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6. UMSETZUNG DER FRAUENSPEZIFISCHEN SUCHTARBEIT IN DER AMBULANTEN SUCHT-

6.3 Umsetzung auf Ebene der Fachpersonen

Um als Fachperson frauenspezifisch beziehungsweise genderspezifisch handeln zu können, benötigt es eine sogenannte Gender-Fachlichkeit. Ohne eine positive Verankerung der eige-nen Genderrolle wird es einer Fachperson kaum möglich sein, eine Vorbildfunktion einneh-men zu können. Ist eine Fachperson gekränkt und vom eigenen oder anderen Geschlecht frus-triert, erschwert dies den Umgang in der Beratung und im Umgang mit dem Team und vschlechtert somit die Qualität der Suchtarbeit. Diese benötigte GendFachlichkeit wird er-reicht, indem Teamgespräche, Supervisionen und Fort- und Weiterbildungen dazu genutzt werden, die eigene Person als Frau oder als Mann zu reflektieren (Zenker, 2009, S. 35). Ohne diese Reflexion der eigenen Geschlechterbilder und der eigenen Geschlechterrolle ist die frau-enspezifische Suchtarbeit nicht umsetzbar (Ruflin & Guggenbühl, 2009, S. 16-18), denn mit Frauen zu arbeiten bedeutet nicht automatisch frauenspezifisch zu arbeiten (Christel Zenker, 2006, S. 6). Nur mit einer solchen ständigen Reflexion der eigenen Gender-Biografie und der bestehenden Geschlechterbilder kann eine frauenspezifische beziehungsweise genderspezi-fische Grundhaltung eingenommen werden. Ist eine solche Sensibilität und Einnahme der Grundhaltung gegeben, kann dies die gesamte Arbeitsweise einer Organisation verändern (Ruflin & Guggenbühl, 2009, S. 16-18).

Um Möglichkeiten aufzuzeigen, wie diese Reflexion der eigenen Geschlechtsidentität gestal-tet werden kann, formuliert Zenker (2009) folgende Fragen (vgl. Abb. 10), welche sich jede Fachperson stellen sollte:

Ammann Karin & Koster Luana 62 Abbildung 10: Reflexion der eigenen Geschlechtsidentität (eigene Darstellung nach Zenker, 2009, S. 37-38)

Nebst der Gender-Fachlichkeit spielt auch die Gestaltung des Beratungsprozesses eine wich-tige Rolle. Wie in den vorherigen Kapiteln beschrieben sind fehlende Autonomie, eine geringe Selbstachtung, ein geringes Selbstwertgefühl, mangelnde Durchsetzungsfähigkeit oder unge-nügende soziale Kompetenzen kennzeichnend für suchtmittelabhängige Frauen (vgl. Kap.

3.2.4). Aus diesem Grund ist es in der frauenspezifischen Suchtarbeit wichtig, diese Eigen-schaften zu stärken. Unter dem Ansatz des Empowerments werden die Frauen als Expertin-nen ihres eigeExpertin-nen Lebens angesehen und aktiv in den Beratungsprozess miteinbezogen (Hein-zen-Voss & Ludwig, 2016, S. 26). Die Beratung sollte sich stets an der individuellen Lebenswelt der Frauen orientieren. Dabei werden ihre persönlichen Bedürfnisse und Ressourcen (Singer-hoff, 2002, S. 229) sowie ihre Fähigkeiten und Kompetenzen und ihre biografisch erworbenen Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen (Peine, 2016, S. 83) berücksichtigt. Der Beratungsprozess soll parteilich, unterstützend und stärkend wirken (Guggenbühl, Bütler, Ruflin, 2010, S. 21).

Die Frauen sollen dabei unterstützt werden, dass sie sich den gesellschaftlichen und kulturell bestimmten Rollenzuschreibungen bewusstwerden, dass sie diese kritisch hinterfragen und

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sich davon distanzieren können. Die Fachpersonen unterstützten die Frauen dabei, dass sie Selbstkonzepte entwerfen, welche ihre Erlebens- und Verhaltensweisen erweitern (Heinzen-Voss & Ludwig, 2016, S. 26). Die Fachpersonen beziehen das frauenspezifische Wissen über suchtmittelabhängige Frauen im gesamten Beratungsprozess in ihre Beratung mit ein (Singer-hoff, 2002, S. 229).

