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Bildungskonzepte im nordamerikanischen Universitätsroman

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Academic year: 2022

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Bildungskonzepte im nordamerikanischen Universitätsroman

Dissertation

zur Erlangung des akademischen Grades des Doktors der Philosophie (Dr. phil.)

Universität Konstanz

Fachbereich Literaturwissenschaft

vorgelegt von Annette Regina Müller

1. Gutachterin: Prof. Dr. Reingard M. Nischik 2. Gutachterin: Prof. Dr. Silvia Mergenthal

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Zusammenfassung

Bei der Gattung des Universitätsromans handelt es sich weitgehend um ein angelsächsisches Phänomen, das vor allem in Großbritannien und Nordamerika verbreitet ist (Antor 1994/1995:

3), und in der vorliegenden Arbeit in einem Zeitraum von 1920 bis 2000 in den Vereinigten Staaten und Kanada in einer gattungsgeschichtlichen Übersicht vorgestellt wird. Dazu werden 25 amerikanische und 15 kanadische Romane ausgewählt und anhand von fünf Facetten, dem Bild der Lehrenden, der Studierenden, der akademischen Figurenkonstellation, dem Bild der Universität und der Darstellung des Verhältnisses zwischen Universität und Gesellschaft, in chronologischer Reihenfolge in zwei zentralen Kapiteln der Arbeit vorgestellt. Als Definition des Genres des Universitätsromans wird folgende Überlegungen zugrunde gelegt: „Da der Universitätsroman sich jeweils explizit auf die Institution Universität in der gesellschaftlichen Wirklichkeit bezieht, ist sein wichtigstes konstitutives Merkmal, dass wesentliche Züge dieser Institution, sei es in realistischer Mimesis, die bis zur exakten Beschreibung einer realen Universität gehen kann, sei es in stilisierender, modellhafter Darstellung einschließlich karikaturistischer Übertreibung oder satirischer Verzerrung in den fiktionalen Gesamtentwurf der Handlungswelt des Romans eingebracht werden. Zu diesen Zügen gehört das Nebeneinander zweier funktional voneinander getrennter Gruppen, der Studierenden und der Dozenten, die Hierarchie des Lehrkörpers und die relativ starke Abgeschlossenheit gegenüber der gesamten Gesellschaft, für die die Universität jedoch gleichzeitig eine wichtige Funktion hat.“ (Weiß 1988: 20f.). So wird laut Weiß der Universitätsroman über die Kategorien des Raumes und der Charaktere in direkter Verbindung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit bestimmt. Mit Blick auf die soziokulturelle Funktion literarischer Texte wird die Funktion eines Universitätsromans festgelegt als „seit seinen Anfängen Teil des gesellschaftlichen Diskurses, in dem am Beispiel der Universität über die Normen, den Sinn und die Funktion von Bildung gerungen wird.“ (Weiß 1988: 9). Oftmals tritt damit in den literarischen Texten die Darstellung der Institution Universität zugunsten dieser diskursiven Funktion in den Hintergrund und gibt Raum für die Präsentation des Verhältnisses dieser Institution und der Gesellschaft. Insbesondere die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften sind Dreh- und Angelpunkt kontroverser Auseinandersetzungen und hitziger Diskussionen.

Bei allen Analysen steht das in den Universitätsromanen repräsentierte Bildungskonzept im Vordergrund des Gattungsüberblicks. Grundlage der Bewertung der einzelnen Facetten sind die theoretischen Ausführungen zu den Bildungskonzepten des Humanismus, des Utilitarismus, des Anti-Intellektualismus, der Liberal Culture und der

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Entwicklung der Hochschullandschaft und der Bildungspolitik, und mit Hilfe der Kenntnisse über innerliterarische Tendenzen wird gezeigt, dass der Universitätsroman in seiner nationalen Ausprägung mit den dahinterstehenden Wertvorstellungen und bildungspolitischen Konzepten über eine Zeitraum von achtzig Jahren erfasst werden kann.

Die Methode, die für eine derartige literarische Analyse unter Berücksichtigung historischer und kultureller Hintergründe und auch nicht-fiktionaler Texte verwendet wird, ist die des New Historicism. Basis dabei ist die Annahme, dass literarische Texte

“representations of the culture from which they emerge” (Myers 1988-1989: 31) sind. Die Funktion der Texte des “shaping rather than reflecting an age’s understanding of human experience and potentiality” (Myers 1988-1989: 32) bindet diese nicht an eine Funktion der direkten Realitätsabbildung, sondern definiert sie als Teil eines reziproken Kulturaustausches.

Damit wird die Analyse der Universitätsromane sowohl zu einer literarischen Untersuchung des Genres als solches als auch zu einer Studie der sprachlichen Konstruktion und Produktion von kultureller Realität und Identität.

Innerhalb der amerikanischen Universitätsromane lässt sich die Gattung in sog.

student-centered und staff-centered university novels unterteilen, wobei jedoch die Darstellung des individuellen Reifungsprozesses eines jungen Menschen an der Universität innerhalb der amerikanischen Gattungsentwicklung mit Beginn der 1940er Jahre zu Ende ist.

In der kanadischen Gattungsentwicklung entfällt der markante Wechsel von studentischer zu dozentischer Perspektive gänzlich. Als zweites innovatives Element präsentiert die kanadische Gattungsentwicklung in Bezug auf die protagonistische Facette ein feines Gespür für geschlechterrollenspezifische Aspekte. Sie erweist sich zwar in vielen Elementen der Charakterdarstellung der britischen und amerikanischen Traditionslinie verpflichtet, doch auch bereit, inhaltlich Neuland zu betreten. Der hohe Anteil an Schriftstellerinnen, die sich literarisch mit dem akademischen Milieu beschäftigen und den spezifisch weiblichen Schwierigkeiten in diesem Berufsfeld auseinandersetzen, prägt die kanadische Gattung im Gegensatz zu den USA in besonderem Maße und fällt vor allem in den 1980er Jahren ins Auge.

Die Universität als Institution innerhalb der Gesellschaft wird insgesamt zum Dreh- und Angelpunkt der Bildungsdebatte, die Darstellung der literarischen Charaktere samt den von ihnen verkörperten Bildungsidealen ist dabei in der Individualität, in der sie in den ersten Dekaden sichtbar wird, in den Hintergrund gedrängt worden. Das Motiv des individuellen

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Reifungs- und Erziehungsprozesses tritt trotz der erneuten narrativen Stärkung der Charakterdarstellung in keinem der beiden nordamerikanischen Gattungszweige wieder auf.

Die Facette der Hochschuldarstellung kann in der Gattungsentwicklung des 20.

Jahrhunderts nicht von gesellschaftlichen Entwicklungen und Tendenzen getrennt werden.

Eine enge Verknüpfung mit gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Veränderungen, die jedoch nicht mit einer direkten Widerspiegelung der historischen Realität gleichgesetzt werden darf, ist in allen acht Dekaden zu erkennen. Auffälligstes Charakteristikum zu Beginn des Untersuchungszeitraums ist es dabei, dass gesellschaftliche Erwartungen und universitäre Realität weit auseinander zu driften scheinen. Die Orientierung der gesamten kanadischen Literatur am britischen Mutterland ist aufgrund der historischen Entwicklung des Landes insgesamt höher einzustufen als auf amerikanischer Seite, doch scheint gerade eine relativ späte eigenständige Entwicklung der Literatur Kanadas auch innerhalb der Gattung des Universitätsromans ab der Mitte des vergangenen Jahrhunderts einer umso klareren nationalen Prägung Vorschub geleistet zu haben,

In der Gegenüberstellung der beiden Gattungszweige sind nach dem Vergleich der Facetten innerhalb der Romane zwei Grundsätze erkennbar, die bestimmen, in welchem Maße sich die literaturgeschichtlichen bzw. die gesellschaftlich-kulturellen Aspekte auf die gattungsgeschichtliche Entwicklung auswirken. Nach dem Ersten Weltkrieg werden die literarischen Aspekte der allgemeinen Romanentwicklung bei der Entstehung der Gattung in Kanada stärker berücksichtigt als in den nachfolgenden Jahrzehnten und auch auf amerikanischer Seite zeigt die Epoche der Moderne Einfluss auf die Universitätsromane dieser Zeit. Die Loslösung von britischen Vorbildern, die in den USA in den 1930er Jahren, in Kanada in den 1950er Jahren den Fokus auf eigene nationale Charakteristika verschiebt, ist ebenfalls eher von literarischen denn soziokulturellen Faktoren beeinflusst. Dies ändert sich im Laufe der Gattungsentwicklung und leitet eine zweite Tendenz ein, in der historische, gesellschaftliche und kulturelle Faktoren die inhaltliche Ausrichtung stärker prägen als die allgemeine Literaturentwicklung. Die Dichotomie von Humanismus und Utilitarismus ist darin das beständigste Motiv. Es bestimmt die inhaltliche Konzeption der Universitätsromane seit dem gattungsgeschichtlichen Entstehen, tritt jedoch vor allem in der ersten Phase der kanadischen Gattungsentwicklung hinter innerliterarischen Einflussfaktoren zurück. Der Bildungsdiskurs ist auf beiden Seiten nachhaltig von den aus viktorianischer Zeit tradierten humanistischen Positionen Matthew Arnolds und John Henry Newmans in Gegenüberstellung zu Jeremy Benthams und John Stuart Mills utilitaristischen Konzepten geprägt. Er wird zudem durch die amerikanischen Bildungsthesen von Ralf Waldo Emerson neu abgesteckt. In

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inszeniert. Man kann insgesamt davon ausgehen, dass, analog zur Forderung des New Historicism nach einer Kohärenz zwischen dem Text selbst und dem, was im allgemeinen als Kontext bezeichnet wird, die oben genannte Dichotomie über den gesamten Zeitraum hinweg als soziokultureller Hintergrund dieser Jahrzehnte betrachtet werden muss. Gemäß des theoretischen Ansatzes von Raman Selden sind damit alle in den Romanen dargestellten Bildungskonzepte eine Art Stimmungsbild der gesellschaftlichen Realität, ohne diese direkt und detailgetreu zu spiegeln. Dabei bleibt die Funktion der Universität als Raum für diese Repräsentation erhalten und die Abbildung der Universität als gesellschaftlicher Mikrokosmos ist von Beginn an in beiden Gattungszweigen zu erkennen.

