• Keine Ergebnisse gefunden

Dass ich mit 6 Jahren meine Eltern verloren habe. Sexueller Missbrauch. Seit die Kinder aus dem Haus

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Dass ich mit 6 Jahren meine Eltern verloren habe. Sexueller Missbrauch. Seit die Kinder aus dem Haus"

Copied!
100
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Von meiner Mutter wurde ich geschlagen und gedemütigt, weil sie mich nicht wollte. Geldmangel, Frühe Trennung meiner Eltern. Wunsch nach vorbehaltloser Liebe ohne Wenn und Aber. Schläge vom Stiefvater.

Dass ich mit 6 Jahren meine Eltern verloren habe. Sexueller Missbrauch. Seit die Kinder aus dem Haus sind.

Ich fühle mich als Nichts. War mit einem Tyrannen verheiratet. Verlustängste, Angst um meine Mutter und meine 5 Geschwister. Musste den Vorstellungen der dominanten Eltern folgen. Wut. Ich musste nur auf meine Geschwister aufpassen, sonst durfte ich nichts. Finanzielle Belastung durch Konkurs. Das Zusammen- leben mit den Schwiegereltern unter einem Dach. Niemand wollte mich wirklich haben, somit keine Lebens- berechtigung. Durfte nie meine Meinung äussern oder Gefühle zeigen. Cool, angesagt sein wollen. Suche nach dem Aussergewöhnlichen. Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung. Über die eigenen Stränge schlagen.

Gewalt und Missbrauch über Jahre. Mangel an Selbstbewusstsein. Angst vor Verantwortung für mich und mein Kind. Nur unter Alkohol konnte ich meiner Mutter was sagen. Als Kind taub geworden, Eltern erlaubten keine Gehörlosen-Schule und Kontakt mit Gehörlosen. Alkohol im Elternhaus. Schweigen über sexuellen Missbrauch. Flucht vor der Realität. Tod der Mutter. Jeder hat in mein Leben reingepfuscht. Vom Staat zu viel geprügelt als Alleinerziehende. Durch meinen Mann angefangen, weil er auch Alkoholiker ist. Kann schlecht Gefühle zeigen. Schuldgefühle. Einfach übermässiger Druck von sämtlichen Seiten. Missbrauch, Ver- gewaltigung, Sprachlosigkeit, geringes Selbstwertgefühl. Ich komme mit Ablehnung nicht klar. Rassistische Gewalt aufgrund meiner Hautfarbe. Feigheit, was zu sagen. Angst vor Problemen. Gefallen wollen um jeden Preis. Missbrauch Kindheit. Rollenverordnung in der Familie. Um überhaupt das Haus ohne Angst und Panik verlassen zu können. Steigerung der Selbstsicherheit. Konnte nicht abschalten. Meine Kreativität wurde ver- stärkt. Immer eigene Wünsche zurückgesteckt. Fehlende Elternliebe, es war nur Geld da. Enttäuschung in den Ehen, waren fast alles Alkoholiker. Ich glaube, dass ich mit den ganzen Problemen und Schmerzen, die ich ertragen musste, nicht mehr umgehen konnte. Habe meinen Mann jahrelang zu Hause im Rollstuhl ge- pflegt. Aussichtslosigkeit. Nicht abgrenzen können. Plötzlicher Tod der Eltern. Als ungeliebtes Kind von den Eltern. Permanente Einmischung des Elternhauses. Durch Misshandlungen und Betrügen in der Ehe. Ich habe zu gut funktioniert. Von der Co-Abhängigkeit in die Abhängigkeit. Kein Selbstwertgefühl. Habe immer alles runtergeschluckt. Die Arbeit und Stress. Langeweile, Suche nach Mehr. Liebloses Elternhaus. Meine unver- diente Arbeitslosigkeit. Leistungsdenken meiner Eltern. Durfte nicht krank sein, musste schon als Kind Tab- letten nehmen. Immer perfekt sein. Mein Mann machte Schulden. Starke Angstgefühle. Mangel an Zuwen- dung, Liebe und Aufmerksamkeit in der Kindheit. Gewohnheit. Einsamkeit. Das Gefühl, seitens der Mutter nicht erwünscht zu sein. Überforderung und Stress im Beruf. Zu wenig Zeit für mich persönlich. Angst vor Versagen. Ärger nicht mitteilen, sondern schlucken. Einsamkeit. Erkrankung meines Vaters, die in der ganzen Kindheit zu ständiger Rücksichtnahme zwang. Belügen und Betrügen meines Ehemannes. Schläge, Verge- waltigung. Kann mich nicht wehren. Das Bedürfnis, Kumpel zu sein. Mit dem Ehepartner trinken. Erkrankung des Ehepartners. Vergewaltigung als Kind. Gewalt in der Ehe. Behindertes Kind. Schlafstörungen. Angst vor anderen Menschen. Alkoholerkrankung meines Vaters. Angststimmen. Langeweile, Frustration. Missbrauch.

Mein leistungsorientiertes Elternhaus. Sehr kontrolliertes Elternhaus. Geordnete Abläufe und keine Zuwen- dung der Eltern. Habe immer Verantwortung übernommen und meine Gefühle vergessen. Aus diesen As- pekten hat auch meine Todessehnsucht stark zugenommen und ich habe angefangen, Suchtmittel einzuneh- men. Von meiner Mutter wurde ich geschlagen und gedemütigt, weil sie mich nicht wollte. Geldmangel, Frühe Trennung meiner Eltern. Wunsch nach vorbehaltloser Liebe ohne Wenn und Aber. Schläge vom Stief- vater. Dass ich mit 6 Jahren meine Eltern verloren habe. Sexueller Missbrauch. Seit die Kinder aus dem Haus sind. Ich fühle mich als Nichts. War mit einem Tyrannen verheiratet. Verlustängste, Angst um meine Mutter und meine 5 Geschwister. Musste den Vorstellungen der dominanten Eltern folgen. Wut. Ich musste nur auf meine Geschwister aufpassen, sonst durfte ich nichts. Finanzielle Belastung durch Konkurs. Das Zusammen- leben mit den Schwiegereltern unter einem Dach. Niemand wollte mich wirklich haben, somit keine Lebens- berechtigung. Durfte nie meine Meinung äussern oder Gefühle zeigen. Cool, angesagt sein wollen. Suche nach dem Aussergewöhnlichen. Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung. Über die eigenen Stränge schlagen.

Gewalt und Missbrauch über Jahre. Mangel an Selbstbewusstsein. Angst vor Verantwortung für mich und

Suchtmittelabhängigkeit bei Frauen

Besonderheiten, Merkmale und Handlungsansätze der Sozialen Arbeit

Bachelorarbeit der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit Autorinnen: Karin Ammann & Luana Koster

Luzern, 14. August 2017

(2)

Bachelor-Arbeit

Sozialarbeit & Sozialpädagogik TZ 2013-2017 & VZ 2014-2017

Ammann Karin & Koster Luana

Suchtmittelabhängigkeit bei Frauen

Besonderheiten, Merkmale und Handlungsansätze der Sozialen Arbeit

Diese Bachelor-Arbeit wurde im August 2017 eingereicht zur Erlangung des vom Fachhochschulrat der Hochschule Luzern ausgestellten Diploms für Sozialarbeit bzw. Sozialpädagogik.

Diese Arbeit ist Eigentum der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Sie enthält die persönliche Stellungnahme des Autors/der Autorin bzw. der Autorinnen und Autoren.

Veröffentlichungen – auch auszugsweise – bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung durch die Leitung Bachelor.

Reg. Nr.:

(3)

Originaldokument gespeichert auf LARA – Lucerne Open Access Repository and Archive der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern

Dieses Werk ist unter einem

Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Schweiz Lizenzvertrag lizenziert.

Um die Lizenz anzuschauen, gehen Sie bitte zu https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/ch/

Oder schicken Sie einen Brief an Creative Commons, 171 Second Street, Suite 300, San Francisco, California 95105, USA.

Urheberrechtlicher Hinweis

Dieses Dokument steht unter einer Lizenz der Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Schweiz http://creativecommons.org/

Sie dürfen:

Teilen — das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten Zu den folgenden Bedingungen:

Namensnennung — Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder

angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung besonders.

Nicht kommerziell — Sie dürfen das Material nicht für kommerzielle Zwecke nutzen.

Keine Bearbeitungen — Wenn Sie das Material remixen, verändern oder darauf anderweitig direkt aufbauen dürfen Sie die bearbeitete Fassung des Materials nicht verbreiten.

Im Falle einer Verbreitung müssen Sie anderen die Lizenzbedingungen, unter welche dieses Werk fällt, mitteilen.

Jede der vorgenannten Bedingungen kann aufgehoben werden, sofern Sie die Einwilligung des Rechteinhabers dazu erhalten.

Diese Lizenz lässt die Urheberpersönlichkeitsrechte nach Schweizer Recht unberührt.

Eine ausführliche Fassung des Lizenzvertrags befindet sich unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc- nd/3.0/ch/legalcode.de

(4)

Vorwort der Schulleitung

Die Bachelor-Arbeit ist Bestandteil und Abschluss der beruflichen Ausbildung an der Hoc h- schule Luzern, Soziale Arbeit. Mit dieser Arbeit zeigen die Studierenden, dass sie fähig sind, einer berufsrelevanten Fragestellung systematisch nachzugehen, Antworten zu dieser Frageste l- lung zu erarbeiten und die eigenen Einsichten klar darzulegen. Das während der Ausbildung erworbene Wissen setzen sie so in Konsequenzen und Schlussfolgerungen für die eigene beru f- liche Praxis um.

Die Bachelor-Arbeit wird in Einzel- oder Gruppenarbeit parallel zum Unterricht im Zeitraum von zehn Monaten geschrieben. Gruppendynamische Aspekte, Eigenverantwortung, Auseina n- dersetzung mit formalen und konkret-subjektiven Ansprüchen und Standpunkten sowie die Be- hauptung in stark belasteten Situationen gehören also zum Kontext der Arbeit.

