bewertung der Kriterien weiter links auf der Skala in Richtung des positiven Pols liegen. Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Wirkung der Agenten bei der Anliegendarstellung festhalten:

- Die Anliegendarstellungen der untersuchten telefonischen Verkaufsge-spräche fallen insgesamt durch einen unangemessenen Sprach- und Sprechstil negativ ins Gewicht. Die häufigsten Annotationen beziehen sich dabei auf den Sprachstil, der höfliches und imageschonendes Vorge-hen vermissen lässt.

- Zugleich steht die über sprachliche Mittel und Floskeln ausgedrückte Kundenorientierung im Kontrast zur sprecherischen Realisierung, die v.a.

Anzeichen von übermarkierter Freundlichkeit trägt.

- Im Vergleich werden die Agenten der Positivgruppe signifikant als weni-ger unnatürlich, unglaubwürdig, unsicher und zugleich als freundlich und ruhig wahrgenommen.

- Die Agenten der Negativgruppe erscheinen tendenziell unfreundlich und unruhig.

x Ergebnisse der auditiven Sprechausdrucksanalysen von Anliegendar-stellungen

Bei der Sprechausdrucksgestaltung treten in beiden Gruppen wiederum relativ ähnliche Merkmalsausprägungen auf. Wie im Fall der Gesprächseröffnung spricht dies in erster Linie für eine stereotype Verwendung der sprecherisch-stimmlichen Ausdrucksmittel. Zugleich untermauert dieses Ergebnis die (Un-)Angemessenheitsbeurteilung der sprecherischen Gestaltung durch die

Ex-perten, welche die prosodische Gestaltung im Großteil der untersuchten Fälle als unangemessen ablehnen. Signifikante Unterschiede liegen nur für die Merkmale Stimmklang, Sprechstimmlage, Tonhöhenverlauf und Akzentuierungsform vor (s.u. Tab. 9).

Sprechausdrucksgestaltung bei der Schilderung des Gesprächsanliegens Gesprächsanliegen positiv

(Phasenbewertung 1 bis 3) Gesprächsanliegen negativ (Phasenbewertung 4 bis 6)

Merkmal Anzahl Mittelwert P-Wert Anzahl Mittelwert P-Wert

1. Stimmklang

Tabelle 9: Auszug Statistik – Mittelwerte und t-Test für Merkmale des Sprechausdrucks Die geringe Differenzierung der sprecherisch-stimmlichen Ausdrucksmittel in den Positiv- und Negativbeispielen (s.u.) lässt eine musterhaft-stereotype Sprechweise vermuten. Kennzeichnend dafür sind die folgenden Merkmalsaus-prägungen:

- Grundlegend treten in beiden Gruppen bei der Anliegendarstellung über-wiegend steigende Endmelodieverläufe auf.

- Das wiederkehrende Melodiemuster erweckt in Kopplung mit den auffäl-lig starken Melodiesprüngen den Eindruck monotoner Tonhöhenbewe-gungen.

- Das Sprechtempo ist schnell mit wenigen Pausen, die Artikulation unprä-zise.

- Die Agenten der Positivgruppe fallen signifikant durch einen weniger un-angenehmen Stimmklang sowie durch weniger monoton anmutende Ton-höhenverläufe ins Gewicht.

- Die Agenten der Negativgruppe zeigen bei der Akzentuierungsform ein weniger ausgeglichenes Verhältnis von melodischen, dynamischen und temporalen Akzenten. Darüber hinaus fallen sie im Vergleich signifikant durch das Sprechen in überhöhter Sprechstimmlage ins Gewicht.

Das letztgenannte Merkmal ist zugleich das prominenteste Unterscheidungskri-terium nicht nur innerhalb der gelungenen und nicht gelungenen Anliegendar-stellungen, sondern auch zwischen den Phasen Gesprächseröffnung und Ge-sprächsanliegen. Während das Sprechen in überhöhter Sprechstimmlage ein grundlegendes Merkmal für die Gesprächseröffnung darstellt, gilt dies nicht für die Anliegendarstellung. Das anhaltende Sprechen mit überhöhter Stimme und die damit verbundene (Über-)Markierung von Freundlichkeit führen offenbar, zumindest unter den Experten, zu einer Ablehnung des Sprechstils. Dieses Er-gebnis liefert den quantitativen Beleg für die qualitativen Befunde Rothes (2011) zur qualitativen Musteranalyse von reproduzierenden und frei realisierten Sequenzen leitfadenbasierter Gespräche.

Im Dokument Frank & Timme (Seite 185-190)