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6. UMSETZUNG DER FRAUENSPEZIFISCHEN SUCHTARBEIT IN DER AMBULANTEN SUCHT-

6.4 Umsetzung auf Ebene der direkten Beratung

6.4.2 Konkrete Umsetzung

Folgend werden anhand der Informationen aus der Situationsbeschreibung, dem psychoso-zialen Diagnosemodell und den definierten Problemfeldern Vorgehensweisen aufgezeigt, welche in der direkten Beratung angewendet werden könnten.

Kontakt herstellen, Beziehung aufbauen

Wie bereits erwähnt ist die Beziehung zur Klientin einer der wichtigsten Faktoren, um Ziele zu erreichen. Speziell bei suchtmittelabhängigen Frauen ist diese umso wichtiger, da sie häufig Angst haben, sich auf eine Beziehung einzulassen und unter Beziehungsstörungen leiden (Zenker et al., 2005, S. 36). Dabei spielen ein respektvolles Verhalten und die Wahrung der Intimsphäre eine wichtige Rolle (Ernst, 2006, S. 319). Nach Vogt (2004) gehört die Beziehungs-gestaltung zu den Basisqualifikationen. Eine gute Beziehung zu den Klientinnen ist essenziell, damit sie sich überhaupt auf Veränderungen einlassen können, während des Prozesses mit-arbeiten und nicht gleich resignieren, wenn sich die gewünschten Veränderungen nicht so leicht umsetzen lassen wie vielleicht gewünscht (S. 178). Auch Esther Weber (2012) benennt die Beziehungsgestaltung als wichtige Kompetenz der Sozialarbeitenden. Nur wenn die Klien-tinnen Vertrauen entwickeln können, können Kooperation erreicht und Veränderungsschritte umgesetzt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, welche beraterischen Techniken die So-zialarbeitenden einsetzen (S. 23). Die SoSo-zialarbeitenden müssen bei der Beratung von Frauen

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berücksichtigen, dass Frauen beziehungsorientiert sind. Das beutet, dass Frauen nicht nur Hilfe und Beratung erwarten, sondern sie wünschen sich, durch die Beratung auch persönli-che und soziale Anerkennung zu erhalten (Böhnisch & Funk, 2002, S. 245).

Im Fall von Frau A. könnten sich wertschätzende Worte und Lob, dass sie den Mut hatte, sich an die Beratungsstelle zu wenden, positiv auf die Beziehung auswirken. Um ihr Sicherheit und Vertrauen zu vermitteln, sollte in diesem Erstgespräch davon abgesehen werden, sie auf den ersten verpassten Termin anzusprechen. Viel wichtiger ist es, ihr in diesem Gespräch das Ge-fühl von Wertschätzung, Akzeptanz und Transparenz zu vermitteln.

Wahlmöglichkeiten

Während eines Beratungsprozesses sollten der Klientin stets Wahlmöglichkeiten geboten werden. Laut Ernst (2006) soll die Klientin grundsätzlich wählen können, ob sie von einer Frau oder einem Mann beraten werden möchte (S. 319), ausserdem soll sie auch selbst entschei-den, wann sie spezifische Themen ansprechen möchte (Gisela Heinrich, 1995, S. 127).

Demzufolge soll Frau A. nach einem ersten Gespräch auf die Möglichkeit hingewiesen werden, die Beratung bei einem Mann oder auch bei einer Frau fortsetzen zu können. Ausserdem soll sie, falls es um das Besuchen eines weiteren Angebots wie beispielsweise einer Selbsthilfe-gruppe geht, selbst entscheiden, ob sie ein frauenspezifisches oder ein gemischtgeschlechtli-ches Angebot annehmen möchte. Dabei kann es hilfreich sein, sie zu ermutigen, ein frauenspe-zifisches Angebot in Anspruch zu nehmen, um ihr eine solche Erfahrung zu ermöglichen (Bun-desamt für Gesundheit, 2012, S. 11).

Um ihr eine weitere Wahlmöglichkeit zu geben, sollte Frau A. nicht zum Besprechen eines be-stimmen Themas gedrängt werden. Sie soll selbst entscheiden können, wann sie worüber spre-chen möchte. Durch diese Wahlmöglichkeiten wird Frau A. ein Entscheidungsspielraum gebo-ten, der ihr Autonomie vermitteln soll.