Von einer gefestigten Berufsidentität aus sind die neuen Fachleute fähig, soziale Probleme als ihren Gegenstand zu beurteilen und zu bewerten. Sozialarbeiterisches und sozialpädagogisches Denken und Handeln ist vernetztes, ganzheitliches Denken und präzises, konkretes Handeln. Es ist daher nahe liegend, dass die Diplomandinnen und Diplomanden ihre Themen von verschie- denen Seiten beleuchten und betrachten, den eigenen Standpunkt klären und Stellung beziehen sowie auf der Handlungsebene Lösungsvorschläge oder Postulate formulieren.

Ihre Bachelor-Arbeit ist somit ein wichtiger Fachbeitrag an die breite thematische Entwicklung der professionellen Sozialen Arbeit im Spannungsfeld von Praxis und Wissenschaft. In diesem Sinne wünschen wir, dass die zukünftigen Sozialarbeiter/innen und Sozialpädagogin-

nen/Sozialpädagogen mit ihrem Beitrag auf fachliches Echo stossen und ihre Anregungen und Impulse von den Fachleuten aufgenommen werden.

Luzern, im August 2017

Hochschule Luzern, Soziale Arbeit Leitung Bachelor

(5)

Ammann Karin & Koster Luana I

Abstract

Suchtmittelabhängigkeit bei Frauen – Besonderheiten, Merkmale und Handlungsansätze der Sozialen Arbeit

Lange wurde davon ausgegangen, dass die Suchtmittelabhängigkeit eine Krankheit ist, welche nur Männer betrifft. Der Bedeutung des Geschlechts (Gender) in Zusammenhang mit einer Suchtmittelabhängigkeit wurde keine Beachtung geschenkt, bis die feministi- sche Bewegung das Thema Frau und Sucht ab den 1980er-Jahren an die Öffentlichkeit brachte, wo insbesondere auch dem Thema Gewalterfahrung und dessen Einfluss auf eine Suchtmittelabhängigkeit Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Heute ist bekannt, dass ca. 30% der Suchtmittelabhängigen Frauen sind und dass sie sich unter anderem in ihren Suchtursachen, Konsummotiven und dem Alltag während der Suchtphase von männli- chen Suchtmittelabhängigen unterscheiden. Daraus ergibt sich klar eine Notwendigkeit frauenspezifischer beziehungsweise gendergerechter Angebote in der Suchthilfe.

Die frauenspezifische Suchtarbeit, die davon ausgeht, dass für Männer und Frauen un- terschiedliche gesellschaftliche Normen gelten und diese somit einen Einfluss auf das Handeln, Denken, die Bedürfnisse, die Beziehungen und den Zugang zu unterschiedlichen Ressourcen haben, beachtet diese Geschlechtsunterschiede.

Diese Bachelorarbeit, der Autorinnen Karin Ammann und Luana Koster, zeigt auf, wie die Profession der Sozialen Arbeit im Praxisfeld der Suchthilfe frauenspezifische Beratung umsetzen kann, unter Einbezug der Lebenswelt- und Ressourcenorientierung und des Konzepts des Empowerments. Weiter werden Handlungsempfehlungen für die Institu- tionen und die Mitarbeitenden vorgestellt. Diese Literaturarbeit belegt klar die Wichtig- keit der Beachtung des Geschlechts bei der Beratung von suchtmittelabhängigen Frauen und leistet somit einen Beitrag zur Sensibilisierung der Fachpersonen der Sozialen Arbeit, welche mit suchtmittelabhängigen Menschen arbeiten.

(6)

Ammann Karin & Koster Luana II

Inhaltsverzeichnis

Abstract ... I Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ... IV Danksagung ... V

1. EINLEITUNG ... 1

1.1 Ausgangslage ... 1

1.2 Berufsrelevanz und Motivation ... 2

1.3 Ziel der Arbeit ... 3

1.4 Fragestellung ... 3

1.5 Abgrenzung ... 3

1.6 Aufbau der Arbeit ... 4

2. THEORETISCHE ANSÄTZE ZU SUCHTMITTELABHÄNIGKGEIT UND GENDER ... 6

2.1 Zentrale Begriffe ... 6

2.1.1 Sex und Gender ... 6

2.1.2 Suchtmittelabhängigkeit ... 8

2.1.3 Drogen und psychotrope Substanzen ... 10

2.2 Theorie zur Suchtentwicklung... 12

2.3 Relevanz des weiblichen Geschlechts in Bezug auf eine Suchtmittelabhängigkeit 13 2.4 Wesentliche Erkenntnisse aus dem Kapitel ... 14

3. DAS WEIBLICHE GESCHLECHT UND SUCHTMITTELABHÄNGIGKEIT ... 15

3.1 Mögliche Einflussfaktoren ... 15

3.1.1 Risikofaktoren ... 15

3.1.2 Sozialisation ... 18

3.1.3 Entwicklungsaufgabe Identitätsfindung ... 21

3.1.4 Trauma ... 23

3.2 Merkmale einer Suchtmittelabhängigkeit bei Frauen ... 27

3.2.1 Konsummotive ... 27

3.2.2 Funktion und Wahl des Suchtmittels ... 28

3.2.3 Konsummuster und typische Verhaltensweisen ... 30

3.2.4 Soziale Merkmale suchtmittelabhängiger Frauen ... 31

3.3 Wesentliche Erkenntnisse aus dem Kapitel ... 36

4. FRAUENSPEZIFISCHE SUCHTARBEIT... 39

4.1 Entstehungsgeschichte und Verlauf ... 39

(7)

Ammann Karin & Koster Luana III

4.2 Entwicklung der frauenspezifischen Suchtarbeit in der Schweiz ... 43

4.3 Haltung, Werte und Ziele der frauenspezifischen Suchtarbeit ... 45

4.4 Wesentliche Erkenntnisse aus dem Kapitel ... 47

5. SOZIALE ARBEIT IM PRAXISFELD DER SUCHTHILFE ... 49

5.1 Ansätze und Zugänge ... 49

5.2 Die Aufgaben der Sozialen Arbeit in der ambulanten Suchtberatung ... 52

5.3 Wesentliche Erkenntnisse aus dem Kapitel ... 55

6. UMSETZUNG DER FRAUENSPEZIFISCHEN SUCHTARBEIT IN DER AMBULANTEN SUCHT- BERATUNG ... 57

6.1 Erfolgsfaktoren frauenspezifischer Suchtberatung ... 57

6.2 Umsetzung auf Ebene der Institution ... 58

6.3 Umsetzung auf Ebene der Fachpersonen ... 61

6.4 Umsetzung auf Ebene der direkten Beratung ... 63

6.4.1 Fallbeispiel ... 64

6.4.2 Konkrete Umsetzung ... 67

6.5 Wesentliche Erkenntnisse aus dem Kapitel ... 72

7. SCHLUSSFOLGERUNGEN ... 74

7.1 Beantwortung der Fragestellung ... 74

7.2 Praxisbezug ... 76

7.3 Ausblick ... 78

8. QUELLENVERZEICHNIS ... 79

Die gesamte Bachelorarbeit wurde von den Autorinnen gemeinsam verfasst.

(8)

Ammann Karin & Koster Luana IV

Abbildungs- und Tabellenverzeichnisverzeichnis

Abbildung 1: Typische Symptome einer Abhängigkeit gemäss ICD-10 ... 9

Abbildung 2: Übersicht über Drogen und Drogengruppen... 10

Abbildung 3: Übersicht über Genussmittel... 10

Abbildung 4: Übersicht über Arzneien ... 11

Abbildung 5: Sucht-Trias ... 12

Abbildung 6: Geschlechtsübergreifende Risikofaktoren ... 16

Abbildung 7: Weibliche Risikofaktoren ... 17

Abbildung 8: Konsummotive bei Frauen ... 27

Abbildung 9: Koordinaten der psychosozialen Diagnostik ... 54

Abbildung 10: Reflexion der eigenen Geschlechtsidentität. ... 62

Abbildung 11: Koordinaten psychosozialer Diagnostik Frau A. ... 66

Tabelle 1: Abhängigkeitsformen und Geschlechterverteilung ... 29

(9)

Ammann Karin & Koster Luana V

Danksagung

Zu Beginn möchten wir uns bei allen bedanken, welche uns während dem Verfassen die- ser Arbeit unterstützt haben. Ein besonderer Dank möchten wir dabei Elke Brusa, Cathrin Hüsser und Mario Störkle aussprechen. Sie haben sich die Zeit für Coaching- und Fach- poolgespräche genommen, ihr Fachwissen geteilt, unser Vorhaben kritisch beurteilt und uns dadurch hilfreich unterstützt. Ein weiteres ausdrückliches Dankeschön geht an Chris- tine Hinnen, welche unsere Arbeit aufmerksam lektoriert hat.

(10)

Ammann Karin & Koster Luana 1

1 Einleitung

In diesem Kapitel wird die Leserschaft durch die Erläuterung der Ausgangslage an die Thema- tik der Suchtmittelabhängigkeit bei Frauen und die Relevanz für die Soziale Arbeit herange- führt. Dabei wird zudem auf die Motivation für diese Bachelor-Arbeit und die zu beantwor- tende Fragestellung eingegangen. Anschliessend werden das Ziel und der Aufbau der Arbeit erläutert.

1.1 Ausgangslage

Das Thema Frau und Sucht findet in der Praxis und der Wissenschaft seit fast 30 Jahren Be- achtung (Doris Heinzen-Voss & Karola Ludwig, 2016, S. 11). Dadurch konnte der Fehlschluss, dass Sucht eine Männerkrankheit sei und dass Frauen schlechter auf Suchtbehandlungen an- sprechen, widerlegt werden. Es ist heutzutage bekannt, dass 30% aller suchtmittelabhängigen Personen Frauen sind und dass sie genauso gut, wenn nicht sogar besser als Männer auf die Behandlungen ansprechen. Vorausgesetzt ist jedoch, dass ihre Probleme und spezifischen Be- dürfnisse beachtet werden (Stephanie S. Covington, 2008, S. 21).

Christiane Bernard (2013) schreibt, dass die Suchtforschung der letzten Jahre bewiesen hat, dass es klare Geschlechtsunterschiede im Umgang mit psychoaktiven Substanzen gibt. Diese Unterschiede zeigen sich in der Ursache und den Motiven des Substanzkonsums, den Ein- stiegswegen, in den Konsummustern, dem Verlauf der Suchtkarriere, den Alltags- und Lebens- bedingungen, den Ausstiegswegen sowie den psychosozialen und gesundheitlichen Risiken und den Folgen des Substanzkonsums (S. 15). Somit kann der Suchtmittelkonsum als ge- schlechtsspezifisches Phänomen bezeichnet werden (Christiane Bernard, 2016, S. 15). Laut Heinzen-Voss und Ludwig (2016) ist dabei zentral, diese Unterschiede genauer zu betrachten und die verdeckten geschlechtsbezogenen Aspekte sichtbar zu machen (S. 10).

