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Kommunikationsmaximen in Callcentern

Im Dokument Frank & Timme (Seite 79-88)

3 Gespräch und Gesprächskompetenz im Kontext der professionellen

3.1 Das Gespräch als Produkt – Konzepte und Perspektiven der

3.1.3 Kommunikationsmaximen in Callcentern

In der Ratgeberliteratur, in Unternehmensleitbildern und Anforderungsprofilen finden sich wiederholt bestimmte Schlagwörter, die zugleich die kommunikati-onsstrategischen Leitlinien der Callcenterbranche repräsentieren. Konzepte wie das der Kunden-, Ziel- oder Serviceorientierung erscheinen nicht nur unbe-stimmt, „[...] als nebelige Mischung von Professionalität, Vermarktlichung und Beziehungsfähigkeit“ (Holtgrewe/Voswinkel 2002, 105) sondern auch konträr in Bezug auf Anforderung und Intentionalität der Kommunikationsarbeit der Agenten. Im Folgenden sollen daher die zentralen Leitlinien der Kommunikati-onsarbeit in Callcentern nachgezeichnet und im Hinblick auf mögliche Wider-sprüche und Ambivalenzen diskutiert werden. Angereichert wird diese Diskus-sion mit Auszügen aus Erfahrungsberichten zu den Schwierigkeiten und Problemen der professionellen Telefonarbeit aus der Sicht von Studierenden des Masterstudiengangs Sprechwissenschaft.

Im Rahmen eines Studentenpraxistages hatten Studierende mehrfach Gelegen-heit bei der davero dialog GmbH in die Rolle der Callcenteragenten zu schlüp-fen und Kundentelefonate im Live-Betrieb zu führen. Die Studentenpraxistage waren methodisch als eine Art beobachtende Teilnahme konzipiert, wobei zu-gleich Daten in Form von one-way-Gesprächsaufzeichnungen von den Studie-renden und Agenten erhoben wurden sowie Beobachtungsprotokolle dieser teil-nehmenden Beobachtung angelegt wurden. Entsprechend sollten die Studierenden während und im Nachgang des letzten Praxistages im Jahr 2014 ihre Erfahrungen, die Selbst- und Fremdbeobachtungen bei der Telefonie proto-kollieren, systematisieren und als Erfahrungsbericht zusammenfassen. Aus einer Doppelperspektive als institutions-externe Beobachter (Außenperspektive) ei-nerseits und als selbst involvierte Kundenberater (Innenperspektive) anderer-seits, verdeutlichen die Auszüge aus diesen Berichten der sechs Studierenden zentrale problematische Aspekte der Kommunikationsarbeit im Callcenter.

a)Kundenorientierung

Zu dem wohl populärsten Leitbild kommunikationspolitischer Zielsetzungen von Unternehmen zählt die Kundenorientierung (vgl. Bruhn 2015, 2; Fieh-ler/Schmitt 2007, 344; Seidel 2007, 3; Wulf 2006, 23; Habscheid 2003, 211;

Holtgrewe/Voswinkel 2000, 2). Im betriebswirtschaftlichen Kontext nimmt die Kundenorientierung seit den 1990er Jahren eine Art Schlüsselrolle im strategi-schen Management von Unternehmen ein. Je nach Ansatz wird dabei unter-schieden in Kundenorientierung als Wettbewerbsstrategie, als Unternehmens-kultur oder Marketingkonzept. Bei letzterem, z.B. im Rahmen des Relationship Marketing gilt die konsequente Kundenorientierung als Maxime bei der Planung und Steuerung sämtlicher Aktivitäten und umfasst damit auch den Bereich der externen Kommunikation von Unternehmen (vgl. Bruhn 2015, 2). Hintergrund dieser strategischen Ausrichtung an den Bedürfnissen und Wünschen der Kun-den ist die Erkenntnis, dass hohe KunKun-denzufrieKun-denheit langlebige und damit profitable Kundenbeziehungen generiert (ebd.). Die Orientierung am Kunden gilt als Voraussetzung für Kundenzufriedenheit, mit der die Bindung an das Un-ternehmen bzw. die Marke gewährleistet werden soll. Für den Dienstleistungs-bereich definiert Seidel (2007) aus betriebswirtschaftlicher Perspektive Kun-denorientierung „[...] als die differenzierte Berücksichtigung der Einzel-interessen gegenwärtiger und potentieller Kunden in allen Phasen des Dienst-leistungsprozesses mit dem Ziel der Steigerung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung“ (ebd. 4). Kundennähe und Kundenorientierung bilden die Grundvoraussetzung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit von Dienstleis-tungsunternehmen (vgl. ebd. 3). Für den Bereich der Kommunikation im direk-ten Kundenkontakt unter dem Fokus der Kundenorientierung konstatiert Seidel (2007) aus betriebswirtschaftlicher Perspektive sowohl theoretische als auch methodische Defizite und unterstreicht damit den o.g. Befund von Holtgre-we/Kerst (2002).