Betrachtet man alle analysierten Facetten der amerikanischen und kanadischen Universitätsromane, so scheinen beide Gattungen, die einer gemeinsamen europäischen Traditionslinie entspringen, den in ihrem Wesen angelegten Variantenreichtum auf unterschiedlichem Wege als literarischen Bildungsdiskurs in unterschiedlicher Repräsentation genutzt zu haben, um sich auf wesentliche Merkmale und Tendenzen der eigenen Gesellschaft und damit auf spezifisch nationale Charakteristika zu konzentrieren.

Die Tatsache, dass sich dabei die Darstellung der Institution Universität immer weniger von der allgemeinen Gesellschaftsentwicklung trennen lässt, das literarische Motiv der universitären Abgehobenheit als Folge davon immer schwächer wird, zeigt, dass der akademische Raum in gleichem Maße wie die sich damit beschäftigende Literatur Teil der Kultur und Gesellschaft eines Landes ist. In wechselseitiger Einflussnahme sind die Universität, die Gesellschaft, die Kultur und die Gattung des Universitätsromans eng miteinander verflochten und bieten in literarischer Bearbeitung trotzdem einen flexiblen Rahmen für eine diskursive Bildungsdiskussion, die der Gattung zugrunde liegt. Die unterschiedlichen Bilder der Bildung zeugen von der Vielseitigkeit und der gleichzeitigen Konstanz der Gattung und sind in unterschiedlich kritischem Ansatz und Blickwinkel in ihrem Kerngedanken eine tiefe Hommage an universitäre Bildung und Erziehung.

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

1.1. Gattungsbestimmung: Definition und Merkmale von Universitätsromanen 1 1.2. Bedeutung und Tradition der Universitätsromane in der nordamerikanischen

Literatur

10

1.3. Akademische Institutionen in Fiktion und Realität: Zur Problematik der Spiegelfunktion und des dokumentarischen Charakters von

Universitätsromanen

17

1.4. DozentInnen und Studierende: Handlungsträger in den Universitätsromanen 22

1.5. Zum Zeitraum der Analyse 35

1.6. Zur Auswahl des Textkorpus 41

2. Zum aktuellen Stand der Forschung 45

2.1. Forschungsstand und Literatur zum nordamerikanischen Universitätsroman 45 2.2. Problemstellung und Frageansätze der vorliegenden Arbeit 52

3. Methodische Vorgehensweise und theoretische Grundlagen 56 3.1. Die Methode des New Historicism: “The Historicity of Texts and the

Textuality of History”

56 3.2. Zugrundeliegende Analysekriterien innerhalb des ausgewählten Textkorpus 72

4. Bildungsideale und Grundpositionen in Nordamerika: Universitätsromane als Ausdruck der gesellschaftlichen Bildungsdiskussion

77 4.1. Die Etablierung der amerikanischen Universität: Eine Gesellschaftsreform 78 4.2. Humanismus und Utilitarismus: Newman und Arnold vs. Bentham und Mill 85

4.3. Anti-Intellektualismus 109

4.3.1. Ralph Waldo Emerson: “The American Scholar“ (1837) 120 4.4. Das Konzept der amerikanischen Liberal Culture 125 4.5. Die akademische Freiheit in der amerikanischen Bildungsdiskussion 134

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4.7. Bildungspolitik und Gesellschaft in Kanada 151

5. Der amerikanische Universitätsroman 161

5.1. Bildungskonzepte im amerikanischen Universitätsroman von 1920 bis 1945:

Die Studierenden und die Universität als Ort der moralischen Bewährung

161 5.2. Der amerikanische Universitätsroman nach dem Zweiten Weltkrieg:

Bildungskonzepte und inneruniversitärer Zielkonflikt

210 5.3. Die studentischen Unruhen der 1970er Jahre und ihre Auswirkungen auf die

Gattung des Universitätsromans

252 5.4. Der amerikanische Gattungsdiskurs in postmoderner Offenheit: Die

Universitätsromane der 1980er und 1990er Jahre bis zur Jahrtausendwende

263

6. Der kanadische Universitätsroman 295

6.1. Bildungskonzepte im kanadischen Universitätsroman von 1940–1980: Der kanadische Universitätsroman auf der Suche nach nationaler

Eigenständigkeit

295

6.2. Die Zeit der unbegrenzten Möglichkeiten: Die 1980er und 1990er Jahre als Demonstration postmoderner Vielfalt im kanadischen Universitätsroman

323

7. Schluss: Die Bilder der Bildung in Nordamerika 373

Bibliographie 394

Anlage

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Kapitel 1: Einleitung 1

1. Einleitung

1.1. Gattungsbestimmung: Definition und Merkmale von Universitätsromanen

Laut Heinz Antor handelt es sich bei der Gattung des Universitätsromans weitgehend um ein angelsächsisches Phänomen, das vor allem in Großbritannien und Nordamerika verbreitet ist (Antor 1994/1995: 3). Bereits im Jahre 1898 zweifelte George Saintsbury in seinen Essays

“Novels of University Life“, erschienen im MacMillan’s Magazine, allerdings die Dauerhaf- tigkeit dieses Genres an und äußerte die Vermutung, dass die Universität als fiktionaler Ge- genstand bald auf ein Minimum reduziert werden oder gar ganz aus der literarischen Bearbei- tung verschwinden würde. “May be the day of University Novels, as such merely or mainly, is a little past,“ legt er das Ende dieses Genres bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahe – und sollte damit glücklicherweise nicht recht behalten (Saintsbury 1898: 343). Auch Morti- mer Proctors Studie aus dem Jahr 1957 gibt einen ziemlich klaren Eindruck der Bedeutung wider, die die Universität in der Literatur des 18. Jahrhunderts insbesondere in Großbritan- nien, aber auch im gesamten angloamerikanischen Raum, einnahm: “although literary portrayals of university life [...] were lively, they were hardly substantial enough for expansi- on to novel length.“ (Proctor 1957: 40). Er sollte ebenfalls nicht recht behalten.

In seinem 1962 veröffentlichten Werk The College Novel in America zählt John Lyons für den Zeitraum von 1925 bis 1962 insgesamt 215 Werke auf, die zur Gattung des Universitäts- romans gezählt werden können, 70 davon sind von Anglisten geschrieben, 6 davon wiederum von Frauen, die mit Anglisten verheiratet sind bzw. waren.1 Rund 20 Jahre später legt John E.

Kramer mit The American College Novel. An Annotated Bibliography (1982) eine weitere Sammlung der bis dahin veröffentlichten Romane vor und kann für den Zeitraum von 1925 bis 1979 bereits 425 Romane vorweisen. Die oben zitierte Vermutung Saintsburys ist damit hinreichend widerlegt. Es ist ein deutlich höheres Interesse an der Universität als fiktionalem Gegenstand in Prosaform seit Ende des Ersten Weltkrieges sichtbar, sowohl in Großbritannien als auch in Nordamerika. Dies wurde auch von der Literaturforschung zur Kenntnis genom- men.2

Zunächst werden die nach dem Ersten Weltkrieg entstehenden Universitätsromane al- lerdings von Kritikern und Literaturwissenschaftlern jedoch eher skeptisch betrachtet und in ihrer Komplexität nicht wahrgenommen.

1 Vgl. dazu auch Bungert 1967: 86.

2 Siehe dazu Kapitel 2.1.

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Im Jahr 1963 bewertet Albert W. Vogel die Gattung des Universitätsromans noch als eine minderwertige Literaturform und schreibt ihr weniger einen literarischen Charakter denn ei- nen bildungstheoretischen zu: “It is no secret that the academic novel is one of the least distinguished literary forms. [...]. The first rank of writing talent does not look to the academic world for strong drama. Many academic novels are written by teachers or educational admin- istrators who are concerned chiefly with expressing an educational theory [...] or by profes- sional writers who are interested in criticizing some aspect of education.“ (Vogel 1963: 143).

Ihm scheint vor allem auch die Tatsache suspekt, dass sowohl britische als auch amerikani- sche Universitätsromane häufig von sog. „insiders“ geschrieben wurden und immer noch werden. Ihnen biete der Universitätsroman die Möglichkeit, bestimmte Aspekte des universi- tären Milieus darzustellen, die für andere Insider vertraut und interessant seien, da sie sich selbst in dieser realen Situation befänden und die oft überzogene oder verzerrte Darstellung in besonderem Maße genießen könnten, so Vogel. Selbstironie trage ihren ganz eigenen Teil dazu bei. Auch Wolfgang Weiß hat den beruflichen bzw. akademischen Hintergrund der Au- toren analysiert und sieht darin sogar einen Grund für die weitgehende Vernachlässigung die- ser Gattung in der Forschung: „Möglicherweise ist auch die Tatsache bedeutsam, dass im 20.