Der hohe Anteil von suchtmittelabhängigen Frauen, welche Gewalterfahrungen gemacht ha-ben, verdeutlicht, dass diesem Thema auch in der Beratung unbedingt Beachtung geschenkt werden muss. Vogelsang (2016) weist darauf hin, dass betroffenen Frauen lernen müssen, ihre Lebensbedingungen und ihr Umfeld als gestaltbar, veränderbar und handhabbar wahr-zunehmen (S. 207). Das Bearbeiten von Gewalterfahrungen gehört nicht zu den Kernaufgaben der Sozialen Arbeit. Es ist jedoch laut Vogt (2004) von Vorteil, wenn sich die Beratenden re-flektiert mit eigenen erlebten Gewalterfahrungen, Grenzverletzungen und sexueller Bedro-hung auseinandersetzen (S. 176).

Wie in Kapitel 6.2 erwähnt, ist das Thema Kinder wichtig, dies gilt auch für die Fachperson.

Die Klientinnen sollen immer gefragt werden, ob sie Kinder haben und auch, ob Betreuungs-möglichkeiten für diese existieren (Ernst, 2006, S. 319-320). Zudem soll die Klientin das Kind/die Kinder auch einmal zu einem Beratungsgespräch mitnehmen, damit die Fachperson diese kennenlernen kann (Bundesamt für Gesundheit, 2012, S. 11).

Nachdem nun die wichtigsten Punkte zur Umsetzung einer frauenspezifischen Suchtberatung auf der Ebene der Institution und der Fachperson beleuchtet wurden, folgen nun Erläuterun-gen zur Umsetzung in der direkten Beratung.

6.4 Umsetzung Ebene der direkten Beratung

Zur Veranschaulichung der Umsetzungsmöglichkeiten der frauenspezifischen Suchtberatung in der direkten Beratung wäre es von Vorteil gewesen, ein Fallbeispiel in einer frauenspezifi-schen Einrichtung zu wählen. Aufgrund der beschriebenen Entwicklung des Gender Mainstreaming und der beschränkten Anzahl an ambulanten frauenspezifischen Angeboten in der Schweiz wird nun ein Beispiel einer Sozial-Beratungsstelle, welche sich als Fachstelle mit der Beratung, Begleitung und Therapie von Menschen mit auffälligem Konsumverhalten

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befasst, vorgestellt. Dies entspricht mehr der bestehenden Wirklichkeit und den möglichen zukünftigen Arbeitswelten Professioneller der Sozialen Arbeit und somit auch der Autorinnen.

Da auf solchen Sozial-Beratungsstellen meist keine konkreten frauenspezifischen Konzepte oder Vorgehensweisen bestehen, wird davon ausgegangen, dass ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Beachtung des Geschlechtes vorhanden ist und genderspezifische Angebote bestehen.

6.4.1 Fallbeispiel

Folgend werden das Sozial-Beratungszentrum XY und die Situation von Frau A. kurz beschrie-ben.

Vorstellung des Sozial-Beratungszentrums (SoBZ) XY

Das Sozial-Beratungszentrum (SoBZ) XY4 ist eine Fachstelle für Beratung, Begleitung und The-rapie von Menschen mit auffälligem Konsumverhalten legaler Suchmittel. Dabei wird haupt-sächlich der problematische Konsum von Alkohol, Medikamenten und Tabak behandelt. Das Angebot setzt sich aus folgenden Dienstleistungen zusammen:

- Allgemeine Informationen zu legalen Suchtmitteln und zum Suchtverhalten

- Beratung, Begleitung und Therapie von Klientinnen und Klienten, Angehörigen und weiteren Bezugspersonen

