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Da die Anzahl der nach 1925 publizierten amerikanischen Universitätsromane explosionsartig angestiegen ist, wie John Kramer eindrucksvoll belegen kann,30 ist es im Interesse einer Um-fangsbeschränkung der vorliegenden Arbeit, keinen Anspruch der Vollständigkeit bei der Darstellung der Entwicklung des amerikanischen und des kanadischen Universitätsromans zu erheben, sondern anhand einer bestimmten Auswahl exemplarischer und repräsentativer Texte Entwicklungsstränge und allgemein gültige Darstellungsmodi innerhalb der Gattung im vor-gegebenen Zeitraum aufzuzeigen.

Um aus der erwähnten Fülle der amerikanischen Romane eine fundierte und wissenschaftlich nachvollziehbare Auswahl zu treffen, wurde auf der Grundlage von Studien namhafter Litera-turwissenschaftler, die umfangreiche Analysen zum Themengebiet des amerikanischen Uni-versitätsromans verfasst haben, der Korpus deutlich eingeschränkt. Die Forschungsbeiträge von John O. Lyons, Richard Boys, John Kramer, Hans Bungert und Wolfgang Weiß wurde nach den darin besprochenen Universitätsromanen systematisiert und die Schnittmenge der von allen „Experten“ genannten herausragenden und für die Gattung als repräsentativ einge-stuften Werke pro Jahrzehnt von 1920 bis 2000 als Grundlage für die gattungstechnische Entwicklungsuntersuchung herangezogen31. Diese systematische Ermittlung eines Textkorpus auf der Basis der bislang veröffentlichten und als herausragend eingestuften Studien zum amerikanischen Universitätsroman kann leider nur bis Mitte der 1970er Jahre angewandt werden, da keiner der oben genannten Literaturwissenschaftler die letzten rund 25 Jahre des Untersuchungszeitraumes der vorliegenden Arbeit mit seiner Studie abdeckt bzw. Wolfgang Weiß mit seiner 1988 veröffentlichten Studie als einziger Experte für die Jahre bis zur Publi-kation seiner Untersuchung nicht ausreichen kann.

Selbstverständlich reicht die Ermittlung der amerikanischen Universitätsromane nach oben genannter Vorgehensweise alleine auch nicht aus, um eventuell als gleichbedeutend einge-stufte literarische Texte gegeneinander abzuwägen: Ein weiteres wichtiges Kriterium ist folg-lich der innovative Beitrag, der vom einzelnen literarischen Text zur Gesamtentwicklung des Genres geleistet wird. Inwieweit der einzelne literarische Text einen neuen Aspekt einführt bzw. sogar eine Zäsur in der bisherigen Entwicklung des Genres markiert, ist dabei von Be-deutung. Ob und welchen tatsächlichen Einfluss einzelne Texte ausgeübt haben, wird

30 John E. Kramer stellt in seiner Studie The American College Novel. An Annotated Bibliography (1982) eine Sammlung der bis dahin veröffentlichten Romane vor und kann für den Zeitraum von 1925 bis 1979 bereits 425 Romane vorweisen.

31 Eine Zusammenstellung des ausgewählten Textkorpus für die Gattungsentwicklung in den USA, die nach der vorgestellten systematischen Vorgehensweise ermittelt wurde, ist der Anlage zu entnehmen.

punkt der Analyse und Auswahlkriterium. Auch bei dieser Einschätzung erweisen sich die Studien der oben genannten Literaturwissenschaftler als hilfreich.

Die Exemplarität des ausgewählten Textes stellt ebenfalls einen wesentlichen Aspekt inner-halb der Gattungsübersicht dar. Mag dies zunächst etwas im Widerspruch zum Innovations-kriterium stehen, so erlaubt es dennoch, Texte, die zur Untersuchung bestimmter bildungs-thematischer Merkmale besser geeignet erscheinen als andere, den innovativen Texten unter dieser Voraussetzung vorzuziehen. Manche Romane tragen sehr viel mehr zur Verdeutlichung eines Darstellungsphänomens bei, obwohl sie ein Merkmal innerhalb der Gattung später als andere vorweisen.32 Da in der Arbeit vor allem die Gesamtentwicklung des Genres in den Vereinigten Staaten und in Kanada gezeigt und zugleich auch die kulturelle Stellung der Uni-versität in der Gesellschaft berücksichtigt werden soll, ist eine Auswahl im exemplarischen Sinne von Nutzen, um einerseits der historischen Ausrichtung der Arbeit, andererseits auch einem begrenzten Umfang der geplanten Analyse gerecht werden zu können.

