• Keine Ergebnisse gefunden

Die Methode des New Historicism: “The Historicity of Texts and the Textuality of History” 48

3. Methodische Vorgehensweise und theoretische Grundlagen

3.1. Die Methode des New Historicism: “The Historicity of Texts and the Textuality of History” 48

3. Methodische Vorgehensweise und theoretische Grundlagen

3.1. Die Methode des New Historicism: “The Historicity of Texts and the Textuality of History”48

Die Methode von Textanalysen im Sinne des New Historicism konnte sich in den 1980er Jah-ren in den Vereinigten Staaten als „dominantes Theorienparadigma einer sich zunehmend kulturwissenschaftlich begründenden Literaturwissenschaft“ etablieren (Hebel 1992: 325).

Seit längerem wurde ein verstärktes Verlangen nach einem innovativen literaturwissenschaft-lichen Ansatz, der ein historisches Bewusstsein innerhalb der Literaturwissenschaft verankern sollte, beobachtet. In klarer Abgrenzung zur formalistischen Methode der Textanalyse ent-stand der sog. New Historicism als ein textorientierter Ansatz, der über formale Analysen literarischer Texte hinaus nach deren kultureller und historischer Verankerung suchte. Eine allgemeine Ablehnung formalistischer Ansätze ist bis heute das verbindende Element unter den Vertretern dieser Methode geblieben, die sich in der Entstehungsphase als “unhappy with the exclusion of social and political circumstances (commonly know as the ‘context’) from the interpretation of literary works” (Myers 1988-1989: 27) bezeichneten.

Die Ursachen für die Entstehung dieser neuartigen literatur- und kulturhistorischen Methode und die erste Phase der Theoriebildung sind für den New Historicism relativ schwie-rig zu bestimmen. Die geistesgeschichtlichen Wurzeln und die Entwicklung des New Histori-cism werden häufig „als Reaktion auf die Krise des amerikanischen Fortschrittsgedankens sowie auf den wachsenden Einfluss von multikulturellem Wertepluralismus“ (Nünning 1998:

401) gedeutet. Die a posteriori zum Old Historicism degradierte bisherige Methode einer his-torischen Analyse literarischer Texte, über die nur sehr wenige konkrete Vorstellungen vor-liegen,49 wird dabei als unzureichend empfunden und mit dem Vorwurf verbunden, literari-sche Texte allenfalls als “Reflektor des historiliterari-schen Hintergrundes“ zu deuten und damit den

„Konstruktcharakter jeglicher historischen Deutung“ (Nünning 1998: 402) zu vernachlässi-gen.

In den frühen 1980er Jahren waren viele Literaturwissenschaftler nicht länger bereit, literari-sche Texte als sog. “ethereal entities“ (Howard 1986: 15) ohne die Verbindung zur histori-schen und politihistori-schen Realität zu betrachten. Stephen Greenblatt gibt aus diesem Grund im Jahr 1982 eine Sonderausgabe der wissenschaftlichen Zeitschrift Genre heraus und erklärt in

48 Vgl. dazu Montrose 1989: 20 und Fluck 2001: 229.

49 Vgl. Fluck 2001: 247.

seiner Einleitung dazu, welche Aspekte und praktische Umsetzung dieser neue literaturwis-senschaftliche Ansatz seiner Meinung nach beinhalten sollte.50

