• Keine Ergebnisse gefunden

3. Die Eisrandtäler: Eine Einführung in die lateroglazialen Sedimentations- komplexe

3.6 Zeitliche Einordnung der lateroglazialen Sedimentformationen

Im Rahmen der Arbeit wird eine relative zeitliche Einordnung fußend auf den vorgefundenen glazigenen und nicht-glazigenen Sedimenten im lateroglazialen Ablagerungsraum vorgenommen. Sie bildet somit eine intrinsische relative Chronologie. Die Arbeit grenzt sich damit in ihrer Zielsetzung von dem Anliegen einer Eiszeitrekonstruktion ab, die durch andere detaillierte Forschungsarbeiten mit sowohl zeitlichen und relativen Einordnungen für das Hoch-, Spät- sowie Postglazial für das Untersuchungsgebiet vorliegen (siehe unten und Forschungsstand in Kap. 1. 4). Bei den Eisrandtälern handelt es sich um vielfältig zusammengesetzte Landschaftsformen von Ufermoräne, lakustrinen

Sedimenten, resedimentierten Hangmoränen sowie glaziofluvialen Ablagerungen aus den Nebentälern, Ufermoränenanlagerungen und -überschüttungen (Abb. 1.2), die eine gute Grundlage für die Erstellung einer relativen Chronologie bildeten.

Im Allgemeinen werden von den meisten Autoren die unmittelbar gletscherbegleitenden Moränenakkumulationen im Karakorum als historisch bis neoglazial eingeordnet (KICK 1956, DERBYSHIRE 1984, KUHLE 1994, HASERODT 1989, MEINERS 1996). Allerdings besteht nur bedingt eine differenzierte Chronologie innerhalb dieser postglazialen Ablagerungen im lateroglazialen Bereich. DERBYSHIRE(1984) sondert für das Postglazial die Stadien Batura, Passu I und II (t6-t8) auf der Basis von vier Gletschern des Hunza-Tales aus (Kap. 4.1.2). Die hoch- und spätglaziale Vergletscherungsgeschichte sowie auch neoglaziale bis historische Gletscherschwankungen wurden von KUHLE(1982-2004) für den gesamten hochasiatischen Raum übergreifend rekonstruiert. Einen Überblick über die umfangreichen Forschungsarbeiten gibt die Publikationsliste in EHLERS &

GIBBARD (2004), in der die Ergebnisse auch in Form einer digitalen Karte zusammenfassend vorliegen. In diesem Rahmen wurden auch absolute Datierungen in Form von 14C-Datierungen durchgeführt (KUHLE 1997). Das im Dhaulagiri-Annapurna-Himalaya aufgestellte Stadiensystem (KUHLE 1982, siehe auch Tab. in KUHLE 1994) umfasst das Hochglazial bis hin zu den aktuellen Gletscherständen (Stadium XII). An dieser Zeitskala mit ihrer Abgrenzung vom Spät- zum Postglazial orientiert sich auch die in der vorliegenden Arbeit erarbeitete Chronologie. Nach der Chronologie von KUHLE (1994) sind sie in die neoglazialen Stadien V- VII (Nauri, älteres und mittleres Dhaulagiri Stadium), in die historischen Gletscherstände VII-XI (jüngeres Dhaulagri-Stadium, Stadium VIII-XI) sowie in die heutigen Gletscherstände (Stadium XII) einzuordnen (KUHLE 2001). MEINERS (1996) ordnet die Ufermoränenkomplexe nach KUHLE (1994) im Karakorum anhand von Schneegrenzberechnungen und der einstigen Gletscherreichweite übergreifend einem neoglazial-historischen Stadium ein.

Im Karakorum werden die Gletscher in der Regel von einer hoch aufragenden, prononcierten Ufermoräne begleitet, die von KICK(1956) als die „Grosse Ufermoräne“ ausgegliedert wurde (Kap.

6.6). KICK(1956, 1989) nimmt Abstand davon, diese Ufermoräne mit den 1850er-Moränen der Alpen zu korrelieren. Es gab sicherlich einen Gletscherhochstand in dieser Zeit im Karakorum, der jedoch zu jeder Zeit des 19. und des Beginn des 20. Jhs. stattgefunden haben kann (KICK1989: 129). Durch die hohe Schuttbedeckung der Gletscher geht KICK (1989: 140) tendenziell von einem späteren Abschmelzen der Gletscher aus als in den Alpen. Dies bestätigen auch die Geländebeobachtungen der Verfasserin im Hinblick auf die Gletscherseebildung im Zusammenhang mit Gletschervorstoßphasen (ITURRIZAGA 2004a). Am Beispiel der „Eislappenmoräne“ weist KICK darauf hin, dass die Ufermoränen einen älteren Kern besitzen können und auch stellenweise mehrere Moränenwälle anzutreffen sind. Auch für die Alpen haben u.a. RÖTHLISBERGER & SCHNEEBELI(1979: 417) sowie HEUBERGER(1980: 98) dargelegt, dass die „Grossen Ufermoränen“ wesentlich älter sind als die Kleine Eiszeit (Little Ice Age). Diese Wälle wurden bereits seit mindestens 3500 Jahren v.h. aufgeschüttet.