Gemeinsame Zielerarbeitung

Ebenfalls angelehnt an die Wichtigkeit der Wahlmöglichkeit ist die gemeinsame Zielerarbei-tung. Diese gilt als wichtiger Teilschritt im gesamten Beratungsprozess, da die formulierten

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Ziele als roter Faden dienen (Weber, 2012, S. 60). Die Zielerarbeitung dient dazu, um mit der Klientin ein Arbeitsbündnis zu schliessen (S. 60). Dabei versteht Weber unter dem Begriff der Zielerarbeitung (2012): «(…) eine explizite, beidseitige Verpflichtung, sich an ein klar definier-tes Vorgehen zu halten» (S. 60). Ein Ziel legt einen erstrebenswerten Endzustand fest, welcher bereits in Gedanken formuliert wird (Weber, 2012, S. 61). Manchmal wäre es fast einfacher, wenn die Sozialarbeitenden der Klientin die Ziele vorgeben und ihr sagen würden, was sie zu tun hat. Aus der Praxis ist jedoch bekannt, dass dies nicht funktioniert (Weber, 2012, S. 61).

Nach Böhnisch und Funk (2002) dürfen die Beratenden nicht vergessen, dass die Klientinnen immer auch subjektive Lösungen mitbringen. Diese können von den Lösungsmöglichkeiten der Beratenden abweichen (S. 237). Die Entwicklungswünsche der Klientin müssen jedoch zwingend berücksichtigt werden (Frauke Schwarting, 2016, S. 49). Bedeutsam ist dabei zu-dem, die subjektive Sicht der Frau anzuerkennen und ernst zu nehmen (Heinzen-Voss & Lud-wig 2016, S. 26). Allgemein gilt es zu beachten, dass suchtmittelabhängige Frauen laut Vogt und Winkler (1996) mehr aktive Hilfe zur Bewältigung ihrer Probleme benötigen als Männer.

Durch ihr geringes und oftmals beschädigtes Selbstwertgefühl provozieren sie Misserfolge häufig geradezu. Dies muss in der gesamten Beratung, doch besonders in der Phase der Zieler-arbeitung beachtet werden. Ausgerichtet auf die Stärkung des Selbstwertgefühls sollten Ziele so formuliert und festgelegt werden, dass Erfolgserlebnisse absehbar sind. Auf diesem Weg gelingt es vielen Frauen, aus alten Abhängigkeiten auszusteigen und ein selbstbestimmtes Le-ben aufzubauen (S. 26).

Nachdem die Sozialarbeiterin B. Frau A. nach ihren Beweggründen für die Inanspruchnahme dieser Beratung gefragt hat, gibt diese an, dass für sie die fehlende Tagesstruktur und die schwierige Beziehung zu ihrem Partner die Hauptproblematik darstellen. Zudem macht sie sich jedoch auch Gedanken über ihren Alkohol- und Medikamentenkonsum, obwohl sie dabei nie von einer Problematik oder Abhängigkeit spricht. Vielmehr beschäftigen sie in diesem Zusammenhang Schuld- und Schamgefühle ihrer Tochter gegenüber, welche den Alkoholkon-sum ihrer Mutter verachtet.

Da gemäss Breuker-Gerbig, Heinzen-Voss und Tödte (1999) die Ziele auf der individuellen Le-benssituation, den Ressourcen und Bedürfnissen der Klientin basieren sollen, muss zwingend auf diese Äusserungen von Frau A. eingegangen werden (S. 20). Sie dienen als Grundlage, um

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gemeinsam mit ihr Ziele zu entwickeln und konkretisieren. Durch die gemeinsame Zielerarbei-tung wird zudem das Ziel einer BeraZielerarbei-tung, das Wiedererlangen von Handlungsfähigkeit in schwierigen Lebenssituationen, bearbeitet. Die Sozialarbeiterin sollte Frau A. im Lösungsfin-dungsprozess unterstützen und sie dabei gleichzeitig befähigen, eigene Lösungen für ihre Prob-leme zu finden (Böhnisch & Funk, 2002, S. 237).

Thematisieren der Beziehungsmuster

In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits mehrmals erwähnt, dass suchtmittelabhän-gige Frauen oftmals problembelastete Beziehungsmuster haben. Daher ist es besonders wich-tig, sich dieser Erkenntnis auch in der direkten Beratung mit einer Klientin bewusst zu sein.

