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2. THEORETISCHE ANSÄTZE ZU SUCHTMITTELABHÄNIGKGEIT UND GENDER

2.1 Zentrale Begriffe

Die folgenden Begriffe werden in der Bachelor-Arbeit immer wieder verwendet. In der Praxis und Fachliteratur werden diese Begriffe oftmals unklar oder als Sammelbegriffe benutzt. Aus diesem Grund werden an dieser Stelle die Begriffe Gender und Suchtmittelabhängigkeit genau definiert.

2.1.1 Sex und Gender

Im alltäglichen deutschen Sprachgebrauch unterscheidet unsere Gesellschaft ein Geschlecht aufgrund der körperlichen und biologischen Grundlagen. Da diese rein biologische Unter-scheidung ohne Beachtung des sozial geprägten Geschlechts ungenügend ist, bietet das Sex-Gender-Modell eine Möglichkeit, das bestehende Modell der Geschlechter zu überwinden (Christel Zenker, 2009, S. 11). Dieses Modell unterscheidet zwischen den Begriffen Sex und Gender. Dabei wird laut Zenker (2009) zwischen den gesellschaftlich und kulturell verankerten Rollen von Frauen und Männern (Gender) und dem bestimmten biologischen Geschlecht (Sex) unterschieden (S. 11). Diese Unterscheidung zeigt auf, dass jeder Mensch ein biologi-sches Geschlecht wie auch ein sozial geprägtes Geschlecht hat. Diese Unterscheidung, welche zur Zeit der feministischen Theoriebildung in den 1970er-Jahren aufkam, hatte damals und hat bis heute eine grosse Bedeutung (Zenker, 2009, S. 11).

In der heutigen Zeit behandelt der wissenschaftliche Diskurs über die Rolle des Geschlechts hauptsächlich die Konstruktion der Geschlechter. Dabei wird davon ausgegangen, dass das soziale Geschlecht nicht angeboren ist, sondern erlernt und ausgeführt wird (Zenker, 2009, S.

9). Der Begriff doing gender fasst diesen aktiven Anteil an der Bildung eines sozialen Ge-schlechts zusammen. In der alltäglichen Interaktion und Kommunikation konstruiert, bestä-tigt, verfestigt oder verändert sich die Bedeutung des Geschlechts (Hildegard Mogge-Grot-jahn, 2004, S. 9). Somit ist nach Margareta Steinbrücke (2005) die Geschlechtertrennung ein

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«Resultat der permanenten gesellschaftlichen Konstruktionsarbeit, an welcher beide Ge-schlechter beteiligt sind» (S. 158).

Das weibliche Geschlecht

Beschäftigt man sich laut Gabriele Winkler und Nina Degele (2009) mit dem Begriff des weib-lichen Geschlechts, scheinen Themen der Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse al-lein aufgrund des Geschlechts veraltet (S. 10). Die Diskussionen der Gender- und Queer-Stu-dies zeigen Queer-Stu-dies, indem sie sich immer mehr von eindimensionalen Modellen zur Erklärung dieser Ungleichverhältnisse distanzieren. In der formalen Welt sind Frauen gleichberechtigt und werden oft in männliche Begriffe und Ausdrucksweisen impliziert. Trotzdem bestehen weiterhin unzählige Geschlechterstereotypen, welche immer noch starke diskriminierende Folgen haben (Winkler & Degele, 2009, S. 10). Um sich dieser bewusst zu werden, ist es hilf-reich, die verschiedenen ungleichheitsgenerierenden Dimensionen, wie Rasse, Klasse, Ge-schlecht und weitere, genauer zu betrachten. Eine Möglichkeit dazu bietet das Konzept der Intersektionalität. Es beleuchtet die Bedeutung der Wechselwirkung zwischen den verschie-denen Dimensionen und weist darauf hin, dass diese ineinander verflochten sind und sich gegenseitig beeinflussen (Winkler & Degele, 2009, S. 10). Da eine differenzierte Auseinander-setzung mit dem Konzept der Intersektionalität den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, wird in der Folge nur kurz auf die Entstehungsgeschichte und Hauptaussage dieser Möglich-keit der Mehrebenenanalyse eingegangen.