Im lateroglazialen Bereich wird zumeist die Ufermoräne für Datierungszwecke genutzt (RÖTHLISBERGER1986). Das Alter der Ufermoräne gibt ein Mindestalter der Eisrandtäler an und ist somit im Rahmen der Arbeit von Bedeutung. Die Ufermoränen werden zumeist auf zwei Wegen absolut datiert: 1. Radiokarbon-Datierungen des organischen Materials in Form von Bodenhorizonten oder fossilen Holzstrünken, die an den Ufermoräneninnenhängen bloß gelegt worden sind (RÖTHLISBERGER 1986) und 2. Datierungen von Gesteinsoberflächen von Blöcken auf dem Ufermoränenfirst mittels kosmogener Nuklide (BE10-Methode). Durch die Begrenztheit von organischem Material in den Ufermoränen ist die Radiokarbon-Methode nur bedingt anwendbar.

Ferner ist die Herkunft von dem organischen Material durch die zahlreichen Umlagerungsprozesse im eismarginalen Bereich oftmals nicht mehr nachvollziehbar. SCHNEEBELI & RÖTHLISBERGER (1976) haben die verschiedenen Verquickungen von Ufermoränenüberschüttung und -anlagerung bereits für den Alpenraum thematisiert.

Die Ufermoräne stellt ein Mosaik aus verschiedenen Sedimentliefergebieten dar und kann nicht als einheitliches zeitliches Landschaftsgebilde aufgefasst werden. Zudem sind die Umlagerungsprozesse im lateroglazialen Bereich hoch: Zum einen unterliegen die Ufermoräneninnenhänge nicht nur einer ständigen Erosion durch den Gletscher, sondern im Gegenzug auch der Ufermoränenanlagerung.

Wenn bei einer durch Dumping-Prozesse aufgebauten Ufermoräne (unten alt, oben jung), eine

Moränenoberfläche zurückgeführt und der damit verbundenen sukzessiven Freilegung von “frischen”

Blöcken. Im Laufe der Erosion der Moränenoberfläche, insbesondere des Feinmaterials, werden Blöcke freigelegt, die aufgrund ihres kürzeren Bestrahlungszeitraumes ein jüngeres Alter als die Moräne aufweisen. Das Alter der Moränenoberfläche ist damit eine Funktion der Erosionsgeschwindigkeit. In einem Oberflächendegradationsmodell wird aufgezeigt, wie durch die Erniedrigung der Moränenoberfläche die Altersdatierung mittels kosmogener Nuklide beeinflusst wird (HALLET& PUTKONEN 1994). Darin wurden 500 Blöcke einer 100 ka alten Moräne einbezogen, die von 60 m auf 29 m in diesem Zeitraum degradiert wurde. Würde keine Erosion stattgefunden haben, müssten alle Blöcke das gleiche Alter aufweisen. Im Laufe der Erosion kommen jedoch immer jüngere Blöcke zu Tage. Das Modell kommt zu dem Schluss, dass kosmogene Oberflächendatierungen das Alter der Landform in der Regel zu jung angeben. Andererseits zeigen Arbeiten wie von TSCHUDI

(2000), dass bei einer sorgfältigen Auswahl der Probenlokalität und einer minimalen Umlagerung des Materials diese Datierungsmethode Anwendung finden kann. Die Auswahl der geeigneten Probenlokalität, d.h. die genaue Information über die Herkunft und die Ablagerungsbedingungen des Blockes sowie die Verwitterungsgeschichte der Gesteinsoberfläche sind eine Grundbedingung für die Durchführung dieser Altersdatierungsmethode.

