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Zugrundeliegende Analysekriterien innerhalb des ausgewählten Textkorpus

3. Methodische Vorgehensweise und theoretische Grundlagen

3.2. Zugrundeliegende Analysekriterien innerhalb des ausgewählten Textkorpus

Für eine systematische Textanalyse scheint es sinnvoll, die einzelnen Bildungskonzepte in jeweils fünf Facetten zu unterteilen. Diese Facetten liegen sowohl den theoretisch vorgestell-ten Konzepvorgestell-ten, dem daraus resultierenden Idealtypus als auch dem in den einzelnen literari-schen Texten fiktionalen Beitrag zum literariliterari-schen Bildungsdiskurs zugrunde und sollen quasi als Mosaiksteine ein Gesamtbild der Bildungsthematik im einzelnen Roman ergeben. Die Analyse der einzelnen Facetten innerhalb eines Romans soll die in ihnen verkörperte

bil-dungsthematische Position erkennen lassen, die daraus entstehenden Mosaike ein großes Ge-samtbild der Gattung über einen Zeitraum von achtzig Jahren ergeben.

Als systematische Vorgehensweise, die eine fundierte Vergleichbarkeit zwischen den 40 Pri-märwerken in dieser Studie herzustellen vermag, bietet sich eine Methode an, die für eine literaturwissenschaftliche Interpretation bisher weitgehend unbeachtet geblieben ist, aber an-gesichts des umfangreichen Textkorpus an dieser Stelle sinnvoll erscheint, die sog. Facetten-theorie. Diese hat sich ausgehend von psychologischen Fragestellungen zu einer allgemeinen Methode der Sozialwissenschaften entwickelt, deren Grundsätze aber auch für literaturwis-senschaftliche Untersuchungen denkbar sind. Die Übertragbarkeit dieser methodischen Vor-gehensweise wird schlüssig, wenn man sich vor Augen führt, dass sie in ihren grundlegenden Aspekten bei nahezu jeder wissenschaftlichen Fragestellung Anwendung findet. Die inhaltli-che Auseinandersetzung mit einer bestimmten Fragestellung wird immer zu Differenzierung und damit zu unterschiedlichen Facetten innerhalb des Forschungsprozesses führen. Dabei liegt die besondere Herausforderung der Facettentheorie in der „Explikation des Impliziten“

(Borg 1992: i). Eine kontrollierte Begrifflichkeit der einzelnen Facetten dient dabei sowohl der Übersichtlichkeit als auch dem primären Ziel dieser Methode, nämlich der Strukturierbar-keit und DifferenzierbarStrukturierbar-keit des Untersuchungsgegenstandes. In der Übertragung auf den hier konkret vorliegenden literaturwissenschaftlichen Kontext heißt dies, dass durch diese Metho-de mit Hilfe festgelegter Facetten eine wissenschaftlich fundierte und strukturierte Vergleich-barkeit zwischen den Universitätsromanen hergestellt wird, die insbesondere bei den Gat-tungsentwicklungen in den USA und in Kanada, aber auch beim abschließenden Vergleich beider nationalen Gattungsstränge Aussagen über die Entwicklung und Gesamtkonzeption des Universitätsromans ermöglicht. Ziel ist es, aus der Zusammenführung der einzelnen Facetten ein Gesamtbild des Bildungskonzepts bei der einzelnen Textanalyse entstehen zu lassen und die Entwicklung der Bildungskonzepte innerhalb dieser Gattung in Nordamerika nachvollzie-hen zu können.

Im Gegensatz zu einer in den Sozialwissenschaften bei dieser Methode gerne verwendeten hierarchischen Ordnung soll es in der vorliegenden Arbeit zu keiner Beurteilung der Wertig-keit der einzelnen Facetten kommen, sondern mit Hilfe einer parallel und ineinander greifen-den Ordnung der fünf Facetten ein Gesamtbild des dargestellten Bildungskonzepts gezeichnet werden.

Die beiden Hauptprinzipien der theoretischen Darstellung der Facettentheorie, wie sie von Ingwer Borg dargestellt werden, bleiben dabei gewahrt, da er die angewandte Methode defi-niert „(1) als Systematik […] und (2) als theoretisches System, aus dem eine Reihe

nicht-Kapitel 3: Methodische Vorgehensweise und theoretische Grundlagen 74

trivialer Vorhersagen abgeleitet werden“ (Borg 1986: 128). In seinem Sinne sei auch betont, dass der Inhalt der einzelnen Facetten rein wissenschaftstheoretisch nicht von allzu großer Bedeutung ist, solange das Augenmerk im wesentlichen auf die Tatsache gelenkt wird, ob und auf welche Weise das Facettensystem falsifizierbare Vorhersagen zulässt (Borg 1986: 126).