- Krisenintervention

- Coaching von Arbeitgebern und Bezugspersonen - Gesprächsgruppenangebote

- Klienten- und fachbezogene Kontakte zu Behörden und Gemeindevertretern, Sozial-diensten sowie anderen Fachstellen und Institutionen

Das Angebot richtet sich an alle Menschen aus dem Kanton, welche über ihren Suchtmittel-konsum besorgt sind oder eine Abhängigkeit aufweisen. Dabei werden sowohl betroffene Per-sonen als auch ihre Angehörigen und beispielsweise besorgte Arbeitgebende kostenlos bera-ten. Dieses Angebot richtet sich hauptsächlich an Personen über 18 Jahre.

4 In Anlehnung an das Angebot des SoBZ Luzern (SoBZ Luzern, ohne Datum)

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Die Ziele einer Behandlung können dabei nicht pauschal und übergreifend über alle Klientin-nen und Klienten gleich definiert werden. Grundsätzlich gibt die betroffene Person die Be-handlungsrichtung vor, indem sie ihre persönlichen Ziele definiert. Die Fachpersonen des SoBZ XY stehen bei der Formulierung der Ziele zur Seite, indem gemeinsam eine Situations-analyse als Grundlage für die weitere Zusammenarbeit erstellt wird.

Beim SoBZ XY arbeiten zehn Sozialarbeitende, wovon sich eine Person in Ausbildung befindet (Praktikumsstelle). Zwei Mitarbeitende im Sekretariat ergänzen das Team. Jede/r Sozialarbei-tende spezialisiert sich in einem bestimmten Fachgebiet des Angebots (zum Beispiel Alkohol, Tabak, Medikamente).

Situationsbeschreibung

Frau A., 55-jährig, nahm Kontakt zum SoBZ XY auf und vereinbarte telefonisch einen Termin.

Den ersten Termin verpasste sie. Zum zweiten vereinbarten Gesprächstermin mit der Sozial-arbeiterin B. erschien eine unsicher wirkende, gepflegte Frau mittleren Alters. Im Erstge-spräch gab sie an, sie sei 20 Jahre verheiratet gewesen und habe eine erwachsene Tochter, zu der sie nur wenig Kontakt habe. Sie habe ihre Enkelin bisher nur wenige Male gesehen. Ein Kind habe sie während der Schwangerschaft verloren. Vor 10 Jahren habe sie sich scheiden lassen. Die Ehe sei schon immer schwierig gewesen, da ihr Mann Alkoholiker gewesen sei. Es sei in der Vergangenheit auch zu gewalttätigen Übergriffen gekommen, aber nur dann, wenn er getrunken habe. Seit einigen Jahren habe sie wieder eine neue Beziehung, ihr jetziger Part-ner trinke ebenfalls. Sie wohne gemeinsam mit ihm in seiPart-ner Wohnung und würde die Bezie-hung zum ihm als nicht gut bezeichnen. Sie habe lange als Verkäuferin gearbeitet, aber nun vor zwei Jahren ihre Stelle verloren. Die Arbeit sei ihr immer wichtig gewesen und habe ihr Freude gemacht. Dabei habe sie insbesondere den Kontakt zu den Kunden sehr geschätzt. Ihr soziales Umfeld sei sehr klein, und da sie keine Hobbys habe, verbringe sie die meiste Zeit zu Hause. Häufig fehle ihr auch die Energie, überhaupt etwas zu tun. Ihre finanziellen Mittel seien sehr eingeschränkt, und sie habe nur wenige Ersparnisse und wisse manchmal daher kaum, wie sie ihre Rechnungen bezahlen soll. Eine kleine finanzielle Unterstützung erhalte sie zwar von ihrem Partner, da er einer regelmässigen Arbeit nachgehe. Im Verlauf des Gesprächs stellte sich heraus, dass Frau A. ebenfalls regelmässig Alkohol trinkt. Sie trinke ungefähr eine

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Flasche Wein pro Tag und habe von ihrem Hausarzt Medikamente erhalten, damit sie wenigs-tens schlafen könne. Diese nehme sie nun schon seit fast einem Jahr ein. Abschliessend er-wähnte sie, wie verzweifelt sie momentan über ihre Lebenssituation sei und dass sie nicht mehr weiterwisse.