„Kundenorientiertes Kommunikationsverhalten stand bisher somit noch nicht ausrei-chend im Mittelpunkt des Forschungsinteresses: theoretisch fundierte, konkrete Krite-rien für kundenoKrite-rientiertes Kommunikationsverhalten und deren Operationalisierung fehlen.“ (Seidel 2007, 11)

Die Maxime der Kundenorientierung hat in den letzten Jahren auch deshalb an ökonomischer Bedeutung in der Unternehmenswirtschaft gewonnen, weil die zunehmende Sättigung der Märkte, der steigende Konkurrenz- und Kostendruck sowie die progressiven Ansprüche der Kunden die Aufmerksamkeit vom Pro-dukt und der ProPro-duktqualität auf die damit verbundene Dienstleistungsarbeit und

das Image von Unternehmen und Marken lenken. Kunden sollen sich mit einer Marke und der dahinterstehenden Ideologie identifizieren. Dies soll durch ein umfassendes und individuell abgestimmtes Angebot erreicht werden, das psy-chosoziale Beziehungsqualitäten mit einschließt, die gerade durch die Kommu-nikationsarbeit der Kundenberater am Telefon transportiert werden (vgl.

Habscheid 2003, 212).

Kundennähe und Kundenorientierung werden in der Kommunikation von Mit-arbeitern und Unternehmen strategisch eingesetzt und können in diesem Sinne als rhetorische Maximen aufgefasst werden. Nach Fiehler/Schmitt (2007) bedeu-tet Kundenorientierung, dass Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche der Kun-den in der Gesprächsführung erkannt, in einer angenehmen, persönlichen Art und Weise und nach Möglichkeit effektiv erfüllt werden (vgl. ebd. 344). Dieses Verständnis richtet den Fokus verstärkt auf die Beziehungsqualität, die v.a. in der unmittelbaren, (auch fern-)mündlichen Kommunikation zum Ausdruck ge-bracht wird. Um Kundenorientierung im Dienstleistungsbereich zu untersuchen, rückt verstärkt die Analyse der Interaktion zwischen Unternehmensvertretern und Kunden in den Fokus. Schließlich ist die Kommunikationsarbeit und Kun-denberatung Teil der Dienstleistung (vgl. Seidel 2007, 6).

Die Anweisungen und Vorgaben der Ratgeberliteratur, die zuvor unter dem konzeptionellen Aspekt der Betonung der Beziehungsebene erläutert wurden, zielen im Kern auf das Konzept der Kundenorientierung und dessen Umsetzung in der mündlichen Kommunikation. Im Vordergrund stehen dabei die Techniken und Formulierungen, die als kundenorientierte Sprache bzw. kundenorientiertes Gesprächsverhalten gehandelt werden (Namensansprache, Telefonlächeln, Auf-wertungen und verbale Bonbons).

Dass die alltägliche Praxis der Kommunikation mit Kunden den formulierten Ansprüchen in vielerlei Hinsicht nicht entspricht, zeigen u.a. Fiehler/Schmitt (2007). Für die Mängel in der Kundenorientierung erklären sie folgende Gründe für verantwortlich (vgl. ebd. 344):

- unterschiedliche Perspektiven von Unternehmensvertretern und Kunden und mangelnde Perspektivübernahme von Seiten der Mitarbeiter,

- grundlegende Einstellung bzw. Haltung der Mitarbeiter gegenüber den Kunden, die mitunter als inkompetente Störquelle betrachtet werden, - falsche Vorstellungen über Gespräche und den damit verbundenen

eige-nen Handlungsanteilen.

