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1. EINLEITUNG

1.6 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit besteht aus fünf Hauptkapiteln. Am Ende jedes Kapitels werden jeweils die wesentlichsten Erkenntnisse zusammengefasst, welche zur Beantwortung der Fragestel-lungen relevant sind.

Im 2. Kapitel wird die Leserschaft an die wichtigsten theoretischen Ansätze zu den Themen Suchtmittelabhängigkeit und Gender und die Relevanz des weiblichen Geschlechts in Bezug auf eine Suchtmittelabhängigkeit herangeführt. Dabei werden die zentralen Begriffe Sex und Gender, Suchtmittelabhängigkeit und psychotrope Substanzen definiert.

Das 3. Kapitel zeigt auf, wie sich eine Suchtmittelabhängigkeit bei Frauen verhält und wie sie entstehen kann. Dazu werden unter anderem typische Verhaltensweisen und die sozialen Merkmale suchtmittelabhängiger Frauen thematisiert.

Im 4. Kapitel folgt die Vorstellung der frauenspezifischen Suchtarbeit. Die Entstehungsge-schichte und die Entwicklung dieses Ansatzes in der Schweiz sowie die Haltung, Werte und Ziele, die diesem Ansatz zugrunde liegen, werden erläutert. Im 5. Kapitel wird erörtert, wie die Soziale Arbeit im Praxisfeld der Suchthilfe arbeitet, welche Ansätze und Zugänge sie dabei verwendet und welche Aufgaben sie wahrnimmt. Dazu werden konkrete Methoden und Kon-zepte der Sozialen Arbeit vorgestellt und auf das Arbeitsfeld der Suchthilfe bezogen. Das 6.

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Kapitel widmet sich anschliessend der konkreten Umsetzung der frauenspezifischen Suchtar-beit im Setting der ambulanten Suchtberatung. Zur Veranschaulichung von konkreten Umset-zungsmöglichkeiten wird auf den Ebenen der Institution, der Fachperson und in der direkten Beratung aufgezeigt, wie Professionelle der Sozialen Arbeit die frauenspezifische Suchtbera-tung anwenden können. Dazu wird bei den Umsetzungsmöglichkeiten in der direkten Bera-tung ein Fallbeispiel vorgestellt, welches praxisnah aufzeigen soll, wie gehandelt werden kann.

Im 7. und letzten Kapitel werden die wesentlichen Aspekte zur Beantwortung der Fragestel-lung zusammengefasst, Schlussfolgerungen gezogen und mögliche EntwickFragestel-lungsrichtungen in Ausblick genommen.

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2 Theoretische Ansätze zu Suchtmittelabhängigkeit und Gender

In diesem Kapitel werden als erstes die Begrifflichkeiten rund um die Themen Suchtmittelab-hängigkeit und Gender erläutert, und anschliessend wird eine Theorie zur Erklärung der Ent-stehung einer Suchtmittelabhängigkeit vorgestellt. Abschliessend wird festgehalten, welche Relevanz das weibliche Geschlecht bezogen auf eine Suchtmittelabhängigkeit hat.

2.1 Zentrale Begriffe

Die folgenden Begriffe werden in der Bachelor-Arbeit immer wieder verwendet. In der Praxis und Fachliteratur werden diese Begriffe oftmals unklar oder als Sammelbegriffe benutzt. Aus diesem Grund werden an dieser Stelle die Begriffe Gender und Suchtmittelabhängigkeit genau definiert.

2.1.1 Sex und Gender

Im alltäglichen deutschen Sprachgebrauch unterscheidet unsere Gesellschaft ein Geschlecht aufgrund der körperlichen und biologischen Grundlagen. Da diese rein biologische Unter-scheidung ohne Beachtung des sozial geprägten Geschlechts ungenügend ist, bietet das Sex-Gender-Modell eine Möglichkeit, das bestehende Modell der Geschlechter zu überwinden (Christel Zenker, 2009, S. 11). Dieses Modell unterscheidet zwischen den Begriffen Sex und Gender. Dabei wird laut Zenker (2009) zwischen den gesellschaftlich und kulturell verankerten Rollen von Frauen und Männern (Gender) und dem bestimmten biologischen Geschlecht (Sex) unterschieden (S. 11). Diese Unterscheidung zeigt auf, dass jeder Mensch ein biologi-sches Geschlecht wie auch ein sozial geprägtes Geschlecht hat. Diese Unterscheidung, welche zur Zeit der feministischen Theoriebildung in den 1970er-Jahren aufkam, hatte damals und hat bis heute eine grosse Bedeutung (Zenker, 2009, S. 11).