Ein weiteres Kriterium, das insbesondere für den Zeitraum ab 1970 aufgegriffen werden soll, ist das Renommee des Autors. Hierbei ist z.B. zu berücksichtigen, dass Autoren wie Saul Bel-low oder Philip Roth bereits in den 1960er Jahren zu den herausragenden Verfassern von campus novels gezählt wurden. Man kann folglich mit Recht annehmen, dass die von ihnen später verfassten Werke dieser Gattung ebenfalls in diesem Sinne eingestuft werden dürfen.

Saul Bellow veröffentlichte 1964 seinen Roman Herzog, der sowohl von Wolfgang Weiß als auch von John Kramer zu den wichtigsten Universitätsromanen dieser Dekade gezählt wird.

Weitere Universitätsromane, The Dean’s December (1982) und Ravelstein (2000), erfüllen literarisch einen ähnlich wertvollen Anspruch. Auch Philip Roth, der 1962 seinen ersten Uni-versitätsroman Letting Go verfasste und sich durch seine Romane Professor of Desire (1977) und Human Stain (2000) kontinuierlich einen festen Namen innerhalb der Gattung der cam-pus novel machen konnte, rechtfertigt das angeführte Kriterium.

Eine ähnliche Annahme ist hinsichtlich der Verlage, die bereits seit Beginn des 20.

Jahrhunderts Universitätsromane veröffentlichen, zugrunde zu legen: Verlage wie z.B.

Houghton Mifflin, Vintage oder Simon & Schuster sind seit dem Ersten Weltkrieg im Bereich der campus novels engagiert, so dass Romane, die in den letzten drei Jahrzehnten von ihnen veröffentlicht wurden, ein ähnliches Potential wie ihre Vorgänger aufweisen dürften. Ein kla-res Beispiel hierfür ist der erwähnte Houghton Mifflin Verlag, der sich bereits 1929 mit

32 Dieses Kriterium der Zusammensetzung des Textkorpus verwendet auch Martin Goch in seiner Studie zum englischen Universitätsroman nach 1945 (Goch 1991: 37f.).

Kapitel 1: Einleitung 43

da Neffs Lone Voyagers33 in diesem Bereich etablieren konnte und mit The Tenured Profes-sor (1990) von John Galbraight und mit Human Stain (2000) von Philip Roth über den gesamten Untersuchungszeitraum der Gattung der Universitätsromane präsent ist.

Es kristallisieren sich bei der Anwendung der erläuterten Vorgehensweise zwei bis vier her-ausragende literarische Vertreter der Gattung der Universitätsromane pro Dekade heraus, also für den geplanten Zeitraum insgesamt 25 amerikanische Universitätsromane, die in Kapitel 5.1. bis 5.4. in einem nationalen Überblick über die Gattungsentwicklung sowohl inhaltlich als auch thematisch analysiert und in die theoretische Grundlage der vorgestellten Bildungs-konzepte eingeordnet werden sollen.

Für Kanada gestaltet sich die Textauswahl ungleich schwieriger: Da es bislang keiner-lei Untersuchungen zum kanadischen Universitätsroman gibt, aus denen sich eine Zusammen-stellung der existierenden Universitätsromane ergibt und man nicht annehmen kann, dass eine auch nur annähernd so große Anzahl wie in den USA verfasst wurde, existiert nicht das Prob-lem, aus einem großen Textkorpus eine angemessene und repräsentative Auswahl zu treffen, sondern eher die Gefahr, mit der zusammengestellten Romangruppe der Entwicklung der ka-nadischen Gattungsvariante nicht gerecht werden zu können. Es wurden alle 15 kaka-nadischen Universitätsromane, die u.a. während eines Forschungsaufenthaltes gefunden werden konnten und der in Kapitel 1.1. veranschlagten Definition der Gattung entsprechen, in den Textkorpus des kanadischen Gattungszweiges aufgenommen. Die kanadischen Universitätsromane, zu denen auch die Werke bekannter AutorInnen wie Morley Callaghan, Matt Cohen, Robertson Davies, und Carol Shields zählen, werden nach den gleichen Analysekriterien wie die des amerikanischen Textkorpus untersucht und mit den amerikanischen Pendants des jeweiligen Jahrzehnts verglichen werden, so dass hinsichtlich der unterschiedlichen Gattungsentwick-lung in beiden Ländern und der unterschiedlichen Ursachen ein Vergleich der beiden nord-amerikanischen Gattungsstränge abschließend möglich wird.

33 Dieser Roman wurde nicht in den Textkorpus dieser Arbeit aufgenommen. Zu den Gründen siehe die Anlage.