Jahrhundert Universitätsromane sehr häufig aus der Feder von Dozenten der englischen Lite- ratur bzw. Autoren mit zeitweiliger akademischer Lehrerfahrung stammen. [...] Dies legt den Schluss nahe, dass in diesem Berufsstand der Universitätsroman so sehr zum Medium der Reflexion über die eigene Situation geworden ist, dass er etwas aus dem Blickfeld literatur- wissenschaftlicher Betrachtung geriet.“ (Weiß 1988: 2). Den schreibenden DozentInnen wird eine bessere Kenntnis des universitären Milieus und kurioserweise auch die Muße zuge- schrieben, um über die Universität als Institution, über Kollegen und Studierende und über ihr soziales Umfeld zu reflektieren.

Die wachsende Zahl der Studien zum Universitätsroman, sowohl in Großbritannien als auch in Nordamerika, zeigt heute, dass viele der oben zitierten leicht herablassend intonierten Äu- ßerungen nicht nur auf eine skeptische und ablehnende Haltung hindeuten, sondern vor allem auf eine lebhafte und kontroverse Diskussion über den Universitätsroman innerhalb des aka- demischen Milieus (Borchardt 1997: 17).

Die beiden im englischsprachigen Kulturkreis verbreiteten Termini für die Gattung, “campus novel“ und “university novel“, deuten insgesamt auf eine relative Abgeschlossenheit der Ro- manhandlung vom übrigen sozialen Umfeld hin. Dies hat seinen Grund in der Realität dieses Kulturkreises.

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Kapitel 1: Einleitung 3

Die amerikanische und kanadische Universität bzw. der jeweilige Campus ist ein ei- genständiger Mikrokosmos, der sich in wesentlichen Punkten vom deutschen Hochschulsys- tem unterscheidet. Und so kommen auch der Universität als fiktionalem Raum ganz bestimm- te Funktionen zu: Nicht nur als setting der einzelnen Romane, sondern als Gesamtkonstrukti- on wird der universitäre Raum fiktional als Forum für die Bildungsdiskussion genutzt. Dabei geht es um „die Erstellung einer perspektivierten Welt, die durch spezifische Akzentuierun- gen, Normierungen und insbesondere auch Auslassungen charakterisiert ist und die Konse- quenzen einer solchen Konstruktion inszeniert,“ so Cordelia Borchardt in ihrer Studie zum englischen Universitätsroman (Borchardt 1997: 39). Für die AutorInnen eines Universitäts- romans bedeutet dies, dass freies Jonglieren mit unterschiedlichen, nebeneinander existieren- den Sinnsysteme und Konzepten innerhalb dieses Raumes möglich ist, so dass die Leser sich in aller Regel sowohl mit der fiktionalen Konstruktion eines Modells identifizieren als auch sich davon distanzieren können. Gerade dieser spannungsreiche modellhafte Charakter der Gattung hat auf Seiten der RezipientInnen sowie auf Seiten der AutorInnen seinen Reiz aus- gemacht und tut dies auch noch heute. Dabei ist das Erkennen des spielerischen Nebeneinan- ders unterschiedlicher Konzepte Teil der vorausgesetzten Leserwahrnehmung, um die Mo- dellhaftigkeit und den Antwortcharakter der Gattung auf die reale Wirklichkeit zu entfalten:

„Denn Motive, Normen und Persönlichkeitseigenschaften eines Modells spielerisch überneh- men, sich spielerisch mit ihnen identifizieren, heißt ja immer und zugleich auch, sie als ge- spielte zu identifizieren.“ (Warning 1983: 204).3

Den Unterschied zwischen den Termini “university novel“ und ”campus novel“ gibt Malcolm Bradbury, einer der namhaftesten Autoren des Genres und Literaturwissenschaftler, wie folgt an: ”The nineteenth century „university novel“, with its emphasis on class divides and senti- mental - rather than on strictly scholastic - education, underwent a mid-twentieth century trans-shipment and reemerged as the ”campus novel“, an altogether more esoteric thing that precisely mirrored the growing distance between the universities and the wider public. (And, of course, the campus novel, with its small, circumscribed world, helped to fulfil a demand for fictions that were hermetic and enclosed, with no direct line of communication to the Real World.)“ (Bradbury 1984: 12).

Malcolm Bradbury und auch David Lodge, der ebenfalls zu den führenden englischen Auto- ren innerhalb der Gattung zählt, bevorzugen beide den Begriff der “campus novel“ bzw. der

“campus fiction“, um mit dieser im 20. Jahrhundert aus dem amerikanischen Kulturkreis übernommenen Gattungsbenennung zum einen die relative Neuheit des Genres zu betonen,

3 Vgl. zur Konzeption des universitären Raumes auch Borchardt 1997: 39f.

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zum anderen gleichzeitig auch rückblickend auf die amerikanischen Vorläufer zu verweisen.

Bradbury weist zudem darauf hin, dass der Begriff “university novel“ von ihm für die literari- schen Texte verwendet werde, die vor dem Ersten Weltkrieg entstanden sind, der Begriff

“campus novel“ für die Vertreter des Genres nach dem Ersten Weltkrieg, “the kind of novel that appeared after the war [...] and was much less concerned with nostalgia or social recollec- tion, more with intellectual and social change.“ (Bradbury 1990: 51). Allerdings sei hier auch darauf verwiesen, dass die Bezeichnung “campus novel“ die englische Traditionslinie weitge- hend unbeachtet lässt und sich vor allem gegenüber dem deutschen Begriff des „Universitäts- romans“ nicht durchsetzen konnte. Aus allen drei genannten Gründen können in der dieser Studie sowohl die Begriffe “campus novel“ bzw. “campus fiction“ und „Universitätsroman“

zur Bezeichnung des Untersuchungsgegenstandes verwendet werden.4

An diesem Punkt wird nun die Notwendigkeit einer genaueren Definition des Genres des U- niversitätsromans deutlich. Zunächst scheint eine Festlegung über die Kategorie des Schau- platzes und der Charaktere recht einfach, wie John Kramer in seiner Bibliographie zum ame- rikanischen Gattungstypus feststellt: ”The most common denominator of campus fiction is then that it incorporates an institution of higher learning as a crucial part of its total setting and [...] includes, among its principal characters, graduate or undergraduate students, faculty members, administrators, and/or other academic personnel.“ (Kramer 1981: ix). Inhaltliche Aspekte bleiben bei dieser Definition unberücksichtigt, sind aber nicht weniger wichtig.

Wolfgang Weiß stellt aus diesem Grund die Problematik einer Definition an den Anfang sei- ner Studie und lehnt die von Kramer präsentierte Definition rundweg ab, da sie seiner Mei- nung nach auch literarische Texte einbezieht, die lediglich über den akademischen Beruf eines Charakters mit dem universitären Milieu verbunden sind. Ein rein quantitatives Kriterium, das den Anteil der Handlung an der Universität innerhalb des literarischen Textes bestimmt, er- scheint ihm ebenfalls unzureichend (Weiß 1988: 20). Einer der Gründe für diese Definitions- problematik ist vor allem die Tatsache, dass es zu Beginn der Geschichte der Gattung keinen stilbildenden Archetypus gegeben hat, der als richtungsweisendes Werk die Formulierung einer zufriedenstellenden Definition erleichtert hätte.

Der Versuch, die Universitätsromane über die Protagonisten zu definieren, schlägt laut Barba- ra Himmelsbach in ihrer Studie Der englische Universitätsroman (1992) ebenfalls fehl: „denn einen durchgehenden Heldentypus, wie zum Beispiel den picaro, gibt es nicht. Im Universi- tätsroman können nämlich Studierende, Lehrende (Professoren oder Dozenten, Zeitangestellte oder Dauerangestellte), Gastprofessoren, writers-in-residence oder nichtwissenschaftliche

4 Vgl. dazu auch Dubber 1991: 3.

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Kapitel 1: Einleitung 5

Universitätsbedienstete im Mittelpunkt stehen, so dass die im Roman behandelten Themen aufgrund des unterschiedlichen Blickwinkels stark variieren können,“ so ihre Argumentation (Himmelsbach 1992: 5). Das Aufeinandertreffen dieser Charaktere, die das soziale Gefüge der Universität bilden, ist aber nicht nur Basis der Handlungsstränge in den einzelnen fiktionalen Texten, sondern auch Grundlage der Varianten dieses Genres, der student-centered novel und der staff-centered university novel, wie sie John Kramer in seiner Bibliographie (1979) zu Recht klassifiziert.

Wolfgang Weiß kommt angesichts der definitorischen Problematik zu folgenden Überlegun- gen, die auch in der vorliegenden Arbeit die Basis für die Textauswahl und die dazu angestell- ten Untersuchungen zur Gattungsentwicklung und zur Bildungsthematik bilden soll: „Da der Universitätsroman sich jeweils explizit auf die Institution Universität in der gesellschaftlichen Wirklichkeit bezieht, ist sein wichtigstes konstitutives Merkmal, dass wesentliche Züge dieser Institution, sei es in realistischer Mimesis, die bis zur exakten Beschreibung einer realen Uni- versität gehen kann, sei es in stilisierender, modellhafter Darstellung einschließlich karikatu- ristischer Übertreibung oder satirischer Verzerrung in den fiktionalen Gesamtentwurf der Handlungswelt des Romans eingebracht werden. Zu diesen Zügen gehört das Nebeneinander zweier funktional voneinander getrennter Gruppen, der Studierenden und der Dozenten, die Hierarchie des Lehrkörpers und die relativ starke Abgeschlossenheit gegenüber der gesamten Gesellschaft, für die die Universität jedoch gleichzeitig eine wichtige Funktion hat.“ (Weiß 1988: 20f.). So wird laut Weiß der Universitätsroman über die Kategorien des Raumes und der Charaktere zusammen in direkter Verbindung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit be- stimmt. Literarische Texte, die zwar im universitären Milieu angesiedelt sind, in erster Linie aber Untergattungen wie Kriminal-, Spionage- oder Science Fiction Romanen zuzuordnen sind, werden bei Weiß nicht in die Definition mitaufgenommen. Dies soll auch in der vorlie- genden Studie der Fall sein.