Dabei soll zusammen mit der Klientin individuell angeschaut werden, welche Beziehungsmus-ter sich erkennen lassen und welche Erfahrungen damit gemacht wurden.

Bei Frau A. könnten beispielsweise ihre Partnerschaften zu alkoholabhängigen Männern the-matisiert werden. Zudem könnte zusammen mit ihr angeschaut werden, wie sich ihre allge-meine Beziehungsgestaltung und -orientierung verhalten hat und welche Schlüsse sie selbst daraus zieht. Bezogen auf ihr Beziehungsverhalten stellte Frau A. im Verlauf des Gesprächs fest, dass sie sich praktisch in sämtlichen Beziehungen aufopferungsvoll und selbstlos verhält.

Ihr fällt es sehr schwer, sich durchzusetzen. Nachdem sie die Sozialarbeiterin B. auf ihre Be-dürfnisse in einer Beziehung anspricht, stellt Frau A. bestürzt fest, sich solche Gedanken noch nie gemacht zu haben.

Das Erkennen, Formulieren und Durchsetzen der eigenen Bedürfnisse ist zentral und soll ge-stärkt werden. Durch die Bereitschaft, sich Konflikten und Auseinandersetzungen zu stellen und sich aus der Opferrolle zu befreien, erweitert Frau A. ihre sozialen Kompetenzen und stärkt ihre Durchsetzungsfähigkeit. Dadurch lernt sie, dass die Gestaltung ihres eigenen Lebens in ihrer Verantwortung liegt. Dies wiederrum hilft ihr, sich aus ihrer Abhängigkeit zu befreien.

Aufbau eines sozialen Netzes

Da suchtmittelabhängige Frauen wie bereits in Kapitel 3.2.4 beschrieben wenige tragende Freundschaften haben, soll deren Aufbau gefördert werden.

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Frau A. soll dabei unterstützt werden, ein kleines soziales Netz aufzubauen. Laut Ernst (2006) ist es gerade bei Frauen, welche ebenfalls suchtmittelabhängige Partner haben, wichtig, dass sie auch Vertrauenspersonen ausserhalb der Familie haben, da die Beziehung zu einem sucht-mittelabhängigen Partner ein grosses Rückfallrisiko darstellt (S. 320). Eine Möglichkeit dazu bietet das Besuchen einer Selbsthilfegruppe. Dies könnte Frau A. vorgeschlagen werden. Ge-mäss dem BAG (2012) könnte dabei eine Begleitung zum erstmaligen Besuch zur Selbsthilfe-gruppe hilfreich sein, da solche neuen und unvorhersehbaren Situationen Unsicherheit und Angst hervorrufen können (S. 12).

Stärkung des Selbstwertgefühls

Bei vielen Frauen ist das negative Selbstbild tief verankert. Sie glauben, nichts wert zu sein.

Dies kann bis in die Kindheit zurückgehen, wo sie körperliche Gewalt erlitten haben oder ab-gewertet wurden. Es kann aber auch erst im Lauf der Jahre im Zusammenhang mit der Sucht-mittelabhängigkeit und der darin erfahrenen Gewalt entstanden sein (Irmgard Vogt, S. 2016, S. 119). Vogt (2016) merkt an, dass es daher wichtig ist, das Selbstwertgefühl der Frauen in der Beratung zu stärken oder wiederherzustellen und den Frauen Wertschätzung entgegen-zubringen. Die Botschaft der Sozialarbeitenden an die Frau muss allerdings glaubwürdig sein.

Dies gelingt nur, wenn die Sozialarbeitenden selbst davon überzeugt sind, dass auch eine suchtmittelabhängige Person ein wertvoller Mensch ist, der es verdient, ein gutes beziehungs-weise ein besseres Leben zu führen (S. 118).

Im Fall von Frau A. ist davon auszugehen, dass sie durch ihre schwierige Ehe mit gewalttätigen Übergriffen, den Verlust der Arbeitsstelle, welche ihr wichtig war und den Schuld- und Scham-gefühlen gegenüber ihrer Tochter, ein beschädigtes Selbstwertgefühl hat. Um dieses zu stär-ken, könnte eine Aufgabe in ihrem Leben wichtig sein. Das Gefühl, wieder gebraucht zu werden und etwas Sinnvolles zu tun, das ihr Bestätigung und soziale Anerkennung einbringt, könnte dabei unterstützend wirken. Die Sozialarbeiterin B. bespricht mit Frau A. ihre beruflichen Per-spektiven und Wünsche.