Koordinaten psychosozialer Diagnostik

Aus den Informationen, welche aus dem Gespräch hervorgingen, wurde anhand der Koordi-naten psychosozialer Diagnostik eine erste Einschätzung vorgenommen.

Abbildung 11: Koordinaten psychosozialer Diagnostik Frau A., (eigene Darstellung, auf der Basis von Pauls, 2011, S. 210)

Anhand der oben aufgeführten Darstellung wird ersichtlich, dass bei Frau A. die Stressoren, Belastungen und Defizite deutlich ausgeprägter sind als ihre Stärken und Ressourcen (vgl.

Abb. 11). Diese Darstellung darf jedoch nicht als abschliessend angesehen werden. Sie stellt lediglich eine Momentaufnahme der bekannten Informationen dar. Um ein genaueres Bild von Frau A. zu erhalten, wären weitere Gespräche und Informationen notwendig, wobei die erste Einschätzung ergänzt würde. Unter dem Ansatz der Ressourcenorientierung würde man sich dabei auf die Stärken von Frau A. konzentrieren und sie konkret danach befragen.

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Wird diese Momentaufnahme jedoch als Grundlage für eine weitere Beratung genommen, lassen sich bei Frau A. folgende Problemfelder ableiten:

- Problematische Beziehungsverhältnisse zu Partnern - Gewalterfahrungen

- Frühere und aktuelle Partnerschaft mit einem Partner mit Suchtproblematik - Finanzielle und existenzielle Abhängigkeit vom jetzigen Partner

- Erwerbslosigkeit - Kein soziales Netz

- Schwieriges Verhältnis zur Tochter und Enkeltochter (Schuldgefühle) - Psychische Problematik

Anhand dieser Problemfelder wird nun aufgezeigt, wie eine weitere Bearbeitung des Falles aussehen würde.

6.4.2 Konkrete Umsetzung

Folgend werden anhand der Informationen aus der Situationsbeschreibung, dem psychoso-zialen Diagnosemodell und den definierten Problemfeldern Vorgehensweisen aufgezeigt, welche in der direkten Beratung angewendet werden könnten.

Kontakt herstellen, Beziehung aufbauen

Wie bereits erwähnt ist die Beziehung zur Klientin einer der wichtigsten Faktoren, um Ziele zu erreichen. Speziell bei suchtmittelabhängigen Frauen ist diese umso wichtiger, da sie häufig Angst haben, sich auf eine Beziehung einzulassen und unter Beziehungsstörungen leiden (Zenker et al., 2005, S. 36). Dabei spielen ein respektvolles Verhalten und die Wahrung der Intimsphäre eine wichtige Rolle (Ernst, 2006, S. 319). Nach Vogt (2004) gehört die Beziehungs-gestaltung zu den Basisqualifikationen. Eine gute Beziehung zu den Klientinnen ist essenziell, damit sie sich überhaupt auf Veränderungen einlassen können, während des Prozesses mit-arbeiten und nicht gleich resignieren, wenn sich die gewünschten Veränderungen nicht so leicht umsetzen lassen wie vielleicht gewünscht (S. 178). Auch Esther Weber (2012) benennt die Beziehungsgestaltung als wichtige Kompetenz der Sozialarbeitenden. Nur wenn die Klien-tinnen Vertrauen entwickeln können, können Kooperation erreicht und Veränderungsschritte umgesetzt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, welche beraterischen Techniken die So-zialarbeitenden einsetzen (S. 23). Die SoSo-zialarbeitenden müssen bei der Beratung von Frauen

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berücksichtigen, dass Frauen beziehungsorientiert sind. Das beutet, dass Frauen nicht nur Hilfe und Beratung erwarten, sondern sie wünschen sich, durch die Beratung auch persönli-che und soziale Anerkennung zu erhalten (Böhnisch & Funk, 2002, S. 245).