Die von Weiß angesprochene gesellschaftliche Bedeutung der Universitäten, die sich inhalt- lich in den fiktionalen Texten niederschlägt, kann Malcolm Bradbury nach langem Sträuben nicht mehr leugnen: “but most of those of us who are called „university novelists“ are uneasy with the term. Yet it is true in the social history of recent fiction, British and also American, some sort of place has to be given to that now quite substantial and in some ways consecutive body of novels which have taken the university or the campus as a significant setting, and even to the way they have read the world of student experience and higher education as an emblematic centre in contemporary society.“ (Bradbury 1984: 12). Folglich ist eine Definition der Gattung als Zeit- und Gesellschaftsliteratur durchaus berechtigt und regt dazu an, die di-

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rekten Zusammenhänge und gegenseitigen Einflüsse der Universität als Institution und der Gesellschaft als sozialem Gefüge, das sowohl Rezipient als auch Urheber von kulturellem und sozialem Einfluss ist, genauer zu analysieren. Ulrike Dubber gelingt es, mit ihrer Definition der Institution Universität die Basis für solche Überlegungen zu schaffen: „Als sozialer Mik- rokosmos dagegen wird sie zum metonymischen Abbild der Gesamtgesellschaft, so dass die meisten campus novels als „fiktionalisierte Soziologie“ zu kennzeichnen sind.“ (Dubber 1991: 223). Leider wird in dieser Erklärung vor allem der dokumentarische Charakter der Texte hervorgehoben, während die unterschiedlichen Formen der Vermittlung solcher zeitge- nössischer und universitärer Themen nicht berücksichtigt werden und ein wesentliches narra- tives Gattungsmerkmal damit ausgegrenzt wird. Nur wenn die bildungsvermittelnde Instituti- on in ihrem kulturellen und soziopolitischen Kontext berücksichtigt und gleichzeitig die rein mimetische Abbildung des universitären Milieus abgelehnt wird, scheint eine angemessene Behandlung des Untersuchungsgegenstandes möglich. Hubert Zapf weist in Kurze Geschichte der anglo-amerikanischen Literaturtheorie (1991) auf die kulturelle und diskursive Funktion literarischer Texte, die ihre theoretische Grundlage im New Historicism findet, hin: „Er [der New Historicism] widmet sich insbesondere der Frage, wie die Literatur selbst zum sprach- lich verdichteten Inszenierungsfeld für charakteristische Muster und Motive der politischen Machtstrukturen ihrer Zeit wird. Und zwar stellt er diese Frage unter der Annahme, dass Lite- ratur Teil des größeren diskursiven Kräftefeldes einer Kultur ist, von dem sie beeinflusst wird, auf das sie aber auch ihrerseits Einfluss nimmt.“ Einzelnen literarischen Texte weist er in sei- nen weiteren Ausführungen die Funktion von „Kristallisationspunkten sozialer Energie“ zu (Zapf 1991: 231f.). Die theoretischen Grundlagen der vorliegenden Arbeit basieren auf diesen Überlegungen und werden in Kapitel 3.1. weiter ausgeführt.

Wolfgang Weiß betont in seiner Studie besonders das im Mittelpunkt stehende Ver- hältnis von Universität und Gesellschaft und sieht genau darin den Grund für die wachsende Popularität des Genres und den Ausgangspunkt der kontroversen Auseinandersetzungen mit der Institution Universität innerhalb der Gesellschaft: „Trotz der Abschottung nimmt diese Institution eine besondere funktionale Stellung in der Gesellschaft ein. Sie versteht sich als Versammlung einer wissenschaftlichen und kulturellen Elite und erhebt – oft monopolartig – den Anspruch der Elitenbildung für die Gesellschaft, ein Anspruch, der von der Gesellschaft im Laufe der Universitätsgeschichte bald akzeptiert, bald in Frage gestellt wurde. Elitäre Ab- schottung und funktionale Hinwendung zur Gesellschaft erzeugen ein überaus konfliktträchti- ges kulturelles Spannungsfeld zwischen Universität und Gesellschaft.“ (Weiß 1988: 21). So definiert Weiß mit Blick auf die soziopolitische Funktion der literarischen Texte den Univer-

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Kapitel 1: Einleitung 7

sitätsroman als „seit seinen Anfängen Teil des gesellschaftlichen Diskurses, in dem am Bei- spiel der Universität über die Normen, den Sinn und die Funktion von Bildung gerungen wird.“ (Weiß 1988: 9). Oftmals tritt in den literarischen Texten die Darstellung der Institution Universität zugunsten dieser diskursiven Funktion in den Hintergrund und gibt Raum für die Präsentation des Verhältnisses dieser Institution und der Gesellschaft. Insbesondere die Geis- tes- und Gesellschaftswissenschaften sind Dreh- und Angelpunkt kontroverser Auseinander- setzungen und hitziger Diskussionen. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, deren Nut- zen und Wert für die Gesellschaft im allgemeinen eher nachvollziehbar und sinnvoll erschei- nen, sind die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften zu jeder Zeit einem gewissen Recht- fertigungszwang ausgesetzt. In den bildungspolitischen Auseinandersetzungen taucht daher immer wieder die seit der industriellen Revolution gestellte Frage nach dem Nutzen der Geis- teswissenschaften auf. Wolfgang Weiß versucht der Ursache dieser Diskussion auf den Grund zu gehen: „Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass über die Funktion der Naturwissenschaf- ten in Lehre und Forschung, in der Ausbildung hochqualifizierter Kräfte für eine Industriege- sellschaft und der Entdeckung gesellschaftlich verwertbarer Erkenntnisse ein relativ verbreite- ter Konsens in der Gesellschaft herrscht; wohingegen seit der industriellen Revolution – wäh- rend der Universitätsroman entsteht – die Funktion der Geisteswissenschaften in Lehre und Forschung für die Gesellschaft zum ständigen Problem wird und damit die Frage nach dem Sinn zweckfreien Wissens und kultureller Werte gestellt ist.“ (Weiß 1988: 22). Er führt weiter aus, dass eine Gesellschaft, die ihre Jugend der Universität anvertraut, damit deren intellektu- elle Anlagen und sittliche Persönlichkeit dort zur vollen Entfaltung gebracht werden, in be- sonderem Maße zur kritischen Überprüfung dieser Funktion neige, wobei bald die Verwert- barkeit des erworbenen Wissens, bald die erzieherische Leistung der Universität im Mittel- punkt steht (Weiß 1988: 25). Darin liege einer der Gründe für die langandauernde Lebendig- keit dieser Gattung. Die Möglichkeit, die die Romane den AutorInnen bieten, ihren Beitrag zu dieser Gesellschaftsdiskussion mit literarischen Mitteln zu leisten, ist also Teil der fiktionalen und kulturellen Bedeutung der Gattung. Die Überlegung, dass sich die Thematik und die in- haltlichen Aspekte der literarischen Texte im universitären Milieu eng an der gesellschaftli- chen Diskussion orientieren, soll daher eine Grundannahme der vorliegenden Untersuchung sein und gleichzeitig die Lebendigkeit und Flexibilität des Genres unterstreichen.5 Dies soll im Anschluss an Heinz Antor geschehen, der die Gattung der Universitätsliteratur als Phäno- men, „das eng in einen soziokulturellen und historischen Kontext eingebunden ist“ und daher seinen Untersuchungsgegenstand „als ein mit anderen Konstituenten der Kultur eng verwobe-

5 Vgl. dazu auch Himmelsbach 1992: 15.

(15)

nes Diskursfeld und die einzelnen Werke des Genres als historisch spezifisch ausgeprägte Teile desselben“ ansieht (Antor 1996: 5f.).

Wie stark die Verbindung zwischen bildungstheoretischen Konzepten, Erziehungszielen und der Institution im amerikanischen Kulturkreis ist, zeigt sich daran, dass in den Vereinigten Staaten der Begriff “higher education“ verwendet wird, um den direkten Zusammenhang von Bildungsidee und Institution deutlich zu machen, während im deutschen Sprachgebrauch der Begriff des „tertiären Bildungssystem“ gebraucht wird. Winfried Böhm definiert in seinem Vortrag „Theorie der Bildung“, den er 1988 anlässlich eines Symposiums zur Bildungsthema- tik an der Universität Würzburg hielt, Bildung selbst als „das, was der Mensch im Prozess der Aktivierung seiner Person aus sich selber macht, [...] das nicht Planbare und strategisch Vor- wegnehmbare, das nicht merkantil-ökonomisch Verwertbare, das nicht technologisch zu Be- werkstelligende, das überhaupt nicht restlos dem Zugriff einer poietischen Wissenschaft Zu- gängliche.“ (Böhm 1988: 26). Mit dieser Definition zielt Winfried Böhm auf die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums ab und schreibt dem Menschen Kräfte zu, sich selbst zu formen und zu entwickeln. Erziehung dagegen beinhaltet für ihn immer auch eine direkte Erziehungsabsicht und eine von außen auf das Individuum einwirkende Kraft, die zur Formung des eigenen Ichs beiträgt.6 Sowohl der deutsche Begriff „Bildung“ als auch „Erzie- hung“ sind in den Universitätsromanen bedeutsam, da sie sich in unserem Sprachgebrauch ergänzen und mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand nur in direktem Miteinander dem englischen Substantiv “education“ entsprechen. Beide Termini werden daher in der vorlie- genden Untersuchung zur Bezeichnung des Diskursfeldes verwendet.

