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Grundlegende Prinzipien der Rationalisierung interaktiver

Im Dokument Frank & Timme (Seite 34-38)

2 Professionelle Telefonie als Kommunikationsarbeit – Merkmale und

2.3 Rationalisierung und Standardisierung von Gesprächen und

2.3.1 Grundlegende Prinzipien der Rationalisierung interaktiver

Voswinkel (2000, 178 ff.) beschreibt die besonderen Anforderungen, denen die Rationalisierung interaktiver Dienstleitungsarbeit gegenübersteht und die sich v.a. aus der Interaktionsspezifik ergeben: 1) Die Zeitgleichheit von Produktion und Konsum, d.h. die Anwesenheit des Kunden als Konsument und Ko-Produzent der Dienstleistung. 2) Die unmittelbare Wahrnehmung der Dienstleis-tungsqualität durch den Kunden, die im Wesentlichen durch den Produzenten und den Produktionsprozess determiniert ist. Interaktive Dienstleistungen (und damit auch die Kommunikationsarbeit in Callcentern) unterliegen so verschie-denen „Grenzverflüssigungen“ (ebd. 180), die es bei den Bemühungen um Rati-onalisierung der Kommunikationsarbeit zu berücksichtigen gilt. Nach Voswin-kel lassen sich in der Dienstleistungsarbeit grundsätzlich drei Rationalisierungs-strategien unterscheiden (vgl. ebd. 182 ff.):

Ͳ Reduktion des Service und Ersatz interaktiver Teiltätigkeiten durch Me-chanisierung und Automatisierung,

Ͳ Integration von Selbstbedienungsleistungen in den Gesamtkomplex der Dienstleistungserbringung,

Ͳ Standardisierung und Routinisierung der Dienstleistungsinteraktion durch die verbindliche und detaillierte Planung, Steuerung und Kontrolle des Mitarbeitererhaltens.

Letztgenannter Punkt ist für die vorliegende Arbeit von besonderem Interesse.

Hier spiegelt sich die Rationalisierungslogik wider, die auf den Bereich der mündlichen Kommunikation angewandt wird. „Die interaktiven Aspekte der Dienstleistungsarbeit werden zu verskripteten, d.h. standardisierten und vorge-schriebenen Ausdrucksformen [...] verdünnt“ (Voswinkel 2000, 189).

Die Organisation der Kommunikationsarbeit im Callcenter folgt über weite Strecken dem tayloristischen Vorbild der industriellen Rationalisierung: Tren-nung von Hand- und Kopfarbeit, exakte zeitliche BerechTren-nung und Taktung der Handarbeit, Ansporn durch Pensum und Bonus, Auslese und Anpassung der Mitarbeiter, Produktionsanleitung und Kontrolle durch Experten (vgl. Kieser 2006, 106 ff.). In Anlehnung an Voswinkel (2000) spezifiziert Habscheid (2003) diese allgemeinen Organisationsprinzipien tayloristischen Vorbilds für die ratio-nalisierte Arbeitsorganisation interaktiver Dienstleistungsarbeit. Dies aufgrei-fend, werden im Folgenden die für Callcenterdienstleitungen typischen Rationa-lisierungslogiken und deren Gestaltungs- und Umsetzungsformen in der Kommunikationsarbeit dargestellt (vgl. ebd. 209):

Die Arbeitsteilung und Zerlegung komplexer Tätigkeiten in unterschiedliche Hierarchieebenen und einzelne und mitunter wenig anspruchsvolle Arbeits-schritte zeigt sich in Callcentern in der Unterteilung unterschiedlicher Bearbei-tungsebenen (vgl. Bittner/Lachner 2003, 7). Die Aufgabenverteilung nach Spe-zifität und Schwierigkeitsgrad in sog. service-levels hat eine organisationale Differenzierung zwischen qualifizierten Beratungsleistungen und standardisier-tem Massengeschäft zur Folge (vgl. Matuschek/Kleemann 2006, 89). Die Bear-beitung auf dem first-level ist hochstandardisiert und erfolgt i.d.R. in einer Reihe festgeschriebener Arbeitsschritte (vgl. ebd.; Bittner/Lachner 2003, 7). Die Bear-beitungskompetenz der first-level-Agenten beschränkt sich zumeist auf allge-meine Informations- und Auskunftsdienste, die mitunter nur wenig Fachwissen erfordern. Der Gesprächsablauf kann bis hin zu konkreten Formulierungen in den Gesprächsleitfäden vorgegeben sein. Die Monotonie der derart standardi-sierten Kommunikationsarbeit geht mit einer engen zeitlichen Begrenzung des Gesprächsablaufs und einer durch die ACD-Anlage (Automatic Call Distributi-on bzw. automatische Anrufverteilung) vorgegebenen maschinellen Taktung einher (ebd.).