Laut Bundesamt für Gesundheit, im Folgenden BAG genannt, werden in der Schweiz seit 1990 frauengerechte Strukturen im Suchtbereich gefordert. In den folgenden Jahren wurde diese Thematik kontinuierlich bearbeitet. Beispielsweise publizierte das BAG im März 1995 die Stu- die Frauen-Sucht-Perspektiven, welche die wissenschaftliche Grundlage zum Thema Frauen und Sucht bereitstellte (S. 4). Im Jahr 2000 wurde ein Qualitätsentwicklungsinstrument für die

(11)

Ammann Karin & Koster Luana 2

Praxis herausgegeben. Die Institutionen im Suchtbereich wurden aufgefordert, ihre Ziele und Dienstleistungen konsequent auch auf Frauen auszurichten (Bundesamt für Gesundheit, 2005, S. 4).

1.2 Berufsrelevanz und Motivation

Die Profession der Sozialen Arbeit trifft in vielen Situationen auf das Praxisfeld der Suchthilfe.

Das Klientel der Suchthilfe ist oftmals gleichzeitig Klientel der Sozialen Arbeit und umgekehrt.

Neben vielen anderen Akteuren und Professionen tritt die Soziale Arbeit in der Suchthilfe meistens interdisziplinär auf. Auch die Autorinnen haben während und bereits vor ihren Aus- bildungen praktische Erfahrungen in diesem Praxisfeld gesammelt. So wurden sie praktisch, wie auch im Rahmen des Studiums theoretisch, mit der Rolle der Sozialen Arbeit als wichtiger Akteur in der Suchthilfe konfrontiert.

Auf die Thematik der frauenspezifischen Suchtarbeit sind sie durch ihre Field-Practice- Einsätze in Berlin gestossen. Beide absolvierten ein Praktikum in einer frauenspezifischen Ein- richtung des Vereins FrauSuchtZukunft e.V. Dieser war der erste frauenspezifische Suchthil- feträger bundesweit mit frauenspezifischem Ansatz, welcher 1982 in Berlin gegründet wor- den war. Als erstes und zugleich Vorzeigeprojekt wurde 1983 die therapeutische Wohnge- meinschaft Violetta Clean für suchtmittelabhängige Frauen gegründet (FrauSuchtZukunft, ohne Datum, S. 3).

Zurück in der Schweiz, informierten sich die beiden Autorinnen darüber, wie die frauenspezi- fische Suchtlandschaft hierzulande aufgestellt ist und bemerkten, wie rar die Angebote in die- sem Bereich in der Schweiz sind und wie gering die Beachtung dieser Thematik im Vergleich zu Berlin ist. Im Hinblick auf den Abschluss ihrer Ausbildung und zur Professionalisierung der Sozialen Arbeit möchten die Autorinnen dieser Thematik nachgehen und die Wichtigkeit der Bedeutung des Geschlechts bezogen auf eine Suchtmittelabhängigkeit aufzeigen. Durch die vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik erhoffen sie sich neue und wertvolle Erkennt- nisse für den späteren Berufsalltag.

(12)

Ammann Karin & Koster Luana 3

1.3 Ziel der Arbeit

Durch diese Arbeit möchten die Autorinnen Fachleute für die Wichtigkeit und Bedeutung des Geschlechts in Bezug auf eine Suchtmittelabhängigkeit sensibilisieren. Durch die Verwoben- heit der unterschiedlichsten Disziplinen im Berufsfeld der Suchthilfe und die unterschiedli- chen Meinungen und Ansichten dazu rückt die Bedeutung des Geschlechts oftmals in den Hintergrund, oder es fehlt regelrecht das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Beachtung des Geschlechts, welches hinter einer Suchtmittelabhängigkeit steht. Nebst der Hervorhebung dieser Relevanz der Beachtung des Geschlechts und der geschlechtsspezifischen Unter- schiede sollen wichtige Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Gestaltung der frauenspezifischen Suchtberatung aufgezeigt werden.

1.4 Fragestellung

Mit dem Ziel, die Merkmale einer Suchtmittelabhängigkeit bei Frauen vorzustellen, Fachleute der Sozialen Arbeit für die Geschlechterunterschiede zu sensibilisieren und mögliche Hand- lungsempfehlungen aufzuzeigen, haben sich die Autorinnen für folgende Fragestellung ent- schieden:

1.5 Abgrenzung

In der vorliegenden Arbeit versuchen die Autorinnen die typischen Merkmale der Suchtmit- telabhängigkeit bei Frauen aufzuzeigen und dabei teilweise exemplarisch auf die männlichen Merkmale einzugehen, um geschlechtsspezifische Unterschiede deutlich zu machen. Der Fo- kus dabei liegt jedoch stets bei den weiblichen Merkmalen und Besonderheiten. Dabei wer- den zur Veranschaulichung beispielhafte Unterschiede und wissenschaftliche Erkenntnisse benannt, welche jedoch nicht als allgemeingültig oder abschliessend angesehen werden können. Sie dienen lediglich dazu, Tendenzen aufzuzeigen. Es ist wichtig, zu wissen, dass die

Leitfrage:

Wodurch zeichnet sich eine Suchtmittelabhängigkeit bei Frauen aus, und welche Handlungsempfehlungen ergeben sich daraus für die Profession der Sozialen Arbeit?

(13)

Ammann Karin & Koster Luana 4

Ursachen, Verläufe und Muster einer Suchtmittelabhängigkeit höchst individuell sind und keine Verallgemeinerung gemacht werden können.

Eine Abhängigkeitserkrankung kann sich auf unterschiedlich Weise ausdrücken. Die Autorin- nen beschränken sich zur Bearbeitung der Fragestellungen lediglich auf die substanzgebun- denen Abhängigkeitsformen. Verallgemeinernd für eine Abhängigkeit von Medikamenten, Al- kohol und illegalen Drogen wird in dieser Arbeit das Wort Suchtmittelabhängigkeit verwendet.

Wie bereits erwähnt ist das Arbeitsfeld der Suchthilfe disziplinenübergreifend und besteht aus vielen verschiedenen Akteuren und ebenso vielen verschiedenen Angeboten. Da in dieser Arbeit der Fokus auf dem Anteil der Sozialen Arbeit in der Suchthilfe liegt, wird konkret auf das Setting der ambulanten Suchtberatung eingegangen, in welchem diese Profession auch vorzufinden ist.

1.6 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit besteht aus fünf Hauptkapiteln. Am Ende jedes Kapitels werden jeweils die wesentlichsten Erkenntnisse zusammengefasst, welche zur Beantwortung der Fragestel- lungen relevant sind.

Im 2. Kapitel wird die Leserschaft an die wichtigsten theoretischen Ansätze zu den Themen Suchtmittelabhängigkeit und Gender und die Relevanz des weiblichen Geschlechts in Bezug auf eine Suchtmittelabhängigkeit herangeführt. Dabei werden die zentralen Begriffe Sex und Gender, Suchtmittelabhängigkeit und psychotrope Substanzen definiert.

Das 3. Kapitel zeigt auf, wie sich eine Suchtmittelabhängigkeit bei Frauen verhält und wie sie entstehen kann. Dazu werden unter anderem typische Verhaltensweisen und die sozialen Merkmale suchtmittelabhängiger Frauen thematisiert.

Im 4. Kapitel folgt die Vorstellung der frauenspezifischen Suchtarbeit. Die Entstehungsge- schichte und die Entwicklung dieses Ansatzes in der Schweiz sowie die Haltung, Werte und Ziele, die diesem Ansatz zugrunde liegen, werden erläutert. Im 5. Kapitel wird erörtert, wie die Soziale Arbeit im Praxisfeld der Suchthilfe arbeitet, welche Ansätze und Zugänge sie dabei verwendet und welche Aufgaben sie wahrnimmt. Dazu werden konkrete Methoden und Kon- zepte der Sozialen Arbeit vorgestellt und auf das Arbeitsfeld der Suchthilfe bezogen. Das 6.

(14)

Ammann Karin & Koster Luana 5

Kapitel widmet sich anschliessend der konkreten Umsetzung der frauenspezifischen Suchtar- beit im Setting der ambulanten Suchtberatung. Zur Veranschaulichung von konkreten Umset- zungsmöglichkeiten wird auf den Ebenen der Institution, der Fachperson und in der direkten Beratung aufgezeigt, wie Professionelle der Sozialen Arbeit die frauenspezifische Suchtbera- tung anwenden können. Dazu wird bei den Umsetzungsmöglichkeiten in der direkten Bera- tung ein Fallbeispiel vorgestellt, welches praxisnah aufzeigen soll, wie gehandelt werden kann.

Im 7. und letzten Kapitel werden die wesentlichen Aspekte zur Beantwortung der Fragestel- lung zusammengefasst, Schlussfolgerungen gezogen und mögliche Entwicklungsrichtungen in Ausblick genommen.

(15)

Ammann Karin & Koster Luana 6

2 Theoretische Ansätze zu Suchtmittelabhängigkeit und Gender

In diesem Kapitel werden als erstes die Begrifflichkeiten rund um die Themen Suchtmittelab- hängigkeit und Gender erläutert, und anschliessend wird eine Theorie zur Erklärung der Ent- stehung einer Suchtmittelabhängigkeit vorgestellt. Abschliessend wird festgehalten, welche Relevanz das weibliche Geschlecht bezogen auf eine Suchtmittelabhängigkeit hat.

2.1 Zentrale Begriffe

Die folgenden Begriffe werden in der Bachelor-Arbeit immer wieder verwendet. In der Praxis und Fachliteratur werden diese Begriffe oftmals unklar oder als Sammelbegriffe benutzt. Aus diesem Grund werden an dieser Stelle die Begriffe Gender und Suchtmittelabhängigkeit genau definiert.

