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5. SOZIALE ARBEIT IM PRAXISFELD DER SUCHTHILFE

5.1 Ansätze und Zugänge

Folgend wird nun auf die Besonderheiten sowie die Ansätze und methodischen Zugänge der Sozialen Arbeit im Praxisfeld der Suchthilfe eingegangen.

Ganzheitliche Betrachtungsweise

Eine Besonderheit der Sozialen Arbeit ist die gesamtheitliche Betrachtungsweise sozialer Probleme. Anders als andere Disziplinen vertritt die Soziale Arbeit nicht die undifferenzierte Ansicht, dass sämtliche Suchtmittelabhängige krank sind, sondern versucht die Abhängigkeit vor dem Hintergrund der situativen und biografischen Umstände als mögliche Bewältigungs-strategie anzusehen (Loviscach, 1996, S. 14).

Jeder Mensch wird als ein biopsychosoziales Wesen betrachtet, welches nur durch eine sys-temische Sichtweise mit Beachtung seiner Umgebung betrachtet werden kann (Loviscach,

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1996, S. 15). Doch genau diese ganzheitliche Betrachtungsweise, welche die Soziale Arbeit auszeichnet und von den anderen Disziplinen unterscheidet, macht sie zugleich von den an-deren Disziplinen abhängig. Damit diese ganzheitliche Sicht überhaupt umgesetzt werden kann, muss die Soziale Arbeit Handlungsmöglichkeiten und theoretische Ansätze von ver-schiedenen Disziplinen nutzen. Dabei stehen die Professionellen der Sozialen Arbeit vor der grossen Herausforderung, diese disziplinübergreifenden Ansätze zu nutzen und sich gleich-zeitig durch die unterschiedliche Betrachtungsweise abzugrenzen (Loviscach, 1996, S. 15).

Nebst dieser Schwierigkeit der Abgrenzung besteht zudem gleichzeitig die Gefahr, dass sich die Soziale Arbeit den anderen Disziplinen unterordnet. Oftmals wird die Soziale Arbeit als Hilfsprofession angesehen, welche nebst den prominenten Disziplinen der Medizin und Psy-chologie nur wenig Beachtung erhält. Genau dies erschwert die Zusammenarbeit und Koope-ration zwischen den verschiedenen Fachpersonen (Loviscach, 1996, S. 15). Friedrichs (2002) sieht darin gar eine Gefahr, dass die naturwissenschaftlichen Disziplinen wie die Biologie oder Medizin als alleinige Leitdisziplinen in der Suchthilfe gesehen werden, ohne andere zu berück-sichtigen (S. 128). Er kritisiert, dass das Wissen über die sozialen Faktoren und den prozess-haften Verlauf einer Suchtmittelabhängigkeit oft nicht berücksichtigt werden. Dabei wäre die-ser Einbezug wichtig, weil der Mensch damit in einem ganzheitlichen Sinn als soziales Wessen erfasst werden kann (Friedrichs, 2002, S. 128).

Aus diesen Gründen lässt sich ein eindeutiger Handlungsbedarf einer klaren Positionierung der Sozialen Arbeit in der Suchthilfe ableiten. Dies soll nicht heissen, dass sich die Soziale Ar-beit von den anderen Disziplinen abgrenzen soll. Im Gegenteil, die Kooperationen mit anderen Disziplinen und Institutionen ist notwendig, da jede Institution spezifische Fachkompetenzen hat, welche zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von sozialen Bezügen beitragen können. Ziel sollte stets eine gleichberechtigte interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augen-höhe sein (Friedrichs, 2002, S. 217).