Holtgrewe/Voswinkel (2000; auch Menzler-Trott 2002, 166 ff.) machen aus ar-beits- und organisationssoziologischer Perspektive auf Dilemmata im Zusam-menhang mit Kundenorientierung in Callcentern aufmerksam, die sich aus der

Unvereinbarkeit verschiedener organisationaler Handlungsrationalitäten erge-ben. Sie zeigen, wie Unternehmen „Kundenorientierung als professionelles Ethos gegenüber den Beschäftigten zugleich einfordern und entwerten“ (Holt-grewe/Voswinkel 2000, 5). In Callcentern zeigt sich dieses Paradox in erster Li-nie daran, dass einerseits harte Kennziffern für Gesprächsdauer, Antwortzeiten und Anzahl der zu bearbeitenden Gespräche als Zielnormen vorgegeben werden, dass auf der anderen Seite aktive und individuelle Beratung, kompetente Prob-lemlösung und Freundlichkeit gefordert und deren Umsetzung im Gespräch be-wertet werden. Der Widerspruch und die Unvereinbarkeit dieser Vorgaben wird dabei nicht thematisiert und auf das Arbeitshandeln der Beschäftigten verlagert (vgl. ebd. 7). Mit Bezug auf den von Fiehler/Schmitt (s.o.) genannten Aspekt der grundlegenden Einstellung und Haltung der Telefonagenten den Kunden gegen-über sei an dieser Stelle noch einmal auf das Ausgangskonzept verwiesen, das Kommunikation als Konfrontation und Wettkampf konzipiert und den Ge-sprächspartner als Gegner. Dass unter dieser Perspektive die Maxime der Kun-denorientierung zu einer inhaltsleeren aber wettbewerbsfähigen Floskel wird, ist evident. Auch die bei Fiehler/Schmitt (2007) und Szymenderski (2004) als prob-lematisch beschriebene Haltung gegenüber den Kunden ‚als Belastungsfaktoren’

(Szymenderski 2004) zeigt, dass die vom Management verordnete Kundenorien-tierung als Marketingkonzept mit der institutionell geprägten Haltung der Tele-fonagenten den Kunden und damit auch ihrer eigenen Kommunikationsarbeit und -rolle gegenüber in Konflikt gerät.

Die Selbsterfahrungen und -beobachtungen der Studierenden des Studentenpra-xistages im Jahr 2014 belegen diesen Befund. In Bezug auf die Kundenorientie-rung wird deutlich, dass diese Maxime offenbar diffus und unpräzise als über-geordnetes Prinzip über der Kundenkommunikation schwebt, welches zugleich permanent mit den konkreten Gesprächs- und Kampagnenzielen konfligiert. Die nachfolgende Passage zeigt die Selbstbeobachtung einer Studentin. Aufgabe war, die eigene Telefonie unter dem Aspekt der Kundenorientierung zu reflek-tieren. Zu ihren Problemen bei der Umsetzung dieser Gesprächsmaxime schreibt sie (vgl. ausführlich dazu die Ausführungen der Studentin A in Anhang A.2):

„Die Zielsetzung der Telefonate war mir nicht ganz klar. Ich erinnerte mich an eine Anweisung, die besagte, es sei wichtig, sowohl die XXXkurse als auch das XXXpro-gramm vorzustellen. Außerdem wäre es von hoher Relevanz, den Infobrief zu verschi-cken. Durch diese Korsage vermeintlicher Ziele war es schwierig, mich tatsächlich auf den Kunden einzulassen und an seinen Bedürfnissen zu orientieren. Es spielte die Angst mit, den Vorgaben nicht gerecht zu werden.“

Studentin A zum Callcenter-Praxistag bei der davero dialog GmbH am 04.12.2014

Weiter schreibt sie, dass diese Angst in ihren Kundengesprächen dazu führte, möglichst schnell und viel zu sprechen, um die Kunden im Gespräch zu halten und reflektiert, dass so jedoch den Kunden „wenig Raum gelassen wurde, um ihre Bedürfnisse und Anliegen zu äußern.“ (Studentin A, Anhang A.2). Hat Kundenorientierung in der Kommunikation das eingangs erwähnte Ziel der dif-ferenzierten Berücksichtigung der Einzelinteressen (vgl. Fiehler 2007), so braucht es im Gespräch zunächst einmal den Raum, diese Einzelinteressen zu bekunden. Das aber verhindern, wie die Studentin oben schreibt, unklare Ziel-vorgaben, was folgend unter der Maxime der Zielorientierung diskutiert wird.