In der heutigen Zeit behandelt der wissenschaftliche Diskurs über die Rolle des Geschlechts hauptsächlich die Konstruktion der Geschlechter. Dabei wird davon ausgegangen, dass das soziale Geschlecht nicht angeboren ist, sondern erlernt und ausgeführt wird (Zenker, 2009, S.

9). Der Begriff doing gender fasst diesen aktiven Anteil an der Bildung eines sozialen Ge-schlechts zusammen. In der alltäglichen Interaktion und Kommunikation konstruiert, bestä-tigt, verfestigt oder verändert sich die Bedeutung des Geschlechts (Hildegard Mogge-Grot-jahn, 2004, S. 9). Somit ist nach Margareta Steinbrücke (2005) die Geschlechtertrennung ein

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«Resultat der permanenten gesellschaftlichen Konstruktionsarbeit, an welcher beide Ge-schlechter beteiligt sind» (S. 158).

Das weibliche Geschlecht

Beschäftigt man sich laut Gabriele Winkler und Nina Degele (2009) mit dem Begriff des weib-lichen Geschlechts, scheinen Themen der Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse al-lein aufgrund des Geschlechts veraltet (S. 10). Die Diskussionen der Gender- und Queer-Stu-dies zeigen Queer-Stu-dies, indem sie sich immer mehr von eindimensionalen Modellen zur Erklärung dieser Ungleichverhältnisse distanzieren. In der formalen Welt sind Frauen gleichberechtigt und werden oft in männliche Begriffe und Ausdrucksweisen impliziert. Trotzdem bestehen weiterhin unzählige Geschlechterstereotypen, welche immer noch starke diskriminierende Folgen haben (Winkler & Degele, 2009, S. 10). Um sich dieser bewusst zu werden, ist es hilf-reich, die verschiedenen ungleichheitsgenerierenden Dimensionen, wie Rasse, Klasse, Ge-schlecht und weitere, genauer zu betrachten. Eine Möglichkeit dazu bietet das Konzept der Intersektionalität. Es beleuchtet die Bedeutung der Wechselwirkung zwischen den verschie-denen Dimensionen und weist darauf hin, dass diese ineinander verflochten sind und sich gegenseitig beeinflussen (Winkler & Degele, 2009, S. 10). Da eine differenzierte Auseinander-setzung mit dem Konzept der Intersektionalität den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, wird in der Folge nur kurz auf die Entstehungsgeschichte und Hauptaussage dieser Möglich-keit der Mehrebenenanalyse eingegangen.

Winkler und Degele (2009) beschreiben, dass die Intersektionalitätsdebatte ihren Ursprung in den 1970er-Jahren hat und auf den Erfahrungen schwarzer Feministinnen in den USA basiert (S. 11). Diese konnten sich mit dem feministischen Gedankengut westlicher weisser Mittel-schichtfrauen nicht identifizieren. Obwohl beide Gruppierungen den Fokus auf die Unterdrü-ckung des weiblichen Geschlechts legten, wurde die weitere Dimension der rassistischen Aus-grenzung der schwarzen Frauen viel zu kurz aufgegriffen. Diese Erkenntnis über die Verflech-tung unterschiedlichster sozialer Kategorien und die verschiedenen Formen der Ungleichheit führten in den USA bereits in den 1970er-Jahren zur Forderung nach einer differenzierteren Betrachtung der Kategorien Rasse, Klasse und Geschlecht (Winkler & Degele, 2009, S. 11-12).