Da es Frau A. psychisch nicht gut geht, könnte eine Triage an eine psychologische Fachperson erfolgen. Eine psychische Erkrankung wie eine Depression kann ebenfalls das Selbstwertgefühl schwächen (Schweizerische Gesellschaft für Angst und Depressionen, ohne Datum). Allenfalls

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könnte therapeutische Unterstützung durch eine Fachperson ebenfalls hilfreich sein, um spe-zifische Themen wie beispielsweise die Aufarbeitung der eigenen Suchtgeschichte zu bearbei-ten. Für Frau A. könnte es hilfreich sein, zu verstehen, welche Funktion die Suchtmittel in ihrem Leben haben und welche Zusammenhänge zu einem Suchtmittelkonsum oder einer Sucht-mittelabhängigkeit führen. Laut Breuker-Gerbig, Heinzen-Voss und Tödte (1999) kann durch die Reflexion der eigenen Biografie Schuld- und Schamgefühle, sowie innere Spannungszu-stände oder traumatische Erlebnisse thematisiert werden (S. 22).

Da Frau A. von ihrem Partner finanziell abhängig ist, müsste abgeklärt werden, ob sie sozial-versicherungsrechtliche Ansprüche oder Anspruch auf wirtschaftliche Sozialhilfe hat. Daher wäre eine Triage an das zuständige Sozialamt nötig.

Diese Erläuterungen sollen aufzeigen, wie die frauenspezifische Suchtarbeit in der direkten Beratung umgesetzt werden kann. Zu erwähnen gilt dabei, dass sich eine solche Beratung ganz individuell in die unterschiedlichsten Richtungen entwickeln kann und dass die vorange-gangenen Ausführungen lediglich als Beispiel dienen.

6.5 Wesentliche Erkenntnisse aus dem Kapitel

Um die frauenspezifische Suchtberatung in der Praxis umsetzen zu können, ist das Vorhan-densein des entsprechenden Fachwissens bezüglich der Besonderheiten der Suchtmittelab-hängigkeit bei Frauen unumgänglich. Dies beginnt bereits auf der Ebene der Institution, in der die frauenspezifischen beziehungsweise gendergerechten Strukturen zwingend festgelegt werden müssen. Ohne diese institutionelle Verankerung und eine verinnerlichte Grundhal-tung sind eine frauenspezifische SuchtberaGrundhal-tung und deren Angebote nur schwer umsetzbar (Ruflin & Guggenbühl, 2009, S. 16-18). Doch auch auf der Ebene der Fachpersonen sind spe-zifische Kompetenzen gefragt. Zum einen können die Gender-Fachlichkeit und die ständige Reflexion der eigenen Geschlechtsidentität als Grundvoraussetzungen genannt werden, und zum anderen spielt die angepasste Gestaltung des Beratungsprozesses eine wichtige Rolle (Zenker, 2009, S. 37-38). Die konkrete methodische Umsetzung lässt sich dabei von den me-thodischen Zugängen der Sozialen Arbeit im Praxisfeld der Suchthilfe ableiten. Grosse Bedeu-tung kommen dabei den frauenspezifischen Besonderheiten und Themen zu, welche speziell beachtet werde müssen (Ruflin & Guggenbühl, 2009, S. 16-18). Auch in der Beratung gelten

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grundlegend die klassischen sozialarbeiterischen Gesprächs- und Beratungsmethoden. Ab-schliessend lässt sich sagen, dass es einige verschiedene Möglichkeiten gibt, dem Geschlecht der Frau in Bezug auf eine Suchmittelabhängigkeit in ihrer Beratung gerecht zu werden. Die gesammelten und aufgeführten Umsetzungsmöglichkeiten stellen lediglich einen Teil der Möglichkeiten dar und dürfen auf keinen Fall als abschliessend gesehen werden. Sie geben jedoch eine Antwort auf die Frage, WIE sich der frauenspezifische Ansatz in der Profession der Sozialen Arbeit umsetzen lässt.

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