Der Begriff des New Historicism ist jedoch nicht allein zur Verdeutlichung einer Neu-orientierung gegenüber den bisherigen Methoden entstanden, sondern insbesondere als eine terminologische und inhaltliche Abgrenzung gegenüber der Methode des New Criticism. Im Gegensatz zur letztgenannten Methode, die den Texten selbst die entscheidende Rolle zu-schreibt und in der der historische Kontext abgesehen von der Historizität des Wortes keine Rolle spielt, wird die historische und kulturelle Autonomie literarischer Texte im New Histo-ricism vehement verneint. Das Prinzip des ’close reading’, das die Basis einer Textanalyse im Sinne des New Criticism darstellt und ausschließlich den Text zum Mittelpunkt des Interesses macht, wird dabei nicht verwendet. Es ist folglich nicht Ziel des New Historicism, alle Bedeu-tungsnuancen und semantischen Charakteristika eines Textes aufzuspüren und die Zweideu-tigkeiten und semantischen Effekte individuell zu analysieren, wie es z.B. von William Empson in Seven Types of Ambiguity (1930) propagiert wird. Darin wird vor allem deutlich, dass im New Criticism die Notwendigkeit, über die formale Analyse des Textes hinaus In-formationen zum Kontext zu sammeln, nicht gegeben ist. Stephen Greenblatt sieht genau in dieser Vorgehensweise eine große Gefahr, da seiner Meinung nach so die Tendenz “to wall off literary symbolism from the symbolic structures operating elsewhere” (Greenblatt 1980:

3) zusätzlich forciert wird. Er bezieht vehement Stellung gegen das Lesen literarischer Texte ohne Einbezug kultureller und historischer Aspekte und wehrt sich gegen die Definition eines Textes als “autonomous and closed system […] art as opposed to social life” (Greenblatt 1980: 4).

In ähnlichem Sinne spricht er sich auch gegen den sog. Old Historicism aus und nimmt Bezug auf seine eigene literaturwissenschaftliche Ausbildung und Prägung an der Yale University.

“A standard critical assignment in my student years was to show how a text that seemed to break in parts was really a complex whole […]. Behind these exercises was the assumption that great works of art were triumphs of resolution, that they were, in Bakhtin’s

50 Zur methodischen Unterscheidung sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass es vor Stephen Greenblatt zwei weitere Literaturmethoden gab, die in ihrer Begrifflichkeit leicht mit dem hier verwendeten und als New Histori-cism bekannten Ansatz verwechselt werden können. Frederic Jameson favorisierte einen neo-Marxistischen Ansatz, den er ihn seiner Monographie The Political Unconscious (1981) näher erläutert. Bisweilen wird auch auf diesen Ansatz als “new historicism“ Bezug genommen, in seiner inhaltlichen Gestaltung jedoch nicht auf die Interpretation literarischer Texte in historischem Kontext näher eingegangen. Ein weiterer Ansatz wird von Wes-ley Morris in Toward a New Historicism (1972) vorgestellt; er unterstützt darin den Ansatz, dass literarische Texte unlösbar an ihre Entstehungszeit gebunden sind. Vgl. dazu Myers 1988-1989: 29. Beide Methoden werden nur von Myers genannt und sind klar von dem literaturwissenschaftlichen Ansatz zu unterscheiden, der heute unter dem Begriff des New Historicism definiert ist, und wurden von nur wenigen Literaturwissenschaftlern aufgenommen.

Kapitel 3: Methodische Vorgehensweise und theoretische Grundlagen 58

term, monological – the mature expression of a single artistic intention,” so Stephen Green-blatt (1990: 168). In der Konsequenz obiger Aussage werden von ihm viele der bei anderen Literaturmethoden so vertrauten Vorgehensweisen, die sich auf eine reine linguistische und semantische Textanalyse konzentrieren, bewusst vermieden. J. Hillis Miller, einer der Yale Critics,51 definiert als Reaktion auf Greenblatt den New Historicism mit viel Skepsis wie folgt: “a corresponding turn toward history, culture, society, politics, institutions, class and gender conditions, the social context, the material base“ (Miller 1987: 283). Eine notwendige Trennlinie zwischen einer sprachlichen und einer historischen Analyse wird von ihm als zwingend notwendig proklamiert. Dass es keine unüberwindbare Barriere zwischen diesen beiden Analysefeldern gibt, dass vielmehr ein Wechselspiel und eine gewisse Abhängigkeit zwischen beiden besteht, soll an dieser Stelle hypothetisch festgehalten werden und den Weg zu einer historischen und kulturellen Analyse innerhalb der zugrundeliegenden literarischen Studie eröffnen.