2.1.1 Sex und Gender

Im alltäglichen deutschen Sprachgebrauch unterscheidet unsere Gesellschaft ein Geschlecht aufgrund der körperlichen und biologischen Grundlagen. Da diese rein biologische Unter- scheidung ohne Beachtung des sozial geprägten Geschlechts ungenügend ist, bietet das Sex- Gender-Modell eine Möglichkeit, das bestehende Modell der Geschlechter zu überwinden (Christel Zenker, 2009, S. 11). Dieses Modell unterscheidet zwischen den Begriffen Sex und Gender. Dabei wird laut Zenker (2009) zwischen den gesellschaftlich und kulturell verankerten Rollen von Frauen und Männern (Gender) und dem bestimmten biologischen Geschlecht (Sex) unterschieden (S. 11). Diese Unterscheidung zeigt auf, dass jeder Mensch ein biologi- sches Geschlecht wie auch ein sozial geprägtes Geschlecht hat. Diese Unterscheidung, welche zur Zeit der feministischen Theoriebildung in den 1970er-Jahren aufkam, hatte damals und hat bis heute eine grosse Bedeutung (Zenker, 2009, S. 11).

In der heutigen Zeit behandelt der wissenschaftliche Diskurs über die Rolle des Geschlechts hauptsächlich die Konstruktion der Geschlechter. Dabei wird davon ausgegangen, dass das soziale Geschlecht nicht angeboren ist, sondern erlernt und ausgeführt wird (Zenker, 2009, S.

9). Der Begriff doing gender fasst diesen aktiven Anteil an der Bildung eines sozialen Ge- schlechts zusammen. In der alltäglichen Interaktion und Kommunikation konstruiert, bestä- tigt, verfestigt oder verändert sich die Bedeutung des Geschlechts (Hildegard Mogge-Grot- jahn, 2004, S. 9). Somit ist nach Margareta Steinbrücke (2005) die Geschlechtertrennung ein

(16)

Ammann Karin & Koster Luana 7

«Resultat der permanenten gesellschaftlichen Konstruktionsarbeit, an welcher beide Ge- schlechter beteiligt sind» (S. 158).

Das weibliche Geschlecht

Beschäftigt man sich laut Gabriele Winkler und Nina Degele (2009) mit dem Begriff des weib- lichen Geschlechts, scheinen Themen der Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse al- lein aufgrund des Geschlechts veraltet (S. 10). Die Diskussionen der Gender- und Queer-Stu- dies zeigen dies, indem sie sich immer mehr von eindimensionalen Modellen zur Erklärung dieser Ungleichverhältnisse distanzieren. In der formalen Welt sind Frauen gleichberechtigt und werden oft in männliche Begriffe und Ausdrucksweisen impliziert. Trotzdem bestehen weiterhin unzählige Geschlechterstereotypen, welche immer noch starke diskriminierende Folgen haben (Winkler & Degele, 2009, S. 10). Um sich dieser bewusst zu werden, ist es hilf- reich, die verschiedenen ungleichheitsgenerierenden Dimensionen, wie Rasse, Klasse, Ge- schlecht und weitere, genauer zu betrachten. Eine Möglichkeit dazu bietet das Konzept der Intersektionalität. Es beleuchtet die Bedeutung der Wechselwirkung zwischen den verschie- denen Dimensionen und weist darauf hin, dass diese ineinander verflochten sind und sich gegenseitig beeinflussen (Winkler & Degele, 2009, S. 10). Da eine differenzierte Auseinander- setzung mit dem Konzept der Intersektionalität den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, wird in der Folge nur kurz auf die Entstehungsgeschichte und Hauptaussage dieser Möglich- keit der Mehrebenenanalyse eingegangen.

Winkler und Degele (2009) beschreiben, dass die Intersektionalitätsdebatte ihren Ursprung in den 1970er-Jahren hat und auf den Erfahrungen schwarzer Feministinnen in den USA basiert (S. 11). Diese konnten sich mit dem feministischen Gedankengut westlicher weisser Mittel- schichtfrauen nicht identifizieren. Obwohl beide Gruppierungen den Fokus auf die Unterdrü- ckung des weiblichen Geschlechts legten, wurde die weitere Dimension der rassistischen Aus- grenzung der schwarzen Frauen viel zu kurz aufgegriffen. Diese Erkenntnis über die Verflech- tung unterschiedlichster sozialer Kategorien und die verschiedenen Formen der Ungleichheit führten in den USA bereits in den 1970er-Jahren zur Forderung nach einer differenzierteren Betrachtung der Kategorien Rasse, Klasse und Geschlecht (Winkler & Degele, 2009, S. 11-12).

Die Autorinnen halten fest, dass wenn das weibliche Geschlecht unter diesem Aspekt betrach- tet wird, offensichtlich ist, dass Frau nicht gleich Frau ist und sich die Gesamtheit aller Frauen

(17)

Ammann Karin & Koster Luana 8

alles andere als aus einer homogenen Masse zusammensetzen lässt. Frauen rein anhand der Kategorie des Geschlechts als eine geschlossene Gruppe zu definieren wäre sehr undifferen- ziert. Den Autorinnen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es in der Biografie jeder Frau individuelle Faktoren und Dimensionen gibt, welche einen Einfluss auf ihr Leben und somit auf die Entwicklung einer Suchtmittelabhängigkeit haben. Seien dies Faktoren wie die soziale Schicht, Bildung, Alter, Religion, sexuelle Orientierung oder die körperliche Gesundheit, um nur einige zu nennen (Nina Degele & Gabriele Winkler, 2007, S. 12). Ausgehend von diesen Gedanken sind auch die folgenden Ausführungen dieser Arbeit zu verstehen.

2.1.2 Suchtmittelabhängigkeit

Im Folgenden werden die Begriffe Sucht, Abhängigkeit und psychotrope Substanzen erklärt.

Die neurobiologische Wirkung von psychotropen Substanzen wird kurz angeschnitten. Es kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft auf deren komplexes Geschehen im Ge- hirn eingegangen werden.

Zum Suchtbegriff bestehen verschiedenste Definitionen. Häufig kommt es zu einer Begriffs- verwirrung zwischen Sucht und Abhängigkeit (Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin, 2009, S. 22). Um dies aufzuzeigen, folgen nun einige Beispiele von Definitionen. Die Schwei- zerische Gesellschaft für Suchtmedizin (2009) bezeichnet Sucht als einen Prozess, bei dem ein Verhaltensmuster, das anfänglich ein Wohlbefinden erzeugt oder ein Unbehagen gelindert hat, unkontrolliert weitergeführt wird, trotz des Wissens um negative, schädliche Folgen (S.

29). Im Vordergrund steht nicht mehr die angenehme Wirkung der Substanz, sondern das Vermeiden von Entzugserscheinungen, welche auftreten, wenn die Substanz nicht konsu- miert wird. Charakteristisch für eine Sucht ist dieses starke Verlangen, eine Substanz zu kon- sumieren, obwohl die Person weiss, dass der Konsum schädliche Folgen hat (ebd., S. 22). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt Sucht als «Zustand periodischer oder chroni- scher Intoxikation» (WHO, 1952; zit. in Jürgen Friedrichs, 2002, S. 22), der dadurch ausgelöst wird, dass eine natürliche oder eine synthetische Droge immer wieder eingenommen wird (ebd.).

Die Psychiater Horst Dilling und Volker Dittmann definieren Sucht als eine übermässige Bin- dung an psychotrope Substanzen. Die übermässige Bindung ist aber keine persönliche Eigenschaft, sondern sie ist ein Symptom eines belastenden Verhältnisses. Man könnte sie als

(18)

Ammann Karin & Koster Luana 9

Beziehungsstörung zu sich selbst, zu seinem Körper, zur sozialen und materiellen Welt be- zeichnen. Unter Störung wird verstanden, dass die Autonomie und Handlungsfähigkeit verlo- ren geht (Dilling & Dittmann, 1990; zit. in Michael Krausz & Christian Haasen, 2004, S. 8).

Wie durch die vorgängigen Definitionen ersichtlich wird, kann der Suchtbegriff mehrdeutig ausgelegt werden. Daher ersetzte die WHO 1964 den Begriff Sucht durch Abhängigkeit (Fried- richs, 2002, S. 23). In der Umgangssprache werden die Begriffe Sucht und Abhängigkeit jedoch synonym verwendet (Werner Stangl, 2017a).

Eine Abhängigkeit beschreibt den Zustand einer Person, die nicht mehr auf eine psychotrope Substanz verzichten kann (Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin, 2009, S. 29). Die Ab- hängigkeit ist aus medizinischer Sicht eine Krankheit. In der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) der WHO wird sie als psychische und Verhaltensstörung durch psycho- trope Substanzen beschrieben (Bundesamt für Gesundheit, 2017). Der ICD-10 und ein weite- res Diagnostiksystem, das Diagnostic Statistical Manual der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (DSM-IV), werden international verwendet (Ambros A. Uchtenhagen, 2011, S. 1).

Ausgehend von den typischen Symptomen einer Abhängigkeit nach ICD-10 (siehe Abb. 1) be- steht eine Abhängigkeit, wenn mindestens drei dieser Symptome in den letzten 12 Monaten aufgetreten sind (Ralf Schneider, 2015, S. 189).

Abbildung 1: Typische Symptome einer Abhängigkeit gemäss ICD-10 (eigene Darstellung nach Alter und Sucht, ohne Datum)

(19)

Ammann Karin & Koster Luana 10

2.1.3 Drogen und psychotrope Substanzen

Als Droge wird jede Substanz bezeichnet, die einen Einfluss auf das zentrale Nervensystem, auf die Emotionen, die Wahrnehmung, die Gefühle und die Motorik hat und somit das Be- wusstsein verändert (Sucht Schweiz, ohne Datum). Diese Substanzen werden als psychotrope Substanzen bezeichnet. Sie werden definiert als chemische Substanzen, welche über das zent- rale Nervensystem eine Wirkung auf das Verhalten und das Erleben des Menschen haben (Werner Stangl, 2017b). Ob eine psychotrope Substanz gesundheitsförderlich oder schädlich ist, hängt normalerweise davon ab, in welcher Dosis sie eingenommen wird (Irmgard Vogt, 2004, S. 118). In der Alltagssprache sind mit dem Begriff Drogen vor allem die illegalen Drogen gemeint, und zwar diejenigen, welche dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen (Friedrichs, 2002, S. 21).

Die folgenden Abbildungen liefern eine Übersicht über die psychotropen Substanzen.