Die Autorinnen halten fest, dass wenn das weibliche Geschlecht unter diesem Aspekt betrach-tet wird, offensichtlich ist, dass Frau nicht gleich Frau ist und sich die Gesamtheit aller Frauen

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alles andere als aus einer homogenen Masse zusammensetzen lässt. Frauen rein anhand der Kategorie des Geschlechts als eine geschlossene Gruppe zu definieren wäre sehr undifferen-ziert. Den Autorinnen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es in der Biografie jeder Frau individuelle Faktoren und Dimensionen gibt, welche einen Einfluss auf ihr Leben und somit auf die Entwicklung einer Suchtmittelabhängigkeit haben. Seien dies Faktoren wie die soziale Schicht, Bildung, Alter, Religion, sexuelle Orientierung oder die körperliche Gesundheit, um nur einige zu nennen (Nina Degele & Gabriele Winkler, 2007, S. 12). Ausgehend von diesen Gedanken sind auch die folgenden Ausführungen dieser Arbeit zu verstehen.

2.1.2 Suchtmittelabhängigkeit

Im Folgenden werden die Begriffe Sucht, Abhängigkeit und psychotrope Substanzen erklärt.

Die neurobiologische Wirkung von psychotropen Substanzen wird kurz angeschnitten. Es kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft auf deren komplexes Geschehen im Ge-hirn eingegangen werden.

Zum Suchtbegriff bestehen verschiedenste Definitionen. Häufig kommt es zu einer Begriffs-verwirrung zwischen Sucht und Abhängigkeit (Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin, 2009, S. 22). Um dies aufzuzeigen, folgen nun einige Beispiele von Definitionen. Die Schwei-zerische Gesellschaft für Suchtmedizin (2009) bezeichnet Sucht als einen Prozess, bei dem ein Verhaltensmuster, das anfänglich ein Wohlbefinden erzeugt oder ein Unbehagen gelindert hat, unkontrolliert weitergeführt wird, trotz des Wissens um negative, schädliche Folgen (S.

29). Im Vordergrund steht nicht mehr die angenehme Wirkung der Substanz, sondern das Vermeiden von Entzugserscheinungen, welche auftreten, wenn die Substanz nicht konsu-miert wird. Charakteristisch für eine Sucht ist dieses starke Verlangen, eine Substanz zu kon-sumieren, obwohl die Person weiss, dass der Konsum schädliche Folgen hat (ebd., S. 22). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt Sucht als «Zustand periodischer oder chroni-scher Intoxikation» (WHO, 1952; zit. in Jürgen Friedrichs, 2002, S. 22), der dadurch ausgelöst wird, dass eine natürliche oder eine synthetische Droge immer wieder eingenommen wird (ebd.).

Die Psychiater Horst Dilling und Volker Dittmann definieren Sucht als eine übermässige Bin-dung an psychotrope Substanzen. Die übermässige BinBin-dung ist aber keine persönliche Eigenschaft, sondern sie ist ein Symptom eines belastenden Verhältnisses. Man könnte sie als

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Beziehungsstörung zu sich selbst, zu seinem Körper, zur sozialen und materiellen Welt be-zeichnen. Unter Störung wird verstanden, dass die Autonomie und Handlungsfähigkeit verlo-ren geht (Dilling & Dittmann, 1990; zit. in Michael Krausz & Christian Haasen, 2004, S. 8).

Wie durch die vorgängigen Definitionen ersichtlich wird, kann der Suchtbegriff mehrdeutig ausgelegt werden. Daher ersetzte die WHO 1964 den Begriff Sucht durch Abhängigkeit (Fried-richs, 2002, S. 23). In der Umgangssprache werden die Begriffe Sucht und Abhängigkeit jedoch synonym verwendet (Werner Stangl, 2017a).

Eine Abhängigkeit beschreibt den Zustand einer Person, die nicht mehr auf eine psychotrope Substanz verzichten kann (Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin, 2009, S. 29). Die Ab-hängigkeit ist aus medizinischer Sicht eine Krankheit. In der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) der WHO wird sie als psychische und Verhaltensstörung durch psycho-trope Substanzen beschrieben (Bundesamt für Gesundheit, 2017). Der ICD-10 und ein weite-res Diagnostiksystem, das Diagnostic Statistical Manual der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (DSM-IV), werden international verwendet (Ambros A. Uchtenhagen, 2011, S. 1).

