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4. Regional-empirischer Teil

4.3 Die Gletscher der Spantik-Sosbun-Südabdachung / Haramosh-Nord- abdachung

4.3.2 Tippuri-Gletscher

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4.3.2 Tippuri-Gletscher

y Tippuri-Vorstoß: jüngste Überschüttung der Ufermoränen y exzessive lateroglaziale Schuttablagerung durch Kanalisierung

Der Tippuri-Gletscher mündet unterhalb von Arandu in das Basha-Tal ein. Der Gletscher lag 1903 560 m entfernt von Arandu und war seinerzeit im Vorstoß begriffen (WORKMAN 1905: 251). 1929 zog sich der Gletscher zurück (VISSER 1938, Tab. 3). KICK(1956: 341) berichtet, dass der Gletscher im Jahre 1954 ebenfalls im Rückzug gewesen sei. Im Jahre 1913 hat er noch seine Hauptufermoräne überschüttet. Im Sommer 2000 befand sich der Tippuri-Gletscher in einer Vorstoßphase und endete in 2770 m. In der Form einer großen Katzenpfote schiebt sich die steile Gletscherzunge mit einer Rechtsablenkung gegen das Basha-Tal vor. Gegenüber dem Jahre 1954 ist die Gletscheroberfläche um etwa 30 m – 40 m erhöht, so dass der Gletscher nun die Ufermoränenfirste überragt. Die alte Ufermoränenfassung wird durchgängig durch supraglaziale Ablagerungen überschüttet. Im Frontbereich hat der Gletscher auf der rechten Seite seine Ufermoräne überfahren und bildet neue laterale Saumformen aus. Der Gletscherzungenbereich ist vollständig moränenummantelt, mit Ausnahme eines Durchbruches am Gletschertor. Dieses lag zuvor etwas weiter talabwärts, worauf der vorzeitliche Wurzelbereich des sich anschließenden Übergangskegels hinweist.

Auf der rechten Tippuri-Gletscherseite ist die aktuelle Genese der Lateralmoränenbildung zu verfolgen. Von der prallen stark schuttbedeckten Gletscherstirn gleitet die Obermoräne hinab und bildet im Eiskontakt befindliche Schuttschürzen aus (Photos 4.3.2.2 & 3). Sie gleichen formal zusammengesetzten Schutthalden mit chaotischer Sortierung. Diese Formen treten prinzipiell auch an kalten Gletscherzungen im subpolaren und polaren Bereich auf (SHAW 1977, EVANS 1989) ("ice-marginal aprons") und sind unter dem Prozess des "dry calving" bekannt. Dabei handelt es sich jedoch um trockene Schuttlieferungen aus der frontalen englazialen Eiskliffzone. Sie weisen zumeist eine Gradierung auf und sind nicht so grobblockig wie die Schuttschürzen supraglazialer Herkunft. Beim Tippuri-Gletscher sind nur untergeordnet englaziale Schuttlieferungen bei der Haldenbildung beteiligt.

Weiter talaufwärts gehen diese Schuttschürzen langsam in Ufermoränen mit Eiskontakt über. Im westlichen Gletschervorfeld wurzeln mindestens 5 - 10 jähriges Buschwerk und Bäume.

Der Tippuri-Gletscher wird in dem engen Talgefäßabschnitt, in dem er eisfallartig hinabfließt, von Ufermoränen begleitet, so dass beidseits Randtälchen ausgebildet sind. Der Gletscher selbst liegt dem Moränensaum durchgängig an.

KICK(1954: 341) verwundert das Abschwenken der Tippuri-Gletscherzunge nach Osten, findet dafür aber keine Erklärung. Allerdings gibt es viele weitere Beispiele für derartige Gletscherumbiegungen (z. B. im Huascaran-Chopicalqui-Massiv, Cordillera Blanca, Peru). LLIBOUTRY (1977) erklärt die gekrümmte Form von schuttummantelten Seitengletschern beim Einmünden in das Haupttal damit, dass die Moränenfassung des Gletschers bei zurückgezogener Lage durch einen Moränenseeausbruch zerstört wurde. Bei einem erneuten Vorstoß des Gletschers folgt die Eisfließrichtung entlang des Moränendurchbruches. Für die Umlenkung kann auch die vorzeitliche Vergletscherungssituation eine Rolle gespielt haben, in der der Nebengletscher noch mit dem Hauptgletscher konfluierte. Im Laufe der Deglaziation werden Moränenablagerungen des Haupttalgletscher oder der Eiskörper selbst ein Widerlager gebildet haben. Die linke Tippuri-Ufermoräne kann vorzeitlich die Mittelmoräne zwischen ihm und dem Chogolungma-Gletscher gewesen sein, woraus dann auch das Umbiegen der Tippuri-Gletscherzunge verständlich wird.