Winkler und Degele (2009) beschreiben, dass die Intersektionalitätsdebatte ihren Ursprung in den 1970er-Jahren hat und auf den Erfahrungen schwarzer Feministinnen in den USA basiert (S. 11). Diese konnten sich mit dem feministischen Gedankengut westlicher weisser Mittel-schichtfrauen nicht identifizieren. Obwohl beide Gruppierungen den Fokus auf die Unterdrü-ckung des weiblichen Geschlechts legten, wurde die weitere Dimension der rassistischen Aus-grenzung der schwarzen Frauen viel zu kurz aufgegriffen. Diese Erkenntnis über die Verflech-tung unterschiedlichster sozialer Kategorien und die verschiedenen Formen der Ungleichheit führten in den USA bereits in den 1970er-Jahren zur Forderung nach einer differenzierteren Betrachtung der Kategorien Rasse, Klasse und Geschlecht (Winkler & Degele, 2009, S. 11-12).

Die Autorinnen halten fest, dass wenn das weibliche Geschlecht unter diesem Aspekt betrach-tet wird, offensichtlich ist, dass Frau nicht gleich Frau ist und sich die Gesamtheit aller Frauen

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alles andere als aus einer homogenen Masse zusammensetzen lässt. Frauen rein anhand der Kategorie des Geschlechts als eine geschlossene Gruppe zu definieren wäre sehr undifferen-ziert. Den Autorinnen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es in der Biografie jeder Frau individuelle Faktoren und Dimensionen gibt, welche einen Einfluss auf ihr Leben und somit auf die Entwicklung einer Suchtmittelabhängigkeit haben. Seien dies Faktoren wie die soziale Schicht, Bildung, Alter, Religion, sexuelle Orientierung oder die körperliche Gesundheit, um nur einige zu nennen (Nina Degele & Gabriele Winkler, 2007, S. 12). Ausgehend von diesen Gedanken sind auch die folgenden Ausführungen dieser Arbeit zu verstehen.

2.1.2 Suchtmittelabhängigkeit

Im Folgenden werden die Begriffe Sucht, Abhängigkeit und psychotrope Substanzen erklärt.

Die neurobiologische Wirkung von psychotropen Substanzen wird kurz angeschnitten. Es kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft auf deren komplexes Geschehen im Ge-hirn eingegangen werden.

Zum Suchtbegriff bestehen verschiedenste Definitionen. Häufig kommt es zu einer Begriffs-verwirrung zwischen Sucht und Abhängigkeit (Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin, 2009, S. 22). Um dies aufzuzeigen, folgen nun einige Beispiele von Definitionen. Die Schwei-zerische Gesellschaft für Suchtmedizin (2009) bezeichnet Sucht als einen Prozess, bei dem ein Verhaltensmuster, das anfänglich ein Wohlbefinden erzeugt oder ein Unbehagen gelindert hat, unkontrolliert weitergeführt wird, trotz des Wissens um negative, schädliche Folgen (S.

29). Im Vordergrund steht nicht mehr die angenehme Wirkung der Substanz, sondern das Vermeiden von Entzugserscheinungen, welche auftreten, wenn die Substanz nicht konsu-miert wird. Charakteristisch für eine Sucht ist dieses starke Verlangen, eine Substanz zu kon-sumieren, obwohl die Person weiss, dass der Konsum schädliche Folgen hat (ebd., S. 22). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt Sucht als «Zustand periodischer oder chroni-scher Intoxikation» (WHO, 1952; zit. in Jürgen Friedrichs, 2002, S. 22), der dadurch ausgelöst wird, dass eine natürliche oder eine synthetische Droge immer wieder eingenommen wird (ebd.).

Die Psychiater Horst Dilling und Volker Dittmann definieren Sucht als eine übermässige Bin-dung an psychotrope Substanzen. Die übermässige BinBin-dung ist aber keine persönliche Eigenschaft, sondern sie ist ein Symptom eines belastenden Verhältnisses. Man könnte sie als

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Beziehungsstörung zu sich selbst, zu seinem Körper, zur sozialen und materiellen Welt be-zeichnen. Unter Störung wird verstanden, dass die Autonomie und Handlungsfähigkeit verlo-ren geht (Dilling & Dittmann, 1990; zit. in Michael Krausz & Christian Haasen, 2004, S. 8).

Wie durch die vorgängigen Definitionen ersichtlich wird, kann der Suchtbegriff mehrdeutig ausgelegt werden. Daher ersetzte die WHO 1964 den Begriff Sucht durch Abhängigkeit (Fried-richs, 2002, S. 23). In der Umgangssprache werden die Begriffe Sucht und Abhängigkeit jedoch synonym verwendet (Werner Stangl, 2017a).