Im Fall von Frau A. könnten sich wertschätzende Worte und Lob, dass sie den Mut hatte, sich an die Beratungsstelle zu wenden, positiv auf die Beziehung auswirken. Um ihr Sicherheit und Vertrauen zu vermitteln, sollte in diesem Erstgespräch davon abgesehen werden, sie auf den ersten verpassten Termin anzusprechen. Viel wichtiger ist es, ihr in diesem Gespräch das Ge-fühl von Wertschätzung, Akzeptanz und Transparenz zu vermitteln.

Wahlmöglichkeiten

Während eines Beratungsprozesses sollten der Klientin stets Wahlmöglichkeiten geboten werden. Laut Ernst (2006) soll die Klientin grundsätzlich wählen können, ob sie von einer Frau oder einem Mann beraten werden möchte (S. 319), ausserdem soll sie auch selbst entschei-den, wann sie spezifische Themen ansprechen möchte (Gisela Heinrich, 1995, S. 127).

Demzufolge soll Frau A. nach einem ersten Gespräch auf die Möglichkeit hingewiesen werden, die Beratung bei einem Mann oder auch bei einer Frau fortsetzen zu können. Ausserdem soll sie, falls es um das Besuchen eines weiteren Angebots wie beispielsweise einer Selbsthilfe-gruppe geht, selbst entscheiden, ob sie ein frauenspezifisches oder ein gemischtgeschlechtli-ches Angebot annehmen möchte. Dabei kann es hilfreich sein, sie zu ermutigen, ein frauenspe-zifisches Angebot in Anspruch zu nehmen, um ihr eine solche Erfahrung zu ermöglichen (Bun-desamt für Gesundheit, 2012, S. 11).

Um ihr eine weitere Wahlmöglichkeit zu geben, sollte Frau A. nicht zum Besprechen eines be-stimmen Themas gedrängt werden. Sie soll selbst entscheiden können, wann sie worüber spre-chen möchte. Durch diese Wahlmöglichkeiten wird Frau A. ein Entscheidungsspielraum gebo-ten, der ihr Autonomie vermitteln soll.

Gemeinsame Zielerarbeitung

Ebenfalls angelehnt an die Wichtigkeit der Wahlmöglichkeit ist die gemeinsame Zielerarbei-tung. Diese gilt als wichtiger Teilschritt im gesamten Beratungsprozess, da die formulierten

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Ziele als roter Faden dienen (Weber, 2012, S. 60). Die Zielerarbeitung dient dazu, um mit der Klientin ein Arbeitsbündnis zu schliessen (S. 60). Dabei versteht Weber unter dem Begriff der Zielerarbeitung (2012): «(…) eine explizite, beidseitige Verpflichtung, sich an ein klar definier-tes Vorgehen zu halten» (S. 60). Ein Ziel legt einen erstrebenswerten Endzustand fest, welcher bereits in Gedanken formuliert wird (Weber, 2012, S. 61). Manchmal wäre es fast einfacher, wenn die Sozialarbeitenden der Klientin die Ziele vorgeben und ihr sagen würden, was sie zu tun hat. Aus der Praxis ist jedoch bekannt, dass dies nicht funktioniert (Weber, 2012, S. 61).

Nach Böhnisch und Funk (2002) dürfen die Beratenden nicht vergessen, dass die Klientinnen immer auch subjektive Lösungen mitbringen. Diese können von den Lösungsmöglichkeiten der Beratenden abweichen (S. 237). Die Entwicklungswünsche der Klientin müssen jedoch zwingend berücksichtigt werden (Frauke Schwarting, 2016, S. 49). Bedeutsam ist dabei zu-dem, die subjektive Sicht der Frau anzuerkennen und ernst zu nehmen (Heinzen-Voss & Lud-wig 2016, S. 26). Allgemein gilt es zu beachten, dass suchtmittelabhängige Frauen laut Vogt und Winkler (1996) mehr aktive Hilfe zur Bewältigung ihrer Probleme benötigen als Männer.