Ausgehend von den typischen Symptomen einer Abhängigkeit nach ICD-10 (siehe Abb. 1) be-steht eine Abhängigkeit, wenn mindestens drei dieser Symptome in den letzten 12 Monaten aufgetreten sind (Ralf Schneider, 2015, S. 189).

Abbildung 1: Typische Symptome einer Abhängigkeit gemäss ICD-10 (eigene Darstellung nach Alter und Sucht, ohne Datum)

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2.1.3 Drogen und psychotrope Substanzen

Als Droge wird jede Substanz bezeichnet, die einen Einfluss auf das zentrale Nervensystem, auf die Emotionen, die Wahrnehmung, die Gefühle und die Motorik hat und somit das Be-wusstsein verändert (Sucht Schweiz, ohne Datum). Diese Substanzen werden als psychotrope Substanzen bezeichnet. Sie werden definiert als chemische Substanzen, welche über das zent-rale Nervensystem eine Wirkung auf das Verhalten und das Erleben des Menschen haben (Werner Stangl, 2017b). Ob eine psychotrope Substanz gesundheitsförderlich oder schädlich ist, hängt normalerweise davon ab, in welcher Dosis sie eingenommen wird (Irmgard Vogt, 2004, S. 118). In der Alltagssprache sind mit dem Begriff Drogen vor allem die illegalen Drogen gemeint, und zwar diejenigen, welche dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen (Friedrichs, 2002, S. 21).

Die folgenden Abbildungen liefern eine Übersicht über die psychotropen Substanzen.

Abbildung 2: Übersicht über Drogen und Drogengruppen (leicht modifiziert nach Friedrichs, 2002, S. 29)

Abbildung 3: Übersicht über Genussmittel (leicht modifiziert nach Friedrichs, 2002, S. 29)

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Medikamente

Verschiedenste psychotrope Substanzen werden zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt (siehe Abb. 4) und dienen somit nicht als Genussmittel, sondern sollen beispielsweise Schmer-zen lindern oder beruhigen (Vogt, 2004, S. 119). Wenn bestimmte Medikamente, wie Schlaf- oder Beruhigungsmittel, über eine längere Dauer eingenommen werden, kann sich eine Ab-hängigkeit entwickeln. Die Medikamente werden so eingenommen wie vom Arzt verordnet, es besteht kein grosses Verlangen danach, aber es entwickelt sich eine körperliche Abhängig-keit. Natürlich kann ein Medikamentenkonsum auch entgleisen, die Dosis wird gesteigert, das Verlangen danach ist hoch, und die Medikamente werden für einen anderen Zweck eingesetzt als ursprünglich gedacht. Es treten die üblichen Symptome einer Abhängigkeit auf (Vogt, 2004, S. 121), wie sie vorgängig beschrieben wurden.

Abbildung 4: Übersicht über Arzneien (leicht modifiziert nach Friedrichs, 2002, S. 29)

Substanzkonsum

Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin (2009) hat jede der zuvor abgebilde-ten Substanzen ihre eigene Wirkung. Diese kann entweder anregend, halluzinogen oder dämpfend sein. Unterschiedlich sind auch das Abhängigkeitspotenzial, die Entzugssymptome, die Toleranzentwicklung und die kurz- und langfristigen Folgen des Konsums. Alle Suchtmittel haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Sie bewirken eine erhöhte Dopaminausschüttung im lohnungssystem im Gehirn. Normalerweise erfolgt dann eine Dopaminausschüttung im Be-lohnungssystem, wenn ein Verhalten positive und überraschende Konsequenzen hat. Die er-höhte Dopaminausschüttung bewirkt im Gehirn ein Lernsignal, welches einen wiederholten Konsum fördert. So führt jeder Substanzkonsum zwangsweise zu einer Erhöhung der Dopa-minfreisetzung, welche das innere Gleichgewicht stört. Das Gehirn versucht daraufhin wieder ein Gleichgewicht zu finden, um trotz der Störung durch die psychoaktive Substanz wieder normal funktionieren zu können (S. 16).