Trotz der obig angemerkten Unterschiede und Abweichungen zu anderen literaturwis-senschaftlichen Methoden kann auch im New Historicism die Übernahme einiger bereits in anderen Vorgehensweisen existierender Ansätze nicht geleugnet werden. Einige Prinzipien innerhalb des New Historicism folgen dabei früheren Analysemethoden und versuchen, diese Aspekte zu einem innovativen und komplexen Ansatz zu verbinden, in dem literarische Texte als “agents of ideology“ definiert werden. Es kann gesagt werden, dass die Prämisse der Historizität52 jedes literarischen Werks einen poststrukturalistischen Ansatz beinhaltet, näm-lich dass der Zahl der unterschiednäm-lichen Interpretationen eines literarischen Textes bei einer unbegrenzten Anzahl an Lesern desselben Zeitalters keinerlei Grenzen gesetzt sind. Der dafür innerhalb der poststrukturalistischen Textanalyse verwendete Begriff ist der der “plurality of meaning“, zu dem zusätzlich innerhalb des Poststrukturalismus noch die Forderung kommt nach einer Kohärenz zwischen dem Text selbst und dem, was im allgemeinen als Kontext definiert wird, hinzu. Die “reassimilation of text to context“ (Myers 1988-1989: 30) bildet dabei die Basis. Beide Aspekte treffen auch für die Methode des New Historicism zu, hinzu kommen allerdings noch weitere Ansätze und Versuche, diese Beziehung in ihrer Komplexi-tät genauer zu erfassen: “to provide adequate answers to the range of problems associated

51 Zusammen mit Harold Bloom, Paul de Man, Jacques Derrida und Geoffrey Hartman gehört J. Hillis Miller zu den Autoren der Anthologie Deconstruction and Criticism, die 1979 veröffentlicht wurde und in der unterschied-liche theoretische Modelle innerhalb der Literaturwissenschaft diskutiert werden. J. Hillis Miller gibt in seinem Beitrag seine kritische Haltung gegenüber der Methode des New Historicism in besonderem Maße Ausdruck.

52 Zum Ursprung des Begriffs der Historizität gibt Myers folgende Erklärung: “The doctrine of historicity is a Heideggerian motif that came to the movement via the writings of German hermeneutical philosopher Hans-Georg Gadamer. “ (Myers 1988-1989: 30)

with the tensions between aesthetic, cultural, and historical approaches to the study of a range of different texts” (Hawthorn 1994: 196). Auch von Ansgar Nünning wird die enge Verbin-dung zwischen der Methode des Poststrukturalismus und der des New Historicism bezüglich ihres Umgangs mit der historischen Realität in seinem Artikel „Narrative Formen und fiktio-nale Wirklichkeitskonstruktion aus der Sicht des New Historicism und der Narrativik. Grund-züge und Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Erforschung des englischen Romans im 18. Jahrhundert“ (1992) bestätigt: „Wie der Postruktralismus geht auch der New Historicism vom dezentrierten, intertextuell vernetzten Individuum bzw. Einzeltext aus“ (Nünning 1998:

402). In gleichem Sinne legt Stephen Greenblatt seine Position innerhalb dieser Tradition dar und zeigt offen die Einflussnahme der poststrukturalistischen Prinzipien, wie sie von Michel Foucault vorgegeben werden. Allerdings versucht er sich gegen eine einfache Nachfolge der poststrukturalistischen Textanalyse zu wehren und definiert seine Position als “situated in relation to Marxism on the one hand, and poststructuralism on the other“ (Greenblatt 1989:

1f.), die ihm einen Balanceakt zwischen beiden Ansätzen ermöglicht. Raman Selden fügt Greenblatts Ansatz detailliertere Aspekte hinzu, wenn er folgende Annahme in den Mittel-punkt der Textanalyse stellt: Er geht zunächst davon aus, dass kein Ereignis der Vergangen-heit den heutigen Lesern in ‘reiner’ Form zugänglich gemacht, sondern ausschließlich in Form sog. “representations” vermittelt werden kann. Daraus ergibt sich als Konsequenz eine zweite Annahme, die die Existenz jeglicher sog. ‘single history’ verneint und stattdessen von der Existenz mehrerer, nicht unbedingt fortlaufender und sogar widersprüchlicher ‘histories’

ausgeht. “The idea of a uniform and harmonious culture is a myth imposed on history,” be-hauptet Selden und leugnet aus diesem Grund jede Distanz und Objektivität der Leser zu den gelesenen Texten (Selden 1997: 188) Historische Referenzen innerhalb des literarischen Tex-tes dürfen folglich nicht länger als “literary background” in Gegenüberstellung zum “literary foreground” abgetan werden. Dieser Forderung liegt eine Dehierarchisierung innerhalb der Literatur zugrunde, die keinen privilegierten Status einzelner Texte mehr zulässt und die im selben Zug die Gegenüberstellung der sog. “inner world” des Autors mit der “outer world”

der geschichtlichen Realität auflöst und zu einer gemeinsamen historischen Welt verschmel-zen lässt.

Der Begriff New Historicism, auf den in der heutigen Literaturwissenschaft Bezug ge-nommen wird, wird in erster Linie von Stephen Greenblatt geprägt, der zusammen mit Sacvan Bercovitch, J. Dollimore, C. Gallagher, Louis Adrian Montrose, Stephen Orgel und H. Aram Veeser zu den Hauptrepräsentanten dieses literaturtheoretischen Ansatzes zählt. Er ist einer der ersten, der diesen Begriff im Sinne einer kulturell und anthropologisch orientierten

Inter-Kapitel 3: Methodische Vorgehensweise und theoretische Grundlagen 60

pretation literarischer Texte verwendet. In seinen einführenden Kommentaren zu The Forms of Power and the Power of Forms in the Renaissance (1981) stellt er die unterschiedlichen Analysemethoden bei der Untersuchung englischer Renaissancetexte zusammen und definiert den New Historicism als “set apart from both the dominant historical scholarship of the past and the formalist criticism that partially displaced this scholarship in the decades after World War II” (Greenblatt 1982 :5). Eine grundlegende Annahme ist dabei, dass Literatur generell die Rolle eines Mediums übernimmt, “to mirror the period’s beliefs, but to mirror them, as it were, from a safe distance” (Greenblatt 1982: 5). Auf dieser Basis nennt er drei wesentliche Funktionen literarischer Texte und verdeutlicht gleichzeitig die große Tragweite des Ansatzes im New Hitoricism: “as a manifestation of the concrete behavior of its particular author, as itself the expression of the codes by which behavior is shaped, and as a reflection upon those codes.” (Greenblatt 1980: 4). Für die konkrete Anwendung bei der Interpretation literarischer Texte ergeben sich daraus vier Ansätze, die Greenblatt mit Catherine Gallagher zusammenge-stellt hat: “The recasting of discussions about “art” into discussions of “representations“53 (Gallagher und Greenblatt 2000: 17) ist dabei die erste und grundlegende Prämisse. Nicht weniger wichtig ist auch die zweite, die die Art der Interpretation und den Blickwinkel bei der Analyse neu gestaltet, nämlich ”the shift from materialist explanations of historical phenome-na to investigations of the history of the human body and the human subject”. Der dritte und vierte Aspekte ergeben sich direkt aus den beiden oben genannten und beinhalten zum einen

“the discovery of unexpected discursive contexts for literary works by pursuing their “supp-lements” rather than their overt thematics” und “the gradual replacement of “ideology criti-que” with “discourse analysis” (Gallagher und Greenblatt 2000: 17). Ausgehend von diesen innovativen analytischen Ansätzen werden die zuvor recht fest verankerten und getrennten Rollen für Text und Kontext fließend und damit die Idee des New Historicism, wie sie hier von Catherine Gallagher formuliert wird, klar: “that what has been the mere background ma-kes a claim for the attention that has hitherto been given only to the foregrounded and privi-