b)Zielorientierung

Zielorientierung bezieht sich auf das konkrete Gesprächsanliegen und die Reali-sierung des mit dem Gespräch verfolgten Ziels. Gesprächsziele können sein: Er-folgreicher Verkauf, gute Beratung, Hilfe bei Störungen oder die zufriedenstel-lende Bearbeitung von Reklamationen. Mit der Zielverfolgung untrennbar verbunden ist die Ergebnisorientierung. Diese nimmt weniger das Einzelge-spräch, sondern vielmehr das übergeordnete Kampagnenziel und damit auch das Auftraggeberziel in den Fokus. Hinter der Ergebnisorientierung verbirgt sich zugleich die Kundenbindungsstrategie des auftraggebenden Unternehmens. Er-gebnisse gezielter Telefonkampagnen können sein: Gewinnmaximierung, Sen-kung der Kündiger-Quote, Kundenrückgewinnung, positive Kundenkontakte, usw. Im Zusammenhang mit der Maxime der Zielorientierung erörtert Plog (1996) die grundlegende Frage nach der Perspektive, von der aus die Zielerrei-chung beurteilt wird. Wird die Zielorientierung einseitig von den Zielen des Un-ternehmens, das die Callcentermitarbeiter in ihrer Funktion als Verkäufer, Bera-ter usw. vertreten, gedacht? Oder stehen im Sinne der Kundenorientierung die Kundenziele im Mittelpunkt, wenn es darum geht zu bewerten, ob ein Gespräch das (Kunden-)Ziel erreicht hat? Oder wird gar von den Zielen beider Gesprächs-partner ausgegangen? Je nachdem, welche Betrachtungsweise man zugrunde legt, ergeben sich in der Beurteilung der Zielerreichung je andere Erfolgsmaß-stäbe. Im Verkaufsgespräch können das sein: der erteilte Auftrag bzw. das ver-kaufte Produkt; das geweckte Interesse ggf. mit der jedoch nicht zwingenden Aussicht auf einen späteren Kauf oder auch einfach nur die grundlegend signali-sierte Gesprächsbereitschaft des Kunden (vgl. ebd. 37).

Nicht nur die Perspektivenvielfalt in der Beurteilung der Zielorientierung birgt Problempotential. Auch die Unterschiedlichkeit der Zielvorgaben und -konstellationen vom auftraggebenden Unternehmen auf der einen Seite und dem Callcenter auf der anderen Seite erschweren die Kommunikationsarbeit der

Agenten. Grenzstellenarbeit manifestiert sich damit auch in widersprüchlichen Zielstellungen, und die Agenten verfolgen an der Schnittstelle zwischen Kun-den, Auftraggeber und Arbeitgeber (Callcenter) immer gleichzeitig verschiedene Ziele. Unterschieden werden können zunächst grob die individuellen und intrin-sischen Ziele der Mitarbeiter (Selbstdarstellung, Display von Expertentum, Vermeidung von Konflikten usw.) und die extrinsischen und institutionellen Ziele. Diese sind von den Auftraggebern und Arbeitgebern, d.h. dem Callcenter als Organisationseinheit vorgegeben und betreffen mitunter fast alle Ebenen der Kommunikation.

Menzler-Trott (2002) bemängeln in Bezug auf die Kommunikationsarbeit im Callcenter das Fehlen einer Werthierarchie. So müssen die Mitarbeiter typi-scherweise den Balanceakt zwischen gleichrangigen Werten aushalten und ver-suchen, die „Mitte zwischen diesen zwei Werten in Echtzeit aus[zu]pendeln“

(Menzler-Trott 2002, 163). In Bezug auf die Maxime der Zielorientierung fehlt es analog dazu auch an einer der Werthierarchie entsprechenden Zielpriorisie-rung. Denn nur wenn die verschiedenen, mit dem Gespräch verfolgten Ziele hie-rarchisiert werden, sind Gespräche auf globaler Ebene auch (bedingt) steuerbar (vgl. Bremerich-Voß 2009, 2322). In Bezug auf telefonische Kundengespräche stellt sich die Frage: Was ist das oberste Ziel, das aus unternehmerischer Per-spektive erreicht und verfolgt werden soll, und was ist das kommunikative Ziel?