Abbildung 2: Übersicht über Drogen und Drogengruppen (leicht modifiziert nach Friedrichs, 2002, S. 29)

Abbildung 3: Übersicht über Genussmittel (leicht modifiziert nach Friedrichs, 2002, S. 29)

(20)

Ammann Karin & Koster Luana 11

Medikamente

Verschiedenste psychotrope Substanzen werden zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt (siehe Abb. 4) und dienen somit nicht als Genussmittel, sondern sollen beispielsweise Schmer- zen lindern oder beruhigen (Vogt, 2004, S. 119). Wenn bestimmte Medikamente, wie Schlaf- oder Beruhigungsmittel, über eine längere Dauer eingenommen werden, kann sich eine Ab- hängigkeit entwickeln. Die Medikamente werden so eingenommen wie vom Arzt verordnet, es besteht kein grosses Verlangen danach, aber es entwickelt sich eine körperliche Abhängig- keit. Natürlich kann ein Medikamentenkonsum auch entgleisen, die Dosis wird gesteigert, das Verlangen danach ist hoch, und die Medikamente werden für einen anderen Zweck eingesetzt als ursprünglich gedacht. Es treten die üblichen Symptome einer Abhängigkeit auf (Vogt, 2004, S. 121), wie sie vorgängig beschrieben wurden.

Abbildung 4: Übersicht über Arzneien (leicht modifiziert nach Friedrichs, 2002, S. 29)

Substanzkonsum

Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin (2009) hat jede der zuvor abgebilde- ten Substanzen ihre eigene Wirkung. Diese kann entweder anregend, halluzinogen oder dämpfend sein. Unterschiedlich sind auch das Abhängigkeitspotenzial, die Entzugssymptome, die Toleranzentwicklung und die kurz- und langfristigen Folgen des Konsums. Alle Suchtmittel haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Sie bewirken eine erhöhte Dopaminausschüttung im Be- lohnungssystem im Gehirn. Normalerweise erfolgt dann eine Dopaminausschüttung im Be- lohnungssystem, wenn ein Verhalten positive und überraschende Konsequenzen hat. Die er- höhte Dopaminausschüttung bewirkt im Gehirn ein Lernsignal, welches einen wiederholten Konsum fördert. So führt jeder Substanzkonsum zwangsweise zu einer Erhöhung der Dopa- minfreisetzung, welche das innere Gleichgewicht stört. Das Gehirn versucht daraufhin wieder ein Gleichgewicht zu finden, um trotz der Störung durch die psychoaktive Substanz wieder normal funktionieren zu können (S. 16).

(21)

Ammann Karin & Koster Luana 12

2.2 Theorie zur Suchtentwicklung

Die Entwicklungsgeschichte der Erklärungen zur Entstehung von Suchmittelabhängigkeiten ist geprägt von den verschiedensten Theorien. Von Zeiten der klaren Abstinenzforderung bis hin zu einer akzeptierenden Grundhaltung war es ein langer Weg (Toni Berthel, Francoise Vogel

& Charlotte Kläusler, 2015, S.13). Noch immer bestehen in der Fachliteratur diverse Theorien und Modelle, um zu erklären, wie eine Suchtmittelabhängigkeit entsteht und wie sie aufrecht- erhalten wird (Dilek Türk & Gerhard Bühringer, 1999, S. 583). Eines davon ist das Modell der Sucht-Trias (siehe Abb. 5). Es widerspiegelt den biopsychosozialen Ansatz, bei dem bio- logische, psychologische und soziale Faktoren die Entstehung einer Suchtmittelabhängigkeit beeinflussen (Sucht Schweiz, 2013, S. 3). Das Modell der Sucht-Trias zeigt auf, dass die mögli- chen Ursachen einer Suchtmittelabhängigkeit im Dreieck von Person, Droge und Umwelt zu finden sind (Sucht Schweiz, 2013, S. 4). Diesen drei Dimensionen lassen sich verschiedene Faktoren zuordnen (Vogt, 2004, S. 53). Sie basieren auf Theorien unterschiedlicher Wissen- schaftsdisziplinen wie beispielsweise der Psychologie, der Soziologie, der Neurologie und der Genetik (Sucht Schweiz, 2013, S. 4) und stehen in Wechselwirkung zueinander (Heinz Vollmer, 1995, S. 39). Das Modell zeigt auf, dass nicht nur ein Faktor bestimmend ist, um zu einer Suchtmittelabhängigkeit zu führen, sondern dass verschiedene Faktoren gleichermassen wir- ken und somit die Entstehung einer Suchtmittelabhängigkeit multifaktoriell bedingt ist.

Ausserdem veranschaulicht es, dass es diverse individuelle Suchtentwicklungen und -verläufe gibt (Vollmer, 1995, S. 39).

Abbildung 5: Sucht-Trias (Cornelia Blum & Stephen Sting, 2003, S. 35)

(22)

Ammann Karin & Koster Luana 13

2.3 Relevanz des weiblichen Geschlechts in Bezug auf eine Suchtmittelabhän- gigkeit

Laut Zenker (2009) lag der Fokus in der Medizin bei der Entstehung und dem Verlauf einer Erkrankung bisher oftmals nur auf dem biologischen Geschlecht (S. 11-12). Dies zeigt sich auch deutlich in der Suchtmedizin, in welcher die Rolle des sozialen Geschlechts oftmals zu kurz kommt. Befasst man sich mit der Entstehung von Krankheiten, dem Körperbewusstsein und dem Gesundheitsverhalten, spielt jedoch nicht nur das biologische, sondern auch das sozial geprägte Geschlecht eine wichtige Rolle (Zenker, 2009, S. 17). Neben anderen Variablen wie dem Alter, der sozialen Herkunft und dem Migrationshintergrund ist Gender ein wichtiger Einflussfaktor in Bezug auf Suchtentwicklung, Suchtverläufe und Konsummuster (Marie- Louise Ernst, 2010, S. 10.e1). So zeigen sich beispielsweise beim Suchtverhalten starke ge- schlechtsspezifische Unterschiede (Zenker, 2009, S. 17).

Obwohl die Soziale Arbeit einen Anspruch auf eine ganzheitliche Betrachtung der ver- schiedensten sozialen Probleme hegt, hinkt sie diesbezüglich in der Suchthilfe hinter her.

Weibliche wie auch männliche Klienten verschwinden hinter der Krankheit Abhängigkeit, ohne dass die Wichtigkeit des Geschlechts berücksichtigt wird. Dabei ist es erwiesen, dass eine Enttabuisierung und somit Wahrnehmung von Männlichkeit und Weiblichkeit während einer Beratung oder Behandlung zu nachhaltigen Erfolgen führt (Zenker, 2009, S. 11-12).

Das Wissen um diese geschlechtsspezifischen Unterschiede birgt ein grosses Potenzial zur Prävention und Intervention. Die Strategie des Gender Mainstreaming, welche durch den Amsterdamer Vertrag 1999 auf EU-Ebene aufgenommen wurde, könnte dabei hilfreich sein.

Dabei wird versucht, sämtliche politischen Konzepte und Massnahmen der EU auf den An- spruch der Chancengleichheit anzupassen. Dadurch kann auch die Suchthilfe zielgruppenspe- zifischer und wirkungsvoller gestaltet werden (Ernst, 2010, S. 10.e1-10.e2). Bei der Gestaltung dieser Angebote wird zwischen gendergerechtem und genderspezifischem Arbeiten unter- schieden.

Dabei bedeutet laut Zenker (2009) gendergerechtes Arbeiten, dass die kulturell geprägten Gefühle, Gedanken, Einstellungen, Handlungsmuster, Bedürfnisse und biologischen Fähigkei- ten von Frauen und Männern gleichberechtigt wahrgenommen werden (S. 13). Dies zeigt sich beispielsweise durch die Schaffung von Angeboten, die Frauen gefallen, neben solchen, wel- che von Männern bevorzugt werden (Zenker, 2009, S. 13). Dies unterscheidet sich leicht von genderspezifischen Angeboten, denn beim genderspezifischen Arbeiten gilt es, sich als

(23)

Ammann Karin & Koster Luana 14

Grundlage der eigenen wie auch der Geschlechterrolle der anderen bewusst zu sein. Darüber hinaus bedeutet es, dass die genderspezifischen Erfahrungen, die Mädchen und Frauen sowie Jungen und Männer in ihrem Leben gemacht haben, berücksichtigt werden müssen. Dabei wird von gemischtgeschlechtlichen Settings abgesehen, damit die teils schwer belastenden Erfahrungen besser thematisiert werden können (Zenker, 2009, S. 13).

2.4 Wesentliche Erkenntnisse aus dem Kapitel

Das Geschlecht einer Person nur anhand ihrer biologischen Eigenschaften zu erfassen, wäre undifferenziert. Daher hilft die Unterscheidung des Sex-Gender-Modells, welches das rein bio- logisch bestimmte Geschlecht unter dem Begriff Sex vom sozial geprägten Geschlecht unter dem Begriff Gender unterscheidet (Zenker, 2009, S. 11). Auch wenn sich durch diese Begriffe ein Geschlecht bestimmen lässt, darf nicht vergessen werden, dass ein Individuum durch weit mehr Dimensionen beeinflusst wird. Dies wird besonders unter dem Aspekt der Intersektio- nalität ersichtlich. Dabei wird festgehalten, dass das biologische wie auch das sozial geprägte Geschlecht einen grossen Einfluss auf eine Erkrankung wie beispielsweise eine Suchtmittelab- hängigkeit haben, jedoch viele weitere Dimensionen und Faktoren bestehen, welche diese beeinflussen (Winkler & Degele, 2009, S. 10-12).

Zum Begriff der Suchtmittelabhängigkeit bestehen zahlreiche unterschiedliche Definitionen, welche je nach Kontext eingesetzt werden. Damit unter den Fachpersonen vom Gleichen aus- gegangen wird, kann es hilfreich sein, die Definition der internationalen Klassifikation der Krankheiten des ICD-10 der WHO zu verwenden. Dieses Diagnoseinstrument definiert das Be- stehen einer Abhängigkeit aufgrund von bestimmten Symptomen (Alter und Sucht, ohne Da- tum). Bezogen auf die Entstehung und Entwicklung einer Suchtmittelabhängigkeit bestehen ebenfalls verschiedenste Theorien und Modelle. Kennzeichnend für die heutigen Erklärungs- ansätze ist, dass sie von einer biopsychosozialen Denkweise ausgehen. Dabei werden biologi- sche, psychologische und soziale Faktoren für die Entstehung einer Suchtmittelabhängigkeit verantwortlich gemacht. Diese Faktoren wirken nach dem Modell der Sucht-Trias stets wech- selseitig und multifaktoriell (Sucht Schweiz, 2013, S. 4).