Bei Anfragen mit komplexeren Anforderungen haben die Agenten im first-level die Aufgabe, die Kunden in die second-first-level-Bearbeitung zu einer indivi-dualisierten Beratung weiterzuleiten (vgl. ebd.; Bittner/Lachner 2003, 8). Im Outbound, so etwa im telefonischen Verkauf, werden die gleichen arbeitsteili-gen Prinzipien wirksam, durch die Unterscheidung in sog. opener und verifier.

Der opener stellt den Kontakt zum Kunden her, eröffnet das Gespräch und ver-sucht, das Kaufinteresse zu wecken. Bei Erfolg wird der Kunde dann an den ve-rifier weitergeleitet, der Vertragskonventionen vorstellt und den Vertragsab-schluss vornimmt, indem er die erforderlichen Kundendaten aufnimmt und letztlich die Zustimmung zum Vertragsabschluss einholt.

Die detaillierte Planung und zeitliche Berechnung sich wiederholender Handlungsabläufe und -muster zeigt sich in Callcentern vorwiegend in quanti-tativen Vorgaben über die ideale Bearbeitungsdauer von Kundenanliegen. Eben-so gibt es Richtwerte für die durchschnittliche Anzahl und Dauer von Gesprä-chen pro Arbeitsschicht und Person (vgl. Habscheid et al. 2006, 170). In den meisten Callcentern wird die Anzahl der pro Zeiteinheit geführten Telefonge-spräche als Kennziffer des sog. service-levels erfasst (vgl. Kleemann/Matuschek 2003, 14). Eine zeitliche Taktung erfolgt auch durch den Dialer, einer Techno-logie zur automatischen Kundenanwahl, die genau bestimmt, wann das nächste Gespräch an die zur Verfügung stehenden Agenten vermittelt wird und damit die Nachbearbeitungszeit von Gesprächen exakt vorgibt. Aber auch die Soft-ware im Informations- und Kundendatenmanagement übernimmt Funktionen

der Detailplanung und -strukturierung der Kommunikationsarbeit im Arbeits-handeln der Agenten (vgl. Maaß et al. 2001, 66 f.). Gesprächsstrukturen und -aufgaben sind dabei, der Sachlogik des EDV-Systems folgend, festgelegt und erfordern die Bearbeitung von Arbeitsschritten in der immer gleichen Taktung und Reihenfolge. So tragen auch die Computersysteme zur zeitlichen Steuerung der auf Wiederholung angelegten Verhaltensmuster bei.

Die Implementierung der repetitiven Verhaltensmuster erfolgt in Callcen-terunternehmen über die tägliche Sozialisation bei der Arbeit, z.B. durch die Vorgabe rigider Kommunikationsregeln und Verhaltensvorschriften, den Einsatz von Gesprächsleitfäden, durch systematisches Feedback der Arbeitsqualität und -quantität mittels Kennziffersystemen, durch Schulungs- und Kontrollmaßnah-men und deren Umsetzung im Training, Monitoring und Coaching. Auch die Softwareergonomie und die zeitliche Taktung der Anrufe tragen zur Implemen-tierung der gewünschten Verhaltensmuster bei. Die so auf unterschiedlichste Art vielfach vorstrukturierte Kommunikationsarbeit der Kundenberater ist unver-kennbar von Aspekten der Vorgeformtheit gekennzeichnet, worauf bisher v.a.

linguistische Untersuchungen hingewiesen haben (z.B. Rampl 2014; Bendel 2007; Habscheidt 2003). Diese zeigen sich stilistisch z.B. in festgeschriebenen Handlungsmustern, floskelhaften Begrüßungen, formelhaften Wendungen oder den automatisiert abgelesenen und reproduzierten Leitfadentexten.

Dass sich die Automatisierung besonders auf der Ebene des Sprechausdrucks manifestiert, also hörbar ist, zeigt die Arbeit von Rothe (2009 bzw. 2011a).

Nach Rothe zeigen automatisierte Gesprächsbeiträge der Agenten ähnliche spre-cherische Merkmalsausprägungen, wie sie für das reproduzierende Sprechen typisch sind. Die Implementierung sich wiederholender Verhaltensmuster wird zudem durch den Einsatz der EDV unterstützt. So gibt beispielsweise die Da-tenmaske den Mitarbeitern die Reihenfolge der Bearbeitungsschritte genau vor.