Wie stehen diese Ziele in Relation zueinander? Welche weiteren Ziele werden verfolgt?

Im Fall der vorliegenden Haltearbeits-Kampagne, in deren Rahmen der Stu-dentenpraxistag 2014 bei der davero dialog GmbH stattfand, gab es zwar keine quantitativen Vorgaben in Bezug auf die Länge der Gespräche, dennoch verfol-gen den Beobachtunverfol-gen zufolge viele Mitarbeiter das (vielleicht unbewusste) Ziel, die Gespräche reibungslos nach den Vorgaben des Leitfadens abzuarbeiten.

Dies gelingt nur, wenn sich die Kunden an die Rationalitätsprinzipien der Orga-nisation anpassen, die die Kommunikation auch über Bedienung und Eingabe von Informationen in die Datenmaske steuern. Gleichzeitig aber überfrachtet der Auftraggeber die Kampagne mit Themen und Inhalten, die in den Gesprächen zu bearbeiten sind, so dass die Agenten vor dem Problem stehen, eine kunden- und situationsgerechte Auswahl treffen zu müssen, die zugleich die Wirtschaft-lichkeit des Arbeitgeberunternehmens sichert. Mit dieser Erfahrung sahen sich auch die am Praxistag beteiligten Studierenden konfrontiert. Studentin C schil-dert dazu folgende Beobachtung der eigenen und fremdbeobachteten Telefonie (vgl. Ausführungen der Studentin C in Anhang A.2):

„Durch das gemeinsame Auswertungsgespräch [...] fiel auf, dass die Geschäftsführung und die telefonierenden Agenten unterschiedliche Ziele haben. [...] Der Geschäftsfüh-rung geht es, wie bereits in der Einleitung beschrieben, um eine emotionale Bindung der Versicherten [...]. Für die Agenten war es hingegen wichtig alle Informationen aus dem Leitfaden korrekt zu übermitteln und am Ende des Gesprächs einen Informationsbrief zu versenden. Durch diese vermeintlichen Fehlinformationen fiel es den Agenten schwer ein freies, authentisches Gespräch fernab von dem vorgeformten Leidfaden [Sic!] zu führen, was in Bezug auf eine emotionale Kundenbindung von Vorteil wäre.“

Studentin C zum Callcenter-Praxistag bei der davero dialog GmbH am 04.12.2014

„Die geschulten Agenten hatten kaum Probleme mit der Bedienung der Maske [...]. Je-doch fehlte hier durch einen automatisierten Ablauf oftmals gezieltes Nachfragen, z.B.

welches Angebot den Kunden interessieren könnte. Das führte dazu, dass oftmals alle Informationen der Kampagne präsentiert wurden und diese nicht speziell auf den Kun-den abgestimmt waren.“

Studentin C zum Callcenter-Praxistag bei der davero dialog GmbH am 04.12.2014 Letztlich gibt es die individuellen (bewussten und unbewussten) Ziele der Mit-arbeiter, über die an dieser Stelle nur gemutmaßt werden kann. Sie sind wohl vorwiegend intrinsisch motiviert und können z.B. dem Zweck der Selbstdarstel-lung dienen, etwa um sich als Experte auszuweisen. Sie können aber auch als verdeckte Ziele die Kommunikation steuern. Dies ist der Fall, wenn sich die Agenten hinter den schriftlich formulierten Gesprächsleitfadentexten verstecken oder wenn sie, wie die Studentin C beschreibt, es vermeiden Fragen zu stellen.

Dahinter steht womöglich die Tendenz, sich von der Telefonie zu distanzieren bzw. sich nicht individuell verantwortlich zu zeigen oder angreifbar zu machen.

