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3. DAS WEIBLICHE GESCHLECHT UND SUCHTMITTELABHÄNGIGKEIT

3.1 Mögliche Einflussfaktoren

3.1.2 Sozialisation

Weitere mögliche Einflussfaktoren für die Entwicklung einer Suchtmittelabhängigkeit lassen sich im Prozess der Sozialisation finden. Dieser Prozess beschäftigt sich laut Heinz Abels und Alexandra König (2016) mit der Frage, wie der Mensch zu einem sozialen Wesen gemacht wird und wie das Individuum in die soziale Ordnung einer Gesellschaft integriert werden kann (S. 1-2). Dabei beschäftigt nicht nur die Frage, wie die Gesellschaft einen Menschen soziali-siert, sondern auch, inwiefern das Individuum selbst zur Vermittlung der sozialen Verhältnisse und einer sozialen Ordnung beiträgt (Abels & König, 2016, S. 1-2). Obwohl der Begriff der Sozialisation oftmals in Bezug auf Kinder und ihre Entwicklung verwendet wird, ist sie ein lebenslanger Prozess, in dem sich das Individuum aktiv mit der Umwelt auseinandersetzt und zu einem handlungsfähigen Subjekt wird (Karl Lenz & Marina Adler, 2011, S. 18-21).

Laut Lenz und Adler (2011) entwickelt sich während dieses Prozesses der Sozialisation auch die geschlechtsspezifische Rolle (S. 18-21). So kann es nach Abels und König (2010) als Ergeb-nis der Sozialisation angesehen werden, sich in seinem Geschlecht wahrzunehmen und da-nach zu handeln (S. 261). Entscheidend dabei sind laut Ute Breuker-Gerbig, Doris Heinzen-Voss und Martina Tödte (1999) die vorherrschenden geschlechtsspezifischen Normen und Wertvorstellungen, welche in einer Gesellschaft existieren. Bereits nach der Bestimmung des Geschlechts eines ungeborenen Kindes oder direkt nach der Geburt werden einem Kind ge-wisse weibliche oder männliche Verhaltensweisen und -regeln zugeschrieben (S. 32). Der Pro-zess der Sozialisation und damit auch die Entwicklung einer Geschlechtsidentität beginnt so-mit laut Ursula Scheu (1997) schon vor der Geburt (S. 8). So wird ein aktiver Fötus im Mutter-leib eher als Junge eingeschätzt. Bevor das Kind überhaupt geboren ist, bestehen bereits Vor-urteile und Zuschreibungen in Bezug auf geschlechtsspezifische Verhaltensweisen (Scheu,

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1997, S. 8). So werden die Kinder von Anfang an direkt mit den bestehenden geschlechterty-pischen Rollenerwartungen konfrontiert (Breuker-Gerbig, Heinzen Voss & Tödte, 1999, S. 32).

Die Eltern haben meist schon von Beginn der Schwangerschaft an ein genaues Bild vom Idealtyp eines Mädchens oder eines Jungen. Die Kinder sollen mit diesem Modell möglichst stark übereinstimmen (Scheu, 1997, S. 8). So gelten beispielsweise Eigenschaften wie Aggressivität, Rationalität und Selbstständigkeit eher als männlich und Emotionalität, Selbst-losigkeit und Sensibilität eher als weiblich. Diese unterschiedlichen Bewertungen ziehen sich durch den gesamten Sozialisationsprozess und haben einen grossen Einfluss auf das persön-liche Selbstverständnis des Geschlechts (Breuker-Gerbig, Heinzen Voss & Tödte, 1999, S. 32).

Genau hier setzte in den 1970er-Jahren die Frauenforschung an, um aufzuzeigen, dass allein mit der Bestimmung des biologischen Geschlechts noch lange nicht alles zum Verhalten und zur Identität gesagt war (Abels & König, 2010, S. 262). So stellte Helga Bilden (1980) die These auf, dass Mädchen eher passiv sozialisiert werden und Jungen sich stärker aktiv selbst soziali-sieren (S. 790). Abels und König (2010) merken zur These von Bilden an:

Sie hat im Grunde nur festgestellt, dass die soziale Entwicklung von Jungen und Mäd-chen anders verläuft, aber sie hat nicht gefragt, wie MädMäd-chen und Jungen, Männer und Frauen dazu gebracht werden, selbst zu ihrer sozialen Identität beizutragen, und wie sie selbst eine typische, geschlechtsspezifische Rolle zum Ausdruck bringen. (S.

265)

Mit diesen Fragen hatte sich erst in den 1990er Jahren die Geschlechterforschung unter dem Begriff doing gender befasst (Abels & König, 2010, S. 265).

Wie bereits erwähnt, kann aus dieser Sozialisationsforschung festgehalten werden, dass sich geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen lassen. Da eine Weiterführung der Dis-kussion, inwieweit es sich bei der geschlechtsspezifischen Sozialisation um einen durch die Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft gesteuerten oder um einen selbstpro-duzierten Prozess handelt, den Umfang dieser Arbeit überschreiten würde, wird nun auf die festgestellten geschlechtsspezifischen Unterschiede eingegangen.