Die Hauptufermoräne und historisch bis rezente Gletscheroszillationen

Mit den säkularen Gletscherschwankungen im Karakorum hat sich KICK (1985) eingehender beschäftigt. Die von KICK (1956: 338) identifizierte "Große Ufermoräne" bzw. „Great Lateral Moraine” (GLM) nach HASERODT (1989) wird gerne als Äquivalent für den 1850er-Gletscherstand der Alpen herangezogen (MERCER 1963, MAYEWSKI & JESCHKE 1979). Allerdings war dieser Hochstand weder durch Geländebeobachtungen noch durch absolute Datierungen nachgewiesen. So warnt KICK (1989) aufgrund der geringen Datenlage vor einer Parallelisierung der alpinen und asiatischen Gletscherschwankungen und resümiert (KICK1985): „Für ganz Hochasien gibt es keinen historischen Beweis für die Behauptung eines letzten Maximums um 1850.“ Inzwischen liegen allerdings dendrochonologische Untersuchungen von ESPER (2000) vor, die die Kleine Eiszeit bestätigen.

Während in den Alpen allerdings ein relativ einheitliches Vorstoßverhalten im Little Ice Age zu konstatieren ist, das in den 1850er-Ufermoränenständen zum Ausdruck kommt, kam man bereits frühzeitig zu der Erkenntnis, dass die Gletscher Hochasiens sehr individuelle Bewegungsmuster aufzeigen (BURRARD & HAYDEN 1907). Selbst benachbarte Gletscher zeigen ein entgegengesetztes Bewegungsverhalten. Hier sind insbesondere die surge-artigen vorstoßenden Gletscher zu nennen. Ein weiterer Punkt unterscheidet das Bewegungsverhalten der Alpengletscher wesentlich von denen im Karakorum. Nach dem 1850er Hochstand hat keiner der Alpengletscher in den folgenden 150 Jahren diesen Gletscherpegel wieder erreicht (KICK1985: 55). Die Ufermoränen sind seitdem – von einigen Ausnahmen im Mt. Blanc-Gebiet abgesehen - nicht mehr überfahren oder überschüttet worden, sondern eher durch glazigene Unterschneidung transformiert worden. Aber auch HEUBERGER (1980) konstatierte bereits, dass sich die Alpen-Ufermoränen aus Schutt von vor 1850 zusammensetzen. Er schlägt in diesem Zusammenhang eine Unterteilung in monozyklische und polyzyklische Ufermoränen vor.

Die ersten vergleichenden überregionalen Aufzeichnungen über Gletscherschwankungen im Karakorum stammen von VISSER (1938: 197). Er verweist auf Beobachtungen zwischen den Jahren 1900 und 1910, in denen 18 Gletscher im Vorstoß und drei im Rückzug begriffen waren. Für den Zeitraum zwischen 1910 und 1920 waren sechs Gletscher im Vorstoß, 14 im Rückzug und vier stationär. VISSER (1938: 195) macht hierzu die folgende Beobachtung: „Bei zusammengesetzten Gletschern werden die periodischen Bewegungen der Stirn durch die Summe der positiven und negativen Schwankungen aller zusammensetzenden Komponenten bestimmt; dabei wird im allgemeinen die Beweglichkeit der Stirn abnehmen, wenn die Zahl der Komponenten wächst.“

Historischen Beobachtungen zufolge ist um die Jahrhundertwende im NW-Karakorum ein Trend des Gletschervorstoßes zu beobachten gewesen, nach dem von 1930 bis 1960 eine Phase des Rückzugs folgte (MAYEWSKI et al. 1980: 271). Seit dieser Zeit ergab sich keine spezifische Rückzugs- oder Vorstoßtendenz (HEWITT 1982: 263). KICK (1985) beobachtete 1920 einen letzten Hochstand für ausgewählte Gletscher.

3. Die Eisrandtäler 58

KARGEL stellte in seinem Beitrag “100 years of glacier retreat in Central Asia” auf dem XI. INQUA-Congress in Reno 2003 die Ergebnisse des GLIMS-Projektes (Global Land Ice Measurements from Space) vor und führte dabei aus, dass die Gletscher im Karakorum ein eher stationäres Verhalten aufweisen oder teilweise sogar vorstoßen. Diese Beobachtungen harmonieren mit denen der Geländebeobachtungen der Verfasserin in den Jahren 1992 – 2004. Rückzugserscheinungen an längeren Gletschern, wie z.B. dem Gangotri-Gletscher in Indien, der in dem Zeitraum zwischen 1780 und 2001 um 2 km zurückgegangen ist (GLIMS-Projekt), sind im Karakorum weniger zu verzeichnen.

Die Rückzugsraten belaufen sich auf wenige hundert Meter. Die kürzeren Lawinenkesselgletscher hingegen sind nach plötzlichen Gletschervorstößen um mehrere Kilometer wieder zurückgewichen (z.B. Hassanabad-Gletscher).