Insgesamt erscheint die Maxime der Zielorientierung in der Kommunikationsar-beit vor dem Hintergrunddschungel aus Zielvorgaben, in dem die Agenten ori-entierungslos zurückgelassen werden, tatsächlich als die ‚nebelige Mischung’, die Holtgrewe/Voswinkel (2002) beschreiben. Zudem steht die Zielorientierung nicht selten der Maxime der Kundenorientierung entgegen, denn sie bezieht sich in erster Linie auf die unternehmenswirtschaftlichen Ziele. In diesem unterneh-menswirtschaftlichen Sinn steht Zielorientierung in enger Verbindung mit der Motivation, der Leistungsbereitschaft und dem Engagement der Mitarbeiter (vgl. Mistele/Kirpal 2006, 2). Aus diesem Grund kommen in Callcentern oft leistungsbezogene Vergütungsformen, die an den ökonomischen Erfolg gebun-den sind, zum Einsatz. Richtwert für diese Form der Umsatzbeteiligung von Callcenteragenten ist z.B. die Zahl der Vertragsabschlüsse. Für Mitarbeiter, die nach diesen oder ähnlichen Vergütungssystemen entlohnt werden, zählt am

En-de En-der effektive Verkauf, nicht aber die Beratungsleistung und dies besonEn-ders dann, wenn die Beratung viel Zeit in Anspruch nimmt und damit Verkaufschan-cen blockiert (Holtgrewe/Voswinkel 2000, 5).

„Das Erfolgsentgelt soll die Beschäftigten also darauf hinweisen, dass ihre jeweiligen Tätigkeiten sich selbst finanzieren müssen. Sie werden in dem Sinne als unternehme-risch tätige Mitarbeiter behandelt, als sie ihre Leistung stets im Hinblick auf den Markt-erfolg betrachten, also reflektieren sollen, ob sie sich rechnet. Damit werden solche Leistungen, die sich am Markt nicht rechnen, entwertet. Und das gilt eben auch für kundenorientierte Beratungs- oder Zusatzleistungen, die nicht bereits im Preis kalkuliert und hiervon abgedeckt sind.“ (Holtgrewe/Voswinkel 2000, 6)

Zielorientierung und Kundenorientierung führen häufig zu Widersprüchen in den Handlungsanweisungen, ein Dilemma, dessen Auflösung i.d.R. von den Be-schäftigten erwartet wird. Neben der Kunden- und Zielorientierung geht es aus der sprecherzentrierten Perspektive der Ratgeber- und Callcenterpraxis bei der Kommunikationsarbeit v.a. um eines: die konsequente Führung und Steuerung der Gespräche im Sinne der unternehmenswirtschaftlichen Zielsetzungen. Als grundlegend für die Realisierung der anderen beiden Maximen der Kunden- und Zielorientierung wird dabei die Maxime der aktiven Gesprächsführung betrach-tet.

c)Aktive Gesprächsführung

Die Maxime der aktiven Gesprächsführung bezieht sich auf die agentenseitige Lenkung des Gesprächs im Sinne der jeweiligen Gesprächsziele. Damit ist diese Leitlinie eng mit der der Zielorientierung verbunden. Unternehmensseitig sichert die Maxime zugleich die Wirtschaftlichkeit des Callcenters, denn so sollen auch die Bearbeitungszeiten kurz gehalten und das Servicelevel gesichert werden.

Dass die forcierende Herbeiführung des Gesprächsziels durch die aktive Ge-sprächsführung nicht unproblematisch ist, zeigen Untersuchungen u.a. zu Bera-tungs- und Reklamationsgesprächen (Rothe i.V.; Bose et al. 2012; Knapp-Litschko 2001; Fiehler/Kindt 1994; Antos 1992b). Als typisches Problem wird hier die vorschnelle Problem- oder Anliegentypisierung durch die Agenten ge-nannt. Um das Gespräch aktiv auf dessen Ziel hin zu lenken und damit zugleich Bearbeitungs- bzw. Gesprächszeiten zu verkürzen, ordnen die Agenten häufig Kundenprobleme prototypischen Fällen zu und forcieren so die Lösung eines falsch verstandenen Problems. Die Folge ist das Gegenteil des gewünschten Ef-fektes der Verkürzung von Gesprächs- und Bearbeitungszeiten. Es kommt zu

Missverständnissen, Schleifenbildungen und mitunter auch zu Verärgerungen der Kunden.