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Allgemeines Verhalten

Doris Bischof-Köhler (2011) behauptet, dass Jungen bereits ab Geburt ein reizbareres und aggressiveres Verhalten zeigen als Mädchen (S. 3). Sie sind emotional schneller aufgedreht und überdreht. Zudem neigen sie von klein auf zu mehr zu körperlichen Aktivitäten und wer-den deshalb auch stärker grobmotorisch aktiviert. Dadurch lernen die Jungen, dass sie ihren Körper trainieren und beherrschen und ihn zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen und Wün-sche benutzen können (Lorelies Singerhoff, 2002, S. 38). Jungen zeigen sich bereits ab einem Alter von sechs Monaten durchsetzungsorientierter, sie nehmen zum Beispiel einem anderen Kind einfach das Spielzeug weg. Mädchen tun dies weniger und sind in ihrem Verhalten allge-mein weniger auffällig (Bischof-Köhler, 2011, S. 3). Sie sind emotional ausgeglichener und ein-facher zu beruhigen. Mädchen gelten bereits ab Geburt als sozial sensibler. Sie suchen häufi-ger Blickkontakt zu anderen Personen und halten den Blickkontakt länhäufi-ger aufrecht. Neugebo-rene Mädchen lassen sich leichter vom Geschrei anderer Babys anstecken. Dies könnte be-reits ein Indiz für die höhere Empathiebebe-reitschaft sein, welche für das weibliche Geschlecht kennzeichnend ist. Schon als Einjährige spielen Mädchen lieber mit Puppen, Stofftieren und Dingen, welche eine pflegerische Aktivität ermöglichen (Bischof-Köhler, 2011, S. 3). Gemäss Singerhoff (2002) werden Mädchen eher im feinmotorischen Bereich gefördert. Sie sitzen dazu oft an einem Tisch oder in einer Ecke und benutzen nicht den gesamten Raum. Wenn Mädchen spielen, dann sind sie eher ruhig und beziehen sich aufeinander. Sie benutzen den Körper weniger, um sich durchzusetzen, Gefühle auszudrücken oder sich Raum zu verschaf-fen. Ihr Verhalten und ihre Reaktion ist somit eher passiv innerhalb ihres Körpers, im Gegen-satz zu den Jungen, welche eher aktiv nach aussen reagieren. Dieses externalisierende Ver-halten der Jungen hat den Vorteil, dass sie weniger unter psychischem und körperlichem Druck stehen als Mädchen, da der Druck nach aussen abreagiert wird (S. 38).

Konfliktstrategien

Wenn es zu Konflikten kommt, dann zeigen Jungen andere Strategien als Mädchen. Jungen kämpfen gerne. Bereits im Kindergarten beginnen die Jungen um Privilegien zu kämpfen, und es kommt zu einer Rangordnung, die stabil bleibt, solange sich die gleichen Jungen in der Gruppe befinden. Bei Konflikten gehen Jungen brachial vor und drohen mit Gewalt. Sie zeigen ihre Stärke mit Imponiergehabe und versuchen sich Respekt zu verschaffen. Zudem zeigen sie

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ab dem ersten Lebensjahr ein höheres Mass an körperlicher Aggression als Mädchen, und diese bleibt den Jungen auch in späteren Jahren erhalten (Bischof-Köhler, 2011, S. 1-2).

Auch bei Mädchen besteht eine Rangordnung. Mädchen bewundern andere oder versuchen sie zu imitieren, aber das bedeutet noch nicht, dass die Mädchen der Ranghöchsten immer Vorrechte zugestehen. Konflikte treten anlassbezogen auf, und der Status der Einzelnen wird erneut ausgehandelt. Aggressionen werden nicht mit Fäusten ausgelebt, sondern sie zeigen sich in Form von sozialer Ausgrenzung. Kennzeichnend für Mädchen, welche einen Rangan-spruch haben ist, dass sie sich um das seelische Wohlbefinden der anderen kümmern. Dies kann sich in Form von Ratschlägen zeigen, welche überhaupt nicht erwünscht gewesen sind.

Aus psychologischer Sicht wird dabei von prosozialer Dominanz gesprochen, was so viel wie eine Mischung aus Besorgtheit und Dominanz bedeutet (Bischof-Köhler, 2011, S. 1-2).

Umgang mit Erfolg und Misserfolg

Beim Umgang mit Erfolg und Misserfolg zeigen sich laut Bischof-Köhler (2011) ebenfalls deut-liche Geschlechtsunterschiede (S. 10). Wenn Jungen und Männer Misserfolge erleiden, dann sehen sie die Umstände, die dazu geführt haben, nicht in ihrer eigenen Person, sondern in den äusseren Umständen. Erfolge jedoch werden dem Können der eigenen Person zuge-schrieben. Mädchen und Frauen glauben jedoch eher, dass die Ursache für Misserfolge in ihnen selbst liegt. Bei Erfolgen sehen sie die Ursache häufig in äusseren Umständen. Zur Stär-kung des Selbstwertgefühls eignen sich die Strategien von Jungen und Männern offensichtlich viel besser als diejenigen der Mädchen und Frauen (Bischof-Köhler, 2011, S. 10).