Im Gegensatz zur Überprüfung der formalen Anwendbarkeit der Facettentheorie müssen selbstverständlich hinsichtlich der bildungsthematischen Tendenz der literarischen Texte in-haltliche Aspekte im Vordergrund stehen und die einzelnen Facetten in ihrer Eigenständigkeit und ihrer Interkorrelation definieren. Das Feld, in dem sich die einzelnen Facetten bewegen, ist das bildungstheoretische Gesamtkonzept innerhalb des fiktionalen Textes. Dabei steht zu-nächst das Gelehrtenbild und damit das durch die Person eines oder mehrerer Lehrender ver-körperte Bildungskonzept im Mittelpunkt des Interesses. Die Analyse dieser ersten Facette bezieht sich dabei ausschließlich auf die Darstellung wissenschaftlicher Universitätsangehöri-ger und deren Profession. Die fiktionale Darstellung dieser Charaktere in ihrem privaten und beruflichen Umfeld in Ankoppelung an ein Bildungskonzept gibt insbesondere in den staff-centered university novels, die in den Vereinigten Staaten seit 1930 immer stärker Eingang in die Gattung des Universitätsromans gefunden haben, den Ausschlag für die Zuordnung eines literarischen Textes zu einer oder mehreren bildungsthematischen Positionen. Um diese Fa-cette innerhalb der Gesamtübersicht der Gattungsentwicklung inhaltlich überhaupt greifbar zu machen, orientiert sie sich in aller Regel am Protagonisten bzw. der prominentesten Figur des Lehrenden innerhalb des Romans und am von ihm/ihr verkörperten Bildungsideal.

Die Darstellung der studentischen Charaktere ist die zweite Facette und bezieht StudentInnen im Grundstudium (undergraduates) und im Hauptstudium (graduates) gleichermaßen ein. Da die amerikanische Hochschule meist als campus university konzipiert und damit Wohn- und Arbeitsplatz für die StudentInnen ist, lassen sich im Gegensatz zur Analyse des Gelehrtenbil-des private und berufliche Ebenen innerhalb der zweiten Facette kaum trennen. Auch hier ist in aller Regel die prominenteste studentische Figur bzw. die als Masse allgemein präsente Studentenschaft ausschlaggebend für die entsprechende bildungstheoretische Zuordnung.

Das Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden ergibt sich in unterschiedlichen aka-demische Figurenkonstellationen konsequenterweise aus der Systematisierung der beiden ersten Facetten, soll jedoch bei der Analyse der literarischen Texte gesondert angesprochen werden. Die Interaktion zwischen diesen und innerhalb dieser beiden funktional voneinander getrennten Gruppen kann sowohl die Einzelanalyse des Gelehrtenbildes bzw. des Studenten-bildes ergänzen als auch zuvor angenommene Aspekte affirmieren bzw. relativieren.

Unterschiedliche Orte, an denen die Charaktere im Roman Bildung erfahren, weiten die Per-spektive der Textanalyse aus auf die direkte Umgebung aller literarischen Charaktere. Inner-halb dieser vierten Facette soll zum einen die geographische und architektonische Darstellung der Hochschule Aufschluss über die angestrebten Bildungsideale und Erziehungsziele geben, zum anderen der Kreis der für die Analyse relevanten Charaktere auf die nichtwissenschaftli-chen MitarbeiterInnen der Universität ausgedehnt werden. So kann auch die literarische Dar-stellung interner administrativer Abläufe und universitärer Hierarchien, d.h. die Fiktionalisie-rung vom ‚einfachen’ Universitätspersonal bis hin zur Person des Präsidenten der Universität, in die Analyse miteinbezogen werden. Zusätzlich können innerhalb dieser Facette weitere Orte der Bildung wie z.B. Naturerfahrungen, Auslandsaufenthalte, etc. der Charaktere berück-sichtigt werden.

Die letzte Facette dehnt die Perspektive ein weiteres Mal räumlich aus und steht für das Ver-hältnis zwischen Universität und Gesellschaft. Bildungsthematische Erwartungen beider Sei-ten, unterschiedliche Funktionszuweisungen und die Frage nach gegenseitiger Nutznießung bzw. Abhängigkeit zwischen der bildungsvermittelnden Institution und der Gesamtgesell-schaft werden dabei in ihrer literarischen Darstellung gedeutet. Dabei können auch die beiden ersten Facetten, das Bild der Lehrenden und das Bild der Studierenden, wieder herangezogen werden und helfen, gesellschaftliche und kulturelle Tendenzen zu beleuchten. Innerhalb der Romane sind diese einzelnen Facetten selbstverständlich nicht mit einem sauberen Schnitt zu trennen, sondern greifen oft lückenlos ineinander. In der Gesamtübersicht zur Gattungsent-wicklung des amerikanischen (Kapitel 5.1. – 5.4.) und des kanadischen Universitätsromans (Kapitel 6.1. – 6.2) ist gerade dieses Ineinandergreifen der unterschiedlichen Positionen und Konzepte das, woraus sich das facettenreiche Bild der Bildung im einzelnen Roman und in der Gattungsentwicklung ergeben soll. Dabei geht es zunächst darum, generelle Tendenzen und Ausprägungen der einzelnen Facetten in der literarischen Entwicklung des Universitäts-romans in Nordamerika im 20. Jahrhundert zu beobachten, wie es zum Beispiel sehr deutlich in der Bewegung von den student-centered zu den staff-centered university novels zu sehen ist, ein Gesamtbild der Darstellung universitärer Bildung und Erziehung in den beiden natio-nalen Varianten des Genres zu zeichnen und zu einer allgemeinen Aussage über das Verhält-nis zwischen realen Bildungsdebatten und literarischen Bearbeitungen bildungsthematischer Diskussion in diesem Zeitraum zu gelangen. Im abschließenden Vergleich sollen mit Hilfe der fünf Facetten und der Methode des New Historicism die beiden Gattungszweige in ihrer zeitlichen, motivischen und bildungskonzeptionellen Entwicklung einander gegenübergestellt

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werden, um die große Varianz und Flexibilität der gesamten Gattung und die Ursache für ihre anhaltende Aktualität zu illustrieren.

4. Bildungsideale und Grundpositionen in Nordamerika: Universitätsromane als Aus-