Doch sowohl der Inhalt als auch die Funktion eines solchen Bildungsbegriffes bedürfen ge- nauerer Erläuterungen: Cordelia Borchardt legt den funktionalen Bildungsbegriff auf das Verhältnis von Universität und Gesellschaft fest und stellt damit gleich eine der grundlegen- den Fragen: Welchen Zwecken hat die Universität in der Gesellschaft zu dienen? „Eng ver- bunden damit“, so führt sie weiter aus, „ist die Frage, welche Fähigkeiten und/oder Fertigkei- ten die universitäre Bildung den Studenten vermitteln soll.“ (Borchardt 1997: 37).

Sie bezieht sich hierbei direkt auf die bereits erwähnten Legitimationszwänge und den Rechtfertigungsdruck, dem sich auch heute noch vor allem die Geistes- und Gesellschaftswis- senschaften ausgesetzt sehen. Inhaltlich geht es um ganz konkrete Aspekte der jeweiligen Bildungsidee, nämlich darum, was am Ende des Bildungsprozesses stehen soll. Welche Ziele werden mit dem Konzept verfolgt? Welche Fächer führen zu diesen Zielen? Welche intellek- tuellen Fähigkeiten sollen am Ende erkennbar sein?

6 Vgl. dazu Böhm 1988: 172.

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Kapitel 1: Einleitung 9

Insgesamt ist trotz aller bisherigen Bemühungen um eine Gattungsdefinition eine gewisse Unschärfe hinsichtlich der Romane zu erkennen. Weiterhin bleibt festzuhalten, dass insbe- sondere der Universitätsroman als eine Untergattung des Romans aufgefasst werden kann, deren Entwicklung in einer ganzen Reihe von Variationen und historischer Ausprägungen, allerdings etwas abseits der allgemeinen Entwicklung des Romans im 19. und 20. Jahrhun- dert, verläuft. Die Universitätsromane in Nordamerika scheinen in höherem Maße von der Geschichte der Universität bzw. von den zu den verschiedenen Zeitpunkten bestehenden Bil- dungs- und Erziehungsvorstellungen als von der Geschichte und Gattungsentwicklung des Romans geprägt zu sein. In welchem Maße in den literarischen Texten diese Entwicklung von den Lesern nachvollziehbar ist, bedarf einer gründlichen Analyse, doch durch diese Spiege- lung der Entwicklung der Universität wird den Romanen laut Wolfgang Weiß ein gewisser dokumentarischer Wert zugewiesen (Weiß 1988: 19). Um der Unschärfe bei der Gattungsbe- stimmung entgegenzuwirken, scheint es sinnvoll, einen Katalog von Minimalanforderungen an die Romane zu erstellen, der maßgebend sein soll: Erstes und zugleich wichtigstes Charak- teristikum ist ein fiktionales universitäres Milieu, in das die Handlung des Textes eingebettet ist. Daran schließt sich an, dass die Charaktere sowohl emotional als auch faktisch in Bezug zum Umfeld der Universität stehen. Dabei ist zunächst die Hierarchie der Institution nicht interessant, ebenso wenig die Fachrichtung, die politische Vorstellungen oder das fachliche Renommee der Charaktere. Auseinandersetzungen, die sich aus universitären Gegebenheiten heraus entwickeln, einem Handlungsstrang zugrunde liegen und die fiktionale Entwicklung in den Texten fördern, sind hingegen ein wichtiges Merkmal und zeigen oft wesentliche Kons- tellationen innerhalb des universitären Milieus. Zu einem gewissen Teil wird die Aufgabe und Funktion der Institution Universität von der Handlung bzw. den Handlungsträgern selbst auf- gegriffen und debattiert. Diese oftmals kontroversen Auseinandersetzungen konstituieren ein wesentliches Merkmal des Universitätsromans und bieten zugleich Einblick in die herrschen- den Bildungskonzepte und Erziehungsvorstellungen.

Cordelia Borchardt weist zudem darauf hin, dass auch eine Perspektivierung der nicht- universitären Räume bzw. Handlungsstränge auf die Universität zu diesem Minimalkatalog gezählt werden kann, die es ermöglichen soll, Universitätsromane gegen literarische Texte mit universitärem Hintergrund abzugrenzen. Besonders der amerikanische Typus des Karrie- reromans, in dem die Universität nur eine kurze Durchgangsphase darstellt, soll damit ausge- grenzt und nicht mehr als zur Gattung gehörig angesehen werden (Borchardt 1997: 49f.) Bor- chardt unterscheidet weiter zwei Kategorien der Universitätsromane, nämlich Texte, die in engerem Sinn zu dieser Gattung gezählt werden können, da sie universitäre Entwürfe im

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Rahmen des Bildungsdiskurses entwickeln und dieser Bildungsdiskurs gleichzeitig die zugrundeliegende Struktur des Textes ausmacht. Die zweite Kategorie umfasst die Texte, die nur im weiteren Sinn als gattungszugehörig angesehen werden, da der Bildungsdiskurs dort im Gegensatz zur ersten Kategorie nur eine untergeordnete Rolle spielt. Im Wesentlichen liegt die Konzentration dieser Werke auf der Darstellung anderer Aspekte des Universitätslebens.

Oft sind emotionale Konflikte zwischen Dozenten und Studenten, die komische Darstellung sogenannter Originale an der Universität oder auch Erinnerungen bereits aus dem Dienst aus- geschiedener Universitätsangestellter im Blickpunkt der einzelnen Werke. John Lyons hat die Vorgabe für diese zweite Kategorie geliefert: “Certainly the novel of academic life has wrung a good deal of satire as well as pathos out of a situation in which there is a hierarchy of power and prestige from the demos-freshman to the tyrant-president“ (Lyons 1962: xv). Mit Hilfe dieser Einteilung in Texte, die in engerem bzw. in weiterem Sinne zur Gattung gezählt wer- den, ist es leichter, bei der zu Anfang erwähnten Fülle an Universitätsromanen die zugrunde- liegende räumliche Struktur, nämlich die Universität, als entscheidendes Kriterium der Gat- tungszugehörigkeit beizubehalten. Der thematische Unterbau jedes einzelnen Textes, das rep- räsentierte Bildungskonzept, erlaubt eine gewisse hierarchische Zuordnung.

Die gesamte Entwicklung des amerikanischen und kanadischen Universitätsromans wird in dieser Arbeit als fiktionaler Diskurs über Bildung verstanden, in dem mit unterschiedlichen Konstruktionsformen ein zentrales Kennzeichen, nämlich eine akademische Institution, dar- gestellt wird. In der Literatur werden Bildungskonzepte und Erziehungsideale kritisiert, affir- miert, aufgebaut und zugleich auch demontiert. Als ein Diskurs über Bildung und Erziehung stellen die Romane verschiedene Bilder von Bildung und Erziehung vor und fordern von den Lesern einen kritischen Blickwinkel. Es zeichnet sich trotz aller unterschiedlichen Darstel- lungsformen ein übergreifendes Thema ab: das Bild der Bildung.

1.2. Bedeutung und Tradition der Universitätsromane in der nordamerikanischen Lite- ratur

Die Darstellung der Hochschule mit Hilfe literarischer Mittel ist nicht erst durch die Existenz der Gattung des Universitätsromans in die Literaturgeschichte eingegangen, sondern findet sich bereits Jahrhunderte vor der eigentlichen Entstehung der Gattung in unterschiedlichen literarischen Textformen. Den sehr kritischen Wünschen George Watsons aus dem Jahr 1978 nach dem baldigen Aussterben der Universitätsliteratur ist auch unter Berücksichtigung seiner Gründe glücklicherweise zu keiner Zeit stattgegeben worden, so dass man auf eine weit zu-

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Kapitel 1: Einleitung 11

rückgehende und vielfältige Gattungstradition zurückblicken kann: “I have several reasons, all partly selfish, for hoping that Anglo-American campus fiction will fade away and die. For one thing, it cannot be good for universities, or any other institutions one can easily think of out- side politics, to operate under a blaze of glamourising publicity. For another, the very nature of that publicity, which is critical but still titillating […] may weaken a taste for the real thing.

[…] I am haunted by the fear that a freshman expects a university to be more than it is and more than it can reasonably hope to be.“ (Watson 1978: 43).

Um die literarische Tradition und die Bedeutung der Gattung zu skizzieren, sollen im nachfolgenden Überblick die unterschiedlichen, d.h. in diesem Fall die englischen und nord- amerikanischen Gattungsstränge, anhand von für die jeweilige Linie typischen Beispielen umrissen werden. Eine vollständige historische Zusammenstellung ist dabei nicht das Ziel, erwünscht dagegen ein Einblick in die Ursprünge und die wichtigsten Motive, Themen und Typen der Universitätsliteratur bis in die ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts, um für die geplante literarische Analyse von 1920 bis 20007 Entwicklungslinien und Perspektiven zu eröffnen.

Bei allen Betrachtungen nordamerikanischer Universitätsliteratur ist die englische Tradition und Gattungsvariante immer zu berücksichtigen und darf vor allem in ihrem Einfluss und be- züglich der aus den Eigenheiten der jeweiligen nationalen Variante resultierenden Abgren- zung nicht unbeachtet bleiben. Die Tatsache, dass die englischen Universitäten auf eine sehr viel längere Tradition seit der Gründung der ersten Universität in Großbritannien, die in ge- wisser Form seit 1096 in Oxford existierte und im Jahr 1167 durch Henry II expandiert wur- de, zurückblicken können, dass die erste amerikanische Universität deutlich später, nämlich 1636 als Harvard College gegründet wurde, und dass 1789 mit dem King’s College in Wind- sor, Nova Scotia, die erste kanadische Universität eingerichtet wurde, macht eine sehr viel weiter zurückreichende literarische Bearbeitung des universitären Milieus in Großbritannien leicht erklärbar. Eine signifikante Ausdifferenzierung der englischen und nordamerikanischen Gattungsvarianten mit ihren unterschiedlichen Merkmalen, Ausprägungen und literarischen Entwicklungen, insbesondere im Bereich der Handlungsträger, ist erst nach 1930 zu erkennen (Lyons 1962: 47 ). Bei den Untersuchungen zum kanadischen Typus der Universitätsromane ist die englische Gattungstradition sogar noch weiter in das 20. Jahrhundert hinein zu berück- sichtigen; daher ist eine kurze Skizzierung dieses Gattungsstranges in seiner Tradition bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sinnvoll.