53 Die literarische Zeitschrift, die von Catherine Gallagher und Stephen Greenblatt zu dieser Zeit herausgegeben wurde, trägt ebenfalls den Titel Representations und wird als Forum für die unterschiedlichen Formen des New Historicism genutzt und in diesem Sinne definiert: “a multiplicity of historically embedded cultural performan-ces: specific instances, images, and texts that offered some resistance to interpretation” (Gallagher and Green-blatt 2000: 4). Die beiden Herausgeber lehnten jedoch die Vorgabe eines verbindlichen theoretischen Rahmens für die veröffentlichten Beiträge ab und wiesen in ihrer Begründung auf die Schwierigkeit hin, den Varianten-reichtum dieses Ansatzes theoretisch zu erfassen. Ein “desire for critical innovation”, ein “interest in contin-gency, spontaneity, improvisation”, und zu gleicher Zeit “the urge to pick up a tangential fact and watch its cir-culation including a “sense of history’s unpredictable galvanic appearances and disappearances” (Gallagher and Greenblatt 2000: 4) führte dann letzten Endes dazu, dass eine theoretische Einführung der Herausgeber niemals geschrieben wurde.

leged work of art” (Gallagher und Greenblatt 2000: 17). Von den Lesern wird dabei ein er-weitertes Bewusstsein gefordert, dass sie nämlich in gleichem Maße wie die literarischen Texte Teil des historischen Geschehens sind und mit ihrer Interpretation von Literatur eben-falls historischen und kulturellen Konditionen unterworfen sind, ”that they themselves live in history and that the form and pressure of history are manifest in their subjective thoughts and actions, in their beliefs and desires” (Montrose 1992: 394).

Stephen Greenblatts Definition der ’Poetics of Culture’ wird als Basis der im New Histori-cism verankerten Betonung kultureller und historisches Spuren innerhalb literarischer Texte und deren dialektischer Funktion betrachtet. Der Begriff der ’Poetics of Culture’ fungiert da-bei als alternativer Begriff für die praktische Umsetzung der theoretischen Grundsätze des New Historicism und wird in der oben erwähnten Einführung von ihm in diesem Sinne ge-nannt. Er nimmt darin mittels dieses Begriffs Bezug auf eine Textanalyse als “balancing act”

und gibt dazu folgende Erklärung: “its central concerns prevent it from permanently sealing off one type of discourse from another or decisively separating works of art from the minds and lives of their creators and their audiences”. In gleichem Zuge weist er aber auch auf das notwendige Bewusstsein um unerreichbare Vollständigkeit hin, “the impossibility of fully reconstructing and reentering the culture […] [the impossibility] of leaving behind one’s own situation” (Greenblatt 1980: 5). Mit seiner Definition von Kultur lehnt er sich dabei an Clif-ford Geertz und dessen liberal-humanistischen Antworten angesichts eines “scientism of American social science and a totalizing theoretical discourse of structuralism and Marxism”

an, wie er unter anderem auch von Louis Montrose beobachtet wird (Montrose 1992: 398f.).

In seiner Monographie The Interpretations of Culture (1973) definiert Clifford Geertz Kultur als “a historically transmitted pattern of meaning embodied in symbols, a system of inherited conceptions expressed in symbolic forms by means of which men communicate, perpetuate, and develop the knowledge about and attitudes toward life.” (Geertz 1973: 8).

Daraus entwickelt er eine integrative Funktion von Kultur und macht eine Verschmel-zung der Begriffe des New Historicism und der ’Poetics of Culture’ möglich: “a characteristic mixture […] of historicist and formalist, materialist and textualist or tropological, interests and analytic techniques” (Montrose 1992: 411).54

Stephen Greenblatt bekräftigt seine 1980 unter dem Begriff der ’Poetics of Culture’ zusam-mengefasste Idee einer literarischen Textanalyse einige Jahre später in seinem Beitrag zu dem von H. Aram Veesers herausgegebenen Sammelband The New Historicism (1989) und betont

54 Vgl. dazu auch Liu, Alan. “The Power of Formalism: The New Historicism”. In: English Literary History 65 (1989), S. 721-221.