Im Vergleich zum Jahre 1954 stößt der Tippuri-Gletscher im Jahre 2000 vor (vgl. Photographie in KICK 1964: Abb. 12). Die Gletscherzunge liegt in weit vorgerückter Position und die Ufermoränen werden überschüttet. KICK (1964: 16) ordnet den Tippuri-Gletscher als klassischen Dammgletscher ein. Am Beginn der Entwicklung steht allerdings die exzessive Aufschüttung der Lateralmoränen, die später überfahren werden.

Photos 4.3.2.1: Blick aus 3925 m in das Basha-Tal auf den Tipurri-Gletscher (…). Das lateroglaziale Sedimentationsumfeld und das Siedlungsland von Arandu sind eng miteinander verzahnt. Der Ufermoränenfirst wird rezent durch die Gletscheraufhöhung überprägt. Die supraglazialen Schüttungen laufen bis in die Flur aus.

Auf seiner rechten Seite durchbricht der Gletscher die Ufermoränenfassung (). Der Sedimentkegel markiert den Hauptdrainageweg des Tipurri-Gletschers. Die Talflanken sind mit Moränenkegel verkleidet (U). Die Sedimentkegel auf der linken Basha-Talseite sind in Form von Staukegeln ehemals gegen den Haupttalgletscher geschüttet worden. Aufnahme: L. Iturrizaga 28.07.2000/29.

Photo 4.3.2.2: Rezente Überschüttung der linken Tippuri-Ufermoräne. Der supraglaziale Schutt kollert bis in die angrenzenden Felder von Arandu. Aufnahme: L. Iturrizaga 29.07.2000/26.

Photo 4.3.2.3: Die Tipurri-Gletscherzunge schiebt sich in das Basha-Tal vor. Die linke Ufermoräne ( ) wurde vom Gletscher überfahren. Aufnahme: L. Iturrizaga 13.07.2000/26.

4.3.2 Tippuri-Gletscher 174

Der in Photo 4.3.2.1 gezeigte Sedimentkegel (U) weist mehrere Dekameterhohe zerrunste Steilkanten auf. Diese Kliffs gehen nicht primär auf die heutige fluviale Unterschneidung durch den Basha-Fluss zurück, sondern sie wurden erstmalig ausgebildet als der Sedimentkegel gegen den spät- bis neoglazialen Chogolungma-Gletscher geschüttet wurde. Die rezente fluviale Unterschneidung führt zur Beibehaltung der initialen terrassierten Form des Sedimentkegels.

Terrassierungen treten im Hochgebirge sehr häufig auf und können trotz gleicher äußerer Form auf sehr unterschiedliche Weise entstanden sein. Abb. 4.3.2.1 zeigt abschließend eine Auswahl der Entstehungsmöglichkeiten von Terrassenformen.

Abb. 4.3.2.1: Möglichkeiten der Entstehung von Terrassenformen mit asymptotischer Anschmiegung der Terrassenfläche an den Hang

Die Eisrandtäler als Siedlungsgunststandorte und deren Zugänglichkeit

Die Siedlungssituation in Arandu (2780 m) hebt sich von der in Hunza deutlich ab. Der Chogolungma-Gletscher und auch die unmittelbare Umgebung Arandus bieten weitläufige Weidegebiete, so dass keine Knappheit im Weideareal besteht. Trotzdem zeigen die Hänge in den Eisrandtälern in Form von eng gescharten Viehgangeln vielerorts Anzeichen der Überweidung. Mitte Juli 2000 wurden die Almen am Chogolungma-Gletscher noch nicht bewirtschaftet. Almsiedlungen existieren auf beiden Gletscherseiten, jedoch wird das südexponierte Eisrandtal stärker frequentiert. Die Almen sind großteils in sicherer Lage vor Lawinen- und Steinschlagabgängen postiert.

Der oben beschriebene Murabgang in Khurumal ging in das Eisrandtal ab und staute einen See auf.

Der Wasserspiegel des Sees stieg durch die Zugabe der Murfracht. Erst als sich ein Überlauf ausbildete, der durch die Ufermoräne zum Gletscher hin entwässerte, schrumpfte der See zu einer Größe, die kleiner war als zuvor. Über eine Woche später war der See fast gänzlich verlandet. Ein tiefgründiges Schlammmeer hatte sich gebildet. Diese frischen wasserreichen Murablagerungen

erweisen sich als höchst gefährlich. In diesem Sumpf verendete ein Kalb einer Dzo-Herde.

Insbesondere mit schwerer Last beladen ist es auch für Menschen riskant, in dem Schlamm zu versinken. Die gesteinsträchtigen Murwälle hingegen können relativ schnell zementfest verbacken sein.

Ein großes Gefahrenpotential im linken, S-exponierten Chogolungma-Eisrandtal stellen die Lawinenabgänge dar. Die Einzugsbereiche reichen auf etwa 5500 m hinauf, z.T. niedriger, so dass die Gratregionen gerade über die Schneegrenze ragen. Schneeflecken und kleinere Gletscherkappen in S-Exposition liefern v.a. nachmittags das notwendige Schmelzwasser für Murabgänge. Die Reliefenergien sind gewaltig. Teilweise handelt es sich um knapp 2000 m hohe Steilflanken, die sich über eine fast ebenso große Vertikaldistanz erstrecken. Dass nicht noch größere Murabgänge entstehen ist der Schuttarmut der Steilflanken zu verdanken. Die Murgänge reichen von den Gipfelbereichen bis in die supraglazialen Bereich des Hauptgletschers hinein. Sie durchlaufen die breiten Eisrandtäler, zerschneiden die Ufermoränen und werden auf dem Gletscher abgelagert. Die Zerschneidung und Ablagerung der Murgänge scheinen sich die Waage zu halten.