7 Siehe dazu Kapitel 1.5.

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Die ersten Universitätsbetrachtungen, die aus England schriftlich erhalten sind, gehören in die Zeit des Mittelalters und finden sich als kleine Episode im mittellateinischen Speculum Stulto- rum (1180), das William von Longchamps zugeschrieben wird. In dieser allegorischen Satire besucht ein Esel namens Brunellus auf der Suche nach medizinischer Hilfe die Pariser Uni- versität, schließt sich dort einer Gruppe englischer Studenten an und muss letztendlich nach jahrelangem Studium feststellen, dass ihm trotz der Hochschulbildung außer des ihm naturge- gebenen Eselschreis nichts geblieben ist:

He failed his courses; toil and pain were lost.

Brunellus had already spent much time, He had completed almost seven years, Yet absolutely nothing had he learned Of what his master taught except ”heehaw!

(zitiert nach Regenos 1959: 85f.)

Auch in anderen Gedichten, wie z. B. in einer Anekdotensammlung aus der Zeit am Ende des 13. Jahrhunderts8 und zu Beginn des 14. Jahrhunderts9 wird eine universitätskritische Haltung sehr früh erkennbar.10 Die Gründe sind bereits zu diesem Zeitpunkt direkt an der Funktion der Hochschule für die Gesellschaft festzumachen: In Erwartung der Entfaltung intellektueller und persönlicher Anlagen seitens der Gesellschaft ist eine kritische gesellschaftliche Haltung und Funktionskontrolle eine logische Konsequenz und die Langlebigkeit der literarischen Bearbeitung bildungsvermittelnder Institution liegt sicherlich ebenfalls darin begründet.

Um 1600 herum tritt für viele Akademiker bereits die Frage nach der Finanzierung ihres Le- bensunterhaltes auf und damit auch die Frage nach Sinn und Nutzen humanistischer Bildung.

Geoffrey Chaucer ist nur einer von namhaften Autoren, die eine Reihe von Scholarenporträts in der englischen volkssprachlichen Literatur präsentieren und so die Universität durch die Charakterzüge ihrer Mitglieder literarisch darstellen. Im Prolog zu seinen Canterbury Tales, die er zwischen 1387 und 1400 schrieb, stellt Chaucer den bescheidenen und stillen Clerk of Oxenford vor, der die Abgeschiedenheit seiner Studierstube den weltlichen Vergnügungen vorzieht:

For him was levere have at his beddes heed

8 Wright, Th. (Hg.). Anecdota Literaria. A Collection of Short Poems in English, Latin and French. London 1844, S. 38.

9 Wright, Th. “Song Against the Scholastic Studies“. In: Wright, Th. The Political Songs of England from the Reign of John to that of Edward II. London 1839, S. 209f.

10 Vgl. dazu auch Weiß 1988: 25ff.

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Kapitel 1: Einleitung 13

Twenty books, clad in blak or reed, Of Aristotle and his philosophie,

Than robes riche, or fithele, or gay sautrie.

But al be that he was a philosophre, Yet hadde he but litel gold in cofre.

(zitiert nach Robinson 1957: 20)

Damit steht er zum einen zwar in der Traditionslinie typisierender Gelehrtenporträts, zum anderen allerdings auch im klaren Gegensatz zu der zu diesen und zu späteren Zeiten üblichen satirischen und karikaturistischen Darstellung der Dozenten.

Bis ins 18. Jahrhundert beschränkt sich die literarische Darstellung des Universitätsmilieus lediglich auf kleinere Episoden und Anekdoten innerhalb des Romans: „Ein Universitätsro- man, der die verschiedenen akademischen Bürger und ihre Tätigkeit ausführlich dargestellt hätte, wäre kaum auf großes Interesse einer vorwiegend bürgerlichen Leserschicht gestoßen, für die die Universität eine exklusive Institution war, deren Besuch zwar soziales Prestige verlieh, aber zugleich gerade für die bürgerlichen Söhne besondere Gefährdungen enthielt und deshalb mit Misstrauen beobachtet wurde,“ so die Einschätzung von Wolfgang Weiß (Weiß 1988: 40f.). Mortimer R. Proctor datiert den Ursprung der Gattung auf Mitte des 18. Jahrhun- derts, führt insgesamt neun Romane in seiner Arbeit über den englischen Universitätsroman an, “which have dealt, either wholly or in significant part, with the theme of English universi- ty life“ und stellt damit eine der wichtigsten Quellen für die Anfänge des britischen Universi- tätsromans dar (Proctor 1957: 217ff.). Das früheste Werk der Liste liefert darin Henry Fiel- dings Roman Tom Jones, der 1749 erschien. Auch Wolfgang Weiß weist auf das Entstehen der Gattung Mitte des 18. Jahrhunderts hin und nennt in seiner Studie im Gegensatz zu Proc- tors fünf Romanen nur vier Titel, beginnend mit Francis Coventrys The History of Pompey the Little (1751). Der Unterschied hinsichtlich des ersten englischen Romans ergibt sich aus der engeren Definition der Untergattung Universitätsroman bei Weiß (Antor 1994/1995: 19).

Laut Antor verstanden die frühen Romanciers den Roman „als ein Instrument, das dem Le- ben, der Realität und der Erfahrung mehr verpflichtet war als der ästhetischen Idealität der Kunst.“ (Antor 1994/1995: 24). So scheint sich die Universität als wichtige soziale Institution als Thema für einen Roman und sogar als Untergattung geradezu aufzudrängen. Der Roman insgesamt bietet als eine neu entstehende, bürgerlich orientierte und die Realität erfassende Gattung günstige Voraussetzungen für die Behandlung der Spannungen und Konflikte, die zwischen Universität, Bildungsanspruch und Gesellschaft auftreten. Weiß geht davon aus, dass das Interesse an solchen Romanen im 18. Jahrhundert aus der „Mischung von pikanten Episoden aus dem Leben eines rake mit der Denunziation einer abgeschotteten Institution

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angereichert mit einer gehörigen Portion moralischer Entrüstung“ entstanden sei, und gibt damit einen wichtigen Aspekt der zeitgenössischen Rezeptionssituation wieder (Weiß 1988:

40ff.).

Da der Roman als Veröffentlichungsform an den Universitäten und bei den Akademikern erst im 19. Jahrhundert zu einer anerkannten literarischen Gattung avancierte, kam erst nach die- ser Entwicklung Bewegung in das englische Universitätswesen samt der dazugehörigen Lite- raturgattung. Ab diesem Zeitpunkt konnten die Autoren auch davon ausgehen, dass ihre Wer- ke nicht nur für ein kleines, rein akademisches Publikum von Interesse sein könnten, sondern im Gegenteil die Bildungsproblematik und ihre fiktionale Darstellung auch innerhalb der Ge- sellschaft einen immer breiteren Raum einnahm. Bereits im 19. Jahrhundert ist eine direkte Verbindung zwischen realer universitärer Entwicklung und literarischer Bearbeitung der Uni- versitäten erkennbar: “The reform movements in Oxford and Cambridge in the nineteenth century saw a corresponding reformation in the genre of university literature, and the novels of the late nineteenth century reflect the change in the universities by beginning to portray the universities, students, and teachers as more reputable.“ (Hague 1985: 171). In diese Zeit legt George Saintsbury in seiner Studie den Beginn der englischen Gattungsvariante. Reginald Dalton: A Story of English University Life (1823) von John Gibson Lockhart wird als der ers- te englische Universitätsroman identifiziert und legt damit im Vergleich zu Mortimer R. Proc- tor und Wolfgang Weiß den Ursprung der Gattung rund 70 Jahre später fest (Weiß 1988: 74).

Alle vorherigen Romane, in denen ein universitäres Milieu in kleineren Teilen als Schauplatz genutzt wird, werden unterschiedlichen Untergattungen des Romans zugeteilt.11

Der erste amerikanische Universitätsroman – darin sind sich John Lyons und John Kramer als führende Bibliographen dieser Gattung einig – ist Nathaniel Hawthornes erster Roman Fanshawe (1828) und entsteht damit fast zeitgleich mit dem von George Saintsbury als ersten Universitätsroman genannten englischen Pendant. Es spricht für die Gattung, dass zu Beginn der allgemeinen Romanentwicklung in den Vereinigten Staaten auch „der erste amerikanische Universitätsroman, verfasst von einem der herausragenden Schriftsteller der amerikanischen Literaturgeschichte“ steht, wie Reingard M. Nischik als Herausgeberin des Sammelbandes Uni literarisch: Lebenswelt Universität in literarischer Repräsentation (2000) in ihrer Einleitung dazu beobachtet (Nischik 2000: 24). Der amerikanische Universitätsroman sei aus der Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit heraus entstanden, weil auch der In- tellektuelle in diesem Universitätsmilieu als anormal gelte und Feindschaft und Verdächti- gungen ausgesetzt sei, so Weiß im Anschluss an Leslie Fiedler mit Blick auf die Entstehungs- situation in den USA (Weiß 1988: 17f.).12

11 Vgl. dazu Weiß 1988 Kapitel 3.4.

12 Siehe dazu Fiedler 1964: 138ff.

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Kapitel 1: Einleitung 15

Der Roman Hawthornes erweist sich insbesondere zusammen mit Emersons Essay “The A- merican Scholar“ (1837) als unmittelbarer Dialog mit den bildungspolitischen Konzepten der Zeit. Nach Fanshawe entstanden aber zunächst keine weiteren Universitätsromane von Be- deutung (Nischik 2000: 90). Wolfgang Weiß betont, dass eine verstärkte Produktion akademi- scher Romane in diesem Kulturkreis erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts einsetzte und gera- de bei diesen Werken der starke Einfluss englischer Vorbilder noch sehr deutlich zu erkennen war (Weiß 1988: 100). Die Universität Harvard erfährt, wie in England die Traditionsuniver- sitäten Oxford und Cambridge, besondere literarische Beachtung. Daneben können sich auch Yale und Princeton, die, wie Weiß weiter provozierend formuliert, auch durch sportliche Er- folge im American Football gesellschaftliche Berühmtheit erlangten (Weiß 1988: 100), als Schauplätze in den Romanen etablieren. Erst um die Jahrhundertwende und zu Beginn des 20.