Die Abfrage der Identifikationsnummer zu Beginn des Gesprächs ist nur ein Beispiel dafür.

Die Sicherung des erwarteten Verhaltens erfolgt in Callcentern über das Qua-litätsmanagement. So unterliegen die mitunter sehr detaillierten Verhaltensvor-schriften und Regeln einer ständigen Prüfung, Kontrolle und Nachsteuerung.

Letzteres passiert überwiegend on the job, z.B. im Monitoring und Coaching.

Dabei hören Teamleiter und Auftraggeber in regelmäßigen Abständen stichpro-benartig die Gespräche der Kundendienstmitarbeiter mit und werten diese an-hand einer vorgegebenen Qualitätsmatrix aus (Monitoring). Im Coaching erfolgt die Auswertung gemeinsam mit dem Agenten, wobei unter Anleitung des Coa-ches auch Zielvereinbarungen zur Gesprächsoptimierung getroffen werden (vgl.

Habscheid et al. 2006, 170). Als zusätzliches Kontrollinstrument haben sich in Callcentern sog. mystery calls durchgesetzt. Damit werden verdeckte Testanrufe bezeichnet, bei denen das Gesprächsführungsverhalten der Agenten auf dem Prüfstand steht. Maßnahmen zur Sicherung des erwünschten Verhaltens, die vorwiegend auf die intrinsische Motivation der Mitarbeiter abzielen und damit dem Kontrollaspekt des Qualitätsmanagements entgegensteuern sind z.B. spezi-elle Anreize wie Teamwettbewerbe, Auszeichnungen, Staffelgehälter und Provi-sionen.

Die Reduzierung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen ist v.a.

eine Folge der arbeitsteiligen Aufbau- und Ablauforganisation in Callcentern und wird zusätzlich durch das Outsourcing bestimmter wenig komplexer Dienst- und Beratungsleistungen befördert. Insbesondere die Arbeit im first-level bietet den Mitarbeitern oft nur geringe Handlungsspielräume und Entscheidungsge-walt. So dürfen z.B. auf dieser Bearbeitungsebene bestimmte Auskünfte nicht erteilt werden, auch wenn die Mitarbeiter im Erstkontakt über das dafür not-wendige Wissen verfügen. Bestimmte Anliegen dürfen grundsätzlich nur von internen Mitarbeitern bearbeitet werden. Aber auch im second-level (oder back-office) gibt es klare Vorgaben, wie und in welchem Umfang Leistungsfragen zu bearbeiten sind. Ausnahmeregelungen obliegen auch hier i.d.R. nicht der Ent-scheidungsgewalt der Kundenberater. Als problematisch erweisen sich solche Handlungs- und Kompetenzgrenzen besonders dann, wenn für Kunden die ar-beitsteilige Organisation im Prozess der Kundenbetreuung nicht transparent ist.

Die Anbindung menschlichen Arbeitshandelns an technische Systeme und die Automatisierung von Teilaspekten der Arbeit erfolgt in Callcentern durch die enge Verzahnung mit der EDV. Die Arbeit der Agenten ist, wie in Kap. 2.2 unter Punkt 3) beschrieben, von der Parallelität zwischen Gesprächsführung und gleichzeitiger Sacharbeit gekennzeichnet. Kundendaten müssen abgerufen, ab-geglichen und gegebenenfalls aktualisiert werden. Wissensdatenbaken stellen die notwendigen Informationen für Auskunftsdienste bereit. Durch Interactive-Voice-Response-Systeme (IVR), die mitunter den Gesprächen vorgeschaltet sind, können Gesprächsteile vollautomatisch abgewickelt werden. Solche Sys-teme kommen häufig zur Vorab-Klassifikation der Anrufanliegen zum Einsatz.

So können Kunden gemäß ihres Anliegens an die dafür zuständige Abteilung und den entsprechenden Bearbeiter weitergeleitet werden. Aber auch ganz ande-re Anwendungsszenarien sind denkbar und werden beande-reits erforscht: Etwa die automatische Erkennung von emotionalen Zuständen und Persönlichkeitstypen der Kunden. So können bestimmte Kundentypen oder Kunden mit auffälliger Emotionalität direkt an die für sie passenden Berater vermittelt werden. Auch

die vollautomatische Messung, Kontrolle und Steuerung der Gesprächsqualität ist denkbar und wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes bereits erprobt.

Durch eine Echtzeiterkennung und -unterstützung sollten den Agenten Informa-tionen über ihr aktuelles Gesprächsverhalten rückgekoppelt werden, damit sie dieses unmittelbar und ohne viel Trainingsaufwand optimieren (vgl. Kap.

4.3.2.1).

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