(24)

Ammann Karin & Koster Luana 15

3 Das weibliche Geschlecht und Suchtmittelabhängigkeit

Wie bereits erwähnt bestehen bei einer Suchtmittelabhängigkeit geschlechtsspezifische Unterschiede. Im folgenden Kapitel werden diese aufgezeigt, wobei der Fokus auf dem weib- lichen Geschlecht liegt.

3.1 Mögliche Einflussfaktoren

Folgend werden vier mögliche Einflussfaktoren beschrieben, welche eine Abhängigkeitsent- wicklung bei Frauen begünstigen können. Wie bereits in Kapitel 2.2 beschrieben, ist es jedoch nie nur ein Faktor, welcher zu einer Suchtmittelabhängigkeit führt, sondern es wirken immer mehrere Einflüsse multifaktoriell.

3.1.1 Risikofaktoren

Aufbauend auf den Erläuterungen im Kapitel 2.2 werden im folgenden Abschnitt sogenannte Risikofaktoren vorgestellt, welche die Entstehung einer Suchtmittelabhängigkeit begünstigen können. Dabei wird zuerst der Begriff des Risikofaktors erläutert und anschliessend auf die genderübergreifenden Risikofaktoren und letztlich auf die weiblichen Risikofaktoren einge- gangen.

Die moderne Gesellschaft wird oft als Risikogesellschaft beschrieben. Der Begriff Risiko wird alltäglich und universell eingesetzt, wobei die Gefahr besteht, dass er von seiner ursprüngli- chen Bedeutung abweicht (Günther Opp & Michael Fingerle, 2007, S. 9). Gemäss Opp und Fingerle (2007) sind Risiken Gefahren, die eintreten können, aber nicht müssen. Bezieht man diese Risiken auf die Gefahr der Entstehung einer Krankheit, so lassen sich sogenannte Risiko- faktoren benennen, welche eine Entstehung begünstigen können. Jedoch bestehen dabei immer auch sogenannte Schutzfaktoren, welche die gegenteilige Wirkung haben und Schutz vor einer Bedrohung bieten (S. 9). Wichtig dabei zu wissen ist laut Opp und Fingerle (2007), dass Risiko- und Schutzfaktoren immer ein Doppelgesicht haben können (S. 64). Dies bedeu- tet, dass ein eigentlich günstiger Faktor unter gewissen Umständen zur Entwicklung einer Stö- rung beitragen und umgekehrt ein ungünstiger Faktor eine schützende Wirkung haben kann.

Ob ein Faktor eher risikohaft oder schützend wirkt, hängt dabei vom Individuum und seiner individuellen Einschätzung und zusätzlich von der Stärke des Auftretens des Faktors ab. So

(25)

Ammann Karin & Koster Luana 16

wirkt ein ausgeprägtes soziales Umfeld in den meisten Fällen protektiv. Erlebt eine Person ihr Umfeld jedoch als störend und unbefriedigend, kann das vorhandene soziale Netzwerk auch negativ wirken (Opp & Fingerle, 2007, S. 65).

Auch für die Entstehung einer Suchtmittelabhängigkeit lassen sich sogenannte Risikofaktoren festlegen.

Abbildung 6: Geschlechtsübergreifende Risikofaktoren (eigene Darstellung auf der Basis von Claudia Quinten, 2002b, S. 175-176, und Heinzen-Voss & Ludwig, 2016, S.12)

Zur Aufzählung dieser Risikofaktoren (vgl. Abb. 6) muss erwähnt werden, dass den psychosozialen Belastungen im frühen Leben, also im Jugendalter, mehr Bedeutung zugeschrieben wird als denen im späteren (Erwachsenen-)Leben. Je fortgeschrittener das Alter, desto schwieriger ist die Unterscheidung zwischen Ursachen und Folgen der Sucht (Christel Zenker, 2005, S. 473).

(26)

Ammann Karin & Koster Luana 17

Weibliche Risikofaktoren

Bei der Auseinandersetzung mit Risiko- und Schutzfaktoren zeigt sich, dass es erhebliche ge- schlechtsspezifische Unterschiede gibt (Francoise D. Alsaker & Andrea Bütikofer, 2005, S. 169- 180). So sind Jungen in der frühen und mittleren Kindheit sensibler für die negativen Auswir- kungen von kritischen Lebensereignissen als Mädchen, doch dieses Verhältnis kehrt sich wäh- rend der Pubertät (Opp & Fingerle, 2007, S, 105-107) um. Opp und Fingerle (2007) merken an, dass Mädchen sich in dieser Zeit stärker den gesellschaftlichen Rollenerwartungen ausge- setzt fühlen, als dies bei Jungen der Fall ist. Dies beispielsweise bei dem Ideal, extrem schlank sein zu müssen (S. 103). Allgemein lassen sich bei Mädchen und Frauen spezifische Risikofak- toren zur Entwicklung einer Suchtmittelabhängigkeit benennen (siehe Abb. 7).

Abbildung 7: Weibliche Risikofaktoren (eigene Darstellung nach Quinten, 2002b, S. 176) 1

Besonders ab dem fünften Lebensjahrzehnt, kommen bei den Frauen zusätzliche Belastungs- faktoren hinzu. Oft übernehmen sie die Pflege von alternden Angehörigen oder Eltern, erle- ben den Eintritt des Rentenalters des Partners und somit eine veränderte Rollendefinition in der Partnerschaft, haben Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren oder erleben eine Trennung

1 Krise, in welche Eltern, insbesondere Mütter, fallen können, wenn die Kinder von zu Hause ausziehen (Lothar Böhnisch &

Heide Funk, 2002, S. 112).

(27)

Ammann Karin & Koster Luana 18

oder Scheidung vom Partner (Alexa Franke, 1999, S. 151). Nach einer Trennung oder Schei- dung sind Frauen häufiger alleinerziehend. Nicht immer sind Familienangehörige da, welche Unterstützung bieten, sei es, weil sie weiter weg wohnen oder die eigenen Eltern selbst ein aktives Seniorenleben führen. Diese grosse Verantwortung kann zu einer psychischen und/oder körperlichen Überforderung führen. Abgesehen davon leben Frauen statistisch ge- sehen länger als Männer und sind somit häufiger von Verwitwung betroffen, was ebenfalls ein erheblicher Risikofaktor sein kann (Monika Vogelgesang, 2016, S. 196–197).

3.1.2 Sozialisation

Weitere mögliche Einflussfaktoren für die Entwicklung einer Suchtmittelabhängigkeit lassen sich im Prozess der Sozialisation finden. Dieser Prozess beschäftigt sich laut Heinz Abels und Alexandra König (2016) mit der Frage, wie der Mensch zu einem sozialen Wesen gemacht wird und wie das Individuum in die soziale Ordnung einer Gesellschaft integriert werden kann (S. 1-2). Dabei beschäftigt nicht nur die Frage, wie die Gesellschaft einen Menschen soziali- siert, sondern auch, inwiefern das Individuum selbst zur Vermittlung der sozialen Verhältnisse und einer sozialen Ordnung beiträgt (Abels & König, 2016, S. 1-2). Obwohl der Begriff der Sozialisation oftmals in Bezug auf Kinder und ihre Entwicklung verwendet wird, ist sie ein lebenslanger Prozess, in dem sich das Individuum aktiv mit der Umwelt auseinandersetzt und zu einem handlungsfähigen Subjekt wird (Karl Lenz & Marina Adler, 2011, S. 18-21).

Laut Lenz und Adler (2011) entwickelt sich während dieses Prozesses der Sozialisation auch die geschlechtsspezifische Rolle (S. 18-21). So kann es nach Abels und König (2010) als Ergeb- nis der Sozialisation angesehen werden, sich in seinem Geschlecht wahrzunehmen und da- nach zu handeln (S. 261). Entscheidend dabei sind laut Ute Breuker-Gerbig, Doris Heinzen- Voss und Martina Tödte (1999) die vorherrschenden geschlechtsspezifischen Normen und Wertvorstellungen, welche in einer Gesellschaft existieren. Bereits nach der Bestimmung des Geschlechts eines ungeborenen Kindes oder direkt nach der Geburt werden einem Kind ge- wisse weibliche oder männliche Verhaltensweisen und -regeln zugeschrieben (S. 32). Der Pro- zess der Sozialisation und damit auch die Entwicklung einer Geschlechtsidentität beginnt so- mit laut Ursula Scheu (1997) schon vor der Geburt (S. 8). So wird ein aktiver Fötus im Mutter- leib eher als Junge eingeschätzt. Bevor das Kind überhaupt geboren ist, bestehen bereits Vor- urteile und Zuschreibungen in Bezug auf geschlechtsspezifische Verhaltensweisen (Scheu,

(28)

Ammann Karin & Koster Luana 19

1997, S. 8). So werden die Kinder von Anfang an direkt mit den bestehenden geschlechterty- pischen Rollenerwartungen konfrontiert (Breuker-Gerbig, Heinzen Voss & Tödte, 1999, S. 32).

Die Eltern haben meist schon von Beginn der Schwangerschaft an ein genaues Bild vom Idealtyp eines Mädchens oder eines Jungen. Die Kinder sollen mit diesem Modell möglichst stark übereinstimmen (Scheu, 1997, S. 8). So gelten beispielsweise Eigenschaften wie Aggressivität, Rationalität und Selbstständigkeit eher als männlich und Emotionalität, Selbst- losigkeit und Sensibilität eher als weiblich. Diese unterschiedlichen Bewertungen ziehen sich durch den gesamten Sozialisationsprozess und haben einen grossen Einfluss auf das persön- liche Selbstverständnis des Geschlechts (Breuker-Gerbig, Heinzen Voss & Tödte, 1999, S. 32).