Durch ihr geringes und oftmals beschädigtes Selbstwertgefühl provozieren sie Misserfolge häufig geradezu. Dies muss in der gesamten Beratung, doch besonders in der Phase der Zieler-arbeitung beachtet werden. Ausgerichtet auf die Stärkung des Selbstwertgefühls sollten Ziele so formuliert und festgelegt werden, dass Erfolgserlebnisse absehbar sind. Auf diesem Weg gelingt es vielen Frauen, aus alten Abhängigkeiten auszusteigen und ein selbstbestimmtes Le-ben aufzubauen (S. 26).

Nachdem die Sozialarbeiterin B. Frau A. nach ihren Beweggründen für die Inanspruchnahme dieser Beratung gefragt hat, gibt diese an, dass für sie die fehlende Tagesstruktur und die schwierige Beziehung zu ihrem Partner die Hauptproblematik darstellen. Zudem macht sie sich jedoch auch Gedanken über ihren Alkohol- und Medikamentenkonsum, obwohl sie dabei nie von einer Problematik oder Abhängigkeit spricht. Vielmehr beschäftigen sie in diesem Zusammenhang Schuld- und Schamgefühle ihrer Tochter gegenüber, welche den Alkoholkon-sum ihrer Mutter verachtet.

Da gemäss Breuker-Gerbig, Heinzen-Voss und Tödte (1999) die Ziele auf der individuellen Le-benssituation, den Ressourcen und Bedürfnissen der Klientin basieren sollen, muss zwingend auf diese Äusserungen von Frau A. eingegangen werden (S. 20). Sie dienen als Grundlage, um

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gemeinsam mit ihr Ziele zu entwickeln und konkretisieren. Durch die gemeinsame Zielerarbei-tung wird zudem das Ziel einer BeraZielerarbei-tung, das Wiedererlangen von Handlungsfähigkeit in schwierigen Lebenssituationen, bearbeitet. Die Sozialarbeiterin sollte Frau A. im Lösungsfin-dungsprozess unterstützen und sie dabei gleichzeitig befähigen, eigene Lösungen für ihre Prob-leme zu finden (Böhnisch & Funk, 2002, S. 237).

Thematisieren der Beziehungsmuster

In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits mehrmals erwähnt, dass suchtmittelabhän-gige Frauen oftmals problembelastete Beziehungsmuster haben. Daher ist es besonders wich-tig, sich dieser Erkenntnis auch in der direkten Beratung mit einer Klientin bewusst zu sein.

Dabei soll zusammen mit der Klientin individuell angeschaut werden, welche Beziehungsmus-ter sich erkennen lassen und welche Erfahrungen damit gemacht wurden.

Bei Frau A. könnten beispielsweise ihre Partnerschaften zu alkoholabhängigen Männern the-matisiert werden. Zudem könnte zusammen mit ihr angeschaut werden, wie sich ihre allge-meine Beziehungsgestaltung und -orientierung verhalten hat und welche Schlüsse sie selbst daraus zieht. Bezogen auf ihr Beziehungsverhalten stellte Frau A. im Verlauf des Gesprächs fest, dass sie sich praktisch in sämtlichen Beziehungen aufopferungsvoll und selbstlos verhält.

Ihr fällt es sehr schwer, sich durchzusetzen. Nachdem sie die Sozialarbeiterin B. auf ihre Be-dürfnisse in einer Beziehung anspricht, stellt Frau A. bestürzt fest, sich solche Gedanken noch nie gemacht zu haben.

Das Erkennen, Formulieren und Durchsetzen der eigenen Bedürfnisse ist zentral und soll ge-stärkt werden. Durch die Bereitschaft, sich Konflikten und Auseinandersetzungen zu stellen und sich aus der Opferrolle zu befreien, erweitert Frau A. ihre sozialen Kompetenzen und stärkt ihre Durchsetzungsfähigkeit. Dadurch lernt sie, dass die Gestaltung ihres eigenen Lebens in ihrer Verantwortung liegt. Dies wiederrum hilft ihr, sich aus ihrer Abhängigkeit zu befreien.