Lebensweltorientierung

Nebst der ganzheitlichen Betrachtungsweise lässt sich die Lebensweltorientierung als ein wei-teres wichtiges Merkmal der Sozialen Arbeit in der Suchthilfe bestimmen (Hugo Mennemann

& Jörn Dummann, 2016, S. 149). Laut Friedrichs (2002) gehört dazu, den Blick auf die kultu-rellen und sozialen Bedingungen sowie den gesamtgesellschaftlichen Handlungskontext zu

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lenken (S. 215). Die sozialen Verhältnisse, in denen das Problem entstanden ist, müssen im-mer miteinbezogen werden, sonst nützen die ganzen präventiven und therapeutischen An-sätze nur begrenzt (Friedrichs, 2002, S. 215). Tragfähige und alltagswirksame Veränderungen können nur in der Lebenswelt und dem Alltag der Klientinnen und Klienten verwirklicht wer-den. Die Orientierung an der Lebenswelt bedeutet, dass sich die Soziale Arbeit an den tat-sächlichen Lebenswelten der Klientinnen und Klienten und ihren individuellen Bedürfnissen orientiert, um sie verstehen zu können. So kann die Hilfe zur Selbsthilfe gefördert werden.

Das Ziel dabei sollte immer auf eine Verbesserung der Situation in den Bereichen, Wohnen, Ausbildung, Arbeit, Freizeit und andere gerichtet sein (Friedrichs, 2002, S. 172). Zudem ist es eine wichtige Aufgabe der Sozialen Arbeit in der Suchthilfe, die soziale Integration zu fördern, die gesellschaftliche Marginalisierung zu vermindern sowie die Integration in die sozialen, ökonomischen und kulturellen Teilsysteme zu fördern. Dies kann gegen eine Pathologisierung und Kriminalisierung von sozialen Problemen wirken (Friedrichs, 2002, S. 215).

Ressourcenorientierung

Statt den Blick auf die Defizite zu richten, nimmt die Profession der Sozialen Arbeit eine res-sourcenorientierte Haltung ein und fokussiert dabei auf die Stärken und guten Absichten der Klientel. So werden Störungen nicht als solche, sondern als mögliche Lösungsversuche in be-stimmten Kontexten angesehen (Ulrike Preuss-Ruf, 2012, S. 60). Die Ressourcenorientierung geht von der Annahme aus, dass Alltagsprobleme sowie auch Krisen im Leben durch das Ent-wickeln von Handlungsmöglichkeiten mit Hilfe der eigenen Ressourcen bewältigt werden kön-nen. Bedeutend ist ebenfalls, inwieweit es der Beraterin/dem Berater gelingt, die Klientin/den Klienten dabei zu unterstützen und aufbauend sowie selbstwertstärkend zu arbeiten (Jürgen Beushausen, 2016, S. 232).

Empowerment

Ein weiterer Grundsatz, unter welchem die Soziale Arbeit handelt, heisst Hilfe zur Selbsthilfe.

Das Konzept des Empowerments versteht darunter, dass die Klienten und Klientinnen er-mächtigt werden, ihre Ressourcen zu entdecken und zu nutzen, welche sie zur eigenverant-wortlichen Gestaltung ihres Lebens benötigen (Wolf Ritscher, 2007, S. 28). Empowerment be-deutet wörtlich übersetzt Selbstbefähigung/Selbstermächtigung. Es beschreibt den Entwick-lungsprozess, in dem die Klientinnen/Klienten selbst die Kraft erlangen, welche sie benötigen,

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um ein besseres Leben führen zu können (Norbert Herriger, 2014, S. 13). Dabei gilt die An-nahme, dass jede/jeder selbst das Recht hat zu entscheiden, wann und welche Art von Hilfe sie/er benötigt und wann diese nicht mehr gebraucht wird (Ritscher, 2007, S. 28). Dies ent-spricht nach dem Berufskodex der Sozialen Arbeit Schweiz von AvenirSocial (2010) dem Grundsatz der Ermächtigung, welcher voraussetzt, dass die Individuen zur Wahrung ihrer Rechte befähigt werden müssen (S. 9). Doch laut Loviscach (1996) ist dieses Konzept beson-ders in der Suchthilfe mit einer gewissen Skepsis zu sehen, denn hauptsächlich bei einer Ab-hängigkeit von stark berauschenden psychoaktiven Substanzen sollte bei einer Überzeugung des Klientels, dass die Suchtmittelabhängigkeit selbstständig bewältigt werden kann, kritisch hingeschaut werden. Es besteht hierbei trotz der psychosozialen Betrachtungsweise die alte Überzeugung, dass eine Suchtmittelabhängigkeit eine Krankheit ist, welche besonders bei starker Ausprägung professioneller Fremdhilfe bedarf (S. 235).