Jahrhunderts scheinen die Autoren der Universitätsromane auch weiter westlich gelegene Hochschulen als Gegenpol zu den für ihr turbulentes Campusleben bekannten Universitäten der Ostküste zu entdecken, z.B. in For the Blue and Gold: A Tale of Life at the University of California (1901) von Joy Lichtenstein oder Oberlin and Eastern School Life (1889) von L.L.

Jones.13

Wolfgang Weiß sieht die ersten amerikanischen Universitätsromane allesamt noch unter star- kem englischen Einfluss, vor allem hinsichtlich „der unermüdlichen Aneinanderreihung von Studentenstreichen, besonders in solchen Erzählungen, die als Serien in Zeitschriften erschie- nen, oder darin, dass Professoren oder die akademische Lehr- und Lerntätigkeit so gut wie keine Rolle spielen.“ (Weiß 1988: 100). Wirtschaftliches Wachstum und industrielle Anforde- rungen zwingen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Universitäten auf beiden Seiten des Atlantiks zu Reformen bzw. führen zu Neugründungen technisch orientierter Hochschu- len – ein institutioneller Wandel, der in der Literatur den Grundstein für die Dichotomie von Humanismus und Utilitarismus legt (Borchardt 1997: 55). Ein wesentlicher Unterschied, der sich bereits um die Jahrhundertwende zwischen englischen und amerikanischen Universitäts- romanen abzeichnet und in den 1930er Jahren letztendlich zur Verzweigung in spezifisch na- tionale Gattungsstränge führt, sind die auf das unterschiedliche Verhältnis zwischen Universi- tät und Gesellschaft zurückzuführenden Bildungsvorstellungen. In England erhebt die Ober- schicht einen elitären Anspruch auf die Traditionsuniversitäten Oxford und Cambridge, der oft durch satirische Übertreibungen und komisierte Verzerrungen in den Romanen bloßge- stellt und als Gegenpol zu bürgerlichen Tugenden negativ bewertet wird. In den Vereinigten Staaten gibt es dieses gesellschaftlich bindende Klassensystem nicht, so dass andere Bil- dungsvorstellungen, wie z. B. die Gegenüberstellungen praktischer, nicht erlernbarer Erfah-

13 Diese und weitere Beispiele finden sich in Weiß 1988: 100f.

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rungen und reinem Bücherwissen, literarisch bearbeitet und diskutiert werden. Eines der be- kanntesten Beispiele für die genannte Gegenüberstellung ist Owen Wisters Roman Philo- sophy Four: A Study of Harvard University (1903), in dem zwei Studenten ihr Philosophieex- amen dank praktischer Erfahrungen bei einer Landpartie glänzend bestehen, wohingegen ihr Tutor nach wochenlangem Lernen ausschließlich reines Bücherwissen während der Prüfung wiedergeben kann und letzten Endes als weltfremder und vergeistigter Streber schlechter ab- schneidet als seine beiden lebenslustigen Kommilitonen. Die in den USA „um die Jahrhun- dertwende einsetzende Demokratisierung der Universität“ (Weiß 1988: 101) bringt für die Romane ebenfalls eine im Vergleich mit dem englischen Pendant unterschiedliche Entwick- lung mit sich.

Seit dem 19. Jahrhundert, das sowohl für die englische als auch für die amerikanische Variante des Genres als Entwicklungsbeginn angesehen werden darf, haben sich unterschied- liche Aspekte der literarischen Bearbeitung bis heute als prägende Merkmale erhalten. Eines dieser von Beginn der Gattungsentwicklung wiederkehrenden Merkmale ist die relative Ab- geschlossenheit der Universität gegenüber der übrigen Gesellschaft, worin wahrscheinlich der Reiz und die Langlebigkeit der gesamten Gattung teilweise begründet liegt: “Important a- mong these [recurrent themes] is the problem of the isolation of the university – its separation from the “real“ world of outside reality and the difficulty of integrating academic life and li- ved experience are issues which arise in almost every novel in the genre.“ (Hague 1985: 172).

Die Gründe für die seit dem Ersten Weltkrieg allgemeine starke Tradition der Universitätsro- mane im angelsächsischen Kulturkreis liegen laut Wolfgang Weiß, der mit seiner Studie Der anglo-amerikanische Universitätsroman. Eine historische Skizze (1988) als erster die Ent- wicklung des Genres in Großbritannien und in den USA bis in die 1980er Jahre aufzeigt, in der Universitäts- und Bildungstradition und im Selbstverständnis der Hochschule in diesen Kulturkreisen. Ein weiterer entscheidender kulturspezifischer Faktor liegt insbesondere in den Eigenarten des angloamerikanischen Bildungssystems, da das College, der Campus und die Common Rooms an den Universitäten Orte des sozialen Lebens in seiner ganzen Vielfalt von Kontakten und Beziehungen waren und sind. Die vielfältigen sozialen Strukturen an einer Universität bieten den AutorInnen die Möglichkeit einer interessanten, vielschichtigen und auch glaubwürdigen Darstellung. Die angloamerikanischen Universitäten waren und sind zu keiner Zeit Stätten reiner Gelehrsamkeit und als Institutionen für die Heranbildung einer ge- sellschaftlichen Elite immer Gegenstand des bildungspolitischen Interesses (Weiß 1988: 3f.).

Inwiefern sich die englischen Wurzeln und die Emanzipation der Romane von den englischen Vorbildern nach dem Ersten Weltkrieg sowohl auf die Entwicklung des amerikanischen als

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Kapitel 1: Einleitung 17

auch auf die des kanadischen Gattungstypus ausgewirkt haben, in welchem Maße sich der englische Einfluss auf die kanadischen Romane von dem auf die amerikanischen unterschei- det und inwiefern auch in der kanadischen Literatur ein Prozess der Eigenständigkeit inner- halb der Universitätsromane eingesetzt hat, soll ausgehend von diesem Überblick der Traditi- on und Bedeutung der Gattung in den Kapiteln zur amerikanischen und kanadischen Gat- tungsentwicklung und im vergleichenden Schlusskapitel dargelegt werden.

1.3. Akademische Institutionen in Fiktion und Realität: Zur Problematik der

Spiegelfunktion und des dokumentarischen Charakters von Universitätsromanen

Das Verhältnis zwischen realer Institution und fiktionaler Darstellung einer Universität wirft eine der dominierenden Fragen zu Beginn dieser Untersuchung und vor einer detaillierten Textanalyse auf. Cordelia Borchardt sieht in der für die Universitätsromane „typischen Domi- nanz der universitären Welt eine direkte Referentialisierbarkeit auf die Realität“ als nahelie- gend an und kann dafür durchaus plausible Gründe anführen: So nehmen die in den literari- schen Texten präsentierten Universitäten und Colleges häufig Namen traditionsreicher und in der Realität existierender Universitäten wie z. B. Harvard, Yale, Princeton, etc. an. Auch sind Anspielungen auf reale Universitäten teilweise schon in den Namen der fiktiven Hochschulen enthalten und für die Leser offensichtlich. Dies trifft z.B. auf das Sanford College im Roman von Percy Marks zu, dessen sprachlicher Bezug leicht zu erkennen ist, und auf Randall Jarells Roman Pictures from an Institution (1954) zu, in dem die Universität den Namen Benton Col- lege trägt und so eine direkte Referenz zum realen Bennington College nahe legt. Geographi- sche und architektonische Beschreibungen, Straßen- und Landschaftsnamen und andere typi- sche Kennzeichen des universitären Milieus finden sich häufig in so detailgetreuer Beschrei- bung in den literarischen Texten wieder, dass ein gewisser Realitätsbezug nur schwer abzu- streiten ist (Borchardt 1997: 17f.).

Vor allem die ältere Forschung geht daher von einer allgemeinen Spiegelfunktion der Univer- sitätsromane aus. Richard Boys erwartet zum Beispiel in seiner frühen Studie zum amerikani- schen Universitätsroman eine Darstellung „which deals fairly and honestly with the subject, one which will capture the intricacies of college life“ (Boys 1946: 387) und damit eine direkte Zustandsbeschreibung einer realen Institution. Mortimer Proctor, der mehr als zehn Jahre nach Boys seine Studien zum amerikanischen Universitätsroman veröffentlicht, geht ebenfalls vom Kriterium des Realismus in den literarischen Texten aus und beurteilt deren Qualität nach dieser Meßlatte: “Thus the university novels have always had to a large extent the quali-

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ty of the documentary about them. […] They have recorded, with surprising accuracy, the issues of reform, […] perhaps as accurately and certainly more vividly than could my memoir or official account.” (Proctor 1957: 187). Er sieht die Gattung in sehr engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Institution selbst und kann als Leistung dieser Gattung ihren Beitrag zur Dokumentation der amerikanischen Universitätsgeschichte festmachen.14 Die Erörterung von Bildungsfragen und der Beitrag zur allgemeinen Bildungsdiskussion wird von ihm zwar durchaus honoriert, jedoch in direkter Anbindung an die Darstellung realer Universitäten ge- sehen und entsprechend beurteilt (Borchardt 1997: 19).