Aufbau eines sozialen Netzes

Da suchtmittelabhängige Frauen wie bereits in Kapitel 3.2.4 beschrieben wenige tragende Freundschaften haben, soll deren Aufbau gefördert werden.

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Frau A. soll dabei unterstützt werden, ein kleines soziales Netz aufzubauen. Laut Ernst (2006) ist es gerade bei Frauen, welche ebenfalls suchtmittelabhängige Partner haben, wichtig, dass sie auch Vertrauenspersonen ausserhalb der Familie haben, da die Beziehung zu einem sucht-mittelabhängigen Partner ein grosses Rückfallrisiko darstellt (S. 320). Eine Möglichkeit dazu bietet das Besuchen einer Selbsthilfegruppe. Dies könnte Frau A. vorgeschlagen werden. Ge-mäss dem BAG (2012) könnte dabei eine Begleitung zum erstmaligen Besuch zur Selbsthilfe-gruppe hilfreich sein, da solche neuen und unvorhersehbaren Situationen Unsicherheit und Angst hervorrufen können (S. 12).

Stärkung des Selbstwertgefühls

Bei vielen Frauen ist das negative Selbstbild tief verankert. Sie glauben, nichts wert zu sein.

Dies kann bis in die Kindheit zurückgehen, wo sie körperliche Gewalt erlitten haben oder ab-gewertet wurden. Es kann aber auch erst im Lauf der Jahre im Zusammenhang mit der Sucht-mittelabhängigkeit und der darin erfahrenen Gewalt entstanden sein (Irmgard Vogt, S. 2016, S. 119). Vogt (2016) merkt an, dass es daher wichtig ist, das Selbstwertgefühl der Frauen in der Beratung zu stärken oder wiederherzustellen und den Frauen Wertschätzung entgegen-zubringen. Die Botschaft der Sozialarbeitenden an die Frau muss allerdings glaubwürdig sein.

Dies gelingt nur, wenn die Sozialarbeitenden selbst davon überzeugt sind, dass auch eine suchtmittelabhängige Person ein wertvoller Mensch ist, der es verdient, ein gutes beziehungs-weise ein besseres Leben zu führen (S. 118).

Im Fall von Frau A. ist davon auszugehen, dass sie durch ihre schwierige Ehe mit gewalttätigen Übergriffen, den Verlust der Arbeitsstelle, welche ihr wichtig war und den Schuld- und Scham-gefühlen gegenüber ihrer Tochter, ein beschädigtes Selbstwertgefühl hat. Um dieses zu stär-ken, könnte eine Aufgabe in ihrem Leben wichtig sein. Das Gefühl, wieder gebraucht zu werden und etwas Sinnvolles zu tun, das ihr Bestätigung und soziale Anerkennung einbringt, könnte dabei unterstützend wirken. Die Sozialarbeiterin B. bespricht mit Frau A. ihre beruflichen Per-spektiven und Wünsche.

Da es Frau A. psychisch nicht gut geht, könnte eine Triage an eine psychologische Fachperson erfolgen. Eine psychische Erkrankung wie eine Depression kann ebenfalls das Selbstwertgefühl schwächen (Schweizerische Gesellschaft für Angst und Depressionen, ohne Datum). Allenfalls

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könnte therapeutische Unterstützung durch eine Fachperson ebenfalls hilfreich sein, um spe-zifische Themen wie beispielsweise die Aufarbeitung der eigenen Suchtgeschichte zu bearbei-ten. Für Frau A. könnte es hilfreich sein, zu verstehen, welche Funktion die Suchtmittel in ihrem

könnte therapeutische Unterstützung durch eine Fachperson ebenfalls hilfreich sein, um spe-zifische Themen wie beispielsweise die Aufarbeitung der eigenen Suchtgeschichte zu bearbei-ten. Für Frau A. könnte es hilfreich sein, zu verstehen, welche Funktion die Suchtmittel in ihrem