Eine Abhängigkeit beschreibt den Zustand einer Person, die nicht mehr auf eine psychotrope Substanz verzichten kann (Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin, 2009, S. 29). Die Ab-hängigkeit ist aus medizinischer Sicht eine Krankheit. In der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) der WHO wird sie als psychische und Verhaltensstörung durch psycho-trope Substanzen beschrieben (Bundesamt für Gesundheit, 2017). Der ICD-10 und ein weite-res Diagnostiksystem, das Diagnostic Statistical Manual der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (DSM-IV), werden international verwendet (Ambros A. Uchtenhagen, 2011, S. 1).

Ausgehend von den typischen Symptomen einer Abhängigkeit nach ICD-10 (siehe Abb. 1) be-steht eine Abhängigkeit, wenn mindestens drei dieser Symptome in den letzten 12 Monaten aufgetreten sind (Ralf Schneider, 2015, S. 189).

Abbildung 1: Typische Symptome einer Abhängigkeit gemäss ICD-10 (eigene Darstellung nach Alter und Sucht, ohne Datum)

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2.1.3 Drogen und psychotrope Substanzen

Als Droge wird jede Substanz bezeichnet, die einen Einfluss auf das zentrale Nervensystem, auf die Emotionen, die Wahrnehmung, die Gefühle und die Motorik hat und somit das Be-wusstsein verändert (Sucht Schweiz, ohne Datum). Diese Substanzen werden als psychotrope Substanzen bezeichnet. Sie werden definiert als chemische Substanzen, welche über das zent-rale Nervensystem eine Wirkung auf das Verhalten und das Erleben des Menschen haben (Werner Stangl, 2017b). Ob eine psychotrope Substanz gesundheitsförderlich oder schädlich ist, hängt normalerweise davon ab, in welcher Dosis sie eingenommen wird (Irmgard Vogt, 2004, S. 118). In der Alltagssprache sind mit dem Begriff Drogen vor allem die illegalen Drogen gemeint, und zwar diejenigen, welche dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen (Friedrichs, 2002, S. 21).

Die folgenden Abbildungen liefern eine Übersicht über die psychotropen Substanzen.

Abbildung 2: Übersicht über Drogen und Drogengruppen (leicht modifiziert nach Friedrichs, 2002, S. 29)

Abbildung 3: Übersicht über Genussmittel (leicht modifiziert nach Friedrichs, 2002, S. 29)

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Medikamente

Verschiedenste psychotrope Substanzen werden zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt (siehe Abb. 4) und dienen somit nicht als Genussmittel, sondern sollen beispielsweise Schmer-zen lindern oder beruhigen (Vogt, 2004, S. 119). Wenn bestimmte Medikamente, wie Schlaf- oder Beruhigungsmittel, über eine längere Dauer eingenommen werden, kann sich eine Ab-hängigkeit entwickeln. Die Medikamente werden so eingenommen wie vom Arzt verordnet, es besteht kein grosses Verlangen danach, aber es entwickelt sich eine körperliche Abhängig-keit. Natürlich kann ein Medikamentenkonsum auch entgleisen, die Dosis wird gesteigert, das Verlangen danach ist hoch, und die Medikamente werden für einen anderen Zweck eingesetzt als ursprünglich gedacht. Es treten die üblichen Symptome einer Abhängigkeit auf (Vogt, 2004, S. 121), wie sie vorgängig beschrieben wurden.

Abbildung 4: Übersicht über Arzneien (leicht modifiziert nach Friedrichs, 2002, S. 29)

Substanzkonsum

Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin (2009) hat jede der zuvor abgebilde-ten Substanzen ihre eigene Wirkung. Diese kann entweder anregend, halluzinogen oder dämpfend sein. Unterschiedlich sind auch das Abhängigkeitspotenzial, die Entzugssymptome, die Toleranzentwicklung und die kurz- und langfristigen Folgen des Konsums. Alle Suchtmittel haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Sie bewirken eine erhöhte Dopaminausschüttung im lohnungssystem im Gehirn. Normalerweise erfolgt dann eine Dopaminausschüttung im Be-lohnungssystem, wenn ein Verhalten positive und überraschende Konsequenzen hat. Die er-höhte Dopaminausschüttung bewirkt im Gehirn ein Lernsignal, welches einen wiederholten Konsum fördert. So führt jeder Substanzkonsum zwangsweise zu einer Erhöhung der Dopa-minfreisetzung, welche das innere Gleichgewicht stört. Das Gehirn versucht daraufhin wieder ein Gleichgewicht zu finden, um trotz der Störung durch die psychoaktive Substanz wieder normal funktionieren zu können (S. 16).

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