Kapitel 3: Methodische Vorgehensweise und theoretische Grundlagen 62

darin auch die spezifisch amerikanische Vorgehensweise. Sein Ansatz schließt dabei durchaus Aspekte des britischen Cultural Materialism mit ein, wird aber in seiner amerikanischen Aus-prägung begrifflich und inhaltlich davon getrennt. In der Nachfolge Michel Foucaults55 be-mühen sich die Vertreter des New Historicism auch darum, ihre Aufmerksamkeit literarischen und historischen Objekten zukommen zu lassen, die bislang weitgehend unbeachtet geblieben sind, und legen dabei ein wesentliches Augenmerk darauf, in welchem Maße soziale, politi-sche und historipoliti-sche Aspekte durch diskursive Praxis vermittelt werden können. Jeder Typus künstlerischer Fiktion stellt darin ein Medium, keine Imitation menschlichen Lebens in all seinen Formen dar. “a lens through which a certain portrait of the human experiences is brought into focus”, fasst D.G. Myers (1988-1989: 31) diesen Gedanken zusammen. Dabei spielt der bereits von Stephen Greenblatt in die Diskussion eingebrachte Gedanke des Einflus-ses von Macht eine wesentliche Rolle. Das Verständnis von Macht beruht nicht allein auf der Gegenüberstellung von Herrschen und Beherrscht Werden, sondern beinhaltet alle kulturellen und sozialen Geschehnisse als Ausdruck unterschiedlicher Machtproportionen, die den Pro-zess der Produktion und Zirkulation von Texten im kulturellen, sozialen und literarischen Feld in Gang setzen: „Macht wird im Sinne Foucaults als produktiver Faktor gedacht,“ so Ulfried Reichardt. (Reichardt 1991: 217).

Der Mechanismus des sozialen Machtgefüges, der sowohl von den Vertretern des New Histo-ricism als auch von denen des Cultural Materialism in ihren jeweiligen literarischen Analysen ausgearbeitet wurde, hat zudem in großem Maße die Aufmerksamkeit auf soziohistorische

55 Michel Foucault (1926-1984) gilt als einflussreichster Schriftsteller und Philosoph der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Mit Blick auf die Literaturwissenschaft wird er als herausragender Repräsentant des poststruk-turalistischen Ansatzes und in diesem Sinne auch des New Historicism betrachtet. Sein Einfluss auf die Methode des New Historicism begann in den 1970er Jahren, als er als Gastdozent an mehreren amerikanischen Universi-täten, insbesondere an der University of California, lehrte. Zur gleichen Zeit unternahmen Stephen Greenblatt und andere Vertreter des New Historicism erste Schritte an dieser Universität und, wie Vincent B. Leitch zu Recht feststellt, “brought Foucault-inspired work directly into literary studies” (Leitch 2001: 1616). In seinem Essay “What Is an Author?” (1969) fordert Foucault bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt einen Perspektiven-wechsel vom Autor zu einer Analyse der sozialen Kräfte und ihres Einflusses auf literarische Texte. Er weist dem Autor darin die Funktion einer Quelle und eines Ausgangspunkts bei der Entstehung von Literatur zu, möchte aber zugleich eine größere Einflussnahme sozialer und kultureller Kräfte auf literarische Texte betonen, als dies von vielen LiteraturwissenschaftlerInnen zu diesem Zeitpunkt verstanden wurde. Laut Foucault ist weder eine formalistische Textanalyse noch eine biographische und psychologische Interpretation des Autors in der Lage, die “social constitution” (Leitch 2001: 1617) des im fiktionalen Textes behandelten Gegenstandes zu zei-gen, wie dies beim New Historicism der Fall ist. Die Funktion des Subjekts wird dabei von ihm klar definiert:

“The subject should not be entirely abandoned. It should be reconsidered, not to restore the theme of an originat-ing subject, but to seize its function, its interventions in discourse, and its system of dependencies […] We

“The subject should not be entirely abandoned. It should be reconsidered, not to restore the theme of an originat-ing subject, but to seize its function, its interventions in discourse, and its system of dependencies […] We