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2.2 Theorie zur Suchtentwicklung

Die Entwicklungsgeschichte der Erklärungen zur Entstehung von Suchmittelabhängigkeiten ist geprägt von den verschiedensten Theorien. Von Zeiten der klaren Abstinenzforderung bis hin zu einer akzeptierenden Grundhaltung war es ein langer Weg (Toni Berthel, Francoise Vogel

& Charlotte Kläusler, 2015, S.13). Noch immer bestehen in der Fachliteratur diverse Theorien und Modelle, um zu erklären, wie eine Suchtmittelabhängigkeit entsteht und wie sie aufrecht-erhalten wird (Dilek Türk & Gerhard Bühringer, 1999, S. 583). Eines davon ist das Modell der Sucht-Trias (siehe Abb. 5). Es widerspiegelt den biopsychosozialen Ansatz, bei dem bio-logische, psychologische und soziale Faktoren die Entstehung einer Suchtmittelabhängigkeit beeinflussen (Sucht Schweiz, 2013, S. 3). Das Modell der Sucht-Trias zeigt auf, dass die mögli-chen Ursamögli-chen einer Suchtmittelabhängigkeit im Dreieck von Person, Droge und Umwelt zu finden sind (Sucht Schweiz, 2013, S. 4). Diesen drei Dimensionen lassen sich verschiedene Faktoren zuordnen (Vogt, 2004, S. 53). Sie basieren auf Theorien unterschiedlicher Wissen-schaftsdisziplinen wie beispielsweise der Psychologie, der Soziologie, der Neurologie und der Genetik (Sucht Schweiz, 2013, S. 4) und stehen in Wechselwirkung zueinander (Heinz Vollmer, 1995, S. 39). Das Modell zeigt auf, dass nicht nur ein Faktor bestimmend ist, um zu einer Suchtmittelabhängigkeit zu führen, sondern dass verschiedene Faktoren gleichermassen wir-ken und somit die Entstehung einer Suchtmittelabhängigkeit multifaktoriell bedingt ist.

Ausserdem veranschaulicht es, dass es diverse individuelle Suchtentwicklungen und -verläufe gibt (Vollmer, 1995, S. 39).

Abbildung 5: Sucht-Trias (Cornelia Blum & Stephen Sting, 2003, S. 35)

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2.3 Relevanz des weiblichen Geschlechts in Bezug auf eine Suchtmittelabhän-gigkeit

Laut Zenker (2009) lag der Fokus in der Medizin bei der Entstehung und dem Verlauf einer Erkrankung bisher oftmals nur auf dem biologischen Geschlecht (S. 11-12). Dies zeigt sich auch deutlich in der Suchtmedizin, in welcher die Rolle des sozialen Geschlechts oftmals zu kurz kommt. Befasst man sich mit der Entstehung von Krankheiten, dem Körperbewusstsein und dem Gesundheitsverhalten, spielt jedoch nicht nur das biologische, sondern auch das sozial geprägte Geschlecht eine wichtige Rolle (Zenker, 2009, S. 17). Neben anderen Variablen wie dem Alter, der sozialen Herkunft und dem Migrationshintergrund ist Gender ein wichtiger Einflussfaktor in Bezug auf Suchtentwicklung, Suchtverläufe und Konsummuster (Marie-Louise Ernst, 2010, S. 10.e1). So zeigen sich beispielsweise beim Suchtverhalten starke ge-schlechtsspezifische Unterschiede (Zenker, 2009, S. 17).

Obwohl die Soziale Arbeit einen Anspruch auf eine ganzheitliche Betrachtung der ver-schiedensten sozialen Probleme hegt, hinkt sie diesbezüglich in der Suchthilfe hinter her.

Weibliche wie auch männliche Klienten verschwinden hinter der Krankheit Abhängigkeit, ohne dass die Wichtigkeit des Geschlechts berücksichtigt wird. Dabei ist es erwiesen, dass eine Enttabuisierung und somit Wahrnehmung von Männlichkeit und Weiblichkeit während einer Beratung oder Behandlung zu nachhaltigen Erfolgen führt (Zenker, 2009, S. 11-12).