Durch die Rationalisierung der Kommunikation, durch gesprächssteuernde Mittel und Maßnahmen wie Gesprächsleitfäden oder Zeitvorgaben soll die akti-ve Gesprächsführung gefördert werden (vgl. Lewinska 2005, 33). Dabei sind es insbesondere die Gesprächsleitfäden, die die aktive Gesprächsführung der Agen-ten unterstützen sollen, indem sie z.B. bestimmte Fragen oder proaktive Formu-lierungen vorgeben. Im Resultat allerdings unterstützen diese detailliert vorge-planten Gesprächshilfen nicht nur die aktive Gesprächsführung, sondern zwingen dabei v.a. die Kunden zugleich in eine passive Gesprächsrolle und ma-chen so mitunter eine echte und aktive Gesprächsbeteiligung beider Gesprächs-partner unmöglich. Die Selbstreflektion der Studentin B vom Studentenpraxistag 2014 macht dies deutlich (vgl. ausführlich dazu die Ausführungen der Studentin B in Anhang A.2):

„Da ich mit dem XXXprogramm und einer solchen Gesprächssituation jedoch nicht sehr vertraut war, stützte ich mich zu sehr auf das mir vorliegende Skript. Mein Ge-sprächsleitfaden baute sich selten an den Äußerungen meiner Gesprächspartner/-innen auf. Anstatt näher auf das Gesagte einzugehen, verwies ich ohne Zusammenhang auf weitere Punkte meines Skriptes.“

Studentin B zum Callcenter-Praxistag bei der davero dialog GmbH am 04.12.2014 Die Ausführungen der Studentin B belegen, was wohl auch auf viele der Agen-ten zutreffen dürfte: Das Skript gibt ihnen Sicherheit. Zugleich wird hier ein Negativeffekt angesprochen, der zwangsläufig eintritt, wenn Skripte nicht als grobe Gerüste für den Gesprächsablauf, sondern als detaillierte Texte vorgeplant werden: Es fehlt an situativer und gesprächspartnerbezogener Passung der Inhal-te und Informationen. Studentin B spricht davon, dass sie nicht auf das vom Kunden Gesagte einging und stattdessen zusammenhangslos die Inhalte ihres Skripts referierte. Was fehlte, war der referenzielle Bezug ihrer Aussagen auf die konkreten Beiträge, das Vorwissen, die aktuelle Befindlichkeit und die anti-zipierten Ziele ihres Gesprächspartners. Damit fehlte es ihren skriptbasierten Beiträgen an Adressatenzuschnitt (recipient design). Das Zuschneiden der eige-nen Gesprächsbeiträge auf den jeweiligen Gesprächspartner ist eine grundlegen-de Interaktionsaufgabe und die über grundlegen-den Adressatenzuschnitt von Äußerungen hergestellte Intersubjektivität und Reziprozität ist zugleich ein Grundmerkmal von Gesprächen (vgl. Deppermann/Blühdorn 2013, 7 ff. sowie die

Studentin B zum Callcenter-Praxistag bei der davero dialog GmbH am 04.12.2014 Die Ausführungen der Studentin B belegen, was wohl auch auf viele der Agen-ten zutreffen dürfte: Das Skript gibt ihnen Sicherheit. Zugleich wird hier ein Negativeffekt angesprochen, der zwangsläufig eintritt, wenn Skripte nicht als grobe Gerüste für den Gesprächsablauf, sondern als detaillierte Texte vorgeplant werden: Es fehlt an situativer und gesprächspartnerbezogener Passung der Inhal-te und Informationen. Studentin B spricht davon, dass sie nicht auf das vom Kunden Gesagte einging und stattdessen zusammenhangslos die Inhalte ihres Skripts referierte. Was fehlte, war der referenzielle Bezug ihrer Aussagen auf die konkreten Beiträge, das Vorwissen, die aktuelle Befindlichkeit und die anti-zipierten Ziele ihres Gesprächspartners. Damit fehlte es ihren skriptbasierten Beiträgen an Adressatenzuschnitt (recipient design). Das Zuschneiden der eige-nen Gesprächsbeiträge auf den jeweiligen Gesprächspartner ist eine grundlegen-de Interaktionsaufgabe und die über grundlegen-den Adressatenzuschnitt von Äußerungen hergestellte Intersubjektivität und Reziprozität ist zugleich ein Grundmerkmal von Gesprächen (vgl. Deppermann/Blühdorn 2013, 7 ff. sowie die

Im Dokument Frank & Timme (Seite 79-88)