Eine zweite Gruppe von Studien zum Universitätsroman geht von einer partiellen Spiegelfunktion aus und sieht laut Cordelia Borchardt den Universitätsroman als „historisch- soziologisches Belegmaterial, um Charakteristika der realen Institution zu erforschen.“ (Bor- chardt 1997: 19). Philip Hobsbaum gehört mit seiner Studie "University Life in English Ficti- on" (1964) zu den Vertretern dieses Ansatzes und sieht die Leistung der Universitätsromane in der Erschließung emotionaler Elemente des Universitätsmilieus, die auf rein rationalem Wege nicht deutlich gemacht werden können. Daher unterstützt er in seinem Artikel die Funktion der Universitätsromane als partiellen Spiegel des realen Universitätslebens: “A whi- te Paper can give us the general pattern , but it may not tell us how it feels to be an undergra- duate.“ (Hobsbaum 1964: 139). Die einzelnen literarischen Texte werden dabei durchaus sys- temkritisch betrachtet, inhaltliche Ausprägungen finden weniger Beachtung. Der dokumenta- rische Wert der einzelnen Texte für die Leser ist dabei vor allem in der Erschließung nichtra- tionaler Aspekte zu sehen, verbunden mit der Möglichkeit, von diesen auf wesentliche Merk- male der realen Institution schließen zu können.

Ulrike Dubber stellt in ihrer Studie Der englische Universitätsroman (1991) einen neuen An- satz zur Problematik der Spiegelfunktion des Universitätsromans vor. Der Informationsgehalt der einzelnen Romane in Bezug auf das jeweilige nationale Universitätssystem wird anhand von 20 Universitätsromanen der Nachkriegszeit untersucht und eine Kategorisierung mit Hilfe eines „Maßstabs, an dem sich der Realitätsgehalt der literarischen Darstellung universitärer Organisations- und Machtstrukturen überprüfen lässt“ (Dubber 1991: 160) vorgenommen.

Sollte dieses Kriterium nicht ausreichend von den Einzeltexten erfüllt sein, so deutet sie dies keineswegs als mangelnde Textqualität, sondern sieht darin eine Option, institutionelle oder gesellschaftliche Kritik mittels fiktionaler Bearbeitung zum Ausdruck zu bringen. Die Uni- versität als „sozialer Mikrokosmos“ wird bei ihr zum „metonymischen Abbild der Gesamtge-

14 Zu Proctor vgl. auch Weiß 1988: 7ff.

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Kapitel 1: Einleitung 19

sellschaft, so dass die meisten Universitätsromane als “fiktionalisierte Soziologie“ charakteri- siert werden können (Dubber 1991: 223).15

Eine weitere Gruppe von Untersuchungen dieser Literaturgattung verweist unter ande- rem mit Frederic Carpenter und seinem Aufsatz “Fiction and the American College“ (1960) auf die durchweg negative und defizitäre Wahrnehmung der gespiegelten Universität hin.

Wenn Carpenter von einer fehlenden “modern creative imagination“ (Carpenter 1960: 443) spricht, so zeugt dies nicht nur von einer seiner Meinung nach existierenden Verunglimpfung der universitären Institutionen, sondern in erster Linie auch von einer defizitären Wahrneh- mung seitens der AutorInnen, die er für die gesamte Inferiorität der Gattung des Universitäts- romans verantwortlich macht: “And yet the criticisms of the American college suggested by these novels may suggest as much fault in the novelists as in their subjects. For each criticism suggested may also be seen as the reverse of the virtue not seen; and the failure of the novel- ists to recognize the potential virtue suggest a reason for their failure to produce first-rate novels.” (Carpenter 1960: 455f.).

Einen ganz anderen Gedanken bezüglich der allgemeinen Spiegelproblematik greift Cordelia Borchardt auf, die kein Defizit auf Seiten der AutorInnen suchen möchte, sondern von einer grundsätzlich verschiedenen Informiertheit der RezipientInnen ausgeht: Die Leser, die dem universitären Milieu nicht selbst angehören, werden eher allgemeine Kennzeichen als reali- tätsgetreue Darstellungen erkennen, während bei Universitätsangehörigen, die sowohl als Li- teraturwissenschaftlerInnen als auch als SchriftstellerInnen in diesem Bereich tätig sein kön- nen, eine stärkere Polarisierung in ihrer Rezeptionshaltung eintritt, da ihr Berufsfeld ihnen sehr viel detailliertere und in ihrer direkten Umgebung überprüfbare Informationen an die Hand gibt (Borchardt 1997: 18). Wolfgang Weiß hat diesen Unterschied in der Rezipienten- haltung auf den Punkt gebracht und auf diese zweite Gruppe zugespitzt formuliert: „De te fabula narratur.“ (Weiß 1988: 11). Er betont dabei die Schwierigkeit, die es offensichtlich LiteraturwissenschaftlerInnen bereitet, ihr eigenes berufliches Umfeld zu fiktionalisieren. In seiner Definition der Gattung verweist er in diesem Zusammenhang auch auf die Möglichkeit

„realistischer Mimesis“, die sich bis in den Bereich exakter realistischer Universitätsbeschrei- bungen erstrecken kann (Weiß 1988: 11), sich aber im heutigen Universitätsroman nicht durchsetzen konnte.

Ansgar Nünning hat in seinem Beitrag „Narrative Formen und fiktionale Wirklichkeitskon- struktionen aus der Sicht des New Historicism und der Narrativik“ (1992) den englischen Roman im 18. Jahrhundert auf das Verhältnis zwischen gesellschaftlicher Realität und fiktio-

15 Vgl. zu Dubber auch Borchardt 1997: 20f.

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naler Wirklichkeitskonstruktion untersucht. Dieses Modell scheint in Teilen auf die Gattung des Universitätsromans übertragbar. Die Unterscheidung zwischen literarischer Mimesis und dem ästhetischen Begriff der Poesis ist dabei ausschlaggebend: Der Mimesis kommt dabei eine nachahmende und wirklichkeitsnahe Rolle zu, während die Poesis in klarer Abgrenzung dazu den literarischen Texten zugesteht, „mit ihren erzählerischen Gestaltungsmitteln eigen- ständige fiktionale Wirklichkeitsmodelle zu erzeugen.“ (Nünning 1992: 199f.). So steht bei letzterer Annahme, die auch in die Überlegungen der vorliegenden Arbeit einfließen soll, die Frage im Mittelpunkt, welche Idee des Menschen, der Wirklichkeit, der Institution durch die fiktionale Form von Romanen erzeugt, bekräftigt oder auch kritisiert werden kann. Die ein- zelnen Texte werden dabei als „historischer Faktor sui generis“ (Nünning 1992: 199) verstan- den, die in einer komplexen (Wechsel-) Wirkung zur gesellschaftlichen und kulturellen Ent- wicklung stehen.

Eine neuere Forschungslinie innerhalb der Studien zum Universitätsroman, die einen theoreti- schen Kerngedanken der vorliegenden Arbeit darstellt, geht von einem komplexen Diskurs- charakter der Gattung aus, ein Diskurs über „Aufgabe und Funktion der Universität“ inner- halb der „spannungsreichen Beziehung zwischen der relativ abgeschlossenen Institution Uni- versität und der Gesellschaft“ (Borchardt 1997: 24 und Weiß 1988: 22). Dabei liegt die Kon- zentration der einzelnen Romane mit je nach Roman unterschiedlichem Schwerpunkt sowohl auf dem Verhältnis zwischen Hochschule und Gesellschaft als auch auf der Literarizität der Texte selbst (Borchardt 1997: 24). John Lyons ist innerhalb der Studien zum amerikanischen Universitätsroman einer der ersten, der die Gattung als Forum der bildungspolitischen Thema- tik ansieht und eine Korrelation zwischen fiktionalen und nichtfiktionalen Bildungsdebatten in den Vereinigten Staaten beobachtet. Er versucht, die Universitätsromane und den jeweili- gen gesellschaftlichen Hintergrund als Diskurs über Sinn und Ziel von Bildung miteinander in Beziehung zu setzen, den dokumentarischen Wert nicht allzu sehr hervorzuheben, sondern ganz auf eine Diskursfunktion zu beschränken. Auf diese Annahme baut Wolfgang Weiß sei- ne Gattungsdefinition auf16 (Weiß 1988: 22) und es gelingt ihm so, eine Verbindungslinie zwischen der traditionell angenommenen Spiegelfunktion des Universitätsromans und nicht- fiktionalen Bildungstendenzen zu ziehen. Dem Text kommt dabei eine Vermittelungsebene zu, die es ermöglicht „wesentliche Züge dieser Institution […] in den fiktionalen Gesamtent- wurf der Handlungswelt“ (Weiß 1988: 20) aufzunehmen und die Diskursfunktion zu bestäti- gen. Dabei sind die bildungsthematischen Veränderungen innerhalb der Gattung in direktem Zusammenhang mit den institutionellen Reformen und Entwicklungen zu sehen. Es fehlt da-

16 Siehe dazu Kapitel 1.1. zur Gattungsdefinition.

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