Das Wissen um diese geschlechtsspezifischen Unterschiede birgt ein grosses Potenzial zur Prävention und Intervention. Die Strategie des Gender Mainstreaming, welche durch den Amsterdamer Vertrag 1999 auf EU-Ebene aufgenommen wurde, könnte dabei hilfreich sein.

Dabei wird versucht, sämtliche politischen Konzepte und Massnahmen der EU auf den An-spruch der Chancengleichheit anzupassen. Dadurch kann auch die Suchthilfe zielgruppenspe-zifischer und wirkungsvoller gestaltet werden (Ernst, 2010, S. 10.e1-10.e2). Bei der Gestaltung dieser Angebote wird zwischen gendergerechtem und genderspezifischem Arbeiten unter-schieden.

Dabei bedeutet laut Zenker (2009) gendergerechtes Arbeiten, dass die kulturell geprägten Gefühle, Gedanken, Einstellungen, Handlungsmuster, Bedürfnisse und biologischen Fähigkei-ten von Frauen und Männern gleichberechtigt wahrgenommen werden (S. 13). Dies zeigt sich beispielsweise durch die Schaffung von Angeboten, die Frauen gefallen, neben solchen, wel-che von Männern bevorzugt werden (Zenker, 2009, S. 13). Dies unterswel-cheidet sich leicht von genderspezifischen Angeboten, denn beim genderspezifischen Arbeiten gilt es, sich als

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Grundlage der eigenen wie auch der Geschlechterrolle der anderen bewusst zu sein. Darüber hinaus bedeutet es, dass die genderspezifischen Erfahrungen, die Mädchen und Frauen sowie Jungen und Männer in ihrem Leben gemacht haben, berücksichtigt werden müssen. Dabei wird von gemischtgeschlechtlichen Settings abgesehen, damit die teils schwer belastenden Erfahrungen besser thematisiert werden können (Zenker, 2009, S. 13).

2.4 Wesentliche Erkenntnisse aus dem Kapitel

Das Geschlecht einer Person nur anhand ihrer biologischen Eigenschaften zu erfassen, wäre undifferenziert. Daher hilft die Unterscheidung des Sex-Gender-Modells, welches das rein bio-logisch bestimmte Geschlecht unter dem Begriff Sex vom sozial geprägten Geschlecht unter dem Begriff Gender unterscheidet (Zenker, 2009, S. 11). Auch wenn sich durch diese Begriffe ein Geschlecht bestimmen lässt, darf nicht vergessen werden, dass ein Individuum durch weit mehr Dimensionen beeinflusst wird. Dies wird besonders unter dem Aspekt der Intersektio-nalität ersichtlich. Dabei wird festgehalten, dass das biologische wie auch das sozial geprägte Geschlecht einen grossen Einfluss auf eine Erkrankung wie beispielsweise eine Suchtmittelab-hängigkeit haben, jedoch viele weitere Dimensionen und Faktoren bestehen, welche diese beeinflussen (Winkler & Degele, 2009, S. 10-12).

Zum Begriff der Suchtmittelabhängigkeit bestehen zahlreiche unterschiedliche Definitionen, welche je nach Kontext eingesetzt werden. Damit unter den Fachpersonen vom Gleichen aus-gegangen wird, kann es hilfreich sein, die Definition der internationalen Klassifikation der Krankheiten des ICD-10 der WHO zu verwenden. Dieses Diagnoseinstrument definiert das Be-stehen einer Abhängigkeit aufgrund von bestimmten Symptomen (Alter und Sucht, ohne Da-tum). Bezogen auf die Entstehung und Entwicklung einer Suchtmittelabhängigkeit bestehen ebenfalls verschiedenste Theorien und Modelle. Kennzeichnend für die heutigen Erklärungs-ansätze ist, dass sie von einer biopsychosozialen Denkweise ausgehen. Dabei werden biologi-sche, psychologische und soziale Faktoren für die Entstehung einer Suchtmittelabhängigkeit verantwortlich gemacht. Diese Faktoren wirken nach dem Modell der Sucht-Trias stets wech-selseitig und multifaktoriell (Sucht Schweiz, 2013, S. 4).