Genau hier setzte in den 1970er-Jahren die Frauenforschung an, um aufzuzeigen, dass allein mit der Bestimmung des biologischen Geschlechts noch lange nicht alles zum Verhalten und zur Identität gesagt war (Abels & König, 2010, S. 262). So stellte Helga Bilden (1980) die These auf, dass Mädchen eher passiv sozialisiert werden und Jungen sich stärker aktiv selbst soziali- sieren (S. 790). Abels und König (2010) merken zur These von Bilden an:

Sie hat im Grunde nur festgestellt, dass die soziale Entwicklung von Jungen und Mäd- chen anders verläuft, aber sie hat nicht gefragt, wie Mädchen und Jungen, Männer und Frauen dazu gebracht werden, selbst zu ihrer sozialen Identität beizutragen, und wie sie selbst eine typische, geschlechtsspezifische Rolle zum Ausdruck bringen. (S.

265)

Mit diesen Fragen hatte sich erst in den 1990er Jahren die Geschlechterforschung unter dem Begriff doing gender befasst (Abels & König, 2010, S. 265).

Wie bereits erwähnt, kann aus dieser Sozialisationsforschung festgehalten werden, dass sich geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen lassen. Da eine Weiterführung der Dis- kussion, inwieweit es sich bei der geschlechtsspezifischen Sozialisation um einen durch die Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft gesteuerten oder um einen selbstpro- duzierten Prozess handelt, den Umfang dieser Arbeit überschreiten würde, wird nun auf die festgestellten geschlechtsspezifischen Unterschiede eingegangen.

(29)

Ammann Karin & Koster Luana 20

Allgemeines Verhalten

Doris Bischof-Köhler (2011) behauptet, dass Jungen bereits ab Geburt ein reizbareres und aggressiveres Verhalten zeigen als Mädchen (S. 3). Sie sind emotional schneller aufgedreht und überdreht. Zudem neigen sie von klein auf zu mehr zu körperlichen Aktivitäten und wer- den deshalb auch stärker grobmotorisch aktiviert. Dadurch lernen die Jungen, dass sie ihren Körper trainieren und beherrschen und ihn zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen und Wün- sche benutzen können (Lorelies Singerhoff, 2002, S. 38). Jungen zeigen sich bereits ab einem Alter von sechs Monaten durchsetzungsorientierter, sie nehmen zum Beispiel einem anderen Kind einfach das Spielzeug weg. Mädchen tun dies weniger und sind in ihrem Verhalten allge- mein weniger auffällig (Bischof-Köhler, 2011, S. 3). Sie sind emotional ausgeglichener und ein- facher zu beruhigen. Mädchen gelten bereits ab Geburt als sozial sensibler. Sie suchen häufi- ger Blickkontakt zu anderen Personen und halten den Blickkontakt länger aufrecht. Neugebo- rene Mädchen lassen sich leichter vom Geschrei anderer Babys anstecken. Dies könnte be- reits ein Indiz für die höhere Empathiebereitschaft sein, welche für das weibliche Geschlecht kennzeichnend ist. Schon als Einjährige spielen Mädchen lieber mit Puppen, Stofftieren und Dingen, welche eine pflegerische Aktivität ermöglichen (Bischof-Köhler, 2011, S. 3). Gemäss Singerhoff (2002) werden Mädchen eher im feinmotorischen Bereich gefördert. Sie sitzen dazu oft an einem Tisch oder in einer Ecke und benutzen nicht den gesamten Raum. Wenn Mädchen spielen, dann sind sie eher ruhig und beziehen sich aufeinander. Sie benutzen den Körper weniger, um sich durchzusetzen, Gefühle auszudrücken oder sich Raum zu verschaf- fen. Ihr Verhalten und ihre Reaktion ist somit eher passiv innerhalb ihres Körpers, im Gegen- satz zu den Jungen, welche eher aktiv nach aussen reagieren. Dieses externalisierende Ver- halten der Jungen hat den Vorteil, dass sie weniger unter psychischem und körperlichem Druck stehen als Mädchen, da der Druck nach aussen abreagiert wird (S. 38).

Konfliktstrategien

Wenn es zu Konflikten kommt, dann zeigen Jungen andere Strategien als Mädchen. Jungen kämpfen gerne. Bereits im Kindergarten beginnen die Jungen um Privilegien zu kämpfen, und es kommt zu einer Rangordnung, die stabil bleibt, solange sich die gleichen Jungen in der Gruppe befinden. Bei Konflikten gehen Jungen brachial vor und drohen mit Gewalt. Sie zeigen ihre Stärke mit Imponiergehabe und versuchen sich Respekt zu verschaffen. Zudem zeigen sie

(30)

Ammann Karin & Koster Luana 21

ab dem ersten Lebensjahr ein höheres Mass an körperlicher Aggression als Mädchen, und diese bleibt den Jungen auch in späteren Jahren erhalten (Bischof-Köhler, 2011, S. 1-2).

Auch bei Mädchen besteht eine Rangordnung. Mädchen bewundern andere oder versuchen sie zu imitieren, aber das bedeutet noch nicht, dass die Mädchen der Ranghöchsten immer Vorrechte zugestehen. Konflikte treten anlassbezogen auf, und der Status der Einzelnen wird erneut ausgehandelt. Aggressionen werden nicht mit Fäusten ausgelebt, sondern sie zeigen sich in Form von sozialer Ausgrenzung. Kennzeichnend für Mädchen, welche einen Rangan- spruch haben ist, dass sie sich um das seelische Wohlbefinden der anderen kümmern. Dies kann sich in Form von Ratschlägen zeigen, welche überhaupt nicht erwünscht gewesen sind.

Aus psychologischer Sicht wird dabei von prosozialer Dominanz gesprochen, was so viel wie eine Mischung aus Besorgtheit und Dominanz bedeutet (Bischof-Köhler, 2011, S. 1-2).

Umgang mit Erfolg und Misserfolg

Beim Umgang mit Erfolg und Misserfolg zeigen sich laut Bischof-Köhler (2011) ebenfalls deut- liche Geschlechtsunterschiede (S. 10). Wenn Jungen und Männer Misserfolge erleiden, dann sehen sie die Umstände, die dazu geführt haben, nicht in ihrer eigenen Person, sondern in den äusseren Umständen. Erfolge jedoch werden dem Können der eigenen Person zuge- schrieben. Mädchen und Frauen glauben jedoch eher, dass die Ursache für Misserfolge in ihnen selbst liegt. Bei Erfolgen sehen sie die Ursache häufig in äusseren Umständen. Zur Stär- kung des Selbstwertgefühls eignen sich die Strategien von Jungen und Männern offensichtlich viel besser als diejenigen der Mädchen und Frauen (Bischof-Köhler, 2011, S. 10).

3.1.3 Entwicklungsaufgabe Identitätsfindung

Angelehnt an die Entwicklungstheorie nach Erikson hat jedes Kind in seinem Entwicklungsver- lauf verschiedene Aufgaben zu bewältigen (August Flammer, 2009, S. 96). Dabei gibt es Pha- sen, welche schwieriger zu bewältigen sind als andere. Dies kann die Einschulung, die Pubertät oder ein Ausbildungsbeginn sein (Peter, Loviscach, 1996, S. 43-44). Im Folgenden wird nun die Entwicklungsphase des Jugendalters beschrieben, bei der besondere Risiken für Fehlent- wicklungen bestehen, welche eine Suchtmittelabhängigkeit begünstigen können.

(31)

Ammann Karin & Koster Luana 22

Die Entwicklungsphase Jugendalter

Die Lebensphase des Jugendalters gilt als die Zeit zwischen der Pubertät (12-14 Jahre) und dem Erreichen der Selbstständigkeit (18-25 Jahre). In dieser breiten Zeitspanne stellen sich den Heranwachsenden verschiedene Entwicklungsaufgaben wie die schrittweise Übernahme der Erwachsenenrolle und die Doppelaufgabe der Individuation und Integration in die Gesell- schaft (Loviscach, 1996, S. 43-44). In dieser Zeit geht es um die Identitätssuche, um das Ent- wickeln eines Selbstkonzepts und das Erlernen der Geschlechterrolle. Störungen und Defizite, die während der Entwicklungsphase von 0 bis 3 Jahren entstanden sind, zeigen während die- ser Zeit ihre Auswirkungen. In dieser Phase kann es zu vielen unterschiedlichen Spannungen kommen (Singerhoff, 2002, S. 18-19). Das Jugendalter ist von Nachahmungen wie auch von Protesten geprägt. Dabei spielt der Konsum von Suchtmitteln eine zentrale Rolle. Einerseits als Protest und um die Eltern zu schockieren, andererseits zur Anpassung an den in ihrer Kul- tur herrschenden Rauschmittelkonsum der Erwachsenen (Loviscach, 1996, S. 43-44).

Der Konsum von (illegalen) Substanzen im Jugendalter kann als Teil der Identitätsentwicklung angeschaut werden. Dabei wird der Konsum als Strategie zur Lösung von Identitätsproblemen verwendet. Da eine Substanzabhängigkeit ihren Ursprung oftmals im Jugendalter hat, ist es sinnvoll, diese Aspekte genau zu beleuchten (Loviscach, 1996, S. 43-44). Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu überschreiten, fokussieren sich die Autorinnen folgend nur auf die Be- sonderheiten der weiblichen Pubertät.

Bei Mädchen sind die Eltern häufig speziell besorgt und möchten sie am liebsten vor sämtli- chen allfälligen Gefahren schützen. So fühlen sich Mädchen strengerer Kontrolle ausgesetzt als Jungen (Astrid Kaminski, 2011, S. 58). Singerhoff (2002) schreibt, dass sich immer noch Tendenzen zeigen, dass den Mädchen das Streben nach Autonomie mehr verwehrt bleibt als den Jungen und ihre Selbstständigkeit eher in Bezug auf ihre Versorgung gefördert wird und weniger auf das Wahrnehmen und die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse (S. 39). Laut Kaminski (2011) werden die Mädchen dadurch jedoch daran gehindert, wichtige Erfahrungen mit ihrer Umwelt zu machen (S. 58). Mädchen merken, dass sie Lob erhalten, wenn sie attrak- tiv und weiblich sind. Massgebend ist jedoch oft nicht, was ihnen selbst gefällt, sondern was die anderen über sie sagen. Sie lernen somit, dass sie vom Urteil anderer abhängig sind (Sin- gerhoff, 2002, S. 38). Zudem lernen sie, dass sie für sich und ihr Befinden selbst verantwortlich

(32)

Ammann Karin & Koster Luana 23

sind und wagen weniger zu sagen, wenn es ihnen nicht gut geht. Sie glauben, dass es sowieso in ihrer Verantwortung liegt, ihre Situation zu verändern (Kaminski, 2011, S. 58).