Bemerkenswert ist die Laufweite der Lawinen. Sie überfahren die Ufermoränenwälle, worauf die charakteristischen zerbröselten Ablagerungen mit dem hohen Anteil an Holzresten und Humusstreugehalt sowie die verlagerten Gesteine des oberen Einzugsbereiches hinweisen. In den Lawinenablagerungen fanden sich auffallend viele Ibex-Leichen. Dies ist erstaunlich, da es sich um sehr flinke Tiere handelt. Sie wurden wahrscheinlich von der Druckwelle miterfasst.

Zwischen Arencho und Bolocho setzt das Eisrandtal aus. Der Chogolungma-Gletscher unterschneidet die Ufermoräne. Auf dem Hinweg wählte unsere Trägergruppe den Abstieg über den Ufermoräneninnenhang zum Gletscher, um weiter talaufwärts wieder in das Eisrandtal einzufädeln.

Diese Variante erwies sich als äußerst gefährlich. Es handelte sich um einen über 40° steil geneigten, sehr exponierten Moränenhang, der nur mit Seilsicherung einigermaßen sicher zu bewältigen war.

Verwunderlich war, wie die talaufwärts befindlichen Yaks diese Route bestritten haben sollten. Wie sich herausstellte, gingen sie über den etwa 150 m über den Gletscher befindlichen Bergsporn. Diese Variante ist zwar steigungsintensiv, aber weit ungefährlicher.

Die Zugänglichkeit des linken Eisrandtales ist vergleichsweise gut, ähnlich wie am Batura-Gletscher.

Von Arandu aus quert man die Gletscherzunge, die stark verschuttet, relativ eben und spaltenfrei ist und von daher sehr gut begehbar ist – auch für Vieh. Bis nach Arencho kann man dem Eisrandtal folgen (mit Ausnahme oberhalb von Khurumal 3560 m, wo man den Kilwuri-Gletscher queren muss).

Die Querung gestaltet sich derzeit sehr unproblematisch. Dies ist anders als beim benachbarten Hispar-Gletscher, bei dem die Passierung der einmündenden Nebentalgletscher Kunyang Chhish und Pumari Chhish sich streckenweise äußerst schwierig gestaltet (Ufermoräneninnenhänge). Zu manchen Zeiten wurde der Pumari Chhish-Gletscher z.B. nicht gequert, da er durch surge-artiges Vorstoßen die Ufermoräne überragte und sehr spaltenreich war (SEARLE1991, ITURRIZAGA 2002).

Die Zugänglichkeit der Eisrandtäler zeigt sich durch den Gletscherschwund in vielen Fällen schwieriger als zuvor. Deka- bis über hundert Meter hohe, steinschlag- und rutschungsgefährliche Ufermoräneninnenhänge sind freigelegt worden, die großteils nicht erklimmbar sind. Lediglich entlang sanfter geneigter Funnels, die manchmal durch Vegetation stellenweise konsolidiert sind (z.B.

Kukuar-Gletscher), kann das Eisrandtal erreicht werden.

Beim Chogolungma-Gletscher haben selbst die oberen Gletscher, der Bolocho- und der Sgari-byen-Gletscher keinen Kontakt mehr zum Hauptgletscher. Man ist jedoch zur Sommerzeit dennoch gezwungen auf den Chogolungma-Gletscher auszuweichen, da die Nebengletscherflüsse bei ihrem hohen Abfluss nicht querbar sind. Beim Sgari-byen-Gletscher gestaltet sich die orographisch rechte Seite schwierig, da der Chogolungma-Gletscher sehr spaltenreich ist. So verbleibt nur die Möglichkeit des Umweges über den weit zurückgezogenen (circa um 2-3 km) Sgari-byen-Gletscher. Hier ist das Talgefäß jedoch ausgekleidet mit Little Ice Age- oder spätneoglazialen Moränenleisten (30 m – 60 m hoch). An sie sind sehr steile Einzugsbereiche angeschlossen, die mit kleinen Hängegletschern und Schneeflecken bestückt sind. Gerade zur Nachmittagszeit entsenden sie Murabgänge. Der Chogolungma-Gletscher selbst ist in seinem mittleren Abschnitt sehr gut begehbar. Nach einem hügeligen, nicht allzu spaltenreichen Übergangssaum, gestaltet sich der zentrale Gletscherpart sehr ausgeglichen. Steinmänner halten sich auf diesem blankeisigen Gletscherteil nicht.

4.4 Die Gletscher der Talschaft Shimshal 176