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3 Das weibliche Geschlecht und Suchtmittelabhängigkeit

Wie bereits erwähnt bestehen bei einer Suchtmittelabhängigkeit geschlechtsspezifische Unterschiede. Im folgenden Kapitel werden diese aufgezeigt, wobei der Fokus auf dem weib-lichen Geschlecht liegt.

3.1 Mögliche Einflussfaktoren

Folgend werden vier mögliche Einflussfaktoren beschrieben, welche eine Abhängigkeitsent-wicklung bei Frauen begünstigen können. Wie bereits in Kapitel 2.2 beschrieben, ist es jedoch nie nur ein Faktor, welcher zu einer Suchtmittelabhängigkeit führt, sondern es wirken immer mehrere Einflüsse multifaktoriell.

3.1.1 Risikofaktoren

Aufbauend auf den Erläuterungen im Kapitel 2.2 werden im folgenden Abschnitt sogenannte Risikofaktoren vorgestellt, welche die Entstehung einer Suchtmittelabhängigkeit begünstigen können. Dabei wird zuerst der Begriff des Risikofaktors erläutert und anschliessend auf die genderübergreifenden Risikofaktoren und letztlich auf die weiblichen Risikofaktoren einge-gangen.

Die moderne Gesellschaft wird oft als Risikogesellschaft beschrieben. Der Begriff Risiko wird alltäglich und universell eingesetzt, wobei die Gefahr besteht, dass er von seiner ursprüngli-chen Bedeutung abweicht (Günther Opp & Michael Fingerle, 2007, S. 9). Gemäss Opp und Fingerle (2007) sind Risiken Gefahren, die eintreten können, aber nicht müssen. Bezieht man diese Risiken auf die Gefahr der Entstehung einer Krankheit, so lassen sich sogenannte Risiko-faktoren benennen, welche eine Entstehung begünstigen können. Jedoch bestehen dabei immer auch sogenannte Schutzfaktoren, welche die gegenteilige Wirkung haben und Schutz vor einer Bedrohung bieten (S. 9). Wichtig dabei zu wissen ist laut Opp und Fingerle (2007), dass Risiko- und Schutzfaktoren immer ein Doppelgesicht haben können (S. 64). Dies bedeu-tet, dass ein eigentlich günstiger Faktor unter gewissen Umständen zur Entwicklung einer Stö-rung beitragen und umgekehrt ein ungünstiger Faktor eine schützende Wirkung haben kann.

Ob ein Faktor eher risikohaft oder schützend wirkt, hängt dabei vom Individuum und seiner individuellen Einschätzung und zusätzlich von der Stärke des Auftretens des Faktors ab. So

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wirkt ein ausgeprägtes soziales Umfeld in den meisten Fällen protektiv. Erlebt eine Person ihr Umfeld jedoch als störend und unbefriedigend, kann das vorhandene soziale Netzwerk auch negativ wirken (Opp & Fingerle, 2007, S. 65).

Auch für die Entstehung einer Suchtmittelabhängigkeit lassen sich sogenannte Risikofaktoren festlegen.

Abbildung 6: Geschlechtsübergreifende Risikofaktoren (eigene Darstellung auf der Basis von Claudia Quinten, 2002b, S. 175-176, und Heinzen-Voss & Ludwig, 2016, S.12)

Zur Aufzählung dieser Risikofaktoren (vgl. Abb. 6) muss erwähnt werden, dass den psychosozialen Belastungen im frühen Leben, also im Jugendalter, mehr Bedeutung zugeschrieben wird als denen im späteren (Erwachsenen-)Leben. Je fortgeschrittener das Alter, desto schwieriger ist die Unterscheidung zwischen Ursachen und Folgen der Sucht

Zur Aufzählung dieser Risikofaktoren (vgl. Abb. 6) muss erwähnt werden, dass den psychosozialen Belastungen im frühen Leben, also im Jugendalter, mehr Bedeutung zugeschrieben wird als denen im späteren (Erwachsenen-)Leben. Je fortgeschrittener das Alter, desto schwieriger ist die Unterscheidung zwischen Ursachen und Folgen der Sucht