Die jungen Frauen realisieren in der Pubertät oftmals, dass ihre Arbeit oft niedriger eingestuft wird als die der Männer. Ihre Arbeit besteht zudem häufiger aus dem Erbringen von Dienst- leistungen für andere. Sie merken, dass Jungen und Männer grundsätzlich mehr zugetraut wird und diese somit bevorzugt werden, unabhängig von den tatsächlichen Fähigkeiten (Sin- gerhoff, 2002, S. 41). Obwohl sich die Rollenbilder in den letzten Jahren verändert haben, sollen sich Mädchen nach wie vor nicht aggressiv oder expressiv zeigen (Funk, 2002, S. 132).

Quinten (2002b) merkt an, dass Mädchen so sozialisiert werden, dass sie ihre Bedürfnisse hinter die der anderen stellen, sich um andere kümmern und Beziehungen pflegen und ihr Wert oft über körperliche Attraktivität und soziale Leistungen definiert wird. Demnach wer- den Eigenschaften und Verhaltensweisen wie Ehrgeiz, Durchsetzungsvermögen und Aggressi- vität als unweiblich angesehen (S. 176). So bleibt ihnen entweder die Möglichkeit, still zu lei- den oder die Aggressionen gegen sich selbst zu richten (Funk, 2002, S. 132). Bei Mädchen und Frauen scheint die Entwicklung einer Suchtmittelabhängigkeit oft mit dem Gefühl von innerer Leere, von Unsicherheit und Machtlosigkeit in Bezug auf die eigene Lebensgestaltung zusammenzuhängen. Sie äussern öfter als Jungen den Wunsch, anders zu sein als sie sind und sind weniger zufrieden mit sich selbst (Singerhoff, 2002, S. 43). All diese Erfahrungen des Jugendalters haben einen grossen Einfluss auf den Prozess der Identitätsfindung und beein- flussen damit auch die Entwicklung der Geschlechtsidentität (Loviscach, 1996, S. 43-44).

3.1.4 Trauma

Ein weiterer Einflussfaktor auf die Entstehung einer Suchtmittelabhängigkeit ist das Vorhan- densein eines Traumas. Obwohl heute bekannt ist, dass zwischen einem Trauma und einer Suchtmittelabhängigkeit ein Zusammenhang besteht, gibt es nach wie vor nur wenig For- schung zu diesem Thema (Luise Reddemann, 2008, S. 5). Eine traumatische Erfahrung zu ma- chen bedeutet etwas zu erleben, was ausserhalb des menschlichen Vorstellungsvermögens und menschlicher Erfahrung liegt. Eine traumatische Erfahrung ist mit Demütigung, Entwür- digung, vollkommenem Ausgeliefertsein, Ohnmachtsgefühlen und Todesangst verbunden (Sabine Scheffler, 2009, S. 102). Die üblichen Bewältigungsstrategien reichen oft nicht mehr aus, und es kommt zu körperlichen und psychischen Reaktionen (Covington, 2008, S. 37). Ein

(33)

Ammann Karin & Koster Luana 24

Trauma entsteht jedoch nicht nur durch das Erleben von Gewalt, sondern auch durch das Beobachten von Gewalt oder durch Ausgrenzungserfahrungen zum Beispiel aufgrund des Ge- schlechts, der sexuellen Orientierung oder der Herkunft (Silke Birgitta Gahleitner, 2008a, S.

12).

Frauen machen überproportional häufig Erfahrungen mit Gewalt (Heinzen-Voss & Ludwig, 2016, S. 17). Sie können von physischer, psychischer, emotionaler, sexualisierter oder ökono- mischer Gewalt betroffen sein (Kaminski, 2011, S. 60). Natürlich machen auch Männer Erfah- rungen mit Gewalt, auch sie können Missbrauchserfahrungen aufweisen. Der Unterschied be- steht aber darin, wie die Geschlechter mit der erfahrenen Gewalt umgehen. So tendieren Männer eher dazu, das Erlebte nach aussen zu tragen. Sie begehen beispielsweise selbst kör- perliche oder sexuelle Übergriffe auf Mädchen oder Frauen und zeigen destruktive Verhal- tensweisen. Frauen richten die erlittene Gewalt eher gegen sich und bestrafen sich selbst (Michael Huber, 2009, S. 8). Nicht alle Frauen gehen jedoch mit erlebter Gewalt und sexuel- lem Missbrauch gleich um. Einige verfügen über genügend Bewältigungsstrategien, um das Erlebte zu verarbeiten, ohne dass sie traumatisiert sind (Covington, 2008, S. 31). Singerhoff (2002) weist darauf hin, dass es auch Kindern mit sexuellen Missbrauchserfahrungen gelingen kann, das Trauma zu bewältigen, ohne später Folgestörungen wie beispielsweise eine Sucht- mittelabhängigkeit zu entwickeln, wenn sie Verarbeitungsmöglichkeiten haben, über das Er- lebte sprechen können und geschützt werden (S. 150). Es kann allerdings auch sein, dass ein traumatisches Erlebnis nicht als solches erkannt wird, da das Erlebte als normal empfunden wird. Wurden viele Frauen früher als nicht therapierbar eingestuft, weil sie immer wieder Rückfälle mit Substanzen hatten, weiss man heute, dass sie mittels Suchtmittelkonsum versu- chen, ihr Leiden zu kurieren, welches aufgrund des Traumas entstanden ist (Covington, 2008, S. 31).

Sexueller Missbrauch

Die traumatische Erfahrung eines sexuellen Missbrauchs wird als wichtiger Einflussfaktor ei- ner Suchtmittelabhängigkeit angesehen. Von der deutschen Bundesregierung wurde ge- schätzt, dass 40 bis 80% der drogenabhängigen Frauen und Mädchen sexuellen Missbrauch erfahren hatten. Bei den alkohol- und medikamentenabhängigen Frauen sind es ca. 30 bis 60% (Singerhoff, 2002, S. 44). Die obigen Zahlen bestätigen eine Umfrage, welche bei 908

(34)

Ammann Karin & Koster Luana 25

substanzabhängigen Frauen in 55% aller Suchtfachkliniken in Deutschland durchgeführt wurde. 74% der Frauen gaben an, in ihrem Leben körperliche, seelische oder sexuelle Gewalt erfahren zu haben. 48% gaben an, dass diese während der Kindheit vorkam, 22% erlebte sie auch im Erwachsenenalter und 4% nur als Erwachsene (Christel Zenker, Karin Bammann &

Ingeborg Jahn, 2002, S. 112). Fast 50% der Frauen, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexuellen Missbrauch erfahren hatten, gaben als Täter Familienmitglieder an. Je früher Mädchen sexuell missbraucht wurden, desto traumatischer wirkt sich das aus und desto schwieriger wird es, das Erlebte zu verarbeiten (Singerhoff, 2002, S. 149).

Dank der Frauenbewegung wurde das Thema sexueller Missbrauch, welcher als «extremster Ausdruck von patriarchaler Verfügung über Frauen» (Böhnisch & Funk, 2002, S. 250) galt, an die Öffentlichkeit gebracht. Es wurden Angebote geschaffen, damit die Frauen Hilfe in An- spruch nehmen und das Erlebte aufarbeiten konnten (ebd.).

Prostitution

Suchtmittelabhängige Frauen haben jedoch nicht nur Gewalterfahrungen als Kind oder in der Partnerschaft gemacht, sondern auch aufgrund der Beschaffungsprostitution. Für sie ist das häufig der einzige Weg, Geld zu verdienen, um Drogen zu beschaffen (Singerhoff, 2002, S.

149). Häufig bieten suchtmittelabhängige Frauen ihre Dienstleistungen zu niedrigeren Preisen an als nicht suchtmittelabhängige Prostituierte und bieten auch ungeschützten Geschlechts- verkehr (Kaminski, 2011, S. 62). Sie setzen sich damit einem hohen Risiko der Ansteckung mit HIV und anderen Geschlechtskrankheiten aus, und ihr eingeschränkter Bewusstseinszustand wird von den Männern oft ausgenutzt. Den Frauen wird Schutz, ein Bett oder Geld gegen Sex geboten. Somit verstärken sich die Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse (Bundesamt für Gesundheit, 2012, S. 9). Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder Gewalter- fahrungen machen (Heinzen-Voss & Ludwig, 2016, S. 17). Zu den alten Traumata kommen also neue. Die Frauen werden wiederholt psychisch verletzt, was zu erneutem Suchtmittel- konsum führt, um das Erlebte auszublenden (Singerhoff, 2002, S. 149).

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Auch dann, wenn zwar eine „leichtere“ Tathandlung vor- liegt – der Täter oder die Täterin das Kind also beispielsweise lediglich an der unbekleideten Brust streichelt – dies

Sie kennen eine betroffene Person oder haben den Verdacht, dass ein Kind sexuellen Missbrauch erfährt..

Erklärungsbedürftig bleibt das im Jahr 1970 diagnostizierte dramatische Ansteigen „latenter Kriminalität“ (in der DDR oft für Dunkelziffer gebraucht) im Bereich des

Vorteile von «Diversity» nutzen: In den letzten Jahren erhärtete sich die Erkenntnis, dass gemischte Teams3 erfolgreicher sind als homogen zusammengesetzte.4 Auch dies ist

Viele Grundschulleh- rer/innen haben schon eine neue Klas- se übernommen, um dann festzustel- len, dass die Schüler/innen es nicht gewohnt sind, Fragen zu stellen.. Im

Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft haben die besondere Rolle von Frauen* und Mädchen* in ihren Initiativen und politischen Debatten zur Vermeidung von

Für die Beantragung des Gründungszuschusses erstellen wir für die Agentur für Arbeit sowie Bürgschaftsbank eine fachkundige Stellungnahme und prüfen die Tragfähigkeit

Deshalb unterstützt und be- fördert Mentoring Hessen auch die Bemühungen um einen Kulturwandel in den Hochschulen und Unter- nehmen durch